Friedrich Engels und die Frauen

Der Lebemann als Revolutionär. Oder, warum wir so wenig über die Burns-Schwestern wissen.
Albert Kropf

Die Forschung zum Leben von Marx und Engels begann schon zu ihren Lebzeiten und dementsprechend gut erforscht ist es. Wer sich mit Engels beschäftigt, kommt an seinem Buch "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" nicht vorbei. Darin beschreibt er die Grundlagen der Unterdrückung der Frau und die Bedeutung sexistischer Moralvorstellungen zum Erhalt von Klassengesellschaften.

Er analysierte diese Zusammenhänge nicht nur, sondern brach für die Zeit auch radikal damit. Von Ehe, Monogamie und Standesdünkel hielt er wenig und lebte lange mit zwei Schwestern aus den irischen Arbeiter*innen Slums in Manchester zusammen. Wir wissen viel über das gesellschaftliche Leben von Engels, aber kaum etwas über jenes der Burns Schwerstern. Zu mutmaßen, Engels hätte sich (wie damals durchaus üblich) zwei arme Frauen „gehalten“, ist eine flache Analyse. Das Ignorieren dieser Beziehung durch Sozialdemokratie und Stalinismus zeigt, dass beide bürgerliche Moralvorstellungen tief verinnerlicht haben.

1842 ging Engels auf Wunsch des Vaters nach Salford bei Manchester. Er arbeitete im Familienbetrieb und studierte den modernen Industriekapitalismus. In England gab es schon eine aktive Arbeiter*innen-Bewegung, an der er sofort andockte. Wahrscheinlich ist, dass Engels dabei relativ bald auf Mary Burns gestoßen ist und sie 1842/43 eine Beziehung eingingen. Ziemlich gesichert ist, dass sie ihn in die gefährliche Welt von „Little Ireland“ in Manchester einführte (und damit auch schützte), wo er für sein erstes Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ recherchierte. Er wiederum unterstützte ihre politische Tätigkeit für die irische Unabhängigkeit.

Später zog Engels mit Mary und ihrer Schwester Lydia zusammen und war spätestens nach Marys Tod in einer Beziehung mit Lydia. Wobei viel darauf hindeutet, dass alle drei auch wechselnde Sexalpartner*innen hatten. Das „Verhältnis“ war kein Skandal - der „Skandal“ war, dass Engels die Unterschichtfrauen Mary und dann Lydia als „seine Frau“ vorstellte und sie somit neben sich auf seine gesellschaftliche Stufe stellte. Auch Marxens Frau war wegen der „gesellschaftlichen Unmöglichkeit“ geschockt, als Engels mit Mary bei ihnen in Brüssel zu Besuch war. Dass er Lydia erst am Totenbett formal heiratete, um ihr ihren letzten Wunsch zu erfüllen, ändert daran nichts. Von formalen Dingen, wie Heirat hielt er nichts. Besitzdenken, sowohl persönlich wie materiell war ihm fremd. Engels baute sich abseits des bürgerlichen Familien-Ideals, aus dem Marx und Burns Clan sein eigenes Familienkonstrukt. Ihnen hinterließ er auch einen Großteil seines Vermögens. Marxens Grab in Highgate bei London war als „Familiengrab“ gedacht. Erst als er sah, wie es zur „Pilgerstätte“ wurde, verfügte er, dass seine Asche in den Ärmelkanal geschüttet werden soll. Für sich wollte er keine Pilgerstätte.

 

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