Sozialdemokratie am Boden - Neue Linkspartei kommt! Nur wann?

John Evers

Oberösterreich: Die SPÖ bricht in ihren industriellen Hochburgen vollständig zusammen. In Wels erreicht der FPÖ-Kandidat in der Stichwahl fast 47 Prozent und verpasst nur knapp den Bürgermeistersessel. Vorarlberg: SPÖ 10 Prozent, FPÖ 25 Prozent. Die Konsequenz? In Linz erhält die FPÖ von der SPÖ-Mehrheit das Sicherheitsressort. Die Wiener SPÖ spricht nur mehr von der „Hausordnung“ und führt eine Unzahl neuer Wachkörper ein. Und im Bund strebt die SPÖ neben