Die „Wertedebatte“ nervt gewaltig

Sonja Grusch

Die Heuchelei jener, die von MigrantInnen verlangen, „unsere Werte“ zu respektieren, ist kaum zu überbieten. Am 24. Dezember gedenken sie der Herbergssuche der „heiligen Familie“ - gleichzeitig machen sie die Grenzen dicht. Sie empören sich über sexistische Übergriffe auf Frauen in der Sylvesternacht - gleichzeitig fordern sie Frauen auf, sich weniger „aufreizend“ anzuziehen. Sie verlangen die Anerkennung der Demokratie - gleichzeitig beschließen sie deren Einschränkung. Sie fordern, dass sich Moslems/Muslima mit der Religionsausübung zurückhalten - gleichzeitig pochen sie auf christliche Feiern in Kindergärten und Schulen.

Frei nach Marx sind die herrschenden Werte die Werte der herrschenden Klasse. Tatsächlich sind die „westlichen Werte“ recht mangelhaft. Für sie stellt der Schutz des Eigentums Weniger einen höheren Wert dar, als das physische Überleben Vieler! Die Demokratie ist daher auch beschränkt und endet beim Betreten von Arbeitsplatz oder Schule. Zweifellos ist die europäische Aufklärung eine Errungenschaft. Doch in der täglichen Praxis werden genau diese Werte nicht von Flüchtlingen angegriffen, sondern von Politik und Wirtschaft. Solidarität, Gleichberechtigung und Demokratie kann man nicht per Dekret oder Test lernen und abfragen. Das muss man in der Praxis lernen. Indem man sich selbst organisiert. Indem man sich gemeinsam mit anderen für Verbesserungen einsetzt. Wenn also Flüchtlinge gemeinsam mit HelferInnen und Gewerkschaften dafür kämpfen, dass das Geld von den Reichen geholt und für Jobs und Wohnungen für alle verwendet wird – dann ist das ein „learning by doing“. Und da zeigt sich dann auch ganz schnell, dass die Werte der Reichen und Mächtigen letztlich nur für sie selbst gelten.

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