Wessen Betrieb und wessen Staat?

Die Rechtsform ist die eine Frage, der Charakter des Staates aber der Kern.
Georg Maier und Simon Stockhammer

Der (rechte) Austromarxist Karl Renner schrieb 1914: „Die Ökonomie dient immer ausschließlicher der Kapitalistenklasse, der Staat immer vorwiegender dem Proletariat.“ Betrachtet man den – völlig berechtigten – Widerstand gegen Privatisierung, Sozialabbau und von Beschäftigten im Öffentlichen Dienst (ÖD), kann leicht der Eindruck entstehen, ArbeiterInnenbewegung und politische Linke haben sich dieser Idealisierung des Staates weiterhin verschrieben. Für gewisse Teile der ArbeiterInnenbewegung gilt das auch. Der ÖGB vertritt bis heute weitgehend diese Position (in der Theorie; real hat er oft wenig gegen Privatisierungen und Kürzungen getan). Diese simple Logik ignoriert allerdings den Charakter des Staates. Der Staat ist in jeder Klassengesellschaft v.a. Mittel zur Aufrechterhaltung des Bestehenden. Wenn eine Minderheit auf Kosten der Mehrheit lebt, dann braucht es eine Institution, die diese Ungleichheit aufrecht erhält: den Staat, samt Bürokratie und bewaffnetem Arm. Auf ökonomischer Ebene gilt – für einen kapitalistischen Staat – das gleiche. Wenn der Staat Aufgaben jenseits seiner Kernfunktionen übernimmt, liegt das in der Regel nicht daran, dass schlaue PolitikerInnen erkannt haben, dass der „freie Markt“ versagt. Es erfolgt entweder auf Druck der ArbeiterInnenbewegung oder aus einer wirtschaftlichen Zwangslage heraus. Das war der Hintergrund der Verstaatlichungen nach 1945 – es gab schlicht keine österreichischen KapitalistInnen, die das nötige Kleingeld hatten. Auch die Verstaatlichung von Hypo-Alpe-Adria und Kommunalkreditbank waren keine Maßnahmen, welche in Renners Sinn „vorwiegend dem Proletariat“ dienen würden. Es ging darum, private Profite abzusichern und Auswirkungen auf andere Banken zu vermeiden.

Anders verhält es sich, wenn Massenbewegungen eine Regierung dazu zwingen, Betriebe zu verstaatlichen bzw. Betriebe im Rahmen revolutionärer Erhebungen verstaatlicht bzw. unter ArbeiterInnenkontrolle übernommen werden. Wie unter der sozialistischen Regierung Allende in Chile 1970-73 oder als die Eisenbahn im Republikanischen Spanien teilweise von den ArbeiterInnen einfach übernommen wurden. Dadurch wurden nicht nur immense Verbesserungen für die Beschäftigten erreicht, es stärkte auch die Massenbewegung. Letztlich blieb der Staat, auch mit einer revolutionären/sozialistischen Regierung, im Kern immer noch ein bürgerlicher Staat war. Die „Staatsfrage“ wurde nicht konsequent gestellt, was diese gescheiterten Revolutionen auch zentral von der erfolgreichen in Russland 1917 unterschied. Dort wurden nicht nur die Betriebe übernommen, sondern auch der alte Staatsapparat zerschlagen und ein neuer ArbeiterInnenstaat aufgebaut.

Die stalinistische Reaktion behielt zwar die sozialistische Rhetorik bei, der herrschenden Bürokratie gelang es jedoch, sich des Staates und damit auch der Betriebe zu bemächtigen. Damit wurden sie zwar nicht zu KapitalistInnen, die verstaatlichte Wirtschaft diente jedoch auch nicht mehr primär den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, sondern jenen der Bürokratie.

Es bleibt als zentrale Frage, welche Klasse in dem jeweiligen Staat das Sagen hat und wie Verstaatlichte Wirtschaft und Öffentlicher Dienst organisiert sind. MitarbeiterInnenbeteiligung und Volksaktien haben nichts mit echter Kontrolle zu tun. Diese ist aber notwendig, damit Betriebe und Verwaltung im Interesse von Beschäftigten und Gesellschaft arbeiten. Dafür braucht es gewählte Komitees in Dienststellen und Betrieben, die die effektive Kontrolle und Verwaltung haben. Deren VertreterInnen müssen jederzeit wähl- und wieder abwählbar sein. Letztlich kann aber ein verstaatlichter Betrieb, so demokratisch er auch organisiert sein mag, in einer kapitalistischen Gesellschaft mit entsprechendem Staat bestenfalls ein Schritt sein. Echte demokratische Verwaltung und Kontrolle ist nur in einem Staat möglich, wo der Kapitalismus und seine Herrschaftsstrukturen in Wirtschaft und Staat gestürzt sind. Im ÖD gab es in den letzten Jahrzehnten viele Streiks und Proteste. Jene Hunderttausende Menschen, die bislang die Verwaltung eines Landes regelten (gemeint sind hier nicht die Spitzen des Repressionsapparates), können auch in grundsätzliche Opposition zum System samt seinem Staat geraten und all das zurecht in Frage stellen. Sie können auch zu einer Stütze einer alternativen Gesellschaft, eines „ArbeiterInnen-Staates“, werden. Sie können den Beweis führen, dass eine moderne Gesellschaft und der kapitalistische Staat zwei grundverschiedene Dinge sind!

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