Die neuentdeckte Menschlichkeit – aber bitte bei den Anderen!

Sonja Grusch

Die Toten vor der Küste von Lampedusa haben Schock, Entsetzen und Betroffenheit hervorgerufen. Auch die hohen Spitzen der Politik kamen zum traurigen Stelldichein, um Hände zu schütteln, Schultern zu klopfen und Maßnahmen zu versprechen. Was folgt ist an Zynismus kaum zu überbieten. Zwar wird darüber gesprochen, dass Europa mehr Flüchtlinge aufnehmen soll. Aber - mit dem Blick auf Wahlen und das Erstarken ausländerfeindlicher Parteien – bitte nicht bei uns, sondern woanders. Überhaupt sei das Boot Europa eigentlich voll. Flüchtlinge sollen aber, damit es künftig nicht mehr so grausliche Bilder von Wasserleichen gibt, nicht erst am Eintritt nach Europa gehindert werden, sondern gleich an der Ausreise aus den Fluchtkontinenten. Der Pakt der Regierungen, deren Kolonialismus die Länder arm macht mit jenen Regierungen, deren Diktatur die Menschen verfolgt.

Aber weil die nicht so verlässlich, oder z.B. in Nordafrika nicht mehr da sind, investiert die EU zum Schutz der Außengrenzen in Eurosur. Und zwar 250 Millionen bis zu einer Milliarde Euro. Der Zaun um die Festung Europas wird höher und mit Satelliten und Drohnen überwacht. Gerade mal 100.000 Asylanträge werden in der gesamten EU heuer gestellt werden – das entspricht weniger als 0,02 % der europäischen Bevölkerung. Doch es geht nicht darum, uns vor den Flüchtlingen zu schützen. Unsere Jobs und Löhne sind nicht von Flüchtlingen bedroht, sondern von KapitalistInnen, die ihre Profite schützen wollen. Unser Lebensstandard ist nicht von Flüchtlingen bedroht, sondern von einer aggressiven Sparpolitik der Regierungen, die die Banken retten wollen. Unser Problem sind nicht Flüchtlinge, sondern das 1 % an Reichen und Mächtigen, die verantwortlich sind für eine Welt, die Menschen überhaupt dazu bringt, zu flüchten und dann versucht, uns gegeneinander auszuspielen, um weiter an der Macht zu bleiben.

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