Darwins doppelter Geburtstag

Albert Kropf

Charles Darwin

Alfred Russel Wallace

2009 ist ein doppeltes Gedenkjahr in Sachen Charles Darwin. Einmal fällt sein 200. Geburtstag in dieses Jahr. Und dann ist auch noch der 150. Jahrestag des Erscheinens seines Buches „Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“. Dieses Buch bringt die erste wissenschaftliche Beweisführung der Evolutionstheorie. Auf den ersten Blick löste Darwin mit seinem Buch unbewusst eine gesellschaftliche Debatte aus, die bis heute in unterschiedlichen Facetten und unterschiedlichen Vorzeichen geführt wird. Doch so unbewusst war Darwin gar nicht. Beschäftigt man/frau sich mit seinem Leben genauer, so erhärtet sich der Verdacht, dass Darwin sehr wohl eine Ahnung davon hatte, welche Lawine er mit der Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse lostreten wird. Grund genug sich einmal näher mit dem Mensch und dem Werk zu beschäftigen. Darwin, ein studierter Theologie, veröffentlicht das Buch am 24. November 1859. Den Inhalt trägt er schon seit Jahren mit sich herum. Er kann sich jedoch zu keiner Veröffentlichung hinreißen. Er hat Angst vor den (nicht absehbaren) Folgen. Darwin ist Teil der britischen Gelehrtenschaft und bereits angesehen durch seine naturwissenschaftlichen Forschungen. Was Darwin denkt, ist auch nicht so neu. Schon das ganze 19. Jahrhundert wird über die Evolution gestritten und Gedanken in diese Richtung formuliert. Wie zum Beispiel von seinem eigenen Großvater Erasmus Darwin. Es fehlt aber der schlüssige Beweis.

Damals wie heute: Evolution vs. "Intelligent Design"

Die damaligen Auseinandersetzungen erinnern an die heutige Debatte zwischen Evolution und “Kreationismus”. Auf der einen Seite die Wissenschaft (Evolution), auf der anderen die Kirche (egal welche Konfession). Kann Perfektes zufällig geschaffen sein? Mit dieser Fragestellung gingen die Theologen schon im 18. und 19. Jahrhundert gegen die Wissenschaft vor.  Der englische Theologe William Paley brachte es mit seiner Uhrmacher-Analogie auf den Punkt. Demnach ist es völlig klar, dass wenn jemand spazieren geht und schönen Stein findet, dass dieser nicht von Gottes Hand, sondern durch äußere Einflüsse gestaltet wurde. Findet aber nun der gleiche Spaziergeher eine Uhr am Wegesrand, wird er doch nicht glauben, dass der Zufall diese Uhr gestaltet habe. Es ist klar, dass Menschenhand sie geschaffen haben muss. Ähnlich sei es nun auch beim Menschen und komplexen Lebens- und Pflanzenformen. Sie sind so komplex und wohldurchdacht, dass sie nur durch Gotteshand geschaffen sein konnten. Heute wird dieser alte Hut von der konservativen Rechten als "Intelligent Design" wieder verkauft. Wie zum Beispiel vom Wiener Erzbischof Schönborn. Die Wissenschaft bedient sich der Forschung und dem reicher werdenden Erkenntnissen. Die Religion verweist auf einen Gott. Hätte sich die Menschheit mit Hr. Schönborns Erklärungsmuster stets zufrieden gegeben, gäbe es keinen Fortschritt und Herr Schönborn selbst säße heute nicht im erzbischöflichen Palais, sondern bestenfalls als Medizinmann in einer Höhle im Wiener Wald. Darwin schwankt  anfänglich, schlägt sich aber auf die Seite der Evolutionisten. Zu unwissenschaftlich ist noch die Beweisführung der Evolution. Trotzdem liegt sie förmlich in der Luft, ist nur noch nicht greifbar. Durch seine fortschreitende Arbeit und das erlebte Leid durch den frühen Tod einiger Kinder, wird Darwin zum Zweifler am Glauben. Ganz kann er sich wahrscheinlich trotzdem nie vom Christentum befreien. Die Zeit Darwins, ist die Zeit von den Ergebnissen und Umwälzungen der Industrialisierung geprägt. Auch Darwin reflektiert auf sie. Er findet den Vergleich der Natur mit einem Industriebetrieb. Je weiter fortgeschritten die Arbeitsteilung ist, desto effizienter kann produziert werden. Umgelegt auf die Natur hieße das, je spezialisierter eine Gattung, desto effizienter ist sie im Überlebenskampf. Erhärtet wird diese Überlegung durch eine Entdeckung, die Darwin während seiner Forschungsreise mit dem Schiff MS Beagle macht. Er stellt fest, dass sich ein und die selbe Art auf unterschiedlichen Inseln der Galapagos Inseln, unterschiedlich entwickelt haben. Sie haben sich ihren jeweiligen Umgebungen angepasst. Für Darwin heißt das, dass er auf den Beweis für die Veränderlichkeit der Arten gestoßen ist. Nicht durch Gotteshand wurden die Arten geschaffen, sondern durch die Anpassung – die Evolution. Der Uhrmachervergleich der Kreationisten hat damit ein für alle mal ausgedient. Darwin erlebte die Diskussion und teilweise vernichtende Kritik über Veröffentlichungen zur Evolution. Er weiß, dass ihm das Gleiche widerfahren und auch ein Teil seiner Freunde bzw. der Gelehrtenschaft mit ihm brechen wird. So entschließt sich Darwin statt zu veröffentlichen, weiter Daten und Beweise zu sammeln. Er arbeitet an einer umfangreichen Abhandlung bis ihn eines Tages ein Paket aus Übersee erreicht.

Doppelte Entdeckung

Ein gewisser Alfred Russel Wallace, ein Wissenschafter aus niedrigem Stand, schickt Darwin ein Manuskript zur Einsicht. Darwin ist wie vor den Kopf gestoßen. Wallace schreibt über die Evolution in der Argumentation von Darwin selbst. Darwin hat aber nur einige wenige Freunde über seine Arbeit eingeweiht. Von ihnen kann Wallace auf keinen Fall Darwins Ideen haben. Wallace hat neben Darwin gleichzeitig die Evolutionstheorie belegt! Darwin teilt sich einigen seinen Freunden, deren Unterstützung er sich aus jahrelangen Diskussionen gewiss ist, mit. Sie sind angesehene “Flaggschiffe” des britischen Gelehrtenapparates. Einer von ihnen ist Thomas Henry Huxley, der führende Zoologe und Spezialist in vergleichender Anatomie. Er wird neben Asa Gray, Joseph Hooker und Charles Lyell zu einem der Verfechter Darwins im folgenden Wissenschafter-Streit um die Evolution. Darwin selbst wird es hauptsächlich ihnen überlassen, für die Evolutionstheorie zu streiten. Wallace Skript zwingt Darwin dazu, selbst eine Veröffentlichung anstreben. Aber schlimmer noch, der damalige Usus der Wissenschaft bedeutet, dass Darwin Wallace den Vortritt bei der Veröffentlichung lassen muss. Wann genau das Paket von Wallace bei Darwin eingetroffen ist, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Es muss aber vor dem 18. Juni 1858 gewesen sein, denn an diesem Tag schrieb Darwin seinem Freund Lyell von seinem neuen "Problem". Lyell und Hooker drängen Darwin seinen Anspruch auf die Veröffentlichung nicht aufzugeben und Wallace nicht den Vortritt zu lassen. Sie arrangieren eine Doppelpräsentation am 1. Juli 1858 in der wissenschaftlichen “Linne” Gesellschaft, deren Mitglieder sie sind. Darwin ringt mit seinem Gewissen: "Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht schäbig und niederträchtig wäre, jetzt an die Öffentlichkeit zu gehen ..." (Browne S. 64). Sofort beginnt Darwin mit seinem Buch. Im Wesentlichen greift er auf sein bereits dickes Kompendium zurück, vereinfacht und verkürzt es. So entsteht sein Buch "Über die die Entstehung der Arten". Darwin bedauert, dass er zur einfachen Lesbarkeit wesentliche Teile seins umfangreiches Manuskripts weglassen muss. Aber es drängt auch die Zeit. Nach der Doppelpräsentation hat die Diskussion um die Evolutionstheorie bereits voll eingesetzt und Darwin will seine Beweise so schnell wie möglich anführen. Um die wesentlichste Frage macht Darwin aber einen großen Bogen. Er bleibt allgemein und wenn er Speziell wird und die Tiefe geht, tut er das nicht an der Menschheitsentwicklung. Darwin klammert sie aus. Auch hier wieder vor der Scheu der Diskussion und der Konsequenzen, die entstehen, wenn er seine Theorie an den Menschen anwendet. Bis zu einem gewissen Grad weigert sich Darwin seine Theorie bis ins letzte Durchzudenken. Das tun wieder andere für ihn. Unter anderen Marx und Engels. Sie sind fasziniert von Darwins Buch und Marx bezeichnet sie in einem Brief an Engels als "(…) das Buch, das die naturhistorische Grundlage für unsere Ansicht erhält." (Browne S. 99). Als Respekt vor seiner Arbeit schickt Marx eine Ausgabe des Kapitals mit persönlicher Widmung an Darwin.

