Brasilien: Konsolidierung einer „gemäßigten“ Führung auf PSOL-Kongress

Aber Sozialistische Linke in der Partei kann nach wie vor wachsen
André Ferrari, CWI Brasilien und PSOL-Bundesvorstand, Sao Paulo

Dieser Artikel wurde nach dem jüngsten PSOL Kongress geschrieben, der von Mitgliedern von Socialismo Revolutionario (SR – CWI Brasilien) besucht wurde, die ein sichtbarer Teil dieses Ereignis waren. Das Interesse an den konsequenten Ideen die SR vertritt zeigte sich an der Tatsache, dass unsere Mitglieder 300 Zeitungen verkauften (beinahe jedeR zweite der KongressteilnehmerInnen kaufte ein Exemplar). SR war die einzige politische Gruppe die einen Infostand mit politischem Material während des gesamten Treffens hatten, und der Focuspunkt für viele Diskussionen mit einzelnen Deligierten oder Gruppen von Deligierten war, die sich für die Ideen von SR interessieren und weitere Zusammenarbeit wünschen.

Der erste Kongress der PSOL, der Partei für Sozialismus und Freiheit, der am 7. Juni in Rio de Janeiro stattfand, steht für den Beginn einer neuen Phase der Partei. PSOL wuchs schnell als linke Alternative zum Versagen der PT (Arbeiterpartei) und dem neoliberalen Kurs von Brasiliens Präsident Lula und seiner PT-Regierung. Die PSOL wurde 2004 gegründet, aus einer Bewegung heraus, die von ParlamentarierInnen angeführt wurde, die als „Radikale“ bekannt waren. Führende Figur war hier Heloisia Helena, die mit anderen radikalen Parlamentsabgeordneten aus der PT dafür ausgeschlossen worden war, dass sie Lulas Angriffe gegen das Pensionssystem kritisiert hatte.

Gemeinsam mit anderen linken Strömungen führten diese ParlamentarierInnen eine Kampagne für die Gründung einer neuen Partei. Die meisten von Ihnen kamen aus der PT, viele von ihnen mit trotzkistischem Hintergrund. Andere kamen aus linken katholischen Gruppen.

Der Versuch gegenüber dem Rechtsruck der PT der ArbeiterInnenklasse eine Stimme zu verleihen und eine Alternative zu bieten, führte zur Gründung der PSOL und der Annahme eines Programms, das dezitiert antikapitalistisch und sozialistisch war. Zusätzlich zum Programm verschrieb man sich einem demokratischen internen Regime, mit dem Recht Fraktionen zu bilden und den lokalen Ortsverbänden als Basis des Aufbaus der PSOL.

Vor dem Hintergrund der Degeneration der regierenden PT wurde die PSOL schnell zu einem politischen Bezugspunkt für die Linke, da sie eine Partei darstellte, die sich nicht verkauft oder den Kampf aufgegeben hatte.

Im September 2005, mitten in einem Korruptionsskandal der die PT und die Lula Regierung umfasste, gabe es eine neue Welle von Ablösungen von der PT. Strömungen und DissidentInnen sogenannter „linker PT-Strömungen“, inklusive bekannter Persönlichkeiten wie Plinio de Arruda Sampaio, schlossen sich der PSOL an und erweiterten damit ihre Basis in und außerhalb des Parlaments.

Der PSOL gelang es Fortschritte zu machen, selbst in einer Periode von politischer Verwirrung unter großen Teilen der ArbeiterInnenklasse, an der vor allem die Rolle von Lulas Regierung und der PT Führung in den verschiedenen Organisationen der „Sozialbewegungen“ und dem Gewerkschaftsverband schuld trägt. Der PSOL gelang es legalen Status zu erhalten, indem sie mehr als eine halbe Million Unterschriften sammelte, und sie wurde von der Wahlbehörde anerkannt.

Im Rennen um die Präsidentschaftswahl 2006 bekam die Kandidatin der PSOL, Heloisa Helena beinahe sieben Millionen Stimmen als linke Alternative zu Lula und der „traditionellen Linken“. Lula gelang es aufgrund der Stimmen, die zu Heloisa Helena wanderten, nicht, im ersten Wahlgang gewählt zu werden, wie viele erwartete hatten.

In der PT-Kampagne für den zweiten Wahlgang war Lula gegen den Kandidaten der traditionellen Rechten, Geraldo Alckmin, gezwungen, mehr auf linke Rhetorik zurückzugreifen, um Stimmen zu gewinnen die in der ersten Runde an Heloisa Helena gegangen waren. Dennoch ist Lulas zweite Amtszeit geprägt von verstärktem Neoliberalismus und Attacken auf die Bedingungen von ArbeiterInnen.

Die Existenz der PSOL im täglichen Leben der sozialen Bewegungen und bei den Wahlen machte es für Millionen von Jugendlichen und ArbeiterInnen offensichtlich, dass die Linke in Brasilien mit dem Verlust der PT an den Neoliberalismus nicht gestorben ist. Das war im Prozess des Wiederaufbaus der sozialen Bewegungen und dem Wiedererstarken von Kämpfen gegen die Regierung und ihre neoliberalen „Reformen“ von zentraler Bedeutung.

Politischer und organisatorischer Rückzug

Trotz des Fortschrittes, den die Existenz der PSOL in den letzten Jahren bedeutet hat, ging die Partei durch einen Prozess von politischem und organisatorischen Rückzug im Vergleich mit den Grundlagen auf denen sie aufbaute.

Die Präsidentschaftskampagne von 2006 war begleitet von einer klaren Verwässerung des politischen Programms der PSOL. Lulas Regierung wurde zwar kritisiert, aber es wurde keine politische Alternative in Form eines anti-kapitalistischen oder sozialistischen Programms nach vorne gebracht, sondern eine neue Version von brasilianischem und lateinamerikanischen Linksreformismus, der für Staatsinterventionismus neben der Existenz einer Marktwirtschaft steht. Diese Ideen wurden in Phrasen von „nationaler Entwicklung“ gekleidet.

Auf dieselbe Art und Weise richtete sich die Wahlkampagne nicht bewusst auf den Aufbau von Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung oder den Aufbau von Widerstand gegen die neoliberalen Attacken.

Die Verwässerung von radikalen sozialistischen Ideen durch Heloisa Helenas Wahlkampagne beruhte auf der Angst vor einem möglichen Verlust von Stimmen wenn eine radikalere Linie angenommen würde. Das war ein klarer Rechtsruck im Vergleich zur ursprünglichen Ausrichtung der PSOL.

Anstatt eine Partei von AktivistInnen und KämpferInnen der ArbeiterInnenklasse aufzubauen, die in lokalen Ortsgruppen der Partei organisiert sind, mit einer Führung, die von der Mitgliedschaft kontrolliert wird, setzte die PSOL darauf, ihre Parteiorganisation zu einem Bündnis von politischen Strömungen abzuschwächen, die auf Basis von Übereinkunft von deren Führungen operiert.

Bereits vor der Wahlkampagne hätte ein PSOL-Kongress stattfinden sollen, der wurde aber nach Absprache zwischen den Führungen der wichtigsten politischen Strömungen abgesagt. Die Tatsache, dass dieser Kongress nicht stattfand, trug wesentlich zum Rechtsruck während der Kampagne bei, hin zu einer „moderateren“ Position sowie der organisatorischen Schwächung der Partei.

Die Dynamik des Kongresses

Der erste Kongress der PSOL fand daher mit mehr als einem Jahr Verspätung statt und damit mit einer stark veränderten Zusammensetzung der Mitgliedschaft im Vergleich zu den ersten Anfängen der Partei. Mehr als 730 Deligierte nahmen auf dem PSOL-Kongress in diesem Juni teil (728 stimmten über die schriftlichen Kongress-Dokumente ab, 736 über die Parteiführung). Aus einer Mitgliedschaft von 22.000 nahmen nicht mehr als 8.000 an den mindestens drei Treffen von PSOL-Gruppen oder Delegierten für Diskussionen im Vorfeld des Kongress die seit 7. April abgehalten wurden. Viele der Ortsgruppen waren künstlich gegründet worden, um Delegierte für den Kongress zu wählen und um am Disput über die Parteiführung teilzunehmen.

