Trotzkibrief an Adler von 1909

Leo Trotzki

Aufgetaucht ist dieser Brief von Leo Trotzki an Victor Adler, einem der führenden Köpfe der österreichischen Sozialdemokratie, aus dem Jahr 1909. Trotzki lebte damals in Wien, stand aber der österreichischen Sozialdemokratie und ihrem Kurs (wie sich in seiner Autobiographie "Mein Leben" nachlesen lässt) durchaus kritisch gegenüber. Das schwingt auch im Satz "unser Motto: die Einheit des Klassenkampfes - um jeden Preis" mit. Interessant auch sein politischer Zugang zur Rolle von Finanzen, "Redaktionsausgaben haben wir keine" erklärt Trotzki (durchaus im Gegensatz zu den teilweise weit über einem normalen Arbeiter liegenden Gehalt von Redakteuren der Sozialdemokratischen Parteizeitungen). Auch legt er klar, dass die Prawda eine Zeitung der "Agitation und Propaganda" ist und sich versucht aus der ArbeiterInnenklasse - aus "Arbeitergroschen" - zu finanzieren. Ein kurzes Fenster ins Jahr 1909, das aber viel über Trotzkis Verständnis von politischer Arbeit wiederspiegelt.

 

Werter Genosse Dr. Adler!

Ich erlaube mir wieder mit einer Angelegenheit, die sich auf die russische s.d Zeitung „Prawda“ (Wahrheit) bezieht, mich an Sie zu wenden

Es handelt sich wiederum um eine kurzfristige Anleihe aus der Parteikassa von 300 Kr. Die 200 Kr. , die Sie mir für die Mai Nummer (N3) geben hatten, habe ich am bestimmten Tage an die Parteikassa zurückbezahlt. Jetzt ist die N4 imDruck ( Lemberg, Narodowaja, Tipografia, Lindestr. 9).

Das Papier u. der Druck kosten 370 Kr., der Transport (Schmuggel etc.) -350 Kr. - Redaktionsausgaben haben wir keine. -400 Kr. haben wir aufgebracht, die übrigen 300 Kr. bekommen wir erst am 5 Juli. Es ist aber sehr bitter, die fertige Nummer in Lemberg 4 Wochen liegen zu lassen. Diese 300 Kr. möchten wir für 4 Wochen aus der Parteikassa bekommen.

Zur Empfehlung der „Prawda“ sei es erlaubt zu erwähnen, dass es keine Zeitschrift der marxistischen Polemik, sondern der sozialistischen Agitation und Propaganda ist. Sie wendet sich an die besten Schichten der Arbeiter u. findet dort eine sehr gute Aufnahme. Wir bekommen sehr viel Korrespondenzen von den Arbeitern, auch Geldsendungen, und wenn die wirtschaftliche Krise jetzt in Russland nicht so verheerend wirkte, könnten wir nur mit den „Arbeitergroschen“ auskommen. Was die Stellung der „Prawda“ innerhalb der s.d. Fraktionskämpfen betrifft, so ist unser Motto: die Einheit des Klassenkampfes - um jeden Preis!

Ich habe die Form der schriftlichen Wendung gewählt, um Ihre Zeit nicht in Anspruch zu nehmen. Hierzu füge ich ein Cuvert mit meiner Adresse. Das Geld kann auch unmittelbar nach Lemberg (Hrn Dr. Buber, Kraschevskystr., 9) gesendet werden.

Mit bester Achtung

N. Trotzky

(Leo Bronstein, XIX Friedlgasse 40)

 

Die fettgedruckten Teile sind im Original unterstrichen.

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