Do 09.03.2017
Immer wieder berichten die Medien von Messerstechereien, von Übergriffen gegen Frauen und anderen Eskalationen am Linzer Hauptbahnhof.
Tatsache ist: Der Linzer Hauptbahnhof ist ein „sozialer Brennpunkt“. Viele, v.a. Frauen, fühlen sich unsicher am Bahnhof. Jedoch kann dieses Problem weder durch Verharmlosung, wie es bis vor kurzem manche gemacht haben, gelöst werden, noch durch mehr Überwachung und polizeiliche Repression, wie sie die etablierte Politik jetzt umsetzt. FPÖ, ÖVP, SPÖ, aber auch die Grünen, sehen vor allem nur die AsylwerberInnen als „Problemgruppe“ und schlagen den Einsatz von mehr Polizei als wesentliche Lösung vor.
Ohne die Probleme rund um den Hauptbahnhof zu verharmlosen, muss doch auch ein Punkt betont werden: Die Debatte wird medial massiv aufgebauscht. Medien wie Krone, OÖN, Heute und andere, zeichnen ein Bild von ununterbrochenen und eng zusammenhängenden Straftaten und Gewaltakten. Tatsächlich passieren diese „Zwischenfälle“ unabhängig voneinander und stehen in keiner Verbindung, auch wenn Medien, Behörden und Rechtsextreme sich große Mühe geben, eine solche Verbindung herbeizuphantasieren. Einige Medien nutzen die Vorfälle für ihren plumpen Rassismus, indem sie gegen Flüchtlinge, Jugendliche aus sozial schwachen Schichten und Obdachlose hetzen. Sie versuchen damit gezielt, Angst zu schüren und repressive Maßnahmen zu rechtfertigen. Die Linzer Stadt- und die Landesregierung nutzen sie als Vorwand für mehr polizeiliche Repression und Überwachung.
Die Regierung befeuert eine rassistische Stimmung, die schon durch die Medien aufgeheizt wird. Vorschläge für z.B. Sozialarbeit, um die Situation in den Griff zu bekommen, bleiben höchstens Nebensätze.
Als SozialistInnen zeigen wir auf, dass Repression keine Probleme lösen wird. Unsere Antwort ist eine andere: Um die Probleme am Linzer Hauptbahnhof anzugehen müssen wir bei den sozialen Ursachen ansetzen. Nur so kann die Situation nachhaltig verbessert werden.
FPÖ und Regierungspolitik verschärfen das Problem
Am Linzer Bahnhof halten sich neben den Fahrgästen und Menschen die in den zahlreichen Geschäften einkaufen gehen österreichische wie migrantische Jugendliche, Arme, BettlerInnen, Alkohol- und Drogenkranke, Roma und Flüchtlinge auf. Für viele dieser Menschen dient der Hauptbahnhof als Treffpunkt und als einer der wenigen öffentlichen Plätze an denen man sich ohne Konsumzwang bewegen, den kostenlosen WLAN Zugang nutzen, ein wenig Geld erbetteln und sich im Winter halbwegs warmhalten kann. Jene, die am Hauptbahnhof ihre Zeit totschlagen, haben einfach keine Möglichkeit, ins Kino, Kaffeehaus, oder sonst wo hinzugehen, weil all das Geld kostet. Sie können sich eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben schlicht nicht leisten.
Fehlende Zukunftsperspektiven, hohe Arbeitslosigkeit die daraus resultierende gesellschaftliche Ausgrenzung, Armut und andere soziale Probleme (die dann oft auch zu psychischen Problemen führen) sind die Gründe, warum viele Menschen nahezu dauerhaft am Bahnhof sind. Der Kapitalismus sorgt dafür, dass Immobilienhaie mit Häusern spekulieren können, Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben werden bzw. Wohnen zum Luxus wird. Der Kapitalismus sorgt dafür, dass immer mehr immer länger arbeiten müssen, während rund 500.000 Menschen hierzulande keinen bezahlten Job haben. Der Kapitalismus führt dazu, dass mit Kürzungen bei Mindestsicherung, im Sozialbereich etc. die letzten sozialen Sicherheitsmaßnahmen vernichtet werden, während Banken und Konzerne unangetastet bleiben. Und der Kapitalismus sorgt durch Krieg, Ausbeutung und Umweltzerstörung dafür, dass Millionen aus ihrer Heimat fliehen müssen.
