Es geht auch anders: Alternative Kommunalpolitik

Buchbesprechung von „Liverpool - a city that dared to fight“ (Externer Link)
Von Sascha Stanicic, Berlin

Nicht nur für Fußballfans ist der Name „Liverpool“ von einem besonderen
Klang. Die Stadt am Mersey-Fluss blickt auf eine lange und stolze
Tradition einer kämpferischen Arbeiterbewegung zurück. In der Labour
Party und den Gewerkschaften konnten sich die MarxistInnen der Militant
Tendency schon in der Nachkriegszeit einen wichtigen Einfluss
erarbeiten. Die Autoren Peter Taaffe, damals Herausgeber der Zeitung
Militant, und Tony Mulhearn, damals Vorsitzender der Liverpooler Labour
Party und selber Stadtrat, weisen darauf hin, dass Militant, im
Gegensatz zu anderen kleinen marxistischen Organisationen, in Liverpool
seine Ursprungsbasis nicht unter Studierenden und Intellektuellen,
sondern in der Arbeiterklasse – unter Auszubildenden und
GewerkschafterInnen – hatte. Auf dieser Grundlage wurde der enorme
Einfluss des Marxismus in der Liverpooler Arbeiterbewegung in den
achtziger Jahren entwickelt.

Trotzdem war die Stadt bis 1983 in den meisten Jahren von den
konservativen Tories und den Liberalen regiert. 1979 wurde in
Großbritannien Margaret Thatcher zur Premierministerin gewählt. Die
„eiserne Lady“ setzte eine Schocktherapie gegen die Rechte und den
Lebensstandard der Arbeiterklasse um und ihre Regierung wurde zu einer
der ersten, die konsequent eine neoliberale Politik umsetzten, wenn
dieser Begriff damals auch noch nicht geprägt war. Tatsächlich gab es
bis zum Erscheinen des Buches nur zwei Kämpfe, in denen Thatcher einen
Rückzug antreten und Zugeständnisse an ArbeiterInnen zugestehen musste:
beim Kampf der Bergarbeiter 1981 und beim Kampf des sozialistischen
Stadtrates von Liverpool 1984.

Katastrophale Lage der Stadt

Liverpool war ein arme Stadt, von Entindustrialisierung getroffen, mit
hoher Arbeitslosigkeit und einigen der schlimmsten Slumgebiete im ganzen
Land. 1981 kam es hier zu den „Toxteth Riots“ - gewalttätigen Unruhen
von Jugendlichen, die gegen die katastrophale Lage in den Armenvierteln,
in denen Jugendlichen zum Teil unter einer über neunzig prozentigen
Arbeitslosigkeit zu leiden hatten, aufbegehrten. Schon damals machte
die, an der Liberalen Partei orientierte Lokalpresse, Militant für die
Unruhen verantwortlich - denn Militant verurteilte nicht die
Jugendlichen, sondern den Kapitalismus, und versuchte die Arbeiterklasse
in den betroffenen Nachbarschaften zu organisieren.

Wie andere Kommunen auch, wurde Liverpool zum Opfer der Finanzpolitik
der Thatcher-Regierung. Aufgrund von Veränderungen bei den Zuwendungen
an die Kommunen und aufgrund der Politik des konservativ-liberalen
Stadtrates vor 1983 wurden der Stadt Liverpool faktisch viele Millionen
Pfund gestohlen. Diese Feststellung spielte eine wichtige Rolle für den
Kampf des sozialistischen Stadtrates, der 1983 ins Amt gewählt wurde.

Beispielhafte Kampagnen

Dem Wahlsieg der Labour Party 1983 gingen unter anderem wichtige
betriebliche und nachbarschaftliche Kämpfe voraus, in denen
UnterstützerInnen von Militant zum Teil eine wichtige Rolle spielten.
Dazu gehörte der Kampf gegen die Schließung einer Gesamtschule im
Armenstadtteil Croxteth, der Kampf gegen Entlassungen und
Privatisierungen bei der Stadtverwaltung, aber auch der Kampf gegen
sexuelle Belästigung von Verkäuferinnen durch einen Vorgesetzten in dem
Bekleidungsgeschäft „Lady at Lord John“, der eine solche nationale
Bekanntheit erlangte, dass er sogar in dem Spielfilm „Business as usual“
mit Glenda Jackson in der Hauptrolle verfilmt wurde.

Dem Wahlsieg gingen auch wichtige Wahlkampagnen voraus, in denen Labour
erfolgreich breitere Teile der Arbeiterklasse mit sozialistischen Ideen
erreichte. So der Europawahlkampf 1979, bei dem zum ersten Mal ein
Militant Unterstützer mit dem Versprechen antrat, den Anteil seiner
Diäten, der über einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn hinausgeht,
an die Arbeiterbewegung zu spenden. Der Slogan „a workers‘ MP on a
workers‘ wage“ („Ein Arbeiterabgeordneter mit einem Arbeiterlohn“) wurde
zu einem Erkennungszeichen der TrotzkistInnen in ganz Großbritannien.

