Imperialismus in der Krise

Die globale politische Instabilität ist der neue Normalzustand.
Sebastian Kugler

„Der Krieg ist die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, meinte einst der preußische General Carl von Clausewitz. MarxistInnen fügen dem noch hinzu: Die Politik ist auch bloß die Fortsetzung der Wirtschaft mit anderen Mitteln. Folgerichtig werden Clausewitz‘ Theorien über Kriegsführung auch heute noch nicht nur in Militärakademien, sondern auch in politischen ThinkTanks und im BWL-Studium der Harvard University gelehrt. Denn Kapitalismus bedeutet Produktion für Profit. Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen führt das notwendigerweise zu Konflikten. Kapitalistische Staaten müssen die Interessen ihrer großen Kapital-Fraktionen durchsetzen – zur Not bewaffnet. Die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ Deutschlands etwa verlautbaren: „Deutsche Sicherheitsinteressen ergeben sich aus unserer Geschichte, der geografischen Lage in der Mitte Europas, den internationalen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen des Landes und der Ressourcenabhängigkeit als Hochtechnologiestandort und rohstoffarme Exportnation.“

Seit dem 19. Jahrhundert spricht man von Imperialismus, wenn stärkere Mächte schwächeren ihre ökonomischen Interessen aufzwängen. Nach dem 2. Weltkrieg hatten die USA die alten imperialistischen Mächte wie Britannien und Frankreich aufgrund überlegener Technik und militärischer Stärke überholt. Die USA führten nun eine Koalition der kapitalistischen Welt gegen das stalinistische Konkurrenzsystem im Osten. Ein gemeinsamer Feind und der Nachkriegsaufschwung bedeuteten die zeitweise Linderung der Konflikte unter den imperialistischen Ländern.

Das Ende des Nachkriegsaufschwungs läutete eine neue Ära ein: In den imperialistischen Zentren wurde Kapital in zunehmend deregulierte Finanzsysteme investiert. Mangels eines strukturellen Aufschwungs sollte der Konsum daheim mit Krediten angekurbelt werden. Die Produktion selbst wurde hingegen ausgelagert. Seit den 1970ern stieg der Anteil an Manufakturgütern, die die „Entwicklungsländer“ exportieren, von ca. 15% auf 60%-70% ihrer gesamten Exporte. Auf der anderen Seite, den kapitalistischen Zentren, verfünffachten sich die Importe von Manufakturgütern seit 1970 von 10% auf 50%. Die Folge: Stellten die Entwicklungsländer 1950 nur 34% der weltweiten IndustriearbeiterInnen, waren es 2010 bereits 79%. Auf der anderen Seite verzeichnen heute die größten 500 Firmen 30% der globalen Umsätze. Von den 200 größten Firmen haben 96% ihren Sitz in einem der acht größten imperialistischen Länder. Die Arme dieser Konzerne inklusive ihrer Subunternehmen und Zulieferer in den Entwicklungsländern reichen global – doch ihre Füße stehen fest auf den Böden der imperialistischen Staaten. Die Rede von „Entwicklungsländern“ entpuppte sich als Lüge: Es war niemals vorgesehen, dass diese Länder „aufholen“ würden. Die Regeln machten immer die reichen Länder zu ihren eigenen Gunsten.

Eine entscheidende Ausnahme markiert die Entwicklung von China. Es wurde zwar zunächst zur Werkbank der Welt, entwickelte aber vor allem dank seiner schieren Größe und staatlicher Steuerung eigene ökonomische Macht. Heute sind die Überkapazitäten Chinas in der Stahlproduktion größer als die aktive Stahlproduktion des Rests der Welt. Die EU wuchs zu einem eigenständigen Player heran – jedoch nur in dem Ausmaß, in dem sich die Interessen ihrer Zugpferde Deutschland und Frankreich vereinen lassen.

Mit dem Kollaps der Sowjetunion konnte sich dieses Kartenhaus noch einmal stabilisieren – immerhin wurden neue Märkte frei und Russland brauchte einige Zeit, um im imperialistischen Wettbewerb wieder mitzumischen. 2007 begannen jedoch die Blasen in den kapitalistischen Zentren zu platzen. Das verschärfte die Probleme vieler Entwicklungsländer – nicht zuletzt auch der „aufstrebenden Märkte“ wie Brasilien und Indien. Auch destabilisierte die Krise Diktaturen in Nordafrika und dem Nahen bzw. Mittleren Osten. Diese hatten zwar mit imperialistischen Blöcken zusammengearbeitet. Sie hatten jedoch, gestärkt von den vergangenen antikolonialen Kämpfen, immer auch eine gewisse Autonomie beansprucht. Die revolutionären Bewegungen des „arabischen Frühlings“ konnten zwar einige der Diktatoren stürzen, aber nicht mit dem Kapitalismus brechen. Das eröffnete den imperialistischen Blöcken die Möglichkeit, sich verstärkt einzumischen. Kriegsführung wurde wie Produktion zunehmend „outgesourct“, allerdings mit unkontrollierbaren Folgeeffekten: die Milizen, die Unterstützung durch imperialistische Blöcke bekommen, haben auch ihre eigene Agenda - über unmittelbare wirtschaftliche Interessen hinaus.

 

„Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ – Jean Jaurés

Die verschärften imperialistischen Konflikte drücken sich vor allem in zwei Regionen auf unterschiedliche Weise aus. Einerseits in den militärischen Konflikten auf den Leichenbergen des arabischen Frühlings – Andererseits in den kollidierenden Wirtschaftsinteressen und der Frage des Zugangs zu Handelsrouten, vor allem im südchinesischen Meer und rund um die neue „Seidenstraße“.

Der Imperialismus ist in einer Zwickmühle: Die Krise 2007 hat der ohnehin schwächelnden Weltwirtschaft ihre finanziellen Krücken genommen – und eine Ära von Stagnation bzw. schleppendem Wachstum bloßgelegt. Die einzelnen imperialistischen Mächte müssen zunehmend den eigenen Zugang zu Märkten und Ressourcen sicherstellen. Gemeinsame Globalisierungsprojekte werden schwieriger. Das zeigt das Scheitern bzw. unsichere Schicksal diverser Handels-Abkommen. Die Krise der Globalisierung begann aber schon davor: die Welthandelsorganisation WTO konnte seit ihrer Gründung 1995 keinen multilateralen Handelsvertrag durchsetzen. Die Schwächung des Globalisierungskonsenses stärkt auch die Staaten, die sich zu regionalimperialistischen Mächten gemausert haben, wie etwa die Türkei, Saudi Arabien oder Iran. Sie wittern im Hauen und Stechen rund um Syrien und den Irak die Möglichkeit zur Ausweitung ihrer Einflusssphären. 

Gleichzeitig ist die Globalisierung aber auch nicht mehr rückgängig zu machen: Die Produktionsketten verlaufen über den gesamten Erdball, immer auf der Suche nach der billigsten menschlichen Arbeit und den meisten Ressourcen. Das seit den 1970ern zunehmende Gewicht der Finanzwirtschaft hat zur Folge, dass jeder bei jedem verschuldet ist.

Großen Konzernen ist das BIP oder der Schuldenstand ihrer Heimatländer egal, solange diese die Rahmenbedingungen für die globale Ausbeutung garantieren. Sie benötigen also die globale Zusammenarbeit der imperialistischen Blöcke. Gerade diese widerstrebt aber der Forderung, die jeweils eigenen imperialistischen Interessen wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Somit kommt es aber zu widerstreitenden Interessen unter verschiedenen Fraktionen der Herrschenden in den imperialistischen Ländern: Während CETA beschlossen wird, werfen die teilnehmenden Staaten mit Schutzzöllen um sich. Trump etwa wurde nicht zuletzt aufgrund der berechtigten Wut über die Folgen des globalen Freihandels gewählt. Nun manövriert er im ständigen Kreuzfeuer unterschiedlicher Kapitalinteressen, die sich sogar innerhalb seines Regierungsteams widersprechen.

Viel hat sich geändert, seit MarxistInnen erstmals den Imperialismus analysierten. Doch umso mehr bestätigten sich ihre Grundannahmen: wir haben nur die Wahl zwischen Sozialismus und Barbarei.

Erscheint in Zeitungsausgabe: