USA: Tausende strömen für Abtreibungsrechte auf die Straßen - Was nun?

Greyson Van Arsdale, Socialist Alternative (ISA in den USA)

Dieser Artikel erschien zuerst am 5. Mai 2022 auf der Website der Socialist Alternative (US-Schwesterorganisation der ISA).

 

 

 

 

 

Am 2. Mai wurde der US-amerikanische Tageszeitung Politico ein Entscheidungsentwurf zugespielt, aus dem hervorgeht, dass der Oberste Gerichtshof der USA kurz davor steht, Roe v. Wade zu kippen, das Grundsatzurteil das Abtreibung legalisiert. Die Socialist Alternative (US Sektion der ISA) ruft auf: "Geht auf die Straße, um Roe zu verteidigen".

Am Abend des 3. Mai versammelten sich Tausende von Demonstrant*innen in vielen Städten der USA um gegen den geleakten Entscheidungsentwurf des Obersten Gerichtshofs zu protestieren, der Roe v. Wade kippen würde. Der Gerichtshof wird voraussichtlich im Frühsommer darüber entscheiden, was der Bewegung ein Zeitfenster gibt sich zu organisieren und gegen die Entscheidung zu kämpfen.

Socialist Alternative führte unter anderem in Philadelphia, Boston, Minneapolis, Madison, Pittsburgh, Chicago, Houston und Seattle große Proteste an und rief zu eskalierenden Aktionen mit Arbeitsniederlegungen und Streiks auf um Druck aufzubauen damit das Urteil gestoppt wird. In anderen Städten führten wir lebhafte sozialistisch-feministische Blöcke im Rahmen breiterer Demonstrationen an. 

"Wichtige Fortschritte in den USA wurden uns nie vom Establishment geschenkt", sagt Rachel Wilder, Mitglied der Socialist Alternative und Studentin an der Temple University in Philadelphia. "Tatsächlich stand das Establishment jedes Mal auf der falschen Seite der Geschichte - bei der Abtreibung, bei der Ehe für Alle, bei der Aufhebung der Rassentrennung - bis Massenbewegungen von arbeitenden Menschen die beiden Parteien des Großkapitals zum Einlenken zwangen. Wir brauchen Millionen von Menschen auf der Straße, um Abtreibungsrechte zu verteidigen und die Rechten zu stoppen!"

Die landesweiten Proteste zeigten eine große Unzufriedenheit mit dem Versagen der Demokratischen Partei bei der Verteidigung der Abtreibungsrechte und dem Kampf für die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen aller Geschlechter. Die Redner*innen wiesen darauf hin, dass nicht nur Joe Biden im Wahlkampf versprochen hatte, Roe v. Wade gesetzlich zu verankern, sondern, dass Obama bereits im Wahlkampf 2008 mit der Legalisierung von Abtreibung geworben hatte und dann selbst mit einer absoluten Mehrheit im Kongress daran scheiterte. Nach dem Bekanntwerden des Leaks am Montag, dem zweiten Mai, sagte Biden in einer Erklärung, dass er seine Regierung gebeten habe "Optionen bereitzuhalten" falls Roe v. Wade gekippt werden sollte. Außerdem unterstütze er die Beendigung der momentanen Filibuster nicht - dies würde eine Möglichkeit für die Demokrat*innen öffnen im Kongress über die Legalisierung der Abtreibung abzustimmen.

Es ist klar, dass die jungen Leute die gebrochenen Versprechen der Demokrat*innen satt haben. In New York City riefen unsere Mitglieder*innen nach dem Ende der organisierten Kundgebung des “Women's March” in einem Sprechchor zu einer weiterführenden Demonstration auf. Die Antwort von der Hauptbühne, die von Funktionären der Demokratischen Partei dominiert wurde, die der Idee direkter Aktionen feindlich gegenüberstanden, war: "Es ist süß, was ihr da hinten versucht, aber das ist nicht das, was wir tun." Anstatt die Energie verpuffen zu lassen, führten wir und andere linke Gruppen fast tausend Menschen durch die Straßen Manhattans zu einer weiteren Kundgebung im Washington Square Park wo wir offen über die nächsten Schritte der Bewegung diskutierten. Auf dem Marsch konnte man Demonstrant*innen hören, die skandierten:  “Voting blue is not enough! Democrats we call your bluff!” ("Blau (demokratisch) wählen ist nicht genug! Demokrat*innen, wir lassen euch auffliegen!")

"So sind wir überhaupt erst hier gelandet - mit einer Partei, die nicht weiß wie man kämpft, die mehr Angst davor hat, dass sich ihre Basis organisiert als vor irgendetwas anderem", sagte Kshama Sawant, Mitglied der Socialist Alternative und Stadträtin Seattles, am vierten Mai bei einer Demonstration in Seattle. "Eine Partei, die alles tun wird, um echte Progressive an den Rand zu drängen oder zu vertreiben, da sie stillschweigend die Stabilität des kapitalistischen Systems und die Profite der Konzerne über alles andere stellt. Über Frauen, Reproduktive Rechte, Arbeiter*innenrechten, LGBTQ-Rechten und sogar über den Fortbestand der menschlichen Zivilisation, während wir einer Klimakatastrophe gegenüberstehen. Wir brauchen eine neue Partei! Eine die mit aller Kraft für Reproduktive Rechte, Arbeiter*innenrechte, LGBTQ-Rechte und gegen Rassismus kämpft!"

Wie geht es weiter im Kampf für Abtreibungsrechte?

Viele der Demonstrant*innen, die gestern Abend auf der Straße waren, haben sich auch an den Aufständen für Gerechtigkeit für George Floyd im Jahr 2020 beteiligt, bei denen noch mehr Menschen als momentan monatelang protestierten. Trotz dieser großen Zahl ist es der Bewegung leider nicht gelungen, größere Reformen auf breiter Ebene durchzusetzen, und die meisten Städte haben ihre Polizeibudgets weiter aufgestockt.

Da es sich um die größte Protestbewegung in der Geschichte der USA handelte, stellt sich die Frage: Was hat gefehlt, und wie können wir dieses Mal gewinnen?

Trotz der großen Teilnehmerzahl blieb "Justice for George Floyd" weitgehend eine Straßenbewegung ohne Strukturen oder klare Forderungen. Die Bewegung entwickelte sich nicht zu einer umfassenden direkten Aktion. Da nur noch wenige Wochen bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs verbleiben, müssen wir über die Straßenproteste hinausgehen und unseren Kampf auf Arbeitsniederlegungen, Besetzungen und sogar Streiks ausdehnen. Die Energie der Straßenproteste muss in unsere Gemeinschaften und an unseren Arbeitsplätzen getragen werden, um den Obersten Gerichtshof und den Kongress zum Handeln zu zwingen.

Mit den heroischen Gewerkschaftskampagnen bei Starbucks und Amazon wurde der Arbeiter*innenbewegung neues Leben eingehaucht. Diese neu belebte Arbeiter*innenbewegung muss eine wesentliche Rolle beim Aufbau des Kampfes der Arbeiter*innenklasse für eine kostenlose, leicht zugängliche reproduktive Versorgung spielen. Die Service Employees International Union (SEIU) und National Nurses United (NNU), die beide Beschäftigte im Gesundheitswesen organisieren, haben sich zu den verheerenden Auswirkungen geäußert, die eine Aufhebung von Roe v. Wade auf Arbeiter*innen haben würde. Wir brauchen diese Gewerkschaften, um ihre Mitglieder zu organisieren, damit sie sich für die Abtreibungsrechte einsetzen, und wir brauchen weitere Gewerkschaften, die sich diesem Kampf anschließen. Die neu gegründete Amazon Labor Union hat ein wichtiges Zeichen der Solidarität gesetzt, als ihr Interimspräsident, Chris Smalls, vierten Mai am auf dem Foley Square in New York City zu einer Protestaktion aufrief.

Die Gewerkschaften haben ein besonderes Interesse daran, die vollständige Legalisierung der Abtreibung zu erreichen und Medicare for All mit einer umfassenden reproduktiven und geschlechtergerechten Versorgung durchzusetzen. Die von Unternehmen bereitgestellte Gesundheitsfürsorge ist bei Vertragsverhandlungen ein wichtiges Druckmittel für die Arbeitgeber*innen, die im Falle eines Streiks oft die Gesundheitsfürsorge der Arbeiter*innen streichen.

Für Gewerkschaftsmitglieder*innen, nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeiter*innen, Studierende und Jugendliche, die bereit und motiviert sind für Abtreibungsrechte und eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle zu kämpfen, brauchen wir öffentliche Organisierungstreffen um einen Plan für eskalierende Aktionen, einschließlich Arbeitsniederlegungen und Streiks, aufzustellen. Die Sozialistische Alternative veranstaltet öffentliche Treffen in Städten im ganzen Land.

Um zu gewinnen, braucht diese Bewegung starke Forderungen, die das Terrain von der Verteidigung zur Offensive zu verlagern. 

Wir fordern:

  • Schlagt das Recht zurück! Der Oberste Gerichtshof muss umkehren und Roe v. Wade aufrechterhalten!

  • Für Massenstreiks und Streiks zur Verteidigung der Abtreibungsrechte!

  • Die Demokrat*innen haben die volle Kontrolle im Kongress, sie sollten sofort das Filibuster beenden und Abtreibung legalisieren!

  • Der Kongress muss Medicare for All verabschieden, mit Abtreibung auf Verlangen, vollständiger reproduktiver Versorgung und vollständiger geschlechtsspezifischer Versorgung für alle!

  • Dieser Angriff auf Roe v. Wade wird die Tür für weitere brutale Angriffe auf die Rechte von queeren Menschen öffnen. Wir brauchen einen vereinten Kampf gegen alle Formen der Geschlechterunterdrückung! Unsere Bewegung muss sowohl für eine umfassende reproduktive Versorgung als auch gegen reaktionäre Anti-Trans-Gesetze kämpfen, die sich in den Staaten des Landes durchsetzen!

  • Beendet das Zweiparteiensystem - wir müssen eine unabhängige Arbeiter*innenpartei gründen, die die Interessen von arbeitenden Frauen, queeren Menschen und People of Color verteidigen wird!