Frankreich: 2007 – zwischen Kämpfen und Wahlen

Alexandre Rouillard, CWI-Frankreich

Handelt es sich um eine Art historischen Witz, wenn die Präsidentschaftskandidatin der sozialdemokratischen Parti Socialiste (PS) Royal (königlich; Anm. d. Übers.) heißt?

Abgesehen davon haben die PS-Mitglieder mit Ségolène Royal die einzige aus ihren Reihen zur Kandidatin gewählt, die in den Wahlumfragen eine Chance gegen den rechts-konservativen Nicholas Sarkozy zu haben scheint. Unterscheiden sich die beiden aber großartig voneinander?

Die letzten Jahre haben eine Reihe von Kämpfen und politischen Kampagnen, wie etwa die gegen die Abstimmung der europäischen Verfassung 2005, gesehen. Eine wachsende Opposition gegen die neoliberale Regierungspolitik zeigte sich auf vielfältige Art und Weise. Obgleich diesbezüglich einiges an Erfolgen zu verzeichnen sind, ist die Hauptstoßrichtung der Regierungspolitik jedoch dieselbe geblieben. Eine neue Angriffswelle wird derzeit vorbereitet und die Renten sind dabei das erste Ziel: die Höhe der Lebensalterszeit, die besondere Behandlung der Bahnarbeiterpensionen usw.

Sarkozys langer Weg, einziger Kandidat der Konservativen zu werden, war von Erfolg gekrönt. Er präsentiert sich selbst als besten Kandidaten für die KapitalistInnen, der eindeutig zu einem "Bruch" aufruft: für einen offenen Kampf gegen die ArbeiterInnenklasse. In Zeiten sozialer Kämpfe hat Sarkozy sich selbst nie in die erste Reihe begeben. In den Medien ist er mit seinen neoliberalen Reden jedoch omnipräsent. Er repräsentiert einen scharfen Bruch mit den Traditionen der Gaullisten, die stets klassenunabhängig aufgetreten sind, während sie die ArbeiterInnenklasse nach und nach attackierten.

Im Weltmaßstab ist der französische Kapitalismus über die letzten Jahre ins Hintertreffen geraten. Sarkozys Hauptidee ist es, die französische Wirtschaft dieser Tatsache zu unterwerfen. Anders als die GaullistInnen sonst, die immer versuchten, Frankreichs Rolle in der Welt aufrechtzuerhalten, denken die SarkosistInnen, dass es besser wäre, wenn man den Frankreich von der neuen Gemengenlage zugedachten Anteil akzeptiert. Das bedeutet beispielsweise, dass versucht wird, riesige multinationale Körperschaften – allerdings nur in einer begrenzten Anzahl von Bereichen – zu gründen. In Sachen Steuerpolitik wird ebenso versucht, mehr in Richtung einer spekulativen Ökonomie zu gehen. Dazu gehört auch eine Politik bewusster rassistischer Provokation, übertüncht mit einigen Zugeständnissen an ImmigrantInnen, die sich der neoliberalen Politik anpassen. All das ist verknüpft mit einer sehr repressiven Haltung gegenüber sozialen und betrieblichen Bewegungen sowie den Jugendlichen.

Viele ArbeiterInnen und junge Menschen sehen in Sarkozy eine große Bedrohung. Er ist der verhassteste Politiker unter den Jugendlichen der armen Vorstädte, der Banlieue. Für viele ArbeiterInnen ist Sarkozy auch der Kandidat der Bosse. Von dem, was das gute Abschneiden Ségolène Royals in den Wahlumfragen teilweise erklärt, geht eine gewisse Polarisierung aus.

In den jüngsten Kämpfen und politischen Kampagnen ist die PS kein Risiko eingegangen. So richtete sich seit dem Kampf gegen das CPE (Gesetz über den ersten Arbeitsplatz) im letzten Jahr nur wenig Aufmerksamkeit auf deren Unterstützung für die EU-Verfassung. Eine Massenbewegung junger Menschen und ArbeiterInnen hatte die Versuche der Regierung abgewürgt, den Angriff auf die Rechte junger ArbeiterInnen, den das CPE darstellte, zu implementieren. Der Parteitag der PS im letzten September nahm jedoch mit überwältigender Mehrheit ein neoliberales Programm an. Die Wahl ihrer Präsidentschaftskandidatin basierte keineswegs auf dem Wunsch, dem politischen Programm der Rechts-Konservativen etwas entgegenzusetzen, sondern auf der Frage, wer „überhaupt gegen Sarkozy gewinnen kann“ – unter denselben politischen Vorzeichen. Der wichtigste Aspekt dabei war das Medienimage der Kandidatin.