Tatsache ist: Die FPÖ ist zentral mitverantwortlich für die Situation am Bahnhof. Schließungen von Jugendzentren – oft die letzten kostenlosen und niederschwelligen Anlaufstellen für Jugendliche – sind wesentlich dafür verantwortlich, dass sich Jugendliche am Bahnhof aufhalten müssen. Die Kürzung der Mindestsicherung auf €365 macht es vielen Asylberechtigten unmöglich, sich eine Wohnung zu leisten und treibt sie zum Bahnhof oder anderen „sozialen Brennpunkten“. Wenn die Auswirkungen dieser Politik sichtbar werden, fordert die FPÖ mehr Geld für Repression und bekommt auch noch Zustimmung. Dieses Geld fehlt dann wieder für Sozialarbeit. Hier schließt sich der Kreis.
Die rassistischen Antworten der etablierten Parteien
Die etablierten, bürgerlichen Parteien lösen diese Probleme, beispielsweise durch Abschiebungen, keineswegs. Die bürgerliche Politik versucht vielmehr, die kapitalistische Krise auf Kosten von ArbeiterInnen, Jugendlichen, Arbeitslosen, Studierenden und PensionistInnen zu lösen: Die Kürzungen im Bildungs-, Gesundheits- & Sozialbereich, Privatisierungen, Stellenstreichungen und Betriebsschließungen führen zu einem sinkenden Lebensstandard vieler Menschen. Dass trifft ÖsterreicherInnen gleichermaßen wie MigrantInnen. Der Linzer Bahnhof wird so zum „sozialen Brennpunkt“ gemacht, an dem viele Probleme konzentriert sichtbar werden.
Manche von uns werden oft von Menschen unterschiedlicher Herkunft am Bahnhof um Geld angesprochen. Dass darunter auch ÖsterreicherInnen sind, zeigt: Armut kennt keine Hautfarbe. „Lösungen“ wie das sektorale Bettelverbot in der Linzer Innenstadt bedeuten nur eine Verschiebung der Sichtbarkeit des Armutsproblems – und Repression gegen jene, die am schwächsten sind.
Dass sich viele Flüchtlinge und MigrantInnen am Bahnhof aufhalten macht deutlich, dass Menschen mit Migrationshintergrund besonders stark von sozialen Problemen betroffen sind. Das hat mehrere Gründe. Rassismus ist in Österreich keine Randerscheinung, die sich auf ein paar Nazi-Hooligans beschränkt. MigrantInnen werden systematisch ausgegrenzt. Ob bei Job- & Wohnungssuche, bei Behördengängen (besonders bei fehlenden Deutschkenntnissen), im Bildungssystem oder sonst wo: Mit Kopftuch, dunklerer Hautfarbe oder Akzent hat man schlechtere Karten. Flüchtlinge und Asylberechtigte werden noch härter getroffen: Es fehlt an der Finanzierung von Deutschkursen, sie haben kein Recht, zu arbeiten, Sozialleistungen wie die Mindestsicherung, Wärmestuben oder Suppenküchen werden gestrichen. Für MigrantInnen ist oft noch schwerer eine Wohnung zu finanzieren. Dazu kommt die ständige Angst, in ein Kriegsgebiet abgeschoben zu werden. Die Liste lässt sich beliebig lange fortsetzen. Alleine die neueste Verschärfung im Asylrecht durch die rot-schwarze Bundesregierung wird dafür sorgen, dass tausende Flüchtlinge aus der Grundversorgung fallen und obdachlos werden. Die verschiedenen Kürzungsmaßnahmen von Bundes- und Landesregierung verschärfen die Situation an Brennpunkten wie dem Linzer Hauptbahnhof weiter!
Repression ist auch keine Lösung
Niemand wird kriminell geboren - Kriminalität ergibt sich großteils aus den gesellschaftlichen Verhältnissen. V.a. Kleinkriminalität (Taschendiebstahl etc.) wie sie am Bahnhof vorkommt wurzelt in Armut. Gewalt ist oft Ausdruck von Drogenkrankheit, massiver Frustration und eigenen Gewalterfahrungen. Das macht es für die Opfer von Gewalt (wobei die meisten Gewalttaten am Bahnhof nicht an unbeteiligten verübt werden) nicht besser, zeigt aber, wie das Problem Gewalt in den Griff bekommen werden kann. Nämlich durch die Beseitigung der Ursachen und durch intensive Sozialarbeit. Wo setzten die Verantwortlichen Initiativen dafür? Nirgends, im Gegenteil wird hier eingesparrt, aber mehr Geld für Repression eingesetzt.