Unglücklicherweise gab es eine unterschiedliche Herangehensweise hinsichtlich der Teilnahme am Kongress. Die Kommission für die Teilnahmekarten am Kongress fuhr einen strikten Kurs, der viele linke Delegierte ausschloss, die PSOL-Führung lockerte die Kriterien für die Teilnahme (wie z.B. die Bezahlung einer „Kongressgebühr“) jedoch später.

Trotzalledem führte das Abhalten des Kongresses zu umfassender Diskussion unter den Mitgliedern, die davor niemals an solchen Treffen teilgenommen hatten. Im Vergleich zur Periode des Zusammenbruchs vieler Ortsgruppen während und nach der Wahlkampagne 2006, gibt es nun wieder mehr internes Leben in der PSOL, wenn auch mit regionalen Unterschieden.

Der Kongress war geprägt von Desorganisation. Es gab kein klares Prozedere, wie der Kongress abzuhalten ist. Die Entscheidungsfindung war beliebig und folgte dem Willen der Mehrheit des Exekutivkomitees und Übereinkünften zwischen den Strömungen und Tendenzen.

Die Eröffnung des Kongresses begann am 7. Juni mit einer öffentlichen Veranstaltung in Complexo da Mare, einem der armen Slums von Rio de Janeiro. Diese Gegend hat eine PSOL-Ortsgruppe, es gibt auch soziale Bewegungen. Die offizielle Eröffnung fand dann am selben Abend statt, mit der Teilnahme von 1.500 Mitgliedern und nationalen und internationalen Gästen. Unglaublicherweise wurde keinem der internationalen Gäste gestattet, zum Kongress zu sprechen. Einer der Gründe war, die Präsenz von venezuelanischen GewerkschaftsführerInnen wie Orlando Chirino, die eine kritische Haltung zur Chavez-Regierung einnehmen. Die Mehrheit der PSOL-Führung wollte nicht, dass sich diese Meinungen auf dem Kongress wieder finden – ein Vergehen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung innerhalb der Partei.

Die Debatten begannen sehr spät, erst am nächsten Tag, mit Reden die für die verschiedenen Kongressdokumente argumentierten. Am Tag danach gab es Diskussionsgruppen über die vorgeschlagenen Resolutionen. Die Abstimmung in der Plenarsitzung begann sehr spät am Abend und zog sich bis spät in die Nacht (die Polizei erschien sogar aufgrund des Lärms den die Plenardiskussionen erzeugten!). Die Abstimmungen wurde erst in der Sitzung am nächsten Tag beendet.

Kongress mit „moderaterer“ Linie

Das Hauptfeature des PSOL-Kongresses war die Konsolidierung einer „moderateren“ Parteilinie. Eine Mehrheit unterstützte diese Position. Vor den Wahlen 2006 gab es einen politischen Kampf zwischen den beiden Flügeln in der Partei, von denen der eine an der Gründung der Partei beteiligt war und der andere sich erst 2005 der Partei anschloss. Das hat den Prozess, der zum ersten Parteikongress führte, massiv verändert. Der moderatere Teil der ParteigründerInnen verbündete sich mit den Moderaten in den neuen Strömungen und gemeinsam stellen sie nun die Mehrheit in der PSOL.

Die größte Strömung in der Partei heute ist das Resultat einer Fusion zwischen MES („Sozialistische Linke Bewegung“), unter der Führung der Parliamentarierin Luciana Genro, mit der PP („Volksmacht“), einer politischen Gruppe die aus einer sozialen und politischen Bewegung mit dem Namen MTL („Land, Arbeit und Freiheit“) entstanden ist und von Martiniano Cavalcanti angeführt wird. Das Dokument das von MES/PP gemeinsam mit anderen kleineren Gruppen präsentiert wurde, bekam die Unterstützung von 36,3% der Deligierten auf dem Kongress.