Beispielhaft waren auch die Wahlkämpfe, die Labour in Liverpool führte.
Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch der Leitgedanke der
marxistischen Politik, das Bewusstsein der Arbeiterklasse zu heben. Dazu
gehörten Wahlkampagnen, die tatsächlich Argumente und Erklärungen statt
einiger weniger Slogans und Phrasen in den Mittelpunkt stellten. Vor
allem die Militant-UnterstützerInnen unter den KandidatInnen wurden
niemals müde zu erklären, dass es im Rahmen der kapitalistischen
Gesellschaftsordnung keine dauerhafte Lösung für die Probleme Liverpools
und der Arbeiterklasse in Großbritannien geben kann. So wurde der
Tageskampf um Arbeitsplätze, Wohnungen und Sozialleistungen mit der
Perspektive der Erkämpfung einer sozialistischen Gesellschaft verbunden.
„Die Wahrheit aussprechen“ wird von den Autoren als ein wichtiges
Prinzip von Militant genannt.

Die Wahlkämpfe waren Massenkampagnen, die sich zum Ziel setzten durch
Flugblätter, Zeitungen, Fabriktorversammlungen, öffentliche
Veranstaltungen und Hausbesuche so viele ArbeiterInnen, Erwerbslose und
Jugendliche wie möglich direkt zu erreichen und zu überzeugen. Taaffe
und Mulhearn berichten, wie die Labour-Wahlkampfstrategie in anderen
Städten sich zum Ziel setzte, vor allem die schon bestehenden
Labour-UnterstützerInnen zu mobilisieren. Stattdessen kämpften die
Labour-WahlkämpferInnen in Liverpool tatsächlich um jede Stimme und
versuchten jeden und jede zu überzeugen, auch wenn Personen anfangs
keine Unterstützung für Labour ausdrückten.

Wahlerfolge

Die Labour Party in Liverpool war die Ausnahme im Vergleich zur
nationalen Partei oder anderen Lokalverbänden, denn hier hatten die
MarxistInnen um Militant einen maßgeblichen Einfluss. Der rechte Flügel
innerhalb der Labour Party hatte sogar eine Kampagne gegen die
TrotzkistInnen begonnen mit dem Ziel diese aus der Partei zu drängen.
1983 wurden die Redaktionsmitglieder von Militant aus der Partei
ausgeschlossen. Die kämpferische und sozialistische Politik von Militant
war in den Augen der angepassten, im Kapitalismus „angekommenen“ Führer
der Labour Party und der Gewerkschaften eine gefährliche
Herausforderung. Sie wollten eine Radikalisierung der Partei verhindern.
Einer der gegen die MarxistInnen gerichteten Vorwürfe war, dass ihre
Politik nur zu Wahlniederlagen führen könne. Liverpool bewies das
Gegenteil. Tatsächlich hat Labour unter der politischen Führung von
Militant in Liverpool nicht eine Wahl verloren. Im Gegenteil konnte der
Stimmenanteil kontinuierlich ausgebaut werden. 1982 erhielt Labour in
der Stadt 54.000 Stimmen, 1983 waren es 77.000 und 1984 sogar 90.000 -
bei einer wachsenden Wahlbeteiligung! Bei den Kommunalwahlen 1984, ein
Jahr nach der Amtsübernahme des sozialistischen Labour-Stadtrates,
verzeichnete Labour Stimmengewinne in 33 der 34 Stimmbezirke und konnte
seine Mehrheit im Stadtrat deutlich ausbauen. Auch 1986 gewann Labour
die Kommunalwahlen. Ein leichter Rückgang der Stimmenzahl im Vergleich
zu 1984 erklärt sich durch den Rückgang in der Wahlbeteiligung. Das
Ergebnis von 1986 lag aber immer noch deutlich über den Ergebnissen
bevor Labour die Mehrheit im Stadtrat stellte.

Auch bei den Parlamentswahlen 1983 und 1987 konnten marxistische
Labour-Kandidaten Erfolge erzielen. So wurde der ehemalige Feuerwehrmann
Terry Fields in Liverpool Broadgreen in das nationale Parlament gewählt.
Seine Antrittsrede in Westminster sorgte für Furore, weil er sich nicht
an die bürgerlich-parlamentarischen Konventionen hielt, die vorsehen,
dass Antrittsreden keinen politischen Inhalt haben, sondern aus
Höflichkeitsformeln gegenüber den anderen Abgeordneten bestehen. Terry
Fields verzichtete auf Floskeln und sagte, dass er gewählt wurde, um die
Tories zu bekämpfen und nicht um Verrätern an der Arbeiterbewegung
Komplimente zu machen.

Die Wahlerfolge von Labour in Liverpool waren jedoch die Ausnahme im
nationalen Vergleich. Kämpferische, sozialistische Politik führte zu
Wahlsiegen; angepasster Reformismus führte zu Niederlagen.

Bürgerliche Hetzkampagnen

Labour und insbesondere Militant in Liverpool waren mit extremen
Hetzkampagnen der bürgerlichen Presse, der rechten Parteien und leider
auch der Labour-Führung konfrontiert.

