Drohende Eskalation im Nahen Osten

Jegliche Annexion im Westjordanland wird eine politische, militärische und soziale Kettenreaktion auslösen
Maavak Sotzialisti (ISA in Israel-Palästina) socialism.org.il

Die Drohung der israelischen Regierung, mit Unterstützung des Trump-Regimes eine Annexion (erzwungene Eingliederung) von bis zu 30% des besetzten Westjordanlandes durchzuführen, stellt einen gefährlichen Wendepunkt im israelisch-palästinensischen Konflikt dar. Sie ist ein schwerer Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht von Millionen Palästinenser*innen. Dem Ganzen liegt ein Konzept im Geiste der Apartheid zugrunde. Die Auswirkungen auf die israelische Klassen-Gesellschaft sind ebenso schwerwiegend. Die Hoffnungen von Millionen israelisch-jüdischen Arbeiter*innen und Armen auf Frieden und Sicherheit werden weiter geschmälert.

Seit dem Krieg von 1967 gibt es immer wieder Morde an Palästinenser*innen im Westjordanland und in Ostjerusalem durch israelische Truppen und rechte Siedler*innen. Demgegenüber dienen die destruktiven Methoden der Hamas, darunter ihre Selbstmordattentate und das wahllose Abfeuern von Geschossen gegen israelische Zivilist*innen der israelischen Rechten als Vorwand, um Unterstützung für Staatsterrorismus und Militäroffensiven zu mobilisieren.

Der jetzigen Koalition ging eine beispiellose politische Krise mit drei Wahlen voraus. Die beiden Blöcke, die nun die Regierung bilden, sind über konkrete Schritte bisher noch uneins. Die herrschende Klasse ist in dieser Frage offen gespalten. Selbst Generäle und hochrangige Beamte stellen sich gegen den ihrer Ansicht nach abenteuerlichen Kurs Netanjahus und Trumps. In den USA fürchtet die Mehrheit der herrschenden Klasse und der Geheimdienste Destabilisierung und dadurch eine Schädigung der Interessen des US-Imperialismus. Allerdings erlaubt der Koalitionsdeal Netanjahu, die Frage der Annexion auf Regierungs- oder Parlamentsebene zu entscheiden. Jegliche Annexion wird den Prozess untergraben, der in den letzten Jahren zu einer Allianz zwischen den zentralen pro-US-arabisch-sunnitischen Regimes (v.a. Saudi-Arabien, Ägypten, VAE) und Israel gegen den Iran geführt hat. Die dortige Diktatur könnte wiederum versuchen, unter dem falschen Vorwand der 'Solidarität' militärisch einzugreifen.

Lediglich 4% der israelischen Bevölkerung betrachten den Annexionsplan als wichtigste Aufgabe der Regierung, während 68% die Wirtschaftskrise nannten. Es gab bereits Proteste auf beiden Seiten der nationalen Spaltung, von muslimischen Palästinenser*innen und jüdischen Israelis. Gleichzeitig wachsen die nationalistischen Spannungen. Das israelische Militär bereitet sich auf eine 'Kriegssituation' vor. Die beiden dominierenden palästinensischen Fraktionen, Hamas und Fatah, warnen vor einem neuen allgemeinen Aufstand ('Intifada'). Eine Aufhebung der Vereinbarungen mit Israel könnte zum Zusammenbruch der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) führen. Die soziale Situation ist bereits jetzt dramatisch. Durch Pandemie und Krise schätzt die Weltbank eine Verdoppelung der offiziellen Armutsquote in den Enklaven der PA. Mögliche Aufstände der palästinensischen und arabischen Massen würden einer Welle revolutionärer Bewegungen in Algerien, Sudan, Irak und Libanon folgen.

Sozialist*innen in Israel/Palästina kämpfen gegen die Annexion und für eine sozialistische Zweistaaten-Lösung. Das bedeutet:

* Angesichts der tiefen Spaltung braucht es ein Programm, um dem gegenwärtigen Misstrauen entgegenzutreten: für zwei gleichberechtigte demokratische sozialistische Staaten in einer freiwilligen Konföderation mit zwei Hauptstädten in Jerusalem. Selbstbestimmungsrecht für alle & volle soziale und rechtliche Gleichstellung für alle jeweiligen Minderheiten, und zwar in nicht-segregierten Gemeinden.

* Mobilisierung von Arbeiter*innen und Jugendlichen, um den Plan zum Scheitern zu bringen und die israelische Regierung zu stoppen. Gemeinsame Proteste in Israel von Jüd*innen und Araber*innen, um an breitere Teile der Arbeiter*innenklasse zu appellieren und eine Mobilisierung gegen die allgemeine arbeiter*innenfeindliche Agenda der Regierung.

* Errichtung demokratischer Aktions- und Verteidigungsausschüsse in den besetzten Gebieten, um der täglichen Gefahr tödlicher Repression entgegenzuwirken.

* Zusammenarbeit im Kampf von Arbeiter*innen und Armen auf beiden Seiten der Spaltung. Nur das schafft Voraussetzungen für die Überwindung nationalistischer Vorurteile. Kampf gegen rechts-nationalistische sowie antisemitische Elemente, die in die Bewegung einzugreifen versuchen.

* Enteignung der besitzenden Klassen, die hinter der regionalen Militärmaschinerie stehen, um Armut und massive materielle Ungleichheit zu beenden.

Erscheint in Zeitungsausgabe: