“Eine bürgerliche Partei mit sozialdemokratischem Anstrich”

ÖH-Vorsitzende Barbara Blaha zur Regierung, der Entwicklung der SPÖ, dem Potenzial für Widerstand gegen Sozialabbau und für eine neue Partei in Österreich

Wie würdest Du mit wenigen Worten die aktuelle Regierung, ihre Politik und ihr Programm beurteilen?

Obwohl die Sozialdemokratie Teil der Regierung ist, gibt es keine Umverteilungspolitik wie ich es mir wünschen würde; also von oben nach unten, sondern eher umgekehrt. Stichworte sind da die Abschaffung der Erbschaftssteuer oder die Nichtabschaffung der Studiengebühren. Ansonsten finde ich machen sie viel Kosmetik, aber wenig Wesentliches. Da geht`s viel um Dinge wie: Wer war wann Haare schneiden, etc.

Liegt dem Deiner Meinung nach eher zu Grunde, dass sich die SPÖ nur nicht durchsetzen kann oder liegt es an der Entwicklung der SPÖ selbst, dass die Regierung so ist wie sie ist?

Meiner Meinung nach war die Entwicklung der SPÖ in der Regierung schwer vorherzusehen. Man hatte schon den Eindruck, dass sich die SPÖ nach den fürchterlichen Klima-Jahren - also nach 1999/2000 - neu positioniert hat. Da kann man natürlich auch sagen, dass es da Ausrutscher gab: Stichwort "Hochleistungsgesellschaft" oder "Asylgesetzgebung". Aber im Wesentlichen war die Linie durchaus stringent und so, dass ich sagen kann: Da kann ich mit. Und da gab es durchaus die Hoffnung in der SPÖ, dass die Partei die Rückkehr zu ihren Werten geschafft hat und diese auch in der Regierung vertreten wird. Aber offensichtlich war das nur Oppositionstheater.

Für viele Menschen stellen sich SPÖ und ÖVP inzwischen als austauschbar dar. Was ist die SPÖ heute für Dich? Eine sozialdemokratische Partei, eine Partei, die noch anders ist als eine bürgerliche Partei?

Wenn man sich die Performance der SPÖ in den letzten Monaten ansieht, muss man wahrscheinlich sagen, sie ist eine bürgerliche Partei mit sozialdemokratischem Anstrich. Es geht vor allem darum, dass man die Maßnahmen ein bisschen sozialer verkauft, die man setzt; auch wenn sie sich im Wesentlichen nicht davon unterscheiden, was eine ÖVP-Alleinregierung machen würde. Als Rechtfertigung höre ich von der SPÖ nicht, was erreicht wurde, sondern was "wir" verhindert haben. Das reicht nicht, das ist kein Gestaltungsanspruch in der Politik, wenn man sagt, man hat verhindert, dass kein Schulgeld kommt.

Du gehörst ja nach wie vor dem VSSTÖ - also "der" SPÖ-Studierenden-Organistion - an. In den letzten Monaten gab es da recht unterschiedliche Signale: Zum einen die öffentlichen Austritte von führenden Mitgliedern wie Dir und der neuen Spitzenkandidatin. Zum anderen sucht man z.B. in Wien wieder die Nähe zur Partei: Da werden unter einer SPÖ-Stadtregierung die Tarife im öffentlichen Verkehr kräftig erhöht, und der VSSTÖ hängt es sich als Erfolg um, dass es im Wahljahr ein Semester Freifahrt für Studierende gibt. Gibt es einen Richtungsstreit im VSSTÖ bzw. in den Jugendorganisationen über das Verhältnis zur Partei?

Von einem Richtungsstreit würde ich nicht sprechen. Diese Tariferhöhungsgeschichte ist zweifellos extrem unglücklich gelaufen, obwohl sie mit der Bundesebene, wo ich tätig bin, an sich wenig zu tun hat. So weit ich das nachvollziehen kann, hat die SPÖ da den VSSTÖ über den Tisch gezogen, indem man verschwiegen hat, dass es zu den Tariferhöhungen kommen wird, sondern bei den Verhandlungen nur von der Freifahrt gesprochen hat. Insgesamt fand ich die Aktion sehr, sehr entbehrlich - es wurde inzwischen auch intern so wahrgenommen.

Aber zeigt das - abgesehen vom konkreten Ablauf - nicht, dass es nach wie vor auch eine Orientierung darauf gibt, etwas mit der SPÖ-Spitze positiv gemeinsam verändern zu können. Und steht das nicht im Widerspruch zu den Distanzierungen und Austritten?

Ich teile Deine Analyse schon, aber ich glaube es gibt halt auch regionale Unterschiede. Es ist durchaus in Ordnung zwischen Bund und Land zu differenzieren. Ich würde etwa auch die SPÖ-Oberösterreich nicht über denselben Kamm scheren wie die Bundes-SPÖ. Die haben sich nämlich sehr klar positioniert: Sowohl in der Frage der Regierungsbildung, wie des Sonderparteitages, den wir auch wollten. Darum gibt es meiner Meinung nach für den VSSTÖ nicht immer ein "Entweder-Oder".

Könnte man also Deiner Meinung nach davon ausgehen, dass, wenn die SPÖ in der oberösterreichischen Landesregierung wäre, sie eine komplett andere Politik machen würde, als die Bundespartei in der Bundesregierung? In Wien ist das ja gerade nicht unbedingt der Fall.

