Der Wiener Fackelzug

Ein kleiner Rückblick auf die Entwicklung der sozialdemokratischen Jugendorganisationen
Martin Ramberger

Die Sozialistische Jugend, die Jugendorganisation der Sozialdemokratie, gibt es seit über 100 Jahren. Der SJ-”Fa-ckelzug” ist traditionell am 30. April, dem Vorabend des 1.Mai und ein Barometer für die Entwicklung der Bewegung.

Zwischenkriegszeit

Seit ihrer Gründung galt die SJ, damals noch SAJ (Sozialistische Arbeiterjugend), als linkes Gewissen der Sozialdemokratie. Sie wurde zu einer ernst genommenen politischen Kraft mit hunderten von aktiven Gruppen und zehntausenden von Mitgliedern. Sie trat der austrofaschistischen Diktatur entgegen. Am 30. April 1933 demonstrierte die SAJ ihre Entschlossenheit. Trotz Demonstrationsverbot beteiligten sich Zehntausende am Fackelzug, der im Wienerwald stattfand. Die Polizei bereitete den Regime-GegnerInnen einen blutigen Empfang. Viele SAJlerInnen gingen danach in den illegalen Widerstand und kämpften später im Spanischen Bürgerkrieg gegen den Franco-Faschismus.

Nach dem 2.Weltkrieg

Internationale Themen waren ein starker Anknüpfungspunkt für die SJ nach dem 2. Weltkrieg: Z.B. der Krieg der USA gegen Vietnam. Der Fackelzug der SJ 1967 wurde spontan zum Amerika-Haus (US-Kulturinstitut) umgeleitet. Am Mai-Aufmarsch gab es dann Auseinandersetzungen mit der SPÖ-Bürokratie um USA-kritische Transparente. Der Unmut über die Partei wuchs auch in anderen sozialdemokratischen Jugendorganisationen wie dem VSM (MittelschülerInnenorganisation) oder dem VSSTÖ (Studierendenorganisation). Am 1. Mai 1969 kam es auf einem “Blasmusikfest” der Wiener SPÖ zu schweren Auseinandersetzungen: Gegen VSSTÖ-Mitglieder, die über die Beschäftigungssituation in Wien diskutieren wollten, ließ die Parteiführung brutale Polizeigewalt einsetzen. Dann fing die Parteiführung an die Jugendorganisationen, allen voran die SJ, zu “disziplinieren”. Bis in die 1980er Jahre war die SJ – gerade auch wegen ihrer Widerspenstigkeit – so etwas wie eine Massenorganisation. Ihr Potential und Mobilisierungsgrad waren enorm. An den Fackelzügen nahmen tausende Jugendliche teil. Anfang der 1990er Jahre folgte dem allgemeinen Rechtsruck der SPÖ auch in der SJ eine Wende: Der Ausschluss der Gruppe “Vorwärts” (aus der später die SLP entstand) war ein Höhepunkt der Hexenjagd gegen Linke in der Sozialdemokratie. Am Fackelzug 1992 wurde von der SJ-Bürokratie Polizeigewalt gegen den Vorwärts-Block eingesetzt.

Und heute?

Trotz des großen Unmuts in Teilen der Jugendorganisationen über den Kurs der Parteiführung waren die Fackelzüge der letzten Jahre eher schwach besucht und in ihren Slogans sehr allgemein gehalten. Der  großen Tradition gerecht zu werden hieße heute eine breite linke Jugendmobilisierung auf die Beine zu stellen. Ein offener, von kämpferischen Linken gemeinsam organisierter Fackelzug würde sich freilich offensiv gegen die SPÖ-geführte Regierung und ihre neoliberale Politik richten. Doch will das die SJ-Spitze vielleicht nicht?

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