Trotz ihrer trotzkistischen Wurzeln – die MES ist eine der Tendenzen die auf die Parteien die in Lateinamerika von Moreno angeführt wurden zurückgehen – ging die MES durch einen Prozess der Revisionierung ihrer alten Positionen. Die Thesen der MES, die dem PSOL-Kongress präsentiert wurden, hielten fest, dass die Wahlkampagne von Heloisa Helena korrekt war. Im Gegensatz zum ursprünglichen Ziel der PSOL, eine soziale und politische Front auf Basis von unabhängiger Aktion der ArbeiterInnenklasse zu formieren, sprach die MES über eine „anti-neoliberale Front“ mit einem „breiteren Charakter“, die auch für andere „progressive“ Teile der Bewegung offen ist. In der Praxis zieht die MES/PP die Möglichkeit in Betracht, dass die PSOL Bündnisse mit „nicht-neoliberalen“ kapitalistischen Parteien eingeht. Die MES/PP bezieht auch eine „chavistische“ Position; sie unterstützt den venezoelanischen Präsidenten Hugo Chavez, aber ohne jegliche Kritik an seiner Politik. Die MES/PP Strömung will auch in der PSOL eine solche „chavistische“ Position durchetzen, indem sie mit „progressiven“ Elementen der Kapitalistenklasse kooperieren will.

Die zweite große Kraft auf dem PSOL-Kongress wurde durch die APS (Sozialistische Volksaktion) repräsentiert. Die APS spaltete sich von der regierenden PT im September 2005 ab, und war zunächst sehr unwillig, sich der PSOL anzuschließen, da diese „sektiererisch“ wäre. Schlussendlich schloss sich sich der PSOL doch an. Nunmehr Teil der PSOL kämpft die APS um einen Richtungswechsel in der PSOL und argumentiert eine Position die darauf abzielt, die PSOL zu dem zu machen, was die PT in den „guten alten Zeiten“, also vor ihrer Degeneration, war. Die APS fordert das jedoch, ohne die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, was zur Degeneration der PT führte.

Das Dokument der APS, gemeinsam mit einigen anderen kleinen Gruppen, bekam die Unterstützung von 26,6% der Delegierten. Der Schwerpunkt des MES/PP-Vorschlags war, für ein „demokratisches und populäres“ Programm zu argumentieren, eine Formulierung die für die PT typisch wäre. Das ist kein sozialistisches Programm, sondern ein Programm für Reformen innerhalb des kapitalistischen Systems mit dem vagen Ziel „Kräfte für den Kampf für eine sozialistische Perspektive“ aufzubauen.

Ein Wahlvorschlag für die Führung, der MES/PP und APS vereint, sowie kleinere regionale Gruppen und moderate AktivistInnen wie den Ex-Parlamentarier Milton Temer aus Rio de Janeiro umfasst und dem Heloisa Helena vorsitzt, wurde mit 63,7% der Stimmen des Kongresses gewählt und stellt nun die Mehrheit der Führung der Partei. Die Tatsache dass Heloisa Helena diesem Komitee angehört, verdeutlicht ihre Entfernung von der Tendenz der sie ursprünglich angehörte, der „Enlace“. Enlace ist ein Bündniss von Gruppen, das aus DissidentInnen der früheren PT-Linken entstanden war. Enlace wird von militanten AktivistInnen geführt, die sich von der DS-Tendenz (Sozialistische Demokratie) in der PT abgespaltet hatten. Die DS gehörte ursprünglich dem Vereinten Sektretariat der Vierten Internationale an (in Österreich SOAL, Anm.), und schlitterte aufgrund ihrer bedingungslosen Unterstützung Lulas (bis hin zur Annahme von MinisterInnenposten in seiner Regierung) in die Krise.

Während des PSOL-Kongresses im Juni entschied Enlace, unabhängig zu agieren und ihren eigenen Wahlvorschlag zu stellen, trotz ihrer engen politischen Übereinstimmung mit dem moderaten Flügel der PSOL. Das wurde getan um neue Spaltungen untereinander zu vermeiden. Der Enlace-Vorschlag erhielt 10% der Kongress-Stimmen.

Ein linker Wahlvorschlag

Von Beginn des Kongresses an gab es sehr großen Druck, eine generelle Übereinkunft zwischen allen Strömungen zu finden, im Namen der „Einheit der Partei“. De facto war das ein Versuch der moderaten Teile der Parteiführung eine wirkliche Debatte über die wirklichen Knackpunkte zu vermeiden. Die Tatsache, dass die linken Strömungen sich weigerten, das hinzunehmen, und dass sie ihre politischen Differenzen in den Kongress hineintrugen, war ein progressives Merkmal des PSOL-Kongresses. Es half die Debatten zu klären und bedeutete, dass der Parteibasis klar war, dass es einen Kristallisationspunkt für Widerstand innerhalb der Partei gegen die „moderate“ Führungsmehrheit gibt.