So wurde nicht nur regelmäßig behauptet, dass das Labour Programm zu
einer massiven Erhöhung der kommunalen Abgaben für Hausbesitzer (in
Großbritannien hat eine Mehrheit der Arbeiterklasse ihr eigenes kleines
Häuschen oder eine Eigentumswohnung) führen würde. Insbesondere
Militant-UnterstützerInen wurden gleichzeitig als Trotzkisten (ein
Begriff, der in der Masse der Arbeiterklasse wenig bekannt ist und - wie
heute gegen die SAV eingesetzt - zu Skepsis und Misstrauen führen soll)
und Stalinisten bezeichnet. Vor allem wurde immer wieder die Mär
ausgepackt, dass MarxistInnen für Chaos und Gewalt stünden. In einem
Flugblatt der Liberalen hieß es: „Ja, Militant glaubt an das Chaos. Denn
Marx hat vorhergesagt, dass aus dem Chaos die Revolution erwächst.“
Militant beantwortete solche Unterstellungen regelmäßig nüchtern und
politisch und erklärte, dass das kapitalistische System zu Chaos und
Gewalt führt, der Marxismus die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus nur
erklärt und das kapitalistische Chaos durch eine geplante, organisierte
und harmonische sozialistische Gesellschaft ersetzen will.

Gleichzeitig erklärten sie, dass die herrschende Klasse, wenn ihre Macht
durch die Arbeiterklasse herausgefordert wird, bereit ist, Gewalt
einzusetzen. Sie betonten, dass es absurd sei den MarxistInnen
vorzuwerfen, dass sie Gewalt predigten, nur weil sie die unausweichliche
Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft vorhersagten. Im Gegenteil, so
Militant, würde die Einheit der Arbeiterklasse hinter einem
sozialistischen Programm die Möglichkeit des kapitalistischen Staates,
Gewalt einzusetzen, eingrenzen.

Massenmobilisierungen

Der sozialistische Labour-Stadtrat trat mit einem weitreichenden
Reformprogramm an: Wohnungsbau, Arbeitszeitverkürzung bei den
städtischen Beschäftigten, Begrenzung der Abgabenerhöhungen und vieles mehr.

Wie sollte dieses Programm durchgesetzt werden angesichts einer
Finanzlage, die eigentlich eine genau entgegengesetzte Politik erfordert
hätte? Wie sollten MarxistInnen agieren, wissentlich, dass eine
Mehrheitsposition im Stadtrat nicht die Übernahme wirtschaftlicher und
gesellschaftlicher Macht bedeutet, sondern dieser Stadtrat weiterhin im
Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft handeln muss (was unter anderem
solche Probleme zur Folge hat, dass Leitungspersonen der Verwaltung
keine Freunde des neuen Stadtrates waren)?

Der Stadtrat weigerte sich konsequent Maßnahmen zu ergreifen, die
Arbeitsplatzvernichtung, Sozialabbau oder Verschlechterungen des
Lebensstandards der Arbeiterklasse zur Folge hätten. Er forderte die zur
Durchsetzung seines Programms nötigen finanziellen Mittel von der
Zentralregierung ein und weigerte sich einen Haushalt zu beschließen,
der zu Kürzungen geführt hätte.

Der einzige Weg zur Durchsetzung dieses Programms war, die nötigen
finanziellen Mittel von der konservativen Zentralregierung in London
einzufordern, diese war schließlich mitverantwortlich für Liverpools
Finanzmisere, da ihre Gesetzgebungen die Kommunen finanziell ausgeblutet
hatte. Die Regierung sollte zahlen - diese hatte ja auch die
Möglichkeiten Geld durch eine höhere Besteuerung der Kapitalisten zu
mobilisieren. Doch die Thatcher-Regierung war nicht durch gute Argumente
zu überzeugen, sie musste durch massenhaften Druck gezwungen werden.
Deshalb setzte der Labour Stadtrat von Beginn an auf eine
Massenmobilisierung der Liverpooler Arbeiterklasse und ihrer
Gewerkschaften - und führte die Stadt in einen Aufstand gegen Thatcher.

Durch vielfältige Maßnahmen wurde die Verbindung zwischen dem Stadtrat,
den Gewerkschaften und den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten im
öffentlichen Dienst gestärkt und ein gemeinsamer Kampf begonnen. Der
Stadtrat legte großen Wert darauf, ArbeiterInnen in ihren Kämpfen zu
unterstützen. Entscheidungen wurden unter Einbeziehung von
Gewerkschaften, Vertrauensleuten und der Labour Party getätigt.

Zur Unterstützung des Stadtrates wurden Streiks, stadtweite
Generalstreiks und Massendemonstrationen durchgeführt. 25.000
marschierten im November 1983 durch Liverpools Straßen, um ihren
Stadtrat zu unterstützen. 1985 waren es sogar 50.000.