Obgleich sie Anfang der 1990er dem Stab des ehemaligen „sozialistischen“ Präsidenten François Mitterrand und später der Regierung Lionel Jospins angehörte, gehört Royal nicht zu den sogenannten Elefanten, dem Teil der PS, der großes Gewicht und Einfluss hat. Sie hat vielmehr einen regionalen Hintergrund, was innerhalb der PS immer von großer Bedeutung war. Als national führende Politikerin ist sie nicht in Erscheinung getreten. Zudem haftet ihr ein unbürokratisches Image an. Die beiden anderen Kandidaten, Laurent Fabius und Dominique Strauss-Kahn, waren in den 1980er Jahren bereits Minister der Regierung.

Royal hat auch den Vorteil, eine Frau zu sein, die einerseits sehr modern in Erscheinung tritt und andererseits traditionelle Werte bedient. Sie ist nicht verheiratet, hat vier Kinder und ihr Lebenspartner ist der PS-Vorsitzende François Hollande. Sie vermittelt das Bild, äußerst unabhängig von ihm zu sein. Gleichzeitig preist sie immer wieder „die Werte der Familie“.

Bei den innerparteilichen Abstimmungen der PS gingen 81 Prozent an Royal und Strauss-Kahn, die beide neoliberale Positionen vertreten. Das gibt Aufschluss über den Wandel, der in der PS stattgefunden hat. Obwohl Fabius Forderungen formulierte, die weiter links anzusiedeln sind (so z.B. die sofortige Anhebung des Mindesteinkommens um 100,- €), ist er für viele neoliberale Akte der Vergangenheit verantwortlich.

Bisher sorgt die Polarisierung gegenüber Sarkozy dafür, dass sich zwei Wählertypen für Royal entscheiden würden: Die meisten gehen davon aus, dass sie ihm gegenüber einfach das „kleinere Übel“ darstellt. Mensch glaubt, dass die Attacken, die von ihr zu erwarten sind, weicher ausfallen würden als unter einem Präsidenten Sarkozy. Und gewiss wird die Taktik der PS darin bestehen, ein paar soziale Maßnahmen zu vollziehen, um bestimmte Aspekte der kapitalistischen Offensive aufzulockern. So wird beispielsweise in Aussicht gestellt, dass 500.000 Arbeitsplätze für Jugendliche geschaffen werden. Den Mindestlohn einhaltend und basierend auf bestehenden Fünfjahresverträgen des privaten Sektors wären diese Arbeitsplätze tatsächlich weit weniger prekär als es ein CPE vorgesehen hätte. Aber alles in allem wären sie dennoch prekär: Diese Arbeitsplätze würden reguläre Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst ersetzten und würden jährlich erneuert, was bedeutet, dass sie auflösbar sind. Das ist weniger brutal als unter Sarkozy. Nichtsdestotrotz ist es diese Art von Politik – flankiert von offenen Attacken, wie etwa dem Aubry-Gesetz der PS (Erg. d. Übers.), welches die Arbeitszeit offiziell auf 35 Wochenstunden senkte, dabei aber die Löhne einfror und eine erhöhte „Flexibilität“ einführte –, die zum Sturz der Regierung Jospin im Jahre 2002 führte.

ArbeiterInnen und Jugendliche werden eine Art taktischer Stimmabgabe vollziehen. Die Absicht dahinter wird sein, einen Sieg Sarkozys zu verhindern, ohne dabei Royal wirklich zu unterstützen. Eine solche Situation kommt hauptsächlich wegen des Fehlens eines Kandidaten/einer Kandidatin zu Stande, der/die ArbeiterInnen, junge Menschen und all jene repräsentiert, die gegen neoliberale Politik kämpfen.

Lutte Ouvrière (LO; Arbeiterkampf) und die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR; Revolutionär-kommunistischer Bund) waren in den letzten Jahren des Öfteren in einer günstigen Position. Die starken Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Formationen machten es ihnen allerdings unmöglich, jedwede bedeutsame Form der Zusammenarbeit einzugehen. Beide präsentieren sich als revolutionäre Organisationen und werden auch als solche angesehen. LO wie LCR weigern sich jedoch, die Gewerkschaftsführungen tatsächlich herauszufordern und eine neue politische Formation zu kreieren, in der eine Schicht der ArbeiterInnenklasse und Jugendlichen eine unabhängige politische Basis entwickeln könnte.