Ein Wahlvorschlag der Linken erreichte 23,6% der Stimmen, und kam damit an zweite Stelle. Die wichtigsten Teil des linken Wahlvorschlags waren die CST (Sozialistische ArbeiterInnen-Strömung), eine Gruppierung um Ex-Parlamentarier Baba, die die brasilianische Sektion der UIT (Internationale ArbeiterInneneinheit) darstellt, eine weitere Komponente des lateinamerikanischen Trotzkismus die auf Moreno zurückgeht. Die CST erhielt die Unterstützung von 12,6% der Deligierten.

Ebenso auf dem linken Wahlvorschlag waren C-SOL (Kollektiv für Sozialismus und Befreiung), die ihre Wurzeln im Zerbrechen der PSTU hat (die größte der morenistischen Gruppen in Brasilien). Die C-SOL präsentierte ein Papier gemeinsam mit Plinio de Arruda Sampaio, einer bekannten Figur aus der katholischen Linken, die sich in eine linkere Richtung entwickelt hatte. In der Praxis wurde Plinio zur Alternative zu Heloisa Helena und polemisierte offen gegen die „moderate“ Mehrheit in der PSOL-Führung. Das Plinio/C-SOL Papier erhielt 7% der Stimmen.

Der linke Wahlvorschlag wäre aber sehr wahrscheinlich ohne die klare und nachdrückliche Intervention eines Bündnisses von linken Strömungen das Socialismo Revolucionario (SR), die brasilianische Sektion des CWIs, miteinschloss, nicht zustande gekommen. Obwohl dieses Lager nur 4% der Stimmen auf sich vereinen konnte und damit nur eine kleine Minderheit war, war es dennoch entscheidend. Es rief zu linker Einheit auf und argumentierte gegen die Idee von „Übereinstimmung“ an den Spitzen der PSOL, die dazu geführt hätte, dass es nur einen einzigen Wahlvorschlag gegeben hätte, und damit alle politischen Differenzen unter den Tisch gekehrt worden wären.

Dieses politische Lager, an dessen Formierung SR beteiligt war, bestand aus DissidentInnen von der MES die sich AS (Sozialistische Alternative) nennen und ehemaligen Oppositionellen der MTL, die sich CLS (Sozialistisches Kollektiv für Befreiung) nennen, und eben auch SR. Weitere Zusammenarbeit gibt es mit der ARS (Revolutionäre Sozialistische Alternative), die zwar nicht am Wahlvorschlag auf dem Kongress teilnahm, allerdings die Perspektive hat, gemeinsam mit SR, der AS und der CLS eine gemeinsame Front zu formieren und nach dem Kongress weiter zusammen zu arbeiten. Gemeinsam sind diese Strömungen in zehn brasilianischen Bundesstaaten präsent und werden im Bundesvorstand (dem wichtigsten bundesweiten Gremium) der PSOL vertreten sein.

Resolutionen

Die zentrale politische Resolution die auf dem Juni-Kongress beschlossen wurde war das Dokument von MES/PP und APS. Diese Resolution hat im Grunde die vorherigen Positionen der PSOL nicht weiter entwickelt. Sie sprach vom Versagen der PT, kritisierte Lulas Regierung, und stellte dem die PSOL als linke Opposition gegenüber. Die Resolution nahm eine positive Evaluierung der PSOL vor und verteidigt die Notwendigkeit „einer Revolution der Parteiorganisation“. Sie betont die Notwendigkeit einer Parteistruktur, die „stärker organisiert“ ist und ruft dazu auf, dass die PSOL stärker in die brasilianische Gesellschaft eingreift – gemeint sind die Wahlen 2008, die die Resolution als Priorität Nummer eins hervorhebt.

In Bezug auf Lateinamerika betont die Resolution ohne jede Kritik die „progressive Rolle“ der Regierungen in Venezuela, Bolivien und Ecuador. Sie verteidigt auch ALBA („Bolivarische Alternative für Amerika“) als Alternative für eine lateinamerikanische Integration, ohne die Perspektive einer Sozialistischen Föderation Lateinamerikas zu erheben. ALBA wird von Chavez und anderen populistischen Führern im Sinne eines „progressiven“ lateinamerikanischen Kapitalismus propagiert. Die Resolution argumentiert, dass der sozialistische Inhalt eines Kampfes nicht vom angenommenen Programm bestimmt würde!

