Die extreme Rechte in Österreich – die Geschichte eines Aufstiegs

Sebastian Kugler

Als Julian Fosfer im Herbst 2012 für das deutsche rechtsextreme Magazin „Sezession“ einen Lokalaugenschein über die „Szene“ in Wien macht, schreibt er: „Man trifft Nationalratsabgeordnete auf Partys, starrt auf großformatig plakatierte Botschaften, die in Deutschland undenkbar wären, und das gilt wohl auch für die Ergebnisse von Wahlen und Meinungsumfragen. [...] Man müsste zum großen alljährlichen Stadtfest der FPÖ im Rathaus-Innenhof pilgern: Alle politischen Ansichten und Gruppen, die man im weitesten Sinne als „rechts“ bezeichnen kann, sind hier vereint.“

Fosfer hat – leider – recht. In Österreich gibt es nicht nur eine lebendige und vielschichtige rechtsextreme und Nazi-Szene. Es gibt mit der FPÖ auch eine Partei, die ihr einen Orientierungspunkt gibt und die wohl stärkste und flexibelste rechtspopulistische Partei Europas ist. Dafür gibt es Gründe.

Die Niederschlagung des Faschismus in Österreich 1945 führte nicht zur „Entnazifizierung“. Es herrschte der Mythos, „das 1. Opfer Hitlers“ gewesen zu sein. Die Rolle von 700.000 österreichischen NSDAP-Mitgliedern und noch mehr MitläuferInnen wurde verschwiegen. Nazis wurden in den neuen Staat übernommen und amnestiert. Schon 1949 gründete sich der „VdU“, der Verband der Unabhängigen. Er war Sammelbecken für ehemalige NSDAP-Mitglieder, aus dem sich 1956 die FPÖ entwickelte.

Der Nachkriegsaufschwung bedeutete eine Phase relativen Wachstums und steigenden Lebensstandards. Deshalb blieb die FPÖ für die ArbeiterInnenklasse uninteressant. Versuche, den NS-Staub etwas abzuputzen, resultierten 1966 in der Abspaltung eines Teils des ultrarechten Flügels, der sich als NDP (Nationaldemokratische Partei) neu formierte und 1988 verboten wurde. Führender Kopf war der Nazi Norbert Burger. Er war, wie viele andere FaschistInnen, in den 1950er und '60er-Jahren als Mitglied des „BAS“ (Befreiungsausschuss Südtirol) in Terroranschläge in Südtirol verwickelt. Bei insgesamt 361 Attentaten kamen 21 Menschen ums Leben, 57 wurden verletzt. Bis heute stellt die „Heimholung“ Südtirols einen zentralen Punkt faschistischer und rechtsextremer Propaganda in Österreich dar.

In den 1970er Jahren arbeitete die SPÖ taktisch näher mit der FPÖ zusammen. Der Abschluss der politischen Integration war die Formierung der SPÖ-FPÖ Regierung, die massive Sparpakete umsetzte. Als Folge drohte die FPÖ aus dem Parlament zu fliegen. Es folgte die Notbremse des nationalen, rechtsextremen Flügels. 1986 übernahm Haider.

Der Aufstieg der FPÖ unter Haider war nicht das Werk eines einzelnen „genialen Politikers“, sondern v.a. Resultat der Verbürgerlichung der SPÖ. Trotz einer Führung, die in den Staat integriert war, blieb die Sozialdemokratie lange die Partei, an der sich die ArbeiterInnenklasse orientierte. In den '70er Jahren hatte die SPÖ noch über 700.000 Mitglieder und lebendige Strukturen. Als der Nachkriegsaufschwung endete und der Kapitalismus zu seiner krisenhaften „Normalform“ zurückkehrte, akzeptierte sie nicht nur Sparlogik, sie setzte sie aktiv durch Sparpakete und Privatisierungen um und wurde endgültig zu einer bürgerlichen Partei. Immer mehr ArbeiterInnen kehrten der SPÖ enttäuscht den Rücken. Heute hat sie nur noch knapp ein Drittel ihrer damaligen Mitgliedschaft. Die '90er-Jahre waren durch wirtschaftliche Stagnation und rollende Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse gekennzeichnet. Durch das Fehlen einer ArbeiterInnenpartei konnte Haiders Hetze gegen MigrantInnen, AsylwerberInnen und sozial Schwache das Vakuum füllen.