Es sind immer die Basismitglieder und die unorganisierten ArbeiterInnen, die den Kampf vorantreiben und die die Gewerkschaften gezwungen haben, diesem Kampf beizutreten. Die Postbeschäftigten sind z.B. hauptsächlich in Paris und den ländlichen Regionen im November und Dezember für mehrere Stunden die Woche in Streik getreten. Sie mussten ihren Arbeitskampf aber eigenständig und nur mit Unterstützung einiger kleiner regionaler Gewerkschaften organisieren. Die Regierung spricht davon, das Rentensystem anzugehen und hat bereits von der Streichung von 5.000 Stellen im Bildungsbereich gesprochen. Demonstrationen dagegen wurden bereits wieder abgesagt. Es wird aber unter Garantie wieder einmal an den Beschäftigten an der Basis sein, dass Kämpfe aufgenommen werden, um überhaupt irgendein Ergebnis zu erzielen.

Während der Kämpfe gegen das CPE haben weder LO noch die LCR der Gewerkschaftsführung und der Kommunistischen Partei (PCF) eine Alternative entgegengesetzt. Beide folgten den offiziellen Organisationen und nahmen nur an den „Aktionstagen“ teil. An Auseinandersetzungen in den kämpfenden Strukturen, wie dem studentischen Koordinationsrat, haben sie sich nicht beteiligt. Auf politischer Ebene haben sie alles in allem keine einzige Initiative ergriffen.

Im Nachgang an die gemeinsame Kampagne gegen die EU-Verfassung wurden anti-neoliberale Komitees gegründet, die die LCR, die PCF und andere linke Gruppen und Einzelpersonen einschlossen. Von Anbeginn erklärte die LCR, dass es zur Explosion kommen würde, wenn eines dieser Komitees einen Präsidentschaftskandidaten unterstützen würde. Die PCF versuchte die Komitees dazu zu bringen, ihren eigenen Kandidaten bei den Wahlen zu unterstützen. Am Ende sind sämtliche dieser Strukturen zusammengebrochen und LCR und PCF stellten ihre eigenen Kandidaten auf. All jene, die gehofft hatten, dass eine gemeinsame anti-neoliberale Kandidatur zu Stande käme, fühlen sich an der Nase herumgeführt.

Die Präsidentschaftswahlen stellen ein sehr wichtiges Moment dar. Sämtliche Umfragen geben darüber Aufschluss, dass 83 Prozent der jungen Leute sagen, sie hätten großes oder ein bestimmtes Interesse daran. Eine wichtige Frage lautet, ob es zum Zeitpunkt der Wahl zu Kämpfen kommt. Klar ist, dass das Fehlen einer neuen ArbeiterInnenpartei, die eine Schicht von jungen Menschen und ArbeiterInnen zusammenbringen kann, welche in den vergangenen Jahren den Kampf aufgenommen haben und die neoliberale Politik ablehnen, der Aspekt ist, um den sich alles dreht. Die angesprochene Schicht hat nicht wirklich die Möglichkeit, um kollektiv Alternativen zum Kapitalismus zu diskutieren. Diese Tatsache lässt die verschiedenen Kämpfe nicht über den Charakter von Widerstandsaktionen heraus kommen und verhindert Bewegungen, die eine gemeinsame Strategie formulieren könnten.

Unglücklicher Weise werden die LCR und LO ihr Verhalten in der nächsten Zeit nicht ändern. Dennoch wäre ein gutes Wahlergebnis für beide von großer Bedeutung. Es würde Aufschluss über die Hartnäckigkeit einer antikapitalistischen Wählerschaft geben und die Notwendigkeit und Möglichkeit aufzeigen, auf eine solche zurückgreifen zu können. Solch eine Abstimmung würde auch bestätigen, dass sozialistische Ideen diskutiert werden wollen, sollte der dafür notwendige Rahmen, eine neue ArbeiterInnenpartei, geschaffen werden. Es sind natürlich diese Ansätze und der Versuch, diese in den Arbeitskämpfen zu verankern, was Gauche Révolutionnaire vorantreiben wird.

Aus: Socialism Today, der Monatsschrift der Socialist Party, Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in England und Wales.

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