Beatles vor 50 Jahren: Wie aus „Get back“ ganz schnell „Let it be“ und das Ende der Beatles wurde.

Peter Jackson (Hobbit, Herr der Ringe, King Kong etc.) nimmt mit dem Film „Let it be“ einen neuen Anlauf und kommt (hoffentlich) im September damit in die Kinos.
Albert Kropf

Vor knapp 50 Jahren erschien Anfang Mai 1970 mit „Let it be“ das letzte Beatles Album. Bis heute rangieren viele Songs daraus bei Fans, Medien und diversen Playlists ganz oben in der Beliebtheitsskala. Und das obwohl viele eingefleischte Beatles Fans ein bisschen Bauchweh mit dem Album haben. Nicht ganz umsonst. Schließlich war es als Soundtrack zum gleichnamigen Film gedacht und hatte letztlich mit dem Film wenig und dem ursprünglichen Konzept kaum noch was zu tun. Von den Beatles selbst wurde es im Frühjahr 1969 beiseite gelegt. Stattdessen sind sie wieder eigenen Wege gegangen und haben dann ab Spätsommer 1969 das eigentlich letzte Beatles Album „Abbey Road“ aufgenommen und dabei Teile von „Get Back“ wieder aufgegriffen. Weder Film noch Album rief bei ihnen noch Interesse hervor und so fand auch die Film-Premiere ohne ein Mitglied der „Fab Four“ statt.

Trotzdem gewann der Film 1971 für die beste Filmmusik einen Oscar. Das war nicht für das Album, sondern die wirkliche Filmmusik und damit das eigentliche “Get back” Konzept. Der Film und die vielseitige Literatur darüber zeigen, dass von „Fab Four“ eigentlich auch nicht mehr gesprochen werden kann. Bis heute wartet der Film auf seine Wiederveröffentlichung nachdem er Anfang der 1980er kurz auf Video erschienen war. Ein Grund dafür dürfte wohl sein, dass der Beatles-Vermarktungskonzern samt Nachkommen und Überlebenden kein Interesse an diesem negativen Bild über die Band hat. Um dieses „Problem“ zu lösen, wurde mit der sonstigen sehr kargen und nur in homöopathischen Dosen verabreichten Veröffentlichungspolitik von unveröffentlichten Beatles Material gebrochen. Dazu durfte der Starregisseur Peter Jackson angeblich uneingeschränkt in die „Get Back Sessions“-Archive, quasi in den Berg Eribor, hinabsteigen. Zurückgekommen ist er weder mit den Schätzen der Zwerge noch mit dem Drachen Smaug, sondern einer positiven “Neubewertung” der „Get Back Sessions“, die im neuen Film der Öffentlichkeit 2020 präsentiert werden sollen. Was für eine Überraschung, wo das auch noch so gut in die immer positive Veröffentlichungspolitik passt. Vielleicht sind die Beatles ja doch nach der Trennung Freunde geblieben?

Kommerz und das Ende der Beatles

Die Beatles starteten Anfang der 1960er Jahre als Halbstarken-Rockerband, fanden ihre musikalische Prägung im Hamburger Rotlicht- und Hafenmilieu. Die Mundharmonika auf ihrem ersten Hit „Love me do“ hatte Lennon in den Niederlanden gestohlen, die Beatles waren immer wieder in Schlägereien verwickelt. Sie waren eine raue Band, deren Musik dieses soziale Milieu widerspiegelte. Als in Leder gekleidete Rocker haben sie auch keinen Plattenvertrag bekommen. Um den zu bekommen, haben sie sich aber ohne großes Wenn und Aber von ihrem Manager Brian Epstein aalglatt vermarkten und in Anzüge stecken lassen. Die Musik blieb aber rau und aggressiv und das zog, aber schon wie!

Später gründeten sie mit Apple ihre eigene Firma und managten sich selbst. Aufgrund ihrer Erfahrungen wollten sie Kunst und Musik vor dem schädlichen Einfluss der Unterhaltungsindustrie befreien. Treibende Kraft dahinter war zuerst McCartney und dann Lennon. In Wirklichkeit aber zeigte Apple, dass kleine antikommerzielle Inseln in einem immer aggressiveren kapitalistischen Umfeld nicht lange gut gehen können. Apple ging gnadenlos schief. Viele kennen heute unter Apple den Konzern von Steve Jobs. Tatsächlich muss dieser Millionen für die Namensverwendung zahlen. Ein Treppenwitz, dass das anti-kommerzielle Projekt, das nur überlebte, weil sich die Beatles nicht einigen konnten, letztlich zur großen Einkommensquelle wurde.

