Hat Waldheim noch einmal gesiegt?!

Anmerkungen eines Anti-Waldheim-Aktivisten von 1986 zur Debatte um einen angeblich großen Österreicher 2007
John Evers, SLP-Wien

Österreich 1986: Eine Welle des Antisemitismus überschwemmt das Land. Die Drahtzieher einer Kampagne, die bewusst mit den entsprechenden Vorurteilen und Einstellungen spielt, sitzen gegenüber dem Wiener Opernhaus. Hier befand sich zu diesem Zeitpunkt das Hauptquartier die ÖVP, die mit Kurt Waldheim einen ehemaligen Wehrmachtsoffizier (Einsatzgebiet: Vernichtungskrieg Balkan) und SA-Mann für das höchste Amt  im Staat aufstellte - und sich zunächst nicht viel dabei dachte. Zur allgemeinen Überraschung thematisierten 1986 plötzlich nicht nur einige linke AktivistInnen, ZeithistorikerInnen und jüdische Organisationen, sondern die SPÖ und in der Folge v.a. auch die US-Regierung diesen Umstand als Problem. Der Inhalt der völlig zutreffenden Vorwürfe: Waldheim sei zwar kein überzeugter Nazis, aber ein typischer Mitläufer und Mitwisser gewesen, der es sich halt „gerichtet“ hat. Vor allem aber Waldheims (verlogene) Reaktion 1986 (Ich habe nichts gewusst, Ich habe nur meine Pflicht erfüllt ...) mache ihn untragbar für den Spitzenjob. Ein Schulterschluss von Krone über ÖVP/FPÖ bis Helmut Zilk formierte sich. Waldheim gewann schließlich mit fast 54 Prozent die Wahl, trat aber (was unüblich war) kein zweites Mal an.

Breite Mobilisierung

Das wirklich Neue an der Auseinandersetzung stellte die breite Mobilisierung gegen einen Präsidentschaftskandidaten dar, die selbst nach seiner Wahl nicht abriss. Diese Mobilisierung beinhaltete Demonstrationen und Mahnwachen, die zu Orten heftiger und zuweilen handgreiflicher Auseinandersetzungen wurden, sowie zahllose Debatten in den Schulen und Betrieben. Tausende Jugendliche, zu denen ich selbst zählte, betrachteten Waldheim als Symbol einer Nachkriegsgesellschaft, die nie wirklich mit der NS-Vergangenheit gebrochen hatte. Es war eine Gesellschaft, in der (v.a. jüdische) Opfer und WiderstandskämpferInnen oft bestenfalls BittstellerInnen waren. Hingegen konnten TäterInnen und MitläuferInnen in die Diplomatie und Ministerien einziehen und offensichtlich sogar Bundespräsident werden. Die Empörung darüber war nun dauerhaft und heftig: Für mehrere Jahre zierten unzählige österreichische Reisepässe spezielle Polithüllen mit dem Slogan „Ich habe ihn nicht gewählt“. In etlichen Schulen hängten SchülerInnen die Bilder des neuen Präsidenten schließlich einfach ab.

Doch warum siegte Waldheim damals?

Waldheims Sieg hing damals selbstverständlich mit einem vorhandenen Antisemitismus, sowie dem Umgang mit der NS-Vergangenheit in der österreichischen Gesellschaft zusammen. Ihn darauf zu reduzieren wäre allerdings eine unzulässige Verkürzung.  Dass Waldheim trotz alledem gewann und in der Folge als Präsident amtieren konnte, lag zum einen am Problem der Glaubwürdigkeit einiger seiner „GegnerInnen“: US-Administration und SPÖ hatten selbst über Jahrzehnte hinweg TäterInnen gedeckt und MitläuferInnen integriert. Unablässig verwiesen Waldheims Verteidiger auf den Umstand, dass dieser mit Unterstützung aller Regierungen und Parteien UN-Generalssekretär gewesen war. Zum anderen waren jene, die sich als Führung der Bewegung „von Unten“ gegen Waldheim verstanden (und zum Teil selbst ernannten), nicht bereit, das „strategische Bündnis“ mit Reagan & Co. und vor allem der SPÖ-Spitze in Frage zu stellen. Dieses Bündnis war so nicht nur unglaubwürdig und trug zur Isolation der Bewegung in der österreichischen Gesellschaft bei. Vor allem lähmte es den Widerstand und tötete diesen schließlich nach Waldheims Wahl ab. Nicht zuletzt deshalb, weil die SPÖ-Spitze die Angelegenheit als taktischen Fehlschlag resümierte, ihre Verantwortung für die Kampagne zum Teil abstritt (und damit einige Verschwörungstheorien nährte), mit Waldheim kooperierte und mit seinen Protagonisten von der ÖVP unmittelbar danach (und heute wieder!) koalierte.

Und heute?

Die Orientierung der Bewegung von 1986 auf diese strategischen Bündnis-„Partner“ wurde nachträglich zur breiten „zivilgesellschaftlichen Allianz“ umgedeutet. Dass die Konstrukteure dieser „Allianz“ heute zum Teil keinen geraden Satz der Verurteilung gegenüber Waldheim herausbringen, ihn gar als „großen Österreicher“ bezeichnen oder zumindest nicht in Frage stellen, ist Ausdruck des politischen und moralischen Bankrotts dieses Ansatzes. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer, der WiderstandskämpferInnen, ihrer Nachkommen und auch jener Menschen, die damals politisch aktiv wurden und in den vergangenen 20 Jahren ihrer Haltung treu geblieben sind. Es ist allerdings nicht der erste Schlag dieser Art: Nach Waldheims „Tolerierung“ wurden Haider Landeshauptmann, die FPÖ Regierungspartei und (nicht) zuletzt Straches Wehrsportübungen von Gusenbauer in Schutz genommen. In diesem Sinne hat Waldheim und das, wofür er stand, tatsächlich noch viele Male „gesiegt“. Ein Staatsbegräbnis für ihn würde diese Kontinuitäten nur vollends verdeutlichen.

Die „zivilgesellschaftliche“ Allianz mit dem Establishment von 1986 ist längst zerbrochen

Nichts desto trotz steht dem auch eine andere, langfristig positive Entwicklung gegenüber. Eine Entwicklung, welche die immer stärkere Abwendung politischer AktivistInnen von der Konsens-Suche mit den etablierten Kräften markiert, sowie (vor allem nach der „Wende“ 1999/2000) Elemente unabhängiger Organisierung und grundsätzlicher Opposition in unserer Gesellschaft beinhaltet. Etliche Jugendliche von „damals“ gehör(t)en in der Folge zum Rückgrat der Mobilisierungen gegen den Aufstieg Haiders, zur Speerspitze der Kämpfe und Streiks gegen Schwarz-Blau und heute gegen die Strache-FPÖ, die allerdings m.E. eine neue und besondere Gefahr darstellt.

Konsequenter Antifaschismus nötiger denn je!

Während Waldheim vor allem für Aspekte der Vergangenheit und deren Wirkung in die Gegenwart stand und steht, bedeutet heute die offensive Verknüpfung von sozialem Populismus gegen die „Globalisierung“ und rassistischen Konzepten etwas anderes: nämlich eine zumindest nach 1945 in dieser Form neuartige und direkte Kampfansage der extremen Rechten an die Linke. Die FPÖ bewegt sich mit dieser Linie im Rahmen eines europäischen Formierungs- und Umgruppierungsprozess, der eine Radikalisierung des Rechtsextremismus ausdrückt, die im Zusammenhang mit den wachsenden sozialen Problemen und der Krise der EU steht. Wesentlich stärker als 1986 bedarf es heute eines explizit linken Antifaschismus, der derartige rechtsextreme Kräfte und Tendenzen aktiv ausgrenzt, sowie ihnen mittels eines sozialistischen Antikapitalismus (der den gemeinsamen Kampf von ArbeiterInnen und Jugendlichen um ihre Rechte betont) den Nährboden entzieht.