Das Ende der Zweiten Republik

Das Ende eines Auslaufmodells
Sonja Grusch

Die 2. Republik zerbröselt und wird zunehmend in Frage gestellt. Eine kritische Betrachtung zeigt ihre dunklen Seiten und die keineswegs immer günstigen Auswirkungen: Der Aufstieg der FPÖ seit 1986 wurzelt direkt in diesem fünfzigjährigen Konstrukt.
Der Beginn der 2. Republik  basiert auf einer Reihe von Lügen. Der unsaubere Umgang mit Faschismus und Nationalsozialismus hat seinen Ursprung spätestens in der „Moskauer Deklaration“, mit der die Allierten Österreich 1943 zum ersten Opfer Nazi-Deutschlands erklärten. Dass Österreich seinen „eigenen“ hausgemachten Faschismus hatte, wird gern verschwiegen. Und obwohl die Beteiligung von Österreichern an den Verbrechen des Naziregimes überproportional hoch war, wollen nach 1945 plötzlich alle WiderstandskämpferInnen gewesen sein. Entnazifizierung hat de facto nicht stattgefunden und mit der „Wiedergutmachung“ hat die 2. Republik solange gewartet, bis die meisten Opfer des Nationalsozialismus nicht mehr leben.

Am Anfang war die Lüge

Der Mythos, dass die einstigen Gegner der 1. Repbulik sich in den Konzentrationslagern wider begegnet seien und dort erkannt hätten, daß sie zusammenarbeiten müssen, ist die große Lebenslüge der 2. Repbulik. Die überwiegende Anzahl der politischen Opfer der faschistischen Regimes waren SozialdemokratInnen und Kom-munistInnen und nicht Bürgerliche.
Der SPÖ ging es nach 1945 wie schon 1918 nicht darum, eine sozialistische Gesellschaftsveränderung zu erreichen (wofür es sowohl eine Stimmung als auch ein kämpferisches Potential gab), sondern um ein „demokratisches“ Österreich, was in der Praxis ein kapitalistisches Österreich mit bürgerlichem Parlamentarismus bedeutete. Dieser Kurs wurde auch von der KPÖ vertreten, die bis heute stolz darauf ist, mit Alfred Klahr den „wissenschaftlichen Beweis“ für die Existenz der „Österreichischen Nation“ erbracht zu haben. Durch linke Phraseologie gelang es der SPÖ aber wieder – wie schon 1918 –, die Linken innerhalb der Partei zu halten, was die KPÖ (kombiniert mit ihrer extrem moskautreuen Linie), aber auch andere linke Organisationen, zu Randerscheinungen werden lies.
Stets auf Grundlage des Kapitalismus
Antikapitalistische Initiativen wurden von SPÖ & ÖGB-Seite beendet, wie z.B. die von EisenbahnerInnen bei vielen Dienststellen nach 1945 gebildeten Aktionsausschüsse, die die Arbeit selbst verwalteten oder der Oktoberstreik 1950. SPÖ & ÖGB standen von der ersten Stunde an auf Basis des Kapitalismus. Der ÖGB definiert sich als Teil des (bürgerlichen) Staates und agiert mit der „Produktivitätslohntheorie“ im Rahmen der Profitlogik. Er versteht seine Verantwortung darin, sich am Wachsen des Kuchens „konstruktiv“ zu beteiligen.

Sozial“partnerschaft“

SPÖ & ÖGB legten sich schon in den ersten Jahren der 2. Republik auf die „Sozialpartnerschaft“ fest, die bis heute als Quelle des Wohlstandes gefeiert wird. „Sozialpartnerschaft“ gaukelt eine „Partnerschaft“ vor, wo einander widersprechende Interessen existieren. Österreich ist keineswegs das einzige Land mit Sozialpartnerschaft, aber wahrscheinlich jenes, in dem dieses System am meisten institutionalisiert, perfektioniert und von der Gewerkschaftsbürokratie verinnerlicht worden ist. Beginnend mit den fünf Lohn-Preis-Abkommen der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre wurde ein System der ständigen und vollständigen „Zusammenarbeit“ etabliert, das bis heute existiert. Auf Regierungsebene spiegelt sich das in der dauerhaften Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP und der jahrzehntelangen Proporzpolitik wieder.

Ideologie Sozialpartnerschaft

Das nach 1945 massiv geschwächte österreichische Privatkapital hatte ein vitales Interesse an dieser „Partnerschaft“, die benutzt wurde, die ArbeiterInnenschaft während des Nachkriegsaufschwungs ruhig zu halten und so eine solide und stabile Basis für die Kapitalakkumulation zu schaffen. Anläßlich des 4. Lohn-Preis-Abkommens im Jahr 1950 kam es zu einer österreichweiten Streikwelle gegen diesen faulen „Kompromiß“, der in der Praxis weitere Umverteilung weg von den ArbeitnehmerInnen bedeutete. Ausgehend von Oberösterreich traten 100.000e ArbeitnehmerInnen in den Ausstand, der auch als ein Aufbäumen gegen die „Sozialpartnerschaft“ gesehen werden muß.
Für den ÖGB stellte der „Oktoberstreik“ sein Lehrstück dar: Unterstützt von Staat und Unternehmern wurden die Streikenden via Medien und mit Brachialgewalt bekämpft. Bis heute wird der Oktoberstreik als „kommunistischer Putschversuch“ verunglimpft. Dies ist angesichts der Tatsache, daß die KPÖ ebensowenig wie die SPÖ auf ein sozialistisches Österreich hinarbeitete und treibend dabei war, den Streik auszusetzen (also de facto zu beenden), eine weitere Lüge.

Die Konsequenzen

Die Sozialpartnerschaft wurde nicht nur zum zentralen Instrument des ÖGB, sondern auch zu seiner Ideologie. Auch die Strukturen der Gewerkschaft entsprachen diesem Modell: nicht die Basis sollte an der Umsetzung ihrer Interessen beteiligt werden, sondern die Führung betrieb Stellvertreterpolitik. Jahrzehntelang wurde die Rolle der Mitglieder auf die Bezahlung des Mitgliedsbeitrages reduziert. Die undemokratischen Strukturen des ÖGB beschränkten eine Beteiligung der Basis auf – im besten Fall – Diskussionen, die Mitwirkung an Beschlüssen ist nicht möglich.
So lernte die österreichische ArbeitnehmerInnenschaft jahrzehntelang: „Du brauchst Dich um nichts kümmern, das machen andere“ und „wir sitzen alle im selben Boot“. Die ArbeitnehmerInnenschaft – ArbeiterInnen und Angestellte in Industrie, Gewerbe und im Dienstleistungssektor, aber auch Arbeitslose – ist in den letzten Jahrzehnten zahlenmäßig, also objektiv, stärker geworden. Subjektiv aber, was Erfahrungen im Klassenkampf, was Klassenbewußtsein und Verständnis für die Mechanismen des Kapitalismus angeht, ist sie schwach. Geschwächt noch durch Spaltungen wie in Frauen & Männer, In- und AusländerInnen, die von ÖGB- und SPÖ-Bürokratie zwar theoretisch verurteilt, aber praktisch gefördert werden. Noch immer gibt es kein passives Betriebsratswahlrecht für ImmigrantInnen und beide – SPÖ und ÖGB – stehen hinter den rassistischen Immigrations- und Arbeitsgesetzen.
Wo wäre Österreich heute ohne Sozialpartnerschaft? Hätte es Österreich geschafft, von einem der ärmsten Länder Europas nach dem 2. Weltkrieg zu einem der reichsten der Welt zu werden? Hier gilt es erneut, hinter die Kulissen des „Wideraufbaus“ zu blicken. Zwei Quellen gibt es für den Reichtum in Österreich: Erstens das politische Interesse des Westens v.a. der USA, der Österreich für den Kapitalismus an sich und als Drehscheibe in den Osten im speziellen erhalten wollte und daher massiv Geld in Form des „Marshallplanes“ in Österreich investierte. Die zweite Quelle ist der jahrelange Verzicht der österreichischen ArbeiterInnenschaft, die, eben durch die Sozialpartnerschaft, enormen Reichtum schuf, von dem sie aber nur unterproportional profitierte.
Langfristig hatte die Sozialpartnerschaft also v.a. zwei Auswirkungen: dem schwachen österreichischen Privatkapital wieder auf die Beine zu helfen und die ArbeiterInnenschaft systematisch in die Passivität zu treiben. Jener letzte Faktor ist es, der heute maßgeblich für den Aufstieg der FPÖ verantwortlich ist.

Der FPÖ-Aufstieg ist hausgemacht

Dass in Österreich die stärkste rechtsextreme Partei Europas existiert, wurzelt in diesen Elementen der 2. Republik. Zwar wird die FPÖ nicht in erster Linie wegen ihrer ausländerfeindlichen Politik gewählt und auch nicht wegen Haiders Sagern zur „ordentlichen Beschäftigungspolitik im 3.Reich“, zu „Straflagern“ (als Bezeichnung für KZs) und zu den „anständigen“ Menschen (Angehörige der Waffen-SS) – aber die Leugnung der eigenen Geschichte und die nie stattgefundene Entnazifizierung machen Haider und die FPÖ in diesem Punkt zu „normalen“ österreichischen Politikern, die sich mit manchen Vertretern anderer Parteien vergleichen können.
Auch die Stellvertreterpolitik des ÖGB kommt der FPÖ zugute, die sich nun als Stellvertreter für den Frust vieler über die Politik von SPÖ und ÖGB aufspielen kann. Der entscheidende Grund für den Aufstieg der FPÖ ist die Schwäche der Linken. Deren Ursache ist einerseits der plumpe Anti-Kommunismus der Sozialdemokratie. Andererseits führt die subjektive Schwäche der ArbeiterInnenschaft zu einer Schwäche der Linken, die es erst zu überwinden gilt. Die Hegemonie der Sozialdemokratie über die ArbeiterInnenschaft ist in den letzten Jahren zerbrochen. Wie die 2. Republik, so zerbröselt auch die SPÖ, eine ihrer wichtigsten VertreterInnen. In Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs konnte sie noch Politik für die ArbeitnehmerInnen vorgaukeln, weil es etwas zu verteilen gab, heute aber ist sie die Partei des Sozialabbaus geworden. Profitiert hat davon bisher nur die Rechte, in Form der FPÖ.

Nein zur 2. Republik

Der Aufstieg der FPÖ geht Hand in Hand, ist Ergebnis und Ausdruck für den Zerfall der 2. Republik. Die kommenden Jahre werden die schlechtesten Elemente dieses Modells erhalten, verbunden mit neuen Problemen. Das zentrale Merkmal der Zukunft wird Instabilität sein. Regierungen, die nicht von langer Dauer sind, Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der ArbeiterInnenschaft und der breiten Masse der Bevölkerung, eine weitere Schwächung der Gewerkschaft. Die österreichische ArbeiterInnenschaft ist geschwächt, aber nicht geschlagen, sie hat viel nachzuholen, aber sie kann lernen. Damit Wut und Widerstand nicht bei der FPÖ kristallisieren, sondern von der Linken organisiert werden, gilt es nicht nur, den Rassismus der FPÖ aufzugreifen, sondern dem gesamten Konstrukt der 2. Republik eine sozialistische Alternative entgegenzusetzen.