Unmittelbar aber wurde Apple für die Beatles zu einer riesigen Geldvernichtung. Da begannen dann auch die Probleme größer zu werden. Lennon und McCartney erhielten als Autoren der überwiegenden Songs nicht nur ihren Anteil an den Verkäufen und Einnahmen, sondern auch Millionen für Tantiemen. Hier zeigt sich auch, wie wenig sich bürgerliches Recht eignet, künstlerisches Eigentum zu „schützen“, sondern nur um es zu vermarkten. Die meisten Songs der Beatles entstanden bis zum „Weißen Album“ 1968 in Gemeinschaftsarbeit aller(!) im Studio. Auf den meisten Songs stand trotzdem Lennon/McCartney, weil einer der beiden mit einer Idee ins Studio gekommen war. Wie sooft mag das zwar rechtens sein, aber gerecht ist und war es nicht. Das war auch etwas, was die beiden anderen Beatles zunehmend spürten.

Ian Gillan, Sänger bei Deep Purple Anfang der 1970er, beschrieb einmal seine Leistung als Sänger und Textautor so, dass er während die anderen im Studio die Songs entwickelten, im Pub saß und in zunehmender Vernebelung auf Bierdeckeln die Texte kritzelte. Im Gegensatz zu den anderen, kassiert er aber bis heute an den Tantiemen ein kleines Vermögen. Es ist also nicht verwunderlich, dass Harrison und Ringo Starr mit einem Blick auf ihre schwindenden Geldberge Apple zunehmend skeptischer sahen. Als der Hut bei Apple schließlich lichterloh brannte, setzen Lennon, Harrison und Starr gegen den Willen McCartneys den amerikanischen Starmanager und Superkapitalisten Allen Klein als Universalmanager und Sanierer für die Beatles Finanzen ein. Während Lennon bis heute das Image eines Linken hat, umweht McCartney nicht zu Unrecht die Aura eines geizigen Superreichen mit allen dazugehörigen negativen Eigenschaften. Daher ist es heute auch schwer zu glauben, dass gerade McCartney es war, der am längsten gegen den Widerstand der anderen an der anti-kommerziellen Ausrichtung von Apple festhalten wollte.

Von Freundschaft und dem Bild der lustigen „Fab Four“ konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gesprochen werden. Weil es noch nicht traurig genug war, hat Allen Klein die Beatles dann auch noch ausgenommen wie eine Weihnachtsgans …

Wie aus „Get back“ schließlich „Let it be“ wurde

In dieser verfahrenen Situation der auseinander bröckelnden Beatles, kam McCartney die Idee zur Rettung. Eigentlich waren die Beatles eine Live-Band, ihr erstes Album hatten sie in nur wenigen Stunden mehr oder weniger live eingespielt. Daraus und dem sehr engen und intensiven Zusammenleben auf Tour ergab sich auch die Vertrautheit untereinander. Seit dem Auftritt im Candlestick Park in San Francisco 1966 waren die Beatles aber nicht mehr aufgetreten. Die Studioarbeit wurde durch die um sich greifende Technik immer komplexer und auch individualistischer. Der Zusammenhalt der Gruppe flaute noch weiter ab, der Verlust der eigenen Authentizität größer, das vereinende, künstlerische Element kleiner. Auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ab Mitte der 1960er Jahre begannen die vier sich in unterschiedliche Richtungen zu entwickeln. Das künstlerisch kreative Zentrum war zweifellos zu diesem Zeitpunkt noch McCartney. Dabei waren es gerade die Beatles, die die Studiotechnik maßgeblich einbrachten und förderten. Sie waren somit gleichzeitig Opfer und Schöpfer dieser Entwicklung.

McCartney sah noch eine Zukunft in den Beatles und wollte zu ihren Ursprüngen zurück - „Get back“ eben und wieder live spielen. Und dazu musste ab 2. Jänner 1969 geprobt werden - der Ursprung des „Get Back“ Projekts. Zuerst sollten es nur existierende Songs sein, dann wurde die Idee erweitert neue Songs zu entwickeln. Während McCartney zuerst ein mehrtägiges Konzertszenario als TV-Event vorschwebte, bremsten ihn die anderen auf ein Konzert, das dann schließlich am 30. Jänner 1969 auf den Auftritt am Dach des Apple Gebäudes reduzierte wurde. Dafür aber mit einem neuen Album – quasi eines Soundtracks des Films – und neuen Songs. Ein Kompromiss, den alle akzeptierten aber die Wünsche von keinem wirklich ausdrückte. Die Zeiger der Uhr zurückdrehen. Wer kennt diesen Wunsch nicht, wenn eine Situation zunehmend verfahren ist? Etwas was uns auch heute im Wunsch nach reformistischer Politik in der politischen Arbeit immer wieder begegnet. Aber leider funktioniert es in der Politik so wenig wie damals bei den Beatles. Um dieses „Get back“ noch stärker zu betonen, kehrten sie schließlich auch zum Covermotiv ihres ersten Albums „Please, please me“ – dem EMI Stiegenhaus in London – zurück. Obwohl „Get back“ als Album nie erschienen ist, kennen die meisten von uns das Bild des Covers aber, weil es später für das „Blaue Album“ (einen Sampler der Hits von 1967-70) verwendet wurde.

