Der Container und die Wirklichkeit

Bitte liebt Österreich
Tanja Boukal

Sonntag, 11. Juni: Vor der Oper steht ein hässlicher Container; geschmückt mit dem Krone-Logo und einem verhüllten Schild. Am Platz davor hat sich eine Menschenmenge aus Touristen, Ausländern, Kunstfreunden und “aufrechten” Österreichern versammelt. Das Schild mit der Aufschrift “AUSLÄNDER RAUS” wird enthüllt, Jubel brandet auf. Unter Blasmusikklängen ziehen die Asylwerber in den Container. Das Schauspiel hat begonnen.
“Das ist die Wahrheit, das ist die FPÖ, das ist die Krone, das ist Österreich!...Wir nehmen die FPÖ beim Wort!”, Christoph Schlingensief nimmt jedenfalls kein Blatt vor den Mund. Immer wieder startet er provokante Aktionen und löst damit heftige Diskussionen aus. Darf Kunst das? Ist das überhaupt Kunst? Nach Meinung der FPÖ selbstverständlich nicht. “Sie sind ein Agitator, sie sind kein Künstler”(Heidemarie Unterreiner, FPÖ-Kultursprecherin); die „Krone“ titelt mit “Touristen entsetzt, Wiener empört” und ist verzweifelt ob der Verschandelung eines kulturellen Wahrzeichens, der Wiener Oper.

Klage der FPÖ wegen “Wiederbetätigung”!

Wie viele Touristen werden mit einem Foto der Oper nach Hause fahren, auf dem unübersehbar “Ausländer raus” steht? Und das alles wird auch noch mit Steuergeldern bezahlt! Die Abnahme des Krone-Logos wird erzwungen, doch der “Schandfleck” bleibt. Und die österreichische Bevölkerung? Heftige Diskussionen finden die ganze Woche rund um den gutbesuchten Container statt. Gegendemonstrationen, Infotische der FPÖ, ein Buttersäureanschlag und eine Brandbombe können die Aktion nicht stoppen, sogar ein neues Schild mit “Unsere Ehre heißt Treue” wird am Containerdach enthüllt. Der Justizminister reagiert prompt. Er erstattet Anzeige. Auch das ein historischer Augenblick. Zum ersten Mal wird jemand wegen Zitieren eines FPÖ-Politikers auf Wiederbetätigung geklagt!?!? Die Donnerstags-Demo zeigt, was zu tun ist: “Ausländer raus” wird übersprüht, die Asylanten werden “befreit”. Hier wird geprobt, was viele TeilnehmerInnen auch gerne in der Realität tun würden.
60.000 Menschen beteiligen sich per Computer. Sie werden sich bis zum Ende der Aktion an der Internetabstimmung, welcher Asylwerber abgeschoben wird, beteiligt haben. Das habe ja nichts mit der Realität zu tun, es seien ja bloß Schauspieler, wird immer wieder kolportiert. Christoph Schlingensief fordert die Regierung auf, das “Ausländer raus”-Schild zu entfernen. Keiner kommt, doch die Hetze gegen das Projekt geht weiter. Es werden Flugblätter verteilt, auf denen zu lesen ist, das dies ein Kunstprojekt sei. Zu viele Menschen würden das ganze mit der Realität verwechseln.

Was ist Kunst und was darf sie?

Ganz Österreich spielt mit. Doch der Container ist Realität. Einige Kilometer entfernt am Wiener Flughafen steht er. Dort sitzen ohne mediale Aufmerksamkeit bis zu 10 Menschen, die nicht nach Österreich einreisen dürfen. Sie müssen dort bleiben, bis entschieden ist, ob sie einen Asylantrag stellen dürfen. Angeblich haben sie es gut getroffen, andere müssen tagelang im Transitraum des Flughafens warten.
Ist das Ganze jetzt Kunst? Oder ist es linke Agitation? Darf Kunst politische Statements abgeben? Darf sich Kunst mit der Realität vermischen?
Kunst ist letztlich immer ein Spiegel der Gesellschaft und/oder eine Reaktion auf ihre Umgebung. Sie kann, darf und soll provozieren. Kunst gehört nicht nur in einem Museum aufgehängt, auf einen Sockel gestellt und bewundert, sie soll auch im Leben stattfinden. Sie kann Missstände aufzeigen, zur Beseitigung dieser müssen jedoch wir alle beitragen.
Samstag, 17. Juni: Eine Woche voller Turbulenzen ist beendet. Die letzte Abschiebung soll heute stattfinden. Wieder ist der Platz brechend voll. Die Regierung hat das Transparent die ganze Woche hängen lassen. Zum Abschluss sprechen unter anderem ein Flüchtlingsberater und Charles O. (eines der Opfer der “Operation Spring”). Schlingensief sagt: ”Es handelt sich im Container um Menschen mit echten, schwebenden Asylverfahren”. Es wird still, die letzte Abschiebung geht ohne Applaus “über die Bühne”.

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