Eugenik und Sozialdarwinismus

Darwin klammert aber noch einen weiteren Punkt in seinem Buch aus: die Art der Vererbung und woher bzw. wie sich die Variationen der Arten entwickeln. 10 Jahre nach seinem ersten Buch veröffentlicht Darwin deswegen ein weiteres Buch: "Das Variieren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication." Darin entwirft er das Modell der Vererbung, das in seinen wesentlichen Züge durch die am Beginn des 20. Jahrhundert angestoßene Genetik bestätigt wird. "Hier entwarf er ein als <Pangenesis> bezeichnetes hypothetisches Modell der Vererbung, dem zufolge jede Zelle eines Organismus winzige Informationen über die Zelle tragende Partikel (<Gemmulae>) ausscheidet, die sich in den Geschlechtsprodukten ansammeln und bei der Reproduktion weitergegeben werden. Die Gemmulae der Eltern, so Darwin, vermischen sich nicht in den Nachkommen, sondern werden neu kombiniert." (Browne S.100). Über Jahrhunderte war es die Aufgabe der Religion, unerklärbare Dinge zu erklären bzw. Verhaltensmuster zu legitimieren. Der König herrschte über seine Untertanen, weil er von Gottes Gnaden herrschte. Sich gegen den König wenden hießt damit sich gegen Gott zu wenden. In Europa brach das Monopol im Zuge der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung der beginnenden Neuzeit allmählich auf. Damit brauchte es für viele Dinge neue Erklärungsmuster, wie z. B. warum Menschen in Armut verhungern, während andere im Reichtum ersticken. Diese Aufgabe wird nun zunehmend von der "Wissenschaft" übernommen. Eine für das 19. Jahrhundert prägende Persönlichkeit in diese Richtung war Robert Malthus. In seinen Werken "(...) erklärte er Kriege, Hungersnöte, Seuchen, Armut, Erb- und Suchtkrankheiten als natürliche Reaktionen auf Überbevölkerung und Nahrungsknappheit. Der ständige Kampf um die tägliche Ernährung begünstige und verbessere die Fähigkeiten der Starken und Tüchtigen, während Schwache, Faule und Träge unterliegen müssten." (http://de.wikipedia.org/wiki/Eugenik). Wer arm war, war schwach. Und wer schwach war, hatte keine Berechtigung für seine Existenz. Die Evolutionstheorie mit dem Schlagwort "survival of the fittest" bietet da viele Fallen und Abgleitflächen. Dabei stammt dieser Begriff gar nicht von Darwin, sondern von dem us-amerikaner Herbert Spencer. Darwins eigener Begriff dafür war "natürliche Selektion", er entschließt sich erst 1864 den Begriff von Spencer zu übernehmen.

