"Wir treten an, weil es notwendig ist"

Interview mit Sonja Grusch, Spitzenkandidatin für das Wahlbündnis LINKE bei den Nationalratswahlen.

Vorwärts: Warum kandidiert die LINKE bei den Nationalratswahlen?

Weil es notwendig ist. Die etablierten Parteien werden sich immer ähnlicher. FPÖ und BZÖ liefern sich ein rassistisches Hetz-Duell. Die ÖVP versucht mit Law&Order-Parolen da mit zu mischen. Die pseudo-soziale Rhetorik der SPÖ nimmt ihr niemand mehr ab. Die Frage ist nur, wie schnell wird sie diesmal umfallen. Weil klar ist auch, selbst wenn sie in einer künftigen Regierung vertreten ist, und dort mit einer Hand einige soziale Verbesserungen durchsetzt, dann wird sie mit der anderen Hand weitere Verschlechterungen beschließen. Und unterm Strich stehen wir garantiert noch schlechter da. Und die Grünen sind schon lange nicht mehr links. Wie bitte ist "Dauerstreit - nicht mit mir" zu verstehen? Dass die Grünen eh rasch von Sozialabbau zu überzeugen sind, wenn sie nur in die Regierung dürfen? Für mich ist klar: wenn es keine linke Alternative bei den Wahlen gibt, die nicht nur schöne Plakate hat, sondern auch Kämpfe organisiert und längerfristig eine neue politische Kraft aufbaut, dann gewinnen nur die Rechten.

VORWÄRTS: Aber welchen Unterschied kann die LINKE da machen?

Uns geht's ja nicht nur um die Wahl, sondern um den Aufbau einer neuen politischen Kraft. International stehen wir am Vorabend einer Wirtschaftskrise. Da wird Österreich nicht verschon davon bleiben. Der Stellenabbau bei Magna, Siemens, der Telekom - oder auch die drohende Schließung der Glanzstoff in St. Pölten - das sind erst die Vorboten. Ich denke, dass die kommenden Angriffe bei Pensionen, Gesundheit und Bildung das bisherige leider in den Schatten stellen werden. Und da ist die Frage: wie darauf reagieren?! Wir können es uns einfach nicht leisten, den Kopf in den Sand zustecken und zu warten, bis der Sturm vorüber ist. Weil in der Zwischenzeit brauchen wir auch Geld, um die Miete, neue Schuhe oder vielleicht sogar mal einen Urlaub zu bezahlen. Das Wahlbündnis Linke versteht sich als ein erster Schritt beim Aufbau einer neuen Partei links von SPÖ und Grünen, die die künftigen, die notwendigen, sozialen Kämpfe unterstützen und führen wird. Das macht den Unterschied.

VORWÄRTS Gegen Teuerung sind ja alle - was ist da eure Besonderheit?

Kurz gesagt: wir wollen keine Almosen. Konkret heißt dass: Die Mehrwertssteuer ist insgesamt eine unsoziale Steuer, weil dabei Menschen mit niedrigem Einkommen immer draufzahlen. Ich bin für die Abschaffung der Mehrwertssteuer. Wird der Sozialstaat dadurch unleistbar? Nein, denn es gibt ja genug Reichtum, der im jetzigen System nicht angetastet wird. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt in Österreich ein Drittel des Vermögens. Gleichzeitig ist Österreich ein Steuerparadies für Reiche - z.B. durch das Stiftungsrecht. Die Besteuerung von Vermögen ist sogar niedriger als in den USA. Da gibt es also genug Geld, um sogar einen Ausbau des Gesundheitswesen, eine kostenlose und menschenwürdige öffentliche Pflege für jedeN der/die es braucht und mehr Geld für die Bildung aufzubringen. Es ist eine politische Frage, ob sich eine Regierung dieses Geld für den Ausbau der sozialen Leistungen holt oder nicht.
Die zweite Ebene ist, dass wir für Lohnerhöhungen eintreten, die die Verlust der letzten Jahre wettmachen. Die Reallöhne sind heute auf dem Niveau von 1991 - die Gewinne steigen aber ordentlich. Bei den Lohnrunden hören wir jedes Jahr, dass wir uns zurückhalten müssen. Warum halten sich die, die das fordern, nicht bei ihren Gewinnen zurück? Ich denke, der ÖGB muss sich endlich von seinem sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs verabschieden und einige Gänge zulegen. Wir brauchen einen heißen Herbst, in dem saftige Lohnerhöhungen gefordert und wenn nötig auch erkämpft werden.

VORWÄRTS: Was kann denn zum Beispiel gegen die Schließung der Glanzstoff unternommen werden?

In der Glanzstoff sollen über 300 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Betroffen sind davon natürlich wesentlich mehr. Und warum das ganze? Weil ein Herr Cornelius Grupp noch mehr Geld machen will. Da stellt sich aber die Frage: um wen geht es eigentlich? Warum ist einer wichtiger als mehrere Hundert? Für mich stellt sich die Frage: wie viel hat die Firma in den letzten Jahren an Subventionen kassiert? Wieviel wurde an Gewinnen kassiert? Ich denke, als erstes sollten die KollegInnen der Glanzstoff sich mal die Firmenbücher, die Buchhaltung, die Bilanzen anschauen, um zu sehen, wo ihr Geld hingegangen ist. Die KollegInnen haben ja schon begonnen, sich zu organisieren. Aber worin könnten die nächsten Schritte bestehen? Wichtig wäre es aus meiner Sicht, dass die Gewerkschaft aktiv wird. Aber nicht nur, indem sie Sozialpläne aushandelt. Die KollegInnen brauchen einen Job, nicht nur einen zeitlich beschränkten Sozialplan. Warum soll ein Betrieb wie die Glanzstoff im Besitz eines Herrn Grupp bleiben? Die öffentliche Hand sollte die Glanzstoff übernehmen. Aber nicht so wie bei der früheren Verstaatlichten, wo irgendwelche abgehobenen ManagerInnen sich wieder nur an Profitinteressen orientiert haben. Die echten ExpertInnen sitzen in St. Pölten im Betrieb - die KollegInnen können den Betrieb gemeinsam organisieren und verwalten. Aber natürlich wird so was nicht ohne Kampf abgehen, da braucht es breite und aktive Solidarität. Und einen kämpferischen und demokratischen ÖGB. Es ist also noch viel zu tun für uns.

VORWÄRTS: Klingt das nicht alles ein bisschen utopisch? Und radikal?

Radikal bedeutet ja eigentlich, ein Problem an der Wurzel anpacken. In dem Sinn ist das sicher radikal. Wer geht schon gern zu einem Arzt, der nur die Symptome einer Krankheit, aber nicht ihre Ursache bekämpft. Und ich denke es ist offensichtlich, dass das System Kapitalismus uns heute nichts mehr zu bieten hat. Wie schaut denn unsere Zukunft nach ihrer Vorstellung aus? Unsichere Jobs, miese Bezahlung, Arbeit auf Abruf, keine sozialen Leistungen sondern teure Selbstversicherung. Dazu: Umweltzerstörung, Kriegsgefahr und eine unsichere Zukunft. Nicht sehr rosig also. Angesichts dieser Perspektive stellt sich doch die Frage nach einer Alternative. Für mich besteht eine solche Alternative im gemeinsamen Kampf von ArbeitnehmerInnen, Jugendlichen, PensionistInnen, Arbeitslosen - Frauen und Männer, In- und "AusländerInnen" für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung.

VORWÄRTS: Was unterscheidet die LINKE von anderen Listen, die antreten?

Wir sind eine Bündniskandidatur aus Einzelpersonen und Organisationen. Das spiegelt sich auf unseren KandidatInnenlisten wieder. Da gibt es Menschen aus allen Bundesländern, verschiedener Nationalität, jung und alt und viele Frauen. Wir sind die einzige Liste, an deren Spitze eine Frau steht, die offensiv gegen Sozialabbau auftritt. Haselsteiner vom LIF hat ja recht klar gesagt, dass es für ein paar soziale Reförmchen ist, damit er seine Privilegien erhalten kann. Und bei den Christen handelt es sich v.a. um radikale AbtreibungsgegnerInnen. Wir kennen diese Leute, die schrecken auch nicht vor widerlichen Methoden und Belästigung von Frauen vor Abtreibungskliniken zurück. Natürlich steht mit der KPÖ noch eine linke Liste auf dem Stimmzettel. Wir haben eine gemeinsame Kandidatur angestrebt, aber die KPÖ hat abgelehnt. Unsere Besonderheit ist es, dass wir längerfristig eine neue politische Kraft aufbauen wollen - und unsere Kandidatur der erste Schritt dafür ist.

Sonja Grusch ist 38 Jahre alt, gelernte Damenkleidermacherin und hat Volkswirtschaft studiert. Sie ist seit 25 Jahren politisch aktiv, wurde 1992 aus der Sozialistischen Jugend, der SPÖ-Jugendorganisation - u.a. wegen ihrer ablehnenden Haltung zum EU-Beitritt - ausgeschlossen. Sie war aktiv in einer Vielzahl von Kampagnen - darunter gegen die radikalen AbtreibungsgegnerInnen, für einen kämpferischen und demokratischen ÖGB, gegen FPÖ- und Nazi-Aktivitäten, in der Widerstandsbewegung gegen blau-schwarz sowie in diversen internationalen Kampagnen. Sonja Grusch ist Mitglied der Sozialistischen LinksPartei, die Teil der LINKEn ist, und kandidiert bei den Nationalratswahlen auf Listenplatz 1 der Bundesliste der Linken.

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