Sieg im Jahr 1984

Die Auseinandersetzung um den Haushalt des Jahres 1984 gewann der
Liverpooler Labour Stadtrat. Die Regierung gab unter dem massenhaften
Druck nach und stellte viele Millionen Pfund zur Verfügung. Nach
Berechnungen des Stadtrates war die Vereinbarung 60 Millionen Pfund
wert. Nur in zwei Fragen musste der Stadtrat kleine Zugeständnisse
machen. Labour hatte eine Senkung der Mieten in kommunalen Wohnungen von
zwei Pfund pro Woche versprochen, musste aber feststellen, dass die
SozialhilfeempfängerInnen diese Ersparnis sofort von ihrer Sozialhilfe
abgezogen bekommen hätten. Stattdessen beschloss der Stadtrat dann,
allen MieterInnen eine Renovierungspauschale zu zahlen, was aber durch
ein neues Gesetz der Zentralregierung verhindert wurde. Bei dieser Frage
musste der Stadtrat nachgeben, verfügte aber ein Einfrieren der Mieten
für kommunale Wohnungen. Ebenso musste der Stadtrat die Gebühren für
WohnungseigentümerInnen um acht Prozentpunkte mehr erhöhen, als er
angekündigt hatte (17 Prozent statt 9 Prozent). Diese Erhöhung machte
allerdings nur 45 bis 50 Pence pro Woche aus (und viele Sozialhilfe- und
ArbeitslosengeldempfängerInnen erhielten das zurück) und Labour schätzte
es als einen großen Fehler ein, einen Sieg für eine so kleine Summe aus
der Hand zu geben. Tatsächlich sah die große Mehrheit der Arbeiterklasse
und der Gewerkschaften die Vereinbarung als einen großen Sieg und in der
Stadt spielten sich Jubel- und Feierszenen ab. Massenversammlungen der
Labour Party, der gewerkschaftlichen Vertrauensleute und von
ArbeiterInnen der Stadtverwaltung stimmten der Vereinbarung zu.

Nur einige Stimmen am Rande der Arbeiterbewegung brachten es fertig,
diese Vereinbarung als einen „Ausverkauf“ zu kritisieren. Die Socialist
Workers Party (SWP - britische Schwesterorganisation von Linksruck)
nannte das Erreichte „ein paar miese Konzessionen“. Die Zitate aus dem
Socialist Worker wurden fleißig von bürgerlichen Medien und liberalen
Politikern zitiert, um den Stadtrat zu diskreditieren. Es gelang ihnen
nicht. Und bei der entscheidenden Stadtratssitzung wurden die Mitglieder
der SWP von den dort massenhaft anwesenden Beschäftigten der
Stadtverwaltung vertrieben.

Wohnungen, Arbeitsplätze, Bildung

Die Maßnahmen des Stadtrates von Liverpool sind einzigartig für eine
britische Kommune in den achtziger Jahren. Sie sind ein Beweis, dass
Reformen durch Massenkämpfe erreicht werden können. Reale Verbesserungen
wurden vor allem im Bereich des Wohnungsbaus, des Bildungswesens, der
Beschäftigung und der Einbeziehung der Gewerkschaften in
Entscheidungsprozesse erreicht.

In Liverpool existierten einige der schlimmsten Hochhaus-Slums von ganz
England. Deren Zustand war so katastrophal, dass es billiger war, diese
abzureißen statt sie zu renovieren. Hinzu kam, dass Untersuchungen
ergeben hatten, dass die BewohnerInnen lieber in Häusern als in
Etagenwohnungen leben wollten.

So wurden zwischen 1983 und 1987 5.000 neue Häuser gebaut und ein neuer
Park errichtet. Tony Mulhearn machte dazu den Scherz: „Das
Wohnungsbauprogramm war so erfolgreich, dass die meisten Menschen in
Liverpool dachten, Trotzki war ein Bauarbeiter.“

Dieses Wohnungsbauprogramm führte zu einer Steigerung der Beschäftigung
in der Bauindustrie. Nach einer Studie wurden zwischen 1983 und 1986
6489 Arbeitsplätze durch das Wohnungsbauprogramm geschaffen. Dabei
verfolgte der Stadtrat eine Politik, die vorsah Aufträge nur an solche
Firmen zu vergeben, die gewerkschaftliche Rechte akzeptierten und
Sozial- und Gesundheitsstandards einhielten.

Der Stadtrat führte für städtische Beschäftigte die 35-Stunden-Woche und
einen Mindestlohn von 100 Pfund pro Woche ein, wovon 4.000 der am
schlechtesten bezahlten ArbeiterInnen profitierten. Ebenso wurden neue
Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen. Auszubildende erhielten eine
garantierte Übernahme nach Beendigung der Ausbildung.

Auch im Bildungswesen wurden große Verbesserungen erreicht. Das gesamte
Schulwesen der Stadt wurde reorganisiert, was dazu führte, dass
Liverpool zu den Städten mit den kleinsten Klassengrößen gehörte.
Außerdem wurden sechs neue Vorschulen gebaut und auch die Situation an
den Fachhochschulen verbessert. Hier wurden insbesondere die Rechte der
Studierendengewerkschaft gestärkt, Lehrmittelfreiheit, kostenlose
Mahlzeiten und Kindergärten eingeführt.

Auch die Einbeziehung der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes ging
in Liverpool weiter, als in jeder anderen Stadt. Diese Frage war
komplizierter, als man annehmen könnte. Einerseits hatte der Stadtrat
die Aufgabe die Interessen der gesamten Arbeiterklasse und nicht nur der
städtischen Beschäftigten zu vertreten. Gleichzeitig gab es aber auch
viele Ressortleiter, die von den Liberalen und Konservativen eingestellt
worden waren und gegen die sich die Gewerkschaften zur Wehr setzen
mussten, die aber nicht einfach abgesetzt werden konnten.

