Droht der Slowakei eine Diktatur

Meciar will die ganze Macht
John Evers

Nur 60 Kilometer von Wien - in Bratislava - fand Ende März die größte Demonstration seit dem Fall des eisernen Vorhangs statt. Über 40.000 Menschen demonstrierten gegen die Allmachtsansprüche von Premierminister Meciar. Dieser brütet inzwischen an größenwahnsinnigen Projekten: Die Hauptstadt soll in die Zentralslowakei verlegt werden.
Die Diskriminierung der 400.000 Angehörigen der ungarischen Minderheit und der Roma stehen in der Slowakei ebenso auf der Tagesordnung, wie Zensur und umtriebige Geheimdienstaktivitäten. Meciars „Bewegung für eine demokratische Slowakei“ versuchte sich durch ein neues Wahlgesetz Mehrheiten zu sichern und setzt gleichzeitig auf die nationalistische Karte. Durch das Auslaufen der Amtsperiode von Präsident Kovac wurde zwar der Dauerkonflikt zwischen Präsident und Premier gelöst, gleichzeitig wurde so aber ein Machtvakuum geschaffen, denn das komplizierte parlamentarische Verfahren machte es bis jetzt unmöglich eineN NachfolgerIn zu bestellen. Meciar vereinigt nun „interimsmäßig“ die gesamte Macht in seiner Hand und will sie offensichtlich auch mit allen Mitteln verteidigen. Christ- und Sozial - Demokraten laufen dagegen Sturm. Tatsächlich steht hinter dem Konflikt zwischen Meciar  und der „demokratischen“ Opposition ein Richtungsstreit der neuentstandenen Bourgeoisie um die zukünftige Orientierung der Slowakei. Unter Meciar wurden die alten Staatsbetriebe an alte Bürokraten und Parteigänger seiner „Bewegung“ verschoben. Eine anonyme Mafia dominiert die offiziell privatisierte Wirtschaft, die aber bis zum heutigen Tage nicht einmal die Raten für ihre Anteile an den Industriebetrieben bezahlt hat. Die neuen Herrscher konservierten gewisse ökonomische Strukturen, bei gleichzeitiger Abschaffung der staatlichen Rahmenplanung - ein ökonomisch äußerst instabiles Geflecht. Die herrschende Schicht setzt auf Abschottungspolitik, Schutzmaßnahmen für den slowakischen Markt und nationalistische Propaganda.

Pro-westliche Opposition

Dem gegenüber steht die „Opposition“, die dem Auslandskapital verpflichtet ist und so schnell wie möglich die Slowakei an EU und NATO anbinden möchte. Die Ablehnung von Meciar in der Bevölkerung wächst - seine Regierung würde bei regulären Wahlen laut Umfragen keine Mehrheit erhalten. Zurückzuführen ist das aber nicht nur auf seine Machtansprüche, sondern auch auf die katastrophale soziale Lage: Über 40 Prozent der Bevölkerung gelten als arm oder extrem arm, zwei Drittel verdienen weniger als öS 2.500,- pro Monat. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei rund 14 Prozent. Die Verschuldung - vor allem durch die finanzielle Lage der Großbetriebe - stieg im Vorjahr um 40 Prozent. Für 1998 sagt das Londoner CUI-Instititut eine Drosselung des Wachstums auf 2% (1997: 6,5%) und eine Abwertung der Krone um 25 Prozent voraus. Unser Nachbarland entwickelt sich zum Pulverfaß, Proteste und Repression werden in dieser instabilen Situation weiter zunehmen. Tragisch ist, daß es wenige Ansätze einer sozialistischen Gegenkraft gibt. Die Partei der demokratischen Linken (SDL-„Reform-KP“) marschiert relativ unkritisch mit der „demokratischen Opposition“, während die „Vereinigung der Arbeiter der Slowakei“ (ZRS) einen eher nationalistischen Kurs fährt und Meciar unterstützt.

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