Nein, ich glaube durchaus, dass ein Erich Haider im Hinblick auf seine eigenen kommenden Landtagswahlen, sich so positioniert hat, wie er sich positioniert hat. Aus der Distanz ist es aber schwer abzuschätzen, was politische Berechnung ist und was nicht. Alles, was ich weiß und kenne sind die Signale, welche die "Oberösterreicher" in den bundesweiten Gremien setzen und die find ich O.K.

Glaubst Du also, dass die Frage, ob die SPÖ jene Antithese zu schwarz-blau-orange ist, die Du gern hättest, von Personen oder eben mit einem grundsätzlichen Wandel der Partei zusammenhängt.

Ganz ehrlich glaube ich schon, dass wenn Gusenbauer einen Bundesparteitag befragt hätte, es keine sichere Mehrheit gegeben hätte. Aber es liegt sicher nicht alleine an Personen; gerade in Wien bin ich da skeptisch - die Wiener haben ja mit verhandelt. Bei Erich Haider kann ich das wie gesagt nicht beurteilen; aber er als Bundesparteivorsitzender bedeutet sicher noch kein "Kreisky schau obe".

In einem Interview hast Du gesagt, dass die Jugendlichen jetzt frustriert sind. Ich interpretiere das so, dass Du jene Menschen meinst, die sich in den letzten Jahren sehr stark politisiert haben und zum Teil auch in den SPÖ-Organisationen aktiv geworden sind. Umgekehrt ist es aber doch auch interessant, wie Du plötzlich zum Symbol der Ablehnung der neuen Regierung geworden bist. Zeigt der "Hype" um Barbara Blaha nicht vor allem ein vorhandenes Widerstandspotential in der Gesellschaft und den Wunsch nach Alternativen zum "etablierten" Sozialabbau?

Die Mediengeschichte hat mich in ihrer Dimension selbst überrascht. Ich habe am Höhepunkt dieser Welle 500, 600 Mails pro Tag bekommen; ganz zu schweigen von den Anrufen, die in der ÖH eingegangen sind und zwar von den unterschiedlichsten Menschen. Das waren zwar viele Studierende, aber sicher genauso viele Werktätige und Pensionisten und Pensionistinnen, die sich dafür bedankt haben, dass hier irgend jemand zu seinem Wort steht und sagt: Bis daher und nicht weiter. Gleichzeitig bin ich ein Stück weit auch eine Projektsionsfläche, für die Ohnmacht welche die Menschen selbst empfinden.

Hat die ÖH selbst eigentlich hier das Maximum an Widerstand unter Deinem Vorsitz geleistet?

Ich glaube schon. Ich hätte mir natürlich so etwas wie eine Bewegung in Frankreich gewünscht, die tatsächlich ein unsoziales Gesetz gekippt hat. Die wochenlang auf der Straße mit riesigen Demos präsent war. Das macht mich natürlich ein Stück weit neidisch, weil ich mir wünschen würde, das gäbe es in Österreich auch. Gleichzeitig muss ich dazu sagen, dass wir schon bei den Versuchen, gegen die Zugangsbeschränkungen zu mobilisieren, einfach wenig Rückhalt bekommen haben. Viele waren der Meinung, dass es sie einfach nicht mehr betrifft. Trotzdem war ich positiv überrascht, dass wir so viele Menschen bei der Angelobung auf die Straße bekommen haben; gerade weil viele eigentlich froh waren, dass die alte Regierung weg ist.

Du hast Deinen Austritt aus der SPÖ als offensiven Schritt präsentiert - und nicht als frustrierten Rückzug. Was kommt jetzt? Die SLP strebt ja z.B. das Projekt einer neuen Partei links von SPÖ und Grünen an ...

Eine sehr schwierige Frage. Bei mir waren in den letzten Monaten sehr viele Leute, die ich auch oft gar nicht kannte, die meinten: Gründen wir eine neue Partei mit Dir an der Spitze. Ich bin da sehr vorsichtig. Ich glaube aber es gäbe sicher einen "Markt" für eine solche Partei, vor allem wenn sich die SPÖ so weiter entwickelt. Ich weiß aber nicht wer das sein sollte - die Grünen, die SLP, irgendetwas ganz Neues (?) - und ob ich mich da selbst als Partizipierende sehe. Ich bin auch ein Stück weit froh, künftig nicht mehr so im Mittelpunkt zu stehen. Im Moment kann ich mir das eher nicht vorstellen.

Wie würdest Du dich ideologisch selbst einstufen - etwa als Sozialistin - und siehst Du in diesem Zusammenhang deinen künftigen Platz innerhalb oder außerhalb der SPÖ?

(Lacht) Das fragst Du die Ausgetretene? In jedem Fall als Sozialistin, die persönlich ihren Platz außerhalb sieht. Drinnen sehe ich - aber das ist meine eigene Entscheidung - im Gegensatz zu Anderen, wenig Veränderungsmöglichkeiten.

Barbara Blaha, Jahrgang 1983, ab 2000 politisch in der SchülerInnenvertretung aktiv, ab 2003 im Verband Sozialistischer StudentInnen (VSSTÖ), 2005-2007 eine der Vorsitzenden der Österreichischen HochschülerInnenschaft, 2007 aus Protest gegen das Regierungsprogramm aus der SPÖ ausgetreten.

Das Gespräch führten Michael Gehmacher und John Evers. Beide wurden in den 1990ern als langjährige und aktive Jugendfunktionäre aus der Sozialistischen Jugend (SJ) ausgeschlossen.

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