Im Bezug auf das Programm behauptet die Resolution sich von Opportunismus und ultralinken Positionen zu distanzieren, zieht sich zuletzt jedoch auf ein moderates Programm von „Antiimperialismus, Antimonopolismus und Anti-Latifundien (gegen die Großgrundbesitzer)“ zurück.

Es gibt klare Fälle von politischem Rückzug in den Punkten der Resolution. Zum Beispiel spricht die Resolution in Bezug auf Brasiliens Schulden nur davon die „Verschuldung mit neuen Kriterien zu bemessen“. Das heißt sie spricht nicht von Schuldenerlass. Es ist dieser Teil der Schulden, der nun eine zentrale Rolle in der Abhängigkeit vom Finanzkapital spielt. Bezüglich politischer Reformen betont die Resolution Plebiszite und Referenden als eine Möglichkeit den kapitalistischen Staat zu „demokratisieren“.

Zuletzt ruft die Resolution für eine neue Kampagne dafür auf, dass sich neue Gruppen der PSOL anschließen, und verbindet das direkt mit den Wahlen 2008 als Priorität im nächsten Jahr. Diese Position trägt das Risiko einer noch stärkeren künstlichen Erhöhung der Parteimitgliedschaft in sich, da jene Gruppen die sich nun anschließen mögen lediglich daran interessiert sein könnten, in die Gemeinderäte einzuziehen, und die PSOL dazu benützen, um auf lokaler Ebene eine Bühne zu haben.

Wahlen 2008

Zwei Themen sind zentral für die Zukunft der PSOL: Ihre Rolle im Kampf gegen Lulas neoliberale Reformen und ihre Strategie für die Gemeindewahlen 2008. Die Entscheidungen auf dem Kongress zu diesen beiden Fragen waren widersprüchlich.

Eine sehr positive Entscheidung des PSOL-Kongresses, die mit einer sehr schmalen Mehrheit verabschiedet wurde, war, jene Resolution anzunehmen, die die Einheit der kämpferischeren Gewerkschaftsteile und sozialen Bewegungen verteidigt. Diese Resolution ruft für den Aufbau einer neuen geeinten Gewerkschaftsförderation auf, als Alternative zum CUT (der derzeitigen Hauptgewerkschaft), die als Apparat der neoliberalen Lula-Regierung dient.

In dieser neuen linken Gewerkschaftsverbindung befindet sich auch Conlutas, eine Gewerkschaft die von der PSTU (Vereinte Sozialistische ArbeiterInnenpartei) geführt wird, und in der auch PSOL-AktivistInnen eine Rolle spielen.

Eine Resolution, die die Fusion von Conlutas und Intersindical unterstützt, bekam eine Mehrheit auf dem PSOL-Kongress. Eine PSOL-Gewerkschaftskonferenz, die für die nächste Periode geplant ist, wird sich näher mit diesem Thema auseinandersetzen.

Entgegen der Position der Linken der Partei entschied der PSOL-Kongress, keine weiteren Diskussionen über die Wahlen 2008 durchzuführen, sondern stattdessen eine spezielle Wahlkonferenz nächstes Jahr einzuberufen. Sinn und Zweck davon ist es, sich die Möglichkeit von Bündnissen mit pro-kapitalistischen Parteien, die Lulas Regierung in verschiedenen Städten unterstützen, offenzuhalten. Die moderaten PSOL-Strömungen waren der Meinung, diese Debatten nicht am Juni-Kongress führen zu können, und haben die Diskussion daher verschoben.

Die PSOL-Linke verteidigte die Bündnispolitik einer Linken Front, die während der Wahlen 2006 geschlossen wurde, und die die PSOL, die PSTU und die PCB (Braslianische Kommunistische Partei) beinhaltete, Parteien mit einer Basis in der ArbeiterInnenklasse und die in Opposition zu Lulas Regierung stehen.

Eine weitere Resolution die den Kongress polarisierte war die Frage der Verteidigung des Rechts auf Abtreibung. Heloisa Helena, die aus der christlichen Linken kommt, argumentierte gegen diese Resolution und machte Druck, dass diese Frage nicht diskutiert würde. Die Resolution wurde letztendlich dem Kongress präsentiert und wurde mit einer großen Mehrheit angenommen, obwohl Heloisa Helene offen für eine Stimme dagegen aufrief.

Diese Entscheidung war wichtig, nicht nur aufgrund des entscheidenden Charakters der Frage, die eine Frage von Leben und Tod für viele brasilianischen Frauen ist, sondern auch, weil sie ein wichtiges Signal setzte, das demokratische Debatten in der PSOL möglich sind und dass die Basis selbst „große Tiere“ in der Partei bezwingen kann. Das wäre in der PT Lulas unmöglich gewesen, selbst in jener Periode in der diese Partei noch relativ gesund war.

Aufbau einer revolutionären Linken in der PSOL

Die PSOL ist nach dem Juni-Kongress nun eine Partei mit einer politischen Linie, die im Vergleich zu ihren politischen Positionen bei ihrer Gründung, gemäßigt ist. Allerdings hat der Kongress gezeigt, dass es viel Platz für eine sozialistische Linke innerhalb der PSOL gibt. Die PSOL ist weiterhin ein wichtiger politischer Bezugspunkt für Millionen von ArbeiterInnen, nicht nur während Wahlen, sondern auch in Bewegungen und Mobilisierungen gegen die neoliberalen „Reformen“ der Lula-Regierung wie die neuen Pensionskürzungen.

Das Potential von Tausenden von AktivistInnen in den sozialen Bewegungen, die der PSOL positiv gegenüberstehen, muss in den Aufbau und die Stärkung des sozialistischen und revolutionären Flügels der Partei miteinbezogen werden. Das ist die einzige Garantie, dass die Lehren aus dem Versagen der PT verstanden werden und die PSOL nicht so endet wie die PT.

Die Mitglieder von Socialismo Revolucionario (SR), der brasilianischen Sektion des CWI, sehen den Kongress als positiven Schritt hin zu einem solchen linken Flügel, trotz der Elemente von politischem Rückzug, die einige der angenommenen Resolutionen repräsentieren. Die interne politische Debatte wird in den lokalen Kongressen der PSOL, die in den kommenden Wochen im ganzen Land stattfinden werden, aber auch während den Protesten von ArbeiterInnen, Jugendlichen und der armen Bevölkerung gegen die Politik der Regierung, weitergehen.

Für die nächsten Monate wurden viele gemeinsame Aktivitäten von Conlutas, Intersindical und der Bewegung der Landlosen (MST) angesetzt. Eine der Hauptaktivitäten wird ein Plebiszit im September, organisiert von den sozialen Bewegungen, sein, das mehr als zehn Millionen Stimmen als Ziel hat. In diesem Plebiszit werden die Menschen gefragt werden, ob sie für die Wiederverstaatlichung von Companhia Vale do Rio Doce sind (einer der größten Bergbaugesellschaften der Welt, die 1990 privatisiert worden war), für die Nichtbezahlung der heimischen und Fremdschulden, für oder gegen die „Pensionsreform“ und schließlich, ob sie für oder gegen die Gebühren für Elektrizität sind, die von den privatisierten Betrieben eingehoben werden.

Neben einem Kampf für höhere Löhne, der zu Massenprotesten und Streiks der Schwergewichte der brasilianischen ArbeiterInnenklasse (Metall- und Ölindustrie, ChemiearbeiterInnen, Bankbedienstete, Postbedienstete, öffentlich Bedienstete etc) führen kann, wird es eine riesige Demonstration in die Hauptstadt Brasilia geben, die für Oktober angesetzt ist.

In diesem Zusammenhang können die traditionellen Methoden des Kampfs der ArbeiterInnenbewegung neu belebt werden, selbst ein 24-Stunden-Generalstreiks gegen die Regierung ist keine Unmöglichkeit mehr.

In all diesen Kämpfen wird Socialismo Revolucionario weiterhin Teil des Wiederaufbaus der sozialistischen Linken und der sozialen Bewegungen in Brasilien sein.