Trotzdem gelang es dem Stadtrat die Gewerkschaften in
Entscheidungsprozesse einzubeziehen, inklusive der Einstellung neuer
Beschäftigter.

Gemeinsamer Kampf scheitert

Ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Liverpooler Stadtrates 1984 war
der gleichzeitig stattfindende Streik der Bergarbeiter. Die
Thatcher-Regierung konnte es nicht gleichzeitig mit zwei Kämpfen einer
solch großen Dimension aufnehmen. Sie gab in Liverpool nach, um zuerst
die Bergarbeiter zu schlagen und sich später wieder Militant in
Liverpool widmen zu können. Dies sollte nach Ende des
Bergarbeiterstreiks geschehen, als die Regierung ihren Ton gegen
Liverpool verschärfte und aus der Auseinandersetzung einen politischen
Kampf zwischen ihr und den „Extremisten“ in der Labour Party machte.
Leider erhielt sie dabei Schützendeckung vom rechten Flügel und der
Führung der Labour Party unter Neil Kinnock.

Doch bevor diese Kräfte Liverpool isolieren konnten, sah es zunächst
danach aus, dass ein gemeinsamer Kampf von über 25 Labour-geführten
Stadträten möglich würde, denn nicht nur Liverpool war in einer
desaströsen finanziellen Lage.

Diese Labour-Stadträte einigten sich auf eine gemeinsame Strategie, die
allerdings nicht die bevorzugte Strategie der Liverpooler Labour Party
war. Die Zentralregierung stellte die Stadträte vor die Alternative
massive Gebührenerhöhungen oder Sozialkürzungen und
Arbeitsplatzvernichtung zu beschließen. Liverpool argumentierte dafür,
formell illegale Defizit-Haushalte zu verabschieden, während die anderen
Labour-Stadträte eine Strategie bevorzugten, die vorsah, keine
Gebührenerhöhungen und keine Haushalte zu beschließen. Aus Gründen, die
hier nicht im Detail erklärt werden können, bestätigte sich die Kritik
Liverpools an der letzteren Strategie, die es erschwerte den Kampf zu
vereinheitlichen.

Die anderen, von linken Reformisten geführten, Stadträte gaben im Kampf
gegen die Regierung genau in dem Moment nach, als es ernst wurde. In
einem Stadtrat nach dem anderen scherte ein Teil der Labour-Abgeordneten
aus und beschloss mit den Konservativen und den Liberalen
Gebührenerhöhungen und/oder Kürzungshaushalte. Dies war ganz im Einklang
mit der Aufforderung der nationalen Labour-Führung, den Rahmen des
Gesetzes nicht zu verlassen.

Labour in Liverpool argumentierte anders: „Better to break the law than
to break the poor“ (sinngemäße Übersetzung: Besser das Gesetz zu
brechen, als den Armen das Rückgrat) wurde ihre Leitlinie. Liverpooler
Labour-Stadträte und -Parlamentsabgeordnete erklärten, dass ohne
illegale Aktionen, niemals gewerkschaftliche Rechte,
Arbeitszeitverkürzung etc. durchgesetzt worden wären. Liverpool war der
einzige Stadtrat, der bereit war, den Kampf bis zum Ende zu führen. In
diesem Prozess des Kampfes wurde die Position von Militant in der
Liverpooler Labour Party gestärkt: bei den Vorstandswahlen im März 1985
erhöhte sich der Anteil von Militant-UnterstützerInnen von zehn auf 17
in einem 33-köpfigen Vorstand.

Taktische Flexibilität

Besonders auffällig ist die taktische Flexibilität, die Labour in
Liverpool anwendete. Ob es die Bereitschaft zu minimalen
Teilzugeständnissen war, um den großen Erfolg 1984 nicht zu gefährden
oder die Bereitschaft, um der Einheit mit anderen Stadträten willen eine
andere Kampfstrategie, als die eigentlich bevorzugte, mitzutragen.

Auch in vielen anderen Fragen, war der Stadtrat bereit Maßnahmen zu
ergreifen, die ganz im Rahmen des Kapitalismus blieben, aber der
Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse bzw. dem Kampf des Stadtrates
dienten. Dies wurde umgesetzt, ohne jemals auf die Verbindung des
Tageskampfes mit der sozialistischen Perspektive zu verzichten oder
diese auch nur zu vernachlässigen.

So gewährte der Stadtrat dem Supermarktkonzern Asda eine Genehmigung zum
Bau eines Supermarktes, weil dies neue Arbeitsplätze in der Region
schaffen würde. Ebenso vollzog der Stadtrat ein Geschäft mit
französischen Banken, um finanzielle Mittel zur Fortsetzung des
Wohnungsbauprogramms zu mobilisieren (und die Zentralregierung dadurch
auszutricksen): der vorausgehende liberal-konservative Stadtrat hatte
7.000 kommunale Wohnungen verkauft und die Stadt erhielt dadurch
regelmäßige langfristige Hypothekenzahlungen Diese Hypothekenzahlungen
wurden an französische Banken verkauft, so dass 30 Millionen Pfund
unmittelbar für den Bau neuer Wohnungen eingesetzt werden konnten.

Der Druck wächst

Durch das Einknicken der anderen Stadträte und durch das Ende des
Bergarbeiterstreiks fühlte sich die Thatcher-Regierung, die bürgerliche
Presse und die Führung der Labour Party unter Neil Kinnock motiviert,
gegen den Stadtrat in die Offensive zu gehen.

Der Stadtrat seinerseits entschied sich für die Verabschiedung eines,
formell illegalen, unausgeglichenen Haushaltsplanes und damit für die
Konfrontation mit der Regierung im Kampf für mehr finanzielle Mittel.
Das führte in der Folge zu einem Urteil des mit diktatorischen
Vollmachten ausgestatteten Distrikt-Rechnungsprüfers für Liverpool, die
49 Labour Stadträte mit einer Geldstrafe von 106.000 Pfund zu belegen.

Die Medien und die Allianz aus kapitalistischen Medien, liberaler und
konservativer Partei und der Labour-Führung versuchte nun jede
Gelegenheit zu nutzen, um den Liverpooler Stadtrat mit Schmutz zu
bewerfen und in Misskredit zu bringen. Dabei schreckten sie auch nicht
davor zurück, die gesamte Bevölkerung Liverpools zu beschimpfen.

Letzteres geschah unter anderem nach der Tragödie beim
Fußball-Europacup-Finale zwischen Juventus Turin und dem FC Liverpool im
Brüsseler Heysel Stadion. Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen
beider Vereine führten zum Zusammenbruch einer Mauer und dem Tod von 38
italienischen Fans. Der Medien-Tycoon Robert Maxwell äußerte daraufhin
im Fernsehen: „Warum sind die Liverpooler Fans durchgedreht? Die Antwort
ist die Militant Tendency, die ein Beispiel gesetzt hat, wie sie
Liverpool übernommen hat; sie haben gezeigt dass gewählte Stadträte und
Abgeordnete sich nicht um die Gesellschaft oder zivilisiertes Benehmen
kümmern. So etwas bestärkt Hooliganismus.“ Immer wieder wurde die Stadt
als ein Ort der Verbrecher, Drogenabhängigen und Vandalen dargestellt.
In der Liverpooler Arbeiterklasse führte das nur zu einer weiteren
Solidarisierung mit dem Stadtrat, der im Falle der Heysel-Tragödie
schnell reagierte, auf die sozialen Ursachen von Hooliganismus und die
konkrete Verantwortung der Brüsseler Polizei und der Faschisten auf
beiden Seiten der Fangrupen hinwies und eine Freundschaftsdelegation
nach Turin schickte, die Beziehungen zur italienischen Arbeiterbewegung
aufbaute.

Im Kampf gegen Militant und den sozialistischen Stadtrat entwickelten
sich die unheilvollsten Allianzen. Als der Londoner Marxist Sam Bond als
Race Relations Officer (Beauftragter für die Belange der schwarzen und
asiatischen Bevölkerung) eingestellt wurde, entwickelte sich eine
Hetzkampagne gegen ihn, die selbst vor der Anwendung von Nötigung,
Bedrohungen und Gewalt nicht zurückschreckte.

Der Black Caucus, eine nicht gewählte Gruppe von schwarzen
Mittelklasse-Vertretern, die für sich in Anspruch nahmen die schwarze
und asiatische Bevölkerung der Stadt zu vertreten, sah sich durch Sam
Bond in ihrer Monopolstellung herausgefordert und verlangte seine
Absetzung. Die bürgerliche Presse und die Liberale Partei beteiligten
sich an dieser Kampagne, die zum Ziel hatte Militant als rassistisch zu
diffamieren. Black Caucus-Unterstützer schreckten selbst vor der
Anwendung physischer Gewalt gegen UnterstützerInnen des Stadtrates und
Nötigung von Stadträten nicht zurück. Ihr Ziel verfehlten sie
allerdings. Im Gegenteil: eine Reihe von Organisationen der schwarzen
und asiatischen Bevölkerung distanzierten sich vom Black Caucus und
unterstützten Sam Bond.

Taktischer Fehler

Der September 1985 war ein Wendepunkt des Kampfes in und um Liverpool.
Die Stadt stand vor der Gefahr, dass ihr das Geld ausgeht, da der Druck
auf die Zentralregierung – anders als im Vorjahr – bisher nicht zu einer
Finanzspritze aus London geführt hatte.

In dieser Situation wurden Vorschläge von Seiten der nationalen Führung
der Gewerkschaften und der Labour Party gemacht, für das
Wohnungsbauprogramm bestimmte Gelder zur Lösung der unmittelbaren
Finanzkrise zu nutzen. Dies hätte allerdings nicht nur den Verzicht auf
die dringend nötigen neuen Häuser, sondern auch die Vernichtung von
Arbeitsplätzen in der Bauwirtschaft bedeutet.

Eine komplizierte Situation entwickelte sich: rechtlich wäre der
Stadtrat dazu verpflichtet gewesen, die Arbeitsverträge mit den
städtischen Beschäftigten in dem Moment zu beenden, in dem die Stadt
kein Geld mehr zur Verfügung hat. Eine Weigerung, dies zu tun, hätte die
Stadträte persönlich haftbar gemacht für 23 Millionen Pfund Abfindungen,
die den Beschäftigten im Falle von Entlassungen (im Gegensatz zur
Arbeitsvertrags-Beendigung) zugestanden hätten. Eine Weigerung hätte
ebenfalls die rechtliche Möglichkeit ausgeschlossen, auf den
Finanzmärkten neue Schulden zu machen, was wiederum im Falle der
Zahlungsunfähigkeit zwangsläufig dazu geführt hätte, dass keine Löhne
mehr hätten ausgezahlt werden können.

Als taktische Maßnahme, um Zeit zu gewinnen, entschied sich der Stadtrat
dafür den städtischen Beschäftigten eine Ankündigung von einer
Entlassung nach 90 Tagen auszuhändigen. Tatsächliche Entlassungen
schloss der Stadtrat natürlich aus. Diese Maßnahme wurde jedoch von den
rechten Führern der Gewerkschaften und der Labour Party dazu genutzt,
den sozialistischen Stadtrat wegen angeblich geplanter Entlassungen
anzugreifen. In diesen Chor stimmten die bürgerlichen Medien und selbst
ultralinke Sektierer ein.

Die Taktik wurde von den fortgeschrittensten ArbeiterInnen und von
denen, die direkt erreicht wurden verstanden und unterstützt. Aber in
der weiteren Arbeiterklasse landesweit und auch unter der Mehrheit der
städtischen Beschäftigten war das nicht der Fall. Diese Schichten der
Arbeiterklasse ließen sich durch die Medienkampagne und die Propaganda
der rechten Gewerkschaftsführer irritieren. Der Labour Stadtrat hatte
unterschätzt, wie seine Gegner die Ankündigung von Entlassungen
ausschlachten würden.

Das Ergebnis war, dass das Vereinigte Vertrauensleute-Komitee die Taktik
ablehnte. Um die Stadträte nicht in eine Situation zu bringen, in der
sie für eine Millionensumme persönlich haftbar gemacht werden könnten,
entschieden sich die GewerkschafterInnen die nächste Stadtratssitzung zu
blockieren und so eine Entscheidung unmöglich zu machen.

Die rechten Gewerkschaftsführer konnten ihre Position in dieser
Situation jedoch etwas stärken und verhinderten einen Vollstreik im
öffentlichen Dienst, wie er von den Vertrauensleuten vorgeschlagen
worden war. Trotzdem streikten und demonstrierten am 25. September
50.000 „Liverpudlians“ und drückten so eindrucksvoll ihre Unterstützung
für den Stadtrat aus.

Hexenjagd in der Labour Party

Die Führung der Labour Party unter Neil Kinnock nahm eine andere Haltung
als die Arbeiterklasse Liverpools ein. Anstatt den Stadtrat in seinem
Kampf zu unterstützen organisierte sie eine Kampagne gegen dessen
Politik und insbesondere gegen Militant. Diese Kampagne wurde zu einer
regelrechten Hexenjagd und führte zum Ausschluss von Stadträten, wie
Tony Mulhearn und Derek Hatton, aus der Partei und zur Suspendierung
ganzer Lokalverbände der Labour Party im Raum Liverpool. Schon 1983
wurde Militant durch die Labour-Führung zu einer unerwünschten
Organisation erklärt und wurde der Redaktionsstab, also die nationale
politische Führung von Militant, aus der Partei ausgeschlossen. In den
Folgejahren waren Neil Kinnock und andere Labour-Führer wie besessen von
dem Gedanken die TrotzkistInnen um Militant loszuwerden. Dabei war ihnen
jedes Mittel recht. Zum Beispiel behauptete der Labour-Funktionär Roy
Hattersley, in Liverpool habe es bei Militant Fälle „politischer
Korruption“ gegeben, ohne dafür irgend einen Beweis anzuführen. Dies
führte unter anderem dazu, dass der linke (und nicht zu Militant
gehörende) Parlamentsabgeordnete Eric Heffer auf einem Vorstandstreffen
der Labour Party wutentbrannt mit der Faust auf den Tisch schlug und an
Hattersley gewendet ausrief: „Du solltest Dich schämen. Wenn Du Dich
nicht schämst, schäme ich mich für Dich – Du stinkendes kleines Schwein!“

Kinnock und die Labour-Rechten argumentierten immer wieder, dass
Militant ein entscheidender Faktor für die Wahlniederlagen von Labour
sei. Nur durch eine Trennung von Militant sei die Parlamentswahl 1987 zu
gewinnen. Die Wahrheit sah anders aus: es war in Liverpool, wo Labour
keine Wahl zwischen 1983 und 1987 verlor und marxistische KandidatInnen
erzielten in der Regel überdurchschnittliche Wahlergebnisse, auch bei
den Parlamentswahlen 1987.

Die Haltung der Labour-Führung auf nationaler Ebene sollte ein
entscheidender Faktor für die Isolierung der Liverpooler Labour Party
und des Stadtrates werden und damit für die Niederlage des
sozialistischen Stadtrates im Jahr 1987.

In den Reihen von Militant fand – angesichts der großen Unterstützung in
der Liverpooler Labour Party und der Arbeiterklasse der Stadt auf der
einen Seite und den Aktionen der Labour-Führung auf der anderen Seite –
eine Diskussion über die Möglichkeit der Bildung einer unabhängigen
Liverpooler Labour Party auf sozialistischer Basis statt. Dies war nach
Ansicht von Derek Hatton eine Möglichkeit auf die Ausschlüsse und die
Hexenjagd gegen Militant zu reagieren und die Kräfte in Liverpool intakt
zu halten.

Damals entschied sich Militant nach einer intensiven Diskussion unter
seinen UnterstützerInnen gegen einen solchen Schritt. Die Einschätzung
der Mehrheit war, dass sicher viele tausende Labour Mitglieder in
Liverpool einen solchen Schritt mitgegangen wären und dass es für die
nationale Labour-Führung schwierig gewesen wäre, eine substanzielle
„offizielle“ Labour Party zu bilden. Sie befürchteten aber, dass ein
solcher Schritt zu einer Trennung zwischen den besten linken
KämpferInnen und der Partei auf nationaler Ebene geführt hätte. Sie
sahen vor allem das große Potenzial für die Labour Party, als
traditioneller Massenpartei der britischen Arbeiterklasse, und die
Notwendigkeit sich nicht von diesem Potenzial abzukoppeln. Dies hätte
den Kampf um die politische Ausrichtung der Labour Party erschwert.
Während das 1988 veröffentlichte Buch diese Position noch verteidigt,
haben die Autoren später darauf hingewiesen, dass dies wahrscheinlich
ein Fehler war und Militant mehr Kräfte hätte gewinnen können, wenn dem
Vorschlag Derek Hattons gefolgt worden wäre. Denn die Unterstützung für
Militant in der Arbeiterklasse wuchs während die Hexenjagd der
Labour-Führung sich verschärfte. 1986 nahmen über 5.000 ArbeiterInnen
und Jugendliche an einer nationalen Großveranstaltung von Militant in
der Royal Albert Hall teil. Im Kampf gegen die Ausschlüsse von Mulhearn,
Hatton und anderen wurden im ganzen Land Veranstaltungen organisiert, an
denen über 50.000 AktivistInnen teilnahmen. Dieses Potenzial hätte
wahrscheinlich durch eine unabhängige Labour Party Liverpool besser
mobilisiert werden können. Peter Taaffe weist darauf, unter anderem in
einem Interview von 1997, hin und sagt, dass sich Militant in den
Achtzigern ein Stück weit in einer „taktischen Zwangsjacke“ befand. Doch
es ist immer einfacher solche Schlussfolgerungen rückblickend zu ziehen.
Die weitere Entwicklung der Labour Party bis hin zu einer durch und
durch bürgerlichen Partei, die ihre aktive Massenbasis in der
Arbeiterklasse vollständig verliert, war Mitte der achtziger Jahre nicht
vorhersehbar. Nicht zuletzt die Restauration des Kapitalismus in den
damaligen stalinistischen Staaten, hat die Kapitalistenklasse
international in die Offensive gebracht und die Rechtsverschiebung in
der internationalen Sozialdemokratie verstärkt.

Ordentlicher Rückzug und Niederlage vor bürgerlichem Gericht

Trotz der massiven Unterstützung in der Liverpooler Arbeiterklasse und
der wiederholten Wahlsiege der Labour Party in Liverpool, konnte der
Kampf in einer Stadt isoliert auf Dauer nicht gewonnen werden.

Das Buch beschreibt im Detail den ordentlichen Rückzug, den der
sozialistische Stadtrat antreten musste bis hin zu seiner Amtsenthebung
durch den staatlichen Rechnungsprüfer. Es erklärt, wie die MarxistInnen
ihrem Prinzip treu blieben, „lieber das Gesetz zu brechen, als den Armen
das Rückgrat“. Gleichzeitig verfielen sie nicht in Abenteurertum und
brachen das Gesetz nicht leichtfertig, denn sie waren sich bewusst, dass
sie nur erfolgreich sein konnten, wenn solche Schritte von der Masse der
Bevölkerung nachvollzogen werden konnten.

Letztlich wurde der Stadtrat des Amtes enthoben und die Stadträte mit
Strafgeldern in Höhe von mehreren hunderttausend Pfund und dem Entzug
des passiven Wahlrechts für fünf Jahre belegt.

Das Buch erklärt auch, wie selbst MarxistInnen in bestimmten Situationen
dazu gezwungen sein können, vor bürgerliche Gerichte zu ziehen, um für
ihre Rechte zu kämpfen – entweder, weil dort ein Erfolg möglich ist oder
das Gerichtsverfahren als Propagandainstrument genutzt werden kann.

Der sozialistische Stadtrat von Liverpool verlor vor den bürgerlichen
Gerichten, aber nicht vor der Arbeiterklasse der Stadt. Die
Errungenschaften – die Häuser, Parks, Ausbildungs- und Arbeitsplätze –
sind und bleiben ein Denkmal für sozialistische Kommunalpolitik und
unterstreichen, dass es eine Alternative zur Beteiligung an Sozialabbau
im Falle einer Regierungsübernahme gibt.

Mehr Infos im Internet:
www.liverpool47.org

www.militant.org.uk
Interview mit Laurence Coates über den Kampf in Liverpool