Auch die Vorgangsweise der Polizei löst das Gewaltpotential nicht auf. Es ist ein Trend zu erkennen, dass die Polizei nach einem Muster mit rassistischen Merkmalen handelt (Stichwort: Racial profiling). Die Situation am Bahnhof wird dadurch verschlimmert. Ein Mädchen schilderte ihre Erfahrungen sehr glaubwürdig: „Es ist auffallend, dass die Polizei, Menschen mit ausländischem Aussehen und Mädchen die eine Kopftuch tragen, so wie ich, eher kontrolliert. Ich fühle mich dadurch noch unsicherer.“
Eine Aktivistin der SLP hat erst kürzlich eine ähnliche Erfahrung gemacht: „Ich und meine Begleitung beobachteten eine Situation, wo genau dieser Trend der Polizei, Menschen nach rassistischen Mustern zu ‚kategorisieren’ zu erkennen ist. Neben uns saßen zwei Jugendliche, einer der Jugendlichen offensichtlich mit Migrationshintergrund. Die beiden verhielten sich unauffällig und ruhig. Ein Polizist und eine Polizistin betraten das Lokal, sahen sich kurz im Lokal um, und gingen dann eindeutig gezielt auf die zwei Jugendlichen neben uns zu. Ihr Auftreten war militant, aggressiv und autoritär. Die Polizistin fragte die beiden, was sie hier machen würden, da sie ja nichts konsumieren. Hier wurde eindeutig klar, nach welchen Mustern die Polizei vorgeht, und welche Menschen hier einem Generalverdacht unterzogen werden.“
Die polizeiliche Repression, Überwachung und die ohnehin fragwürdige Rolle der ÖBB-Security mitsamt ihren gestressten Hunden, führt folglich keineswegs zu einer echten Lösung. Die etablierte Politik, SPÖ, ÖVP, FPÖ zeigen also mit ihrem Konzept „mehr Überwachung“ wieder einmal nur Scheinlösungen auf – für Probleme die mit ihrer eigenen Politik geschaffen werden. Die Repression führt höchstens zu einer Verschiebung der Probleme auf einen oder mehrere andere Orte und meistens führt sie zu einer noch konfliktreicheren und unangenehmeren Stimmung am Hauptbahnhof.
Let´s talk about Sexism
Für junge Frauen, wie mich, ist der Bahnhof oft sehr unangenehm, weil Frauen sexistisch angesprochen und sogar angegrapscht werden. Es kam sogar schon zu sexuellen Übergriffen. Medial werden diese nur Aufgegriffen, wenn sie für rassistische Hetze genutzt werden können. Sexuelle Gewalt muss aber immer bekämpft werden, egal welche Herkunft der Täter hat. Auch hier überzeichnen die Medien die realen Verhältnisse am Bahnhof bewusst. Der absolut größte Teil aller sexuellen Übergriffe und Gewalt an Frauen überhaupt, passiert nicht am Linzer Hauptbahnhof, sondern hinter verschlossenen Türen, durch den eigenen Lebensgefährten oder andere nahestehende Personen. Diese Tatsache wird von Medien, Polizei und den etablierten Parteien ignoriert, banalisiert und sogar gerechtfertigt. Da behaupten dieselben PolitikerInnen die jetzt lautstark nach Frauenrechten schreien das „Frauenhäuser Familien zerstören“ (FPÖ-Amstetten) oder dass „wir ein gutes Strafgesetz mit klaren Strafen“ haben und es deshalb nicht strafbar sein soll, Frauen gegen ihren Willen auf den Hintern zu greifen (Strache zum Po-Grapsch Paragraphen). Wenn solche Leute „unsere Frauen“ schützen wollen geht es nicht um die Rechte von Frauen, sondern um ein rassistisches Besitzdenken: Der „schwarze“ Mann soll sich von „meiner weißen Frau“ fernhalten. Würde es ihnen tatsächlich um Frauenrechte gehen, dann müssten sie z.B. gerade Asylwerberinnen besonders unterstützen!
Uns muss bewusst sein, dass diese Parteien und Behörden keine Hilfe für Frauen sind, die sexueller oder irgendeiner anderen Form von Gewalt ausgesetzt sind. Uns muss auch bewusst sein, dass das Gefühl von Unsicherheit gerade junger Frauen am Hauptbahnhof von den Medien ganz bewusst verstärkt wird.
Das Sicherheitsthema nicht den Rechten überlassen!