Spätestens seit Haider entwickelte die FPÖ eine einzigartige Flexibilität im Umgang mit verschiedenen Situationen und Klientels. Sie konnte populistisch soziale Themen besetzen, aber auch gegen Arbeitslose hetzen. Sie konnte sich staatstragend und regierungstauglich geben und gleichzeitig Neonazis zu verstehen geben, dass sie in der FPÖ eine Partnerin haben. In dieser Periode wurde die FPÖ wieder zentraler Bezugspunkt militanter Nazitruppen wie dem „Bund freier Jugend“. Beinahe alle orientierten sich an der FPÖ. Sämtliche Versuche, rechts von der FPÖ etwas aufzubauen (z.B. die „Nationale Volkspartei“), scheitern bis heute. Auch wenn es unter Nazis taktische Unterschiede bei der Frage gibt, ob sie Mitglieder sein sollen oder nicht: Für Nazis und Rechtsextreme führt an der FPÖ kein Weg vorbei.

Daran änderte auch das Regierungsdebakel unter Blau-Schwarz nichts Grundlegendes. Selbst die darauffolgende Abspaltung Haiders, der das BZÖ gründete, warf die FPÖ nur kurzfristig zurück.

Sie konstituierte sich unter Strache neu, driftete noch weiter nach rechts und schoss sich besonders auf Muslime/a ein. Von den KarrieristInnen rund um Haider „befreit“, stärkten die Burschenschafter ihre Position in der FPÖ. Burschenschaften dienen als Karrieresprungleitern, als rechte Kaderschmieden und nicht zuletzt als Scharnier zwischen dem militanten Neofaschismus und dem „salonfähigen“ Rechtsextremismus. Heute gehört jeder dritte Parlamentarier der FPÖ einer deutschnationalen Burschenschaft an. Strache kommt aus der Burschenschaft „Vandalia“. Dort kam er mit dem verurteilten Neonazi Gottfried Küssel in Kontakt, der die militante „VAPO“ (Volkstreue Außerparlamentarische Opposition“) anführte. Auch zu Norbert Burger pflegte er engen Kontakt und bezeichnete ihn als „Vaterersatz“.

Strache fällt eine Vermittlerrolle in der Partei zu: Er muss verschiedene Klientels bedienen und versucht dabei einen Spagat, um die Flexibilität der Partei zu wahren: Um die WählerInnenbasis zu halten, muss Strache die FPÖ weiterhin als „soziale Heimatpartei“ positionieren, soziale Themen besetzen und „kapitalismuskritische“ Rhetorik einsetzen. Um den großen Geldgebern der FPÖ, der sozialen Basis sowie dem Wirtschaftsflügel der Partei nicht zu missfallen, pocht er weiter auf neoliberale Politik, Privatisierungen etc. Um seine Stützen in der Partei nicht zu verlieren, darf er sich nicht von den starken Deutschnationalen distanzieren, dies kostet jedoch Wählerstimmen. Wählerstimmen, die der KarriereristInnenflügel der Partei möglichst schnell kassieren will, um eine erneute Regierungsbeteilung zu ermöglichen. Dies wird von den Hardlinern jedoch abgelehnt. Die FPÖ ist also alles andere als homogen.

Die FPÖ ist Dreh- und Angelpunkt des Rechtsextremismus.

Auch bei jenen Teilen der rechtsextremen Szene, die sich moderner präsentieren wollen und sich als „Identitäre Bewegung“ oder auch „Neue Rechte“ bezeichnen. Auch wenn sie sich offiziell parteilos geben: In der „Identitären Bewegung“ gibt es personelle Überschneidungen mit der FPÖ und Martin Grafs „Unzensuriert-Magazin“ stellt sie in seiner ersten Ausgabe 2013 wohlwollend vor. Identitäre gibt es laut eigenen Angaben in mittlerweile fast allen Bundesländern. In Wien fielen sie bereits durch Übergriffe auf antifaschistische Veranstaltungen und die Flüchtlingsbewegung auf; auch in Salzburg gab es bereits Aktionen. Die „Identitären“ können, ähnlich wie rassistische „Bürgerinitiativen“, im Vorhof der FPÖ agieren und stellen ein politisches und physisches Gefahrenpotential für MigrantInnen, GewerkschafterInnen, Linke und die ArbeiterInnenbewegung generell dar.

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