Während also McCartney zurück wollte, waren die anderen recht glücklich mit ihrer Situation. Nach seiner depressiven „Fat Elvis-Period“, fand Lennon in Yoko Ono nicht nur eine neue Lebenspartnerin, sondern auch künstlerische, politische Inspiratorin. Kennengelernt hat er sie just durch McCartney, der Lennon aus seiner Lethargie mit in das pulsierende, künstlerisch kreative Leben Londons der Swinging 60ies reißen wollte. Nun ging Lennon immer mehr, wenn auch anfangs etwas verwirrt und flapsig tastend, in Richtung politisch motivierter Kunst- und Ausdrucksformen. Damit konnte aber McCartney immer weniger was anfangen. Stattdessen begann der seiner Neigung zum „Happy Sound“ mehr und mehr nachzugeben und seichtere Songs nicht mehr an andere Künstler*innen weiterzugeben, sondern in die Beatles einzubringen. Schließlich entdeckte McCartney nach dem „Abbey Road“ Album seine Liebe zum ländlichen, abgeschiedenen Leben in einer vermeintlichen kleinbürgerlichen Idylle auf einem Bauernhof in Schottland, während Lennon mit Yoko Ono an der linksradikalen Szene New Yorks andockte. Harrison entwickelte sich spätestens seit dem Weißen Album zum eigenständigen Songschreiber und ernstzunehmenden Musiker auch arbeite außerhalb der Beatles mit anderen Musiker*innen (Clapton, Dylan etc.) zusammen. So überraschte Harrison mit seinem erfolgreichen Album „All things must pass“ nach dem Ende der Beatles und bewies sein unter den Beatles unterdrücktes musikalisches Potential. Leider zeigte sich später bei ihm auch die ungünstige und anstrengende Auswirkung aus der Kombination von zu viel Rauschkraut mit fernöstlicher Mystik und Spiritualität. Selbst der immer „lustige“ Schlagzeuger Ringo Starr begann eigene Songs zu schreiben und zu interpretieren, wie seine ebenfalls 1970 erschienen Solo Alben bezeugten und widmete sich zunehmend der Schauspielerei.

Im Original Film „Let it be“ sahen wir wenig überraschend, einen “überambitionierten” McCartney und drei andere, teilweise eher lethargische bis genervte Beatles. Eigentlich drückt neben “Get back” nur “One after 909” das Konzept aus. Es war einer der ersten Songs von Lennon/McCartney überhaupt, der zwar schon für “Please, Please Me” aufgenommen wurde, es aber nicht aufs Album schaffte. Mit Lennon in der Mitte und seinen Kommentaren am Ende des Rooftop Konzerts, entsteht kurz der Eindruck, er wäre nach wie vor der Bandleader. In Wirklichkeit empfand er die Beatles schon als Klotz am Bein und schaffte sich mit der Plastic Ono Band im Juli 1969 ein neues musikalisches und vor allem politisches Betätigungsfeld. Auch Harrison und Ringo sahen wenig Perspektiven in den Beatles und spielten zeitweise in der Plastic Onon Band. Lennon hatte nur wenig Songs für die Beatles in die „Get Back Sessions“ einzubringen. Um das zu kaschieren, landeten schließlich mit „Across the universe“ und „Come together“ zwei Songs, die Lennon zugunsten seiner politischen Ansichten weitergegeben hatte, dann doch auf Beatles Alben. „Across the universe“ gab Lennon an den WWF, viel spannender aber ist „Come together“, das Lennon für die politische Kampagne Timothy Learys in Kalifornien gegen den Erzkonservativen Ronald Reagan geschrieben und “gegeben” hatte. Dabei nahm er Anlehnung am Namen der Kampagne „Come together, join the party“.

Harrison hatte zu Beginn der Sessions angekündigt kein eigenes Material mehr beisteuern zu wollen. „Get Back“ blieb von Beginn an das Projekt McCartneys, der sich als einziger neben Beatles und Apple keinem wirklichen Solo-Standbein zugewandt hatte. Nach dem Konzert am 30. Jänner wollte er sich kurz die Bänder anhören und dann in den kommenden Tagen weitere Songs aufnehmen. Es kam nicht mehr dazu.

Wer löste die Beatles auf?

Formal gilt der 10. April 1970 als offizielles Ende der Beatles. Da erschien in den Zeitungen ein Interview, indem Paul McCartney über die Veröffentlichung seines ersten Soloalbums offiziell seinen Ausstieg und damit das de facto Ende der Band erklärte. Gegeben hat er das Interview aber gut einen Tag vorher und daher müsste das Ende der Beatles genau genommen rückdatiert werden. In Wirklichkeit aber ist das vollkommen egal, weil die Band bereits aufgehört hatte als Band zu existieren. Ringo war bereits bei den Aufnahmen zum „Weißen Album“ ausgetreten. Am 10. Jänner 1969 verließ Harrison nach einem Streit mit Lennon die Beatles. Lennon wollte stattdessen mit Eric Clapton oder Jimi Hendrix einfach als Ersatz weitermachen. Im Film kommt diese Szene nicht vor, dafür eine kurze Auseinandersetzung von McCartney mit Harrison. Deswegen gilt McCartney bis heute bei vielen als Buhmann und Grund für den Austritt Harrisons. Nach “Abbey Road” hat dann Lennon den Beatles endgültig den Rücken gekehrt. Allerdings überredeten ihn die anderen dreien wegen anstehender Veröffentlichungen das noch nicht publik zu machen.

Der Regisseur Michael Lindsay-Hogg hatte aber mehr als 130 Stunden Filmmaterial aus den Aufnahmen und das Rooftop Konzert, das nun geschnitten wurde. Der Ton-Produzent Glyn Johns hatte ebenfalls viel Material und begann aus dem vorhandenen parallel zum Film ein Album zu erstellen. Es fehlte aber die gemeinsame Klammer und so passten Film und Album immer weniger zu einander. Im Film kamen Songs vor, für die es keine tauglichen Tonaufnahmen gab. Gleichzeitig waren mittlerweile starke Songs nun für das neue, bereits fertige Album „Abbey Road“ verwendet worden. Da die Beatles aber mit Universal Pictures noch einen Vertrag für einen Film und Soundtrack zu erfüllen hatten, wollte das Beatles Management „Get back“ nicht vollständig beerdigen. Unter der Ägide von Allen Klein wurde der kommerziellste Weg gewählt. Der Harrison Song „I me mine“ kam im Film vor, es gab aber keine taugliche Aufnahme. Also kehrten die drei verblieben Beatles im Jänner 1970 – ein Jahr nach „Get back“ – bereits ohne John Lennon in die Studios zurück, um die Lücke zwischen Film und Album füllen zu können.

An der Tatsache des Endes der Band hat sich keiner der anderen dreien groß gestoßen. Was ihnen gegen den Strich ging war, dass McCartney das für die Werbung seines Soloalbums nutzte und gegen die Abmachungen, gegenseitig auf die Veröffentlichungen der anderen Rücksicht zu nehmen, verstieß. In dieser Phase sah das Beatles/Apple Management noch eine Chance mit den Bändern der „Get Back“ Sessions, die so zu „Let it be“ wurden, Geld zu verdienen. Allen Klein fand den Soundtrack Entwurf von Glyn Johns jetzt nicht mehr passend und engagierte mit Unterstützung von Lennon und Harrison Phil Spector. Ein Produzent, der für seine us-amerikanischen „Bubble-Gum“, leicht ins bombastisch abgleitende Mainstream Musik bekannt war. Herausgekommen ist dabei – rechtzeitig zum Ende der Beatles – das Album „Let it be“. Neben Sgt. Peppers ist es das mit Sicherheit letztlich am aufwendigsten produzierte Album der Beatles. Aus dem ursprünglich rohen, Live-Sound von „Get back“ wurde schließlich das überproduzierte und überladene „Let it be“. Passend, ein Abgesang mit Streichern wie beim letzten Track „The Long and winding road“.

Und hier schließt sich der Kreis wieder. Genauso wie damals Phil Spector aus den vorhandenen Bändern noch ein kommerziell verwertbares Album schnitt, schnitt Peter Jackson in den letzten Monaten eine neue, dem schön gefärbten Bild der Beatles entsprechende und kommerziell vermarktbare Fassung vom Film „Let it be“. Dabei ist es wenig überraschend, dass ein anderes, weniger depressives und streitbares Bild der Band 50 Jahre nach ihrem Ende präsentiert wird. Damit können die Überlebenden und Erben viel besser Leben und ziemlich sicher mehr Geld scheffeln.