Darwinsimus in der politischen Diskussion

Am Beispiel der Evolutionstheorie kann man/frau sehr gut erkennen, dass Wissenschaft nie neutral ist. Darwin hat eigentlich immer versucht "neutral" zu bleiben, war es aber nie. Er wollte seine Theorie auch nicht zu Ende denken und hat das, wie die Verteidigung selbst, anderen überlassen. Die Industrialisierung hat eine ungeahnte Dynamik in die Gesellschaft gebracht. Aber auch eine noch nie da gewesene Verelendung breiter Teile der Bevölkerung - der ArbeiterInnenklasse. Die begehrt jetzt auf und will ihren Teil vom Kuchen. Die Reichen und Herrschenden halten dagegen und ihnen kommt Darwins Evolutionstheorie gerade recht. Willig lassen sich "Darwinisten" vor den Waagen der Kapitalisten spannen und spinnen ihnen ihre Ideologie. Sozialismus kann nur verwerflich sein, weil er das Schlechte am Leben erhält. Wohlfahrtsstaat, Armenfürsorge etc. ermuntern nur zur Faulheit und untergraben somit die natürliche Auslese. "Survival of the fittest" statt Sozialismus und Gewerkschaften ist ihr Kredo. Auf der anderen Seite stehen stellvertretend Karl Marx und Friedrich Engels, die die Evolutionstheorie um die Dialektik erweitern. Hat Darwin die Entwicklung nur geradlinig - also kontinuierlich - gesehen, zeigt eine dialektische Betrachtung der Evolution auch die Möglichkeit von Sprüngen in der Entwicklung. Damit wird der vermeintliche Widerspruch zwischen Evolution und Revolution aufgelöst; beides sind unterschiedliche Seiten ein und derselben Medaille. Die Entwicklung beinhaltet beides - sowohl evolutionäre Schritte, wie auch revolutionäre Sprünge! Eine wissenschaftliche Theorie und zwei Auslegungen: auf der einen Seite eine egalitäre Gesellschaft als Ziel, auf der anderen sozialdarwinistische Gesellschaftspolitik. Aber zurück zu Darwin. Auch sein zweites Buch über die Vererbung erregt wieder großes Aufsehen und wird öffentlich diskutiert. Mehr aber noch, es spaltet das Lager der "Darwinisten". Darwins Cousin, Francis Galton, hat eigene Schlüsse aus der Evolutionstheorie gezogen und er war dabei nicht alleine. Nicht nur der einzelne ist dem Wettbewerb ausgesetzt, sondern auch ganze Völker und schließlich die “Rassen” untereinander. Alles befindet sich mit allem in einem stetigen "Kampf ums Dasein". Um die Ausgangsbedingungen zu verbessern, gilt es die "natürliche Selektion" zu forcieren. Die "Eugenetik" ist geboren. Ziel ist eine gesellschaftliche Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik, bei der die positiven Eigenschaften einer Rasse erhalten und die negativen ausgelöscht werden sollen. 1912 befindet sich die Eugenetik auf dem Höhepunkt. In London findet der erste internationale Kongress statt. Es wird auf "die schlechte Konstitution der Rekruten für den Burenkrieg hingewiesen, um eine Anschauung vom Verfall der biologischen Fitness des britischen Volks zu vermitteln. Sonstige Anzeichen von <Degeneration> schien es in der ganzen entwickelten Welt im Überfluss zu geben: zunehmende Kriminalität, Lockerung der Moral mit daraus resultierendem Anstieg der Prostitution und Geschlechtskrankheiten, wachsende Unruhe in der Arbeiterschaft, Erstarken der Gewerkschaftsbewegung, drohende Streiks und Demonstrationen (...) Selbst der Kampf für das Frauenwahlrecht und überhaupt politischen Hervortreten der <neuen Frau> (...) wurden als Symptome des Verfalls der Nation gedeutet." (Browne S. 119). Die Hauptaufgabe wird in der Identifikation von Personen gesehen, die zum Wohl für die Gesellschaft von der Fortpflanzung abzuhalten sind. Die Eugenetik führt schließlich direkt ohne viele Umwege in die "Rassenhygenie" und die faschistische Ideologie des 20. Jahrhunderts!

Darwin und Sozialdarwinismus

Darwin selbst, wehrt sich nach außen hin durch eine politische Vereinnahmung der Evolutionstheorie in Richtung Sozialdarwinismus. Trotzdem gibt es keinen Darwinismus Darwins ohne Sozialdarwinismus. Es gibt nur zwei Lager innerhalb des Sozialdarwinismus: die Eugenetiker und die (gemäßigten) Sozialdarwinisten. Unter den zweiten sind sicherlich die Urheber der Evolutionstheorie Darwin und Wallace zu finden. Darwin wendet die Evolution an, um die gesellschaftliche Höherstellung des Mannes über die Frau zu legitimieren. "In einer zivilisierten Staatsform war es seiner Meinung nach eine Selbstverständlichkeit, dass die Männer ihrer bestens entwickelten intellektuellen und unternehmerischen Fähigkeiten wegen das Regiment führten und, wo sich Wahlmöglichkeiten auftaten, die Entscheidungen trafen." (Browne S. 111).
Diese Einstellung bringt ihm schon zu Lebzeiten die Kritik der Suffragetten ein, die darin eine Wertung der Frauen zu rein biologischen, untertänigen Naturwesen sehen. Und auch Wallace zieht verhängnisvolle Schlüsse. Er sieht durch die unterschiedlichen Entwicklungen der Völker, eine gerechtfertigte Hierarchie zwischen “Wilden” und Zivilisierten. Eine These, die so selbst auch nicht Darwin unterstützt kann.

Warum es Darwinismus und nicht Wallaceismus heisst

Wie bereits beschrieben, stammt Darwin aus einer guten englischen Familie ab. Er braucht sich sein Leben lang nie um materielle Dinge sorgen. Seine Familie ist in der Töpferindustrie - und wie jede angesehene Familie in England zu diesen Tagen - auch im Landbesitz verhaftet. Er braucht sich nie um einen Brotberuf bemühen. Das bleibt Personen seiner sozialen Stellung erspart, auch wenn er mit dem Vater bezüglich seiner Berufswahl vielleicht den einen oder anderen Strauss auszufechten hat. Er widmet sein Leben seiner Forschung und wenn man/frau so will eigentlich seinen Hobbies. Er ist auch Teil der englischen Wissensaristokratie. Seine besten Freunde sind gleichzeitig seine Mitstreiter und eigentlich sogar die Speerspitze im Kampf für die Evolutionstheorie. Darwin hält sich in den Auseinandersetzung eher zurück und bezieht die Position des neutralen "Übermittlers". Bei Wallace sieht die Sache schon ein wenig anders aus. Er kommt aus niedrigeren Verhältnissen als Darwin bzw. kann sich nicht auf so einflussreiche Freunde stützen. Als er 1858 sein handschriftliches Skript an Darwin schickt, ist ihm sicher nicht bewusst, was er tatsächlich damit auslösen wird. Er ist beruflich in niederländisch Ostindien, auf der anderen Seite der Welt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er von einem Großteil der Auseinandersetzung um auch seine Evolutionstheorie erst nach seiner Rückkehr 1862 erfährt. Zu diesem Zeitpunkt ist aber die Evolution bereits mit dem Namen Darwins verbunden. Darwinismus ist ein wissenschaftlicher Fachbegriff und die Debatte selbst ist ebenfalls bereits wieder abgeebbt. Wallace hatte keine Möglichkeit sich in den ersten Sturm der Auseinandersetzung einzubringen. Trotzdem entwickeln die beiden im Laufe der Jahre eine vielleicht sogar freundschaftliche Beziehung zueinander. Sie arbeiten zwar nicht gemeinsam, respektieren sich aber und tauschen sich untereinander aus und ergänzen sich. Im Gegensatz zu Darwin ist Wallace nicht frei von materiellen Sorgen. Seine finanzielle Situation spitzt sich derart zu, dass sich Darwin für Wallace verwendet, um ihn und seine Familie vor ernsteren Problemen zu bewahren. Daneben gibt es noch einen anderen gravierenden Unterschied zwischen den beiden. Darwin war sicherlich kein Freund der aufkommenden ArbeiterInnenbewegung. Gesellschaftlichen Veränderungen steht er konservativ bis ablehnend gegenüber. Er vertritt den klassischen englischen Wissenschafter des 19. Jahrhunderts, will objektiv bleiben und sich außerhalb der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sehen. Das gelingt natürlich nicht und wie bereits gezeigt, nimmt er sehr wohl offen zu politischen Themen (Rolle der Frauen in der Gesellschaft) Stellung. Edward Aveling, ein bekannter radikaler Atheist zu diesem Zeitpunkt und der Lebensgefährte von Marxens Tochter Eleanor, bittet Darwin in einem Brief um ein handsigniertes Exemplar seines Werkes. Darwin lehnt ab, er will nicht mit Menschen vom Schlag Avelings in Verbindung gebracht werden. Etwas anders gestaltet sich das Ganze bei Alfred Russel Wallace. Er muss in seinem Leben mehrmals größere Hürden nehmen, ihm ist die akademische Karriere nicht in die Wiege gelegt. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten der Eltern wird Wallace von der Schule genommen und sein älterer Bruder John nimmt sich seiner an. Gemeinsam interessieren sie sich für die Schriften des utopischen Sozialisten und "Vater der englischen Gewerkschaftsbewegung" (O-Ton Friedrich Engels) Robert Owen. Aber schon ein Jahr später geht seine Reise weiter zum nächsten Bruder, bei dem er dann 6 Jahre bleibt und eine Lehre absolviert. Wallace kommt früh mit der sozialen Situation Englands in Kontakt. Eine Erfahrung die Darwin zeit seines Lebens verborgen bzw. erspart bleibt. Trotzdem geht Wallace seinen Weg, sitzt in Bibliotheken und bildet sich selbst weiter. Er ist ein autodidakt. Als die Evolutionstheorie politisch verwendet wird, wird Wallace selbst wieder politisch. Er wehrt sich im Gegensatz zu Darwin offen gegen die Eugeniker und Sozialdarwinisten. Er verfasst politische Essays, setzt sich für die Schwächeren ein. Das bringt ihn schließlich zur Labour Party, wo er teilweise radikal, utopisch sozialistische Ideen vertritt. Er will keine Landreform im herkömmlichen Sinn, sondern die Verstaatlichung allen Landes und die Verpachtung an die Bauern. Er brandmarkt die britische Freihandelspolitik, weil sie auf dem Rücken der englischen ArbeiterInnenklasse ausgetragen wird. Er setzt sich offen für das Frauenwahlrecht und wettert gegen den Militarismus. Kurz vor seinem Tod 1913 beendet Wallace noch die Arbeit an seinem letzten Buch "Revolt of democracy". Darin geht es um die jüngsten Erfahrungen der ArbeiterInnenklasse bei Streiks und die Lehren daraus. Keine Frage, Alfred Russel Wallace sieht sich selbst spätestens ab den 1870er Jahren als Sozialist. Revolutionär oder gar Marxist war er aber keiner. Zu fest ist er im engen Korsett der reformistischen Labour Party in England eingesperrt. Letztlich schafft er den Sprung zur Dialektik und dem Materialismus nicht. Er bleibt Idealist und gibt Vorträge über Spiritualität genauso wie über die Probleme der ArbeiterInnenklasse. Und deswegen bleibt er im Grunde auch ein Sozialdarwinist, auch wenn er durch die Debatten darüber zum Sozialisten wurde. Er sieht primär seine Aufgabe als "Starker", der es geschafft hat, den Schwachen - der ArbeiterInnenklasse - zur Seite zu stehen. Damit war er aber nicht alleine und er teilte dieses Schicksal mit anderen Persönlichkeiten zu dieser Zeit wie etwa dem Schriftsteller Jack London. Auch er war Sozialist, kandidierte sogar für die Socialist Party in Oakland und blieb ebenfalls utopischer, sozialistischer Sozialdarwinist. Auch er bezog Stellung für die ArbeiterInnenklasse, aber auch tat das nicht aus einer gesellschaftlichen Analyse wie Marx und Engels, sondern weil auch er aus der Position des Starken, dem Schwachen helfen wollte. Sowohl Alfred Russel Wallace als auch Jack London war ihre Nähe zu Herbert Spencer gemeinsam. Es war schließlich Wallace, der Darwin 1868 überzeugte, statt "natürliche Selektion" den Begriff Spencers "survival of the fittest" zu übernehmen. Ein Begriff, der den Sozialdarwinismus bereits in sich trägt und auch vorweggenommen hat.

Darwinismus heute

Wir feiern 2009 also 200 Jahre Darwin und 150 Jahre Darwinismus. Für viele Menschen steht der Begriff Darwinismus bis heute stellvertretend für den endgültigen Durchbruch der Wissenschaft gegenüber der Kirche. Wenn wir so wollen, den Sieg der Aufklärung über das Mittelalter der Religionen. Die Evolutionstheorie gilt heute als Basis der Naturwissenschaft. Und trotzdem ist sie “umstritten” wie und jäh. Auch 150 Jahre nach der Veröffentlichung von Darwins Buch, wird z. B. an öffentlichen Schulen in den USA die biblische “Schöpfungsgeschichte” unterrichtet. In Italien gab es einen Vorstoß unter Berlusconi, das Wort “Evolution” aus den Schulbüchern zu entfernen. Der Erzbischof von Wien (Christoph Schönborn) verdreht die Evolution soweit, dass er darin den göttlichen Plan sehen will. Also wieder zurück zur Uhrmacherlegende von William Paley? Der wieder stärker werdende Antidarwinismus ist Ausdruck für das Erstarken des Neokonservativismus der letzten Jahre. Der Zusammenbruch des Stalinismus und das damit postulierte “Ende der Geschichte” hat viele Menschen wieder in die Arme der Spiritualität getrieben. Religiöse Sekten und Esoterik boomen seit Jahren. Und auch der Sozialdarwinismus ist wieder am Vormarsch. Der erst im Dezember 2008 verstorbene Konservative, Samuel Huntington, hat in seinem bekanntesten Buch “Der Kampf der Kulturen” bereits den “Krieg gegen den Terror” vorweggenommen. Ein friedliches Nebeneinander sei nicht möglich, der Stärkere muss sich durchsetzen und das sollte nach Huntington die “westliche” Kultur sein. Ein “philosophischer” Kaperbrief für Bush und Konsorten! Die beste Antwort, die auf die Antidarwinisten unterschiedlicher Schattierungen gegeben werden kann, ist der gemeinsame Kampf! Aber nicht für den Darwinismus, sondern für eine bessere, gerechtere – eine sozialistische Welt.

Quellen: