Fallout mit beschränktem Horizont

Jens Knoll

Die Macher von Fallout haben ein Produkt erzeugt, das etwas kritischer und tiefgründer ist, als die meisten Videospiele. Denn auch dafür gibt’s einen Markt. Angesiedelt knapp 100 Jahre nach dem 3. Weltkrieg im postnuklearen Amerika stellt die Serie unverblümt die Gräueltaten des imperialistischen Kapitalismus dar. Fast alles an der “Vorkriegsgesellschaft” ist eine Satire der Werte und Moralvorstellungen der 1950er: konservative Familienwerte, Individualität bloß durch Konsum, allgegenwärtige Paranoia vor einem Atomkrieg, völlig deregulierter Kapitalismus, atomar betriebene Haushaltsroboter (Mr. Handy), damit die Hausfrau mehr Zeit zum Fernsehen hat und die Softdrinkmarke “Nuka-Cola”. Die Gier nach Profit führt zu einer gewaltigen Nachfrage nach Ressourcen, was zu zahlreichen Kriegen im Nahen Osten und im Endeffekt zu einem unlösbaren Konflikt mit China führt. In Fallout wird die ökonomisch schwächere UDSSR in das maoistische China integriert, was den kalten Krieg um viele Jahrzehnte verlängert. Das Herrschaftssystem wird nicht hinterfragt und in Kombination mit Nationalismus auf beiden Seiten ist die Eskalation nicht mehr zu Vermeiden. Es kommt zum (sehr kurzen) 3. Weltkrieg, welcher nach wenigen Stunden mit der fast völligen atomaren Vernichtung der Erde endet.

Einer der interessantesten Aspekte der Serie waren stets die verschiedenen Fraktionen, deren Gesellschaftsformen und Konflikte. Von indigenen Stämmen, über religiöse Sekten, faschistische Regimes, bis hin zu einer “demokratischen” Republik, welche um ihre kapitalistische Produktionsweise aufrecht zu erhalten ständig neue Kriege um die übrigen Ressourcen führen muss.

Leider bleibt es in Fallout bei einer morbiden und zynischen Kritik. Jede postnukleare Gesellschaftsform im Spiel bleibt eine Klassengesellschaft, in der eine privilegierte Elite über die Ressourcen verfügt. Gerettete bzw. neu entwickelte Technologie und Ressourcen in kollektives und demokratisches Eigentum zu überführen und eine klassenlose Gesellschaft aufzubauen scheint jenseits des Fallout-Horizonts. So bleibt die Kritik ohne Antwort. Es liegt an uns, diese zu geben. Im Spiel und im echten Leben.

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