Linke dürfen dieses subjektive Unsicherheitsgefühl nicht ignorieren auch wenn wir wissen, dass es zumindest teilweise künstlich hochgeschaukelt wird. Damit würden wir FPÖ & Co. das Feld überlassen. Wir müssen das Thema auf unterschiedlichen Ebenen aufgreifen. Erstens müssen wir die Ursachen der wachsenden Unsicherheit aufzeigen. Das nämlich das kapitalistische System soziale Unsicherheit schafft und verstärkt und das die Grundlage für soziale Probleme mit allen ihren Folgen ist. Doch Menschen die Angst haben brauchen auch unmittelbare Antworten!
Das Gefühl der Unsicherheit muss von den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung aufgegriffen werden. Der Bahnhof ist ein Ort, an dem täglich zehntausende Menschen unterwegs sind, der Großteil davon „ArbeiterInnen“ (also Menschen die auf einen Job angewiesen sind um sich ihr Leben finanzieren zu können). Wir alle sind konfrontiert mit diversen (sozialen) Problemen. Stress am Arbeitsplatz, niedrige Löhne und Chefs, die auf unsere Rechte pfeifen. Die Gewerkschaften haben die Möglichkeit, hier eine zentrale Rolle zu spielen. Sie können laufend am Hauptbahnhof präsent sein. Sie können Infostände machen über die Rechte von Beschäftigten. Sie können Flugblattaktionen machen, bei denen auch die Fragen von Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit aufgegriffen werden und so eine Brücke zum „Hotspot“ Bahnhof geschlagen wird. Die Gewerkschaft kann auf die Verantwortung von Regierung und Unternehmen für die wachsende Armut hinweisen und Lösungmöglichkeiten aufzeigen. GewerkschafterInnen dürfen aber nicht als Hilfssheriffs auftreten. Druch eine solche ständige Präsenz der Gewerkschaft würde sich das Klima am Bahnhof massgeblich ändern und im Einzelfall können GewerkschafterInnen Menschen die sich unsicher fühlen auch über den Bahnhof begleiten: und dabei über die Kampagne gegen den 12-Stunden-Tag, für einen Betriebsrat etc. reden.
Eine solche Kampagne aus der ArbeiterInnenbewegung würde der medialen Debatte eine neue Richtung geben und die Diskussion auf die wirklichen Ursachen lenken: Die jahrzehntelange, neoliberale Kürzungspolitik der etablierten Parteien auf Bundes-, Landes- & Stadtebene. Sie könnte der erste Ansatz für eine Bewegung, die gegen all diese Kürzungen Widerstand organisiert werden – mit klaren Forderungen, die aufzeigen, was nötig ist, um die Probleme zu lösen und wie diese Lösungen finanziert werden können.
Diese Forderungen können sein:
-
Gespräche mit Betroffenen statt polizeilicher Einschüchterung. Mehr Geld für echte Sozialarbeit, nachhaltiges Streetworking und dem dringend notwendigen Zugang zu psychologischer und medizinischer Betreuung statt für die Stadtwache.
-
Rücknahme aller Kürzungen bei der Mindestsicherung
-
Jugendzentren statt Videoüberwachung! Nein zu allen Kürzungen, stattdessen Schaffung zusätzlicher Jugendzentren
-
Ein Bildungssystem, dass die Talente und das Potential von Jugendlichen fördert. Die Schule sollte ein spannenderer Ort sein als der Bahnhof.
-
Wärmestuben für alle zugänglich machen, die sie brauchen & Schaffung zusätzlicher Wärmestuben, um den Bedarf zu decken
-
Arbeitsrecht für AsylwerberInnen statt sie als LohndrückerInnen zu missbrauchen wie es die Bundesregierung gerade plant
-
Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden/Woche bei vollem Lohn und Personalausgleich, um die nötigen Arbeitsplätze zu schaffen, für „ÖsterreicherInnen“, MigrantInnen und Flüchtlinge
-
Enteignung von WohnungsspekulantInnen, und Nutzung des Wohnraums für all jene, die Wohnungen brauchen
-
Öffentliches Investitionsprogramm in Wohnbau, Ausbildungs- und Beschäftigungsoffensive im Bildung und Gesundheitsbereich weitere Jobs und ausreichend Wohnraum zu schaffen.
-
Finanzierung all dieser Maßnahmen aus den Gewinnen der Großunternehmen und Banken sowie aus den Vermögen der Superreichen!
-
Kampf für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, wo die Bedürfnisse der Menschen und nicht Profite im Zentrum stehen. Wenn Armut und Krieg abgeschafft sind muss niemand flüchten, niemand auf der Straße leben, niemand versuchen, sein Elend in Drogen zu vergessen. Der Reichtum auf der Welt ist insgesamt groß genug, um allen Menschen ein sicheres Leben in Würde zu ermöglichen!