SPÖ: So starb eine Partei

Gabi Burgstaller in Salzburg, Rudi Anschober (Grüne) in Oberösterreich, Ambrozy in Kärnten, SPD und Grüne in Deutschland, Tony Blair in Britannien: Sie alle stehen für eine brutale Kürzungspolitik.
Albert Kropf

Europaweit hat die Sozialdemokratie - dort wo sie in den letzten zehn Jahren an der Regierung war - bewiesen, dass sie kein „kleineres Übel“ gegenüber den traditionellen bürgerlichen Parteien ist. In wesentlichen Fragen der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik stehen sozialdemokratische (und grüne) Parteien nicht abseits des neoliberalen Mainstreams. In Österreich erweist sich die seit 2000 – vor allem von Regierung und Medien – propagierte Lagerbildung „Schwarz-Blau“ und „Rot-Grün“ als Seifenblase. Wenn es darum geht, an die Futtertröge der Macht zu kommen, kennen alle vier Parteien im Parlament inzwischen keine Lager mehr. Die Grünen waren nach den Landtagswahlen in Oberösterreich die Ersten, die das Eis brachen und mit der ÖVP „neue Wege“ gingen. Der Aufschrei innerhalb der „Basis“ war kaum zu vernehmen. Sehr schnell hat auch der angeblich linke Teil der Grünen mit der neuen Konstellation zu leben gelernt. Ähnliches gilt auch für die SPÖ, nachdem Gusenbauer und Ambrozy beschlossen hatten, Haider zum Landeshauptmann zu machen. Das offizielle Ende der sogenannten „Ausgrenzung“ der FPÖ ist der vorläufig Tiefpunkt der Entwicklung einer Partei, die vor 115 Jahren angetreten war, den Kapitalismus zu stürzen und eine sozialistische Welt zu erkämpfen.

Die Sozialdemokratie als ArbeiterInnenmassenpartei

Eine wirklich sozialistische Partei war die Sozialdemokratie schon 25 Jahre nach ihrer Gründung 1889/90 nicht mehr. Nachdem die Parteiführung immer stärker das Ziel einer sozialistischen Veränderung zugunsten einer Strategie der Integration in den Staat beiseite gelegt hatte, folgte bei Kriegsausbruch 1914 der Zusammenbruch. Nicht nur in Österreich nahmen große Teile der Sozialdemokratie eindeutig für den Nationalismus, für die eigene herrschende Klasse und gegen Solidarität und Internationalismus Stellung. Auch nach 1918 änderte die Sozialdemokratie ihre „reformistische“ Ausrichtung auf langfristige, langsame Verbesserungen nicht und grenzte sich von „revolutionären Experimenten“ radikal ab. In der polarisierten Realität der 20er und 30er Jahre lief dieser Ansatz auf eine zurückweichende Haltung gegenüber dem Faschismus hinaus. In den Jahren nach der Errichtung der Diktatur 1934 stellten zwar tausende junge AktivistInnen die Führungsrolle der traditionellen sozialdemokratischen Kräfte in der ArbeiterInnenschaft offensiv in Frage. Nach der Befreiung vom Faschismus währte die Chance für einen echten Neubeginn dann allerdings nur kurz: Der kalte Krieg und das Fehlen einer starken sozialistischen Alternative schufen die Basis dafür, dass die SPÖ (wieder) zu Masseneinfluss gelangte. Nach einem kurzen Zwischenspiel übernahm der rechte Parteiflügel in der SPÖ Anfang der 50er Jahre endgültig die Macht und arrangierte sich nun völlig mit der Kapitalseite. Der lange Wirtschaftsaufschwung schuf – im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit - die reale Basis für längerfristige Verbesserungen. Die Führung der Sozialdemokratie wurde auf dieser Grundlage völlig in den bürgerlichen Staat integriert. Trotzdem blieb die SPÖ noch über drei Jahrzehnte eine Partei, die nicht nur von der übergroßen Mehrheit der ArbeiterInnen gewählt wurde, sondern: Die Masse der Beschäftigten und Jugendlichen sahen in der SPÖ – im Unterschied zu heute (!) - auch „ihre“ Partei, mit der sie für Fortschritt und Verbesserungen der Lebensbedingungen kämpfen konnten. Dabei war das „Herz“ der Partei ihre weit verzweigte Verankerung durch eine Vielzahl von Vorfeldorganisationen, wie SJ, FSG, Kinderfreund, Rote Falken, ASKÖ etc. Soziale Auseinandersetzungen, Konflikte und gesellschaftliche Diskussionen mussten sich innerhalb der Partei widerspiegeln. Trotz extrem bürokratischer Strukturen war damit ein relativ mächtiges Gegengewicht gegenüber der bürgerlichen Parteiführung in der SPÖ vorhanden. Vor allem in den 70er Jahren wurde die Sozialdemokratie zum Brennpunkt der damaligen gesellschaftspolitischen Bewegung nach links. Nicht nur in Österreich, sondern in vielen europäischen Staaten waren sozialdemokratisch geführte Reformregierungen Ausdruck einer breiten Stimmung für „Veränderung“ in der ArbeiterInnenklasse, die sich in Wahlsiegen und Mitgliederzulauf für die  Sozialdemokratie zeigte.

Die Verbürgerlichung der Sozialdemokratie

Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre markierten zwei Rezessionen das Ende des langen Nachkriegsaufschwungs. Damit war die Basis für die bisherige Reformpolitik der Sozialdemokratie nicht mehr gegeben. Zuvor war es noch verhältnismäßig leicht, auch nur mit der Androhung von Klassenkämpfen den Unternehmen das eine oder andere Stück vom Kuchen abzutrotzen. In Österreich war das die heute als „goldene Zeit“ verklärte lange Periode der Sozialpartnerschaft. Erhöht sich jedoch der kapitalistische Konkurrenzkampf und brechen die Profite ein, verschieben sich damit auch gesamtgesellschaftlich die Grenzen für Reformen. Als Resultat waren und sind die Unternehmer nicht weniger bereit, „zu teilen“ und zu verhandeln. Die SPÖ stand vor der – theoretischen - Entscheidung, entweder mit der bisherigern Strategie und der Integration in den bürgerlichen Staat zu brechen, oder dramatisch nach rechts zu gehen. Auch wenn die bürgerlichen Führungen aller sozialdemokratischen Parteien sich hier eindeutig positionierten, gab es innerhalb vieler Parteien große Unzufriedenheit und teilweise auch erbitterten Widerstand gegen die Entwicklung. Begleitet wurde der Rechtsruck der Sozialdemokratie(n) deshalb in einer Vielzahl von Ländern mit Ausschlüssen der unangenehmen Opposition in den eigenen Reihen durch die Parteispitze. So auch in Österreich, als 1992 sechs AktivistInnen der Zeitung Vorwärts (aus der später die SLP entstand) aus der Sozialistischen Jugend ausgeschlossen wurden. Die rechte Politik der Führung und der letztlich erfolglose Widerstand der Linken in der Sozialdemokratie führte zu einer qualitativen Veränderung in der Zusammensetzung dieser Parteien: Sie verbürgerlichten. ArbeiterInnen, Frauen und Jugendlichen wandten sich in Massen von ihren traditionellen Organisationen ab, übrig blieben schließlich teilweise völlig überaltete, einflusslose Sektionen und zu Serviceorganisationen umfunktionierte Vorfeldstrukturen. Dem Rechenschaftsbericht für 2001 auf der SPÖ Homepage ist zu entnehmen, dass rund 94,5 Mio Schilling an Mitgliedsbeiträgen eingenommen wurden. Rechnen wir nun mit dem offiziellen Beitrag von 5,- pro Monat, dann ergibt das gerade einmal knappe 160.000 zahlende Mitglieder, die der SPÖ noch geblieben sind! Geht man von den offiziellen Mitgliedzahlen der 70er Jahre aus (700.000 Mitglieder), bedeutet das, dass die SPÖ vor allem unter Vranitzky, Klima und Gusenbauer rund 80 Prozent ihrer Basis verloren hat.

Die Gewerkschaften in Geiselhaft der SPÖ

In den 80er Jahren war die enge Verbindung zwischen SPÖ und Gewerkschaften noch ein Faustpfand in der Hand der SPÖ gegenüber FPÖ und ÖVP. Auch Vranitzky und Co. brauchten die Gewerkschaften noch eine zeitlang, um die ArbeiterInnen bei ihrem Sozialabbau ruhig zu stellen. Ohne diese Kontrolle wäre z.B. die Zerschlagung und Privatisierung der ehemaligen Verstaatlichten nicht ohne Kampf umzusetzen gewesen. Mit der Argumentation, dass durch die Mitwirkung der Sozialdemokratie die Angriffe zumindest ein wenig „abgefedert“ werden könnten, ließen sich die Gewerkschaften unentwegt vor den Karren der SPÖ spannen. Doch unter der Oberfläche kam es zu einer Auseinanderentwicklung von Partei und Gewerkschaft, die heute immer deutlicher sichtbar wird. Auf der einen Seite existiert eine SPÖ, die über keine tiefgehende Verankerung mehr in der ArbeiterInnenklasse verfügt und neoliberale Politik betreibt. Auf der anderen Seite ein ÖGB dessen Existenzberechtigung als Interessensvertretung durch die neoliberale Politik real in Frage gestellt wird. Überall in Europa sehen sich selbst die angepasstesten Gewerkschaftsführungen deshalb auch gezwungen, immer stärker in Opposition zur Sozialdemokratie zu gehen – will man nicht als Gewerkschaft völlig untergehen. Besonders deutlich wird das dort, wo die Sozialdemokratie heute an der Macht ist. In Berlin trat z.B. die SPD-PDS (ex-Stalinisten) geführte Stadtregierung aus den Tarifvertragsverhandlungen (=Kollektivvertrag) für die öffentlichen Beschäftigten aus und beging damit „Tarifflucht“ – ein Modell welches die CDU/CSU geführten Bundesländer jetzt übernehmen wollen. Auch in Wien drückt sich die SPÖ Regierung um den Kollektivvertrag für Bedienstete im Sozialbereich herum. Die Gewerkschaften dürfen zwar noch die Parteikassen füllen, aber mitreden und mitbestimmen über den politischen Kurs dürfen sie schon lange nicht mehr! Doch während die SPÖ zunehmend ihre Verbindungen zur Gewerkschaft kappt, versuchen Verzetnitsch, Haberzettl und Co. die Gewerkschaften weiterhin sklavisch in der „tödlichen“ Umarmung zu halten. Streikabbruch und faule Kompromisse sind die logische Folge einer Gewerkschaftsstrategie, die auch die Interessen einer neoliberalen SPÖ-Führung berücksichtigen will. Die FSG ist neben denen, die sich zu keiner Fraktion bekennen, die größte Gruppe innerhalb des ÖGB. In vielen Bereichen, vor allem der ehemaligen Verstaatlichten, wird eine Gewerkschaftsmitgliedschaft mit der Mitgliedschaft bei der FSG gleichgesetzt. Die Oppositionsfraktionen UG-AUGE (von den Grünen) und der GLB (von der KPÖ dominiert) stellen in diesen Bereichen oftmals keine wirkliche politische Alternative dar. Das macht es der FSG-Führung leichter, die Rolle einer „Einheitsgewerkschafts-Fraktion“ zu spielen und die anderen mit einer „Teile und Herrsche“-Politik einzubinden und damit zu neutralisieren. Dort, wo jedoch selbst die FSG in der Opposition ist (wie zum Beispiel im Öffentlichen Dienst – GÖD), zeigt sich auch ihre tatsächliche politische Schwäche, Widerstand zu leisten. Viele KollegInnen der FSG stehen selbst vor Ort in ihren Betrieben der Politik der eigenen Führung mit immer weniger Verständnis gegenüber. Ihre tagtägliche Arbeit für und mit den KollegInnen in den Betrieben wird zunehmend durch Äußerungen und Beschlüsse der FSG Führung torpediert. Die SPÖ- und Gewerkschaftsspitze hat keine Alternative zur Kürzungspolitik zu bieten. Aus diesem Grund hat die SLP mit anderen die „Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften“ gegründet. Dabei handelt es sich um eine fraktionsübergreifende Initiative zur Vernetzung und zum Aufbau betrieblicher Gegenwehr, zu der wir auch alle kämpferischen FSG-Mitglieder einladen.

Für eine neue ArbeiterInnenpartei

Die rotblaue Koalition in Kärnten hat unter vielen SPÖ- und Gewerkschaftsmitgliedern zu Recht Empörung ausgelöst. Sie fühlen sich durch das Bündnis mit der radikalsten neoliberalen Partei (der FPÖ) vor den Kopf gestoßen. Während einzelne Proponenten aus dem Umfeld der SPÖ (wie Einem, Heller oder Knoll) via Medien ihrem Unmut Luft verschaffen konnten, hat niemand die Stimme für die ArbeitnehmerInnen erhoben. Doch sie sind am stärksten betroffen von einem Landeshauptmann, der ein Gewerkschaftsfeind ist und dessen Partei täglich gegen „Sozialschmarotzer“ und ausländische KollegInnen hetzt. Die Linken in SPÖ und FSG laufen Gefahr, bei den sicher kommenden weiteren Rechtswendungen nur kommentierend an der Seite zu stehen. Nur durch Presseaussendungen, wie z.B. von der Sozialistischen Jugend, kann maximal das eigene Gewissen beruhigt, aber keine Möglichkeit zur organisierten Gegenwehr geboten werden! Die Gründung einer Oppositionsplattform gegen die Parteiführung und ihre rechte Politik, an der sich alle in- und außerhalb von SPÖ und FSG beteiligen können, wäre zum Beispiel ein Schritt in diese Richtung. Wir schlagen dafür ein Programm vor, welches nicht wie in der Vergangenheit bei Reformen stecken bleibt. Wir glauben auch, dass die Parteiführung auf eine solche Oppositionsplattform mit massiver Repression und Ausschlüssen reagieren würde und sich deshalb auch die Frage nach organisatorischen Alternativen stellt. International gibt es bereits Beispiele für solche Initiativen wie etwa in Deutschland. Wir würden eine solche Initiative auch in Österreich begrüßen und aktiv unterstützen – vor allem wenn sie anerkennt, dass die ArbeiterInnenklasse wieder eine echte politische Vertretung braucht. Wir sind der Meinung, dass ein solcher konsequenter Kampf sehr schnell die Frage nach einer neuen ArbeiterInnenpartei aufwerfen würde.

Erscheint in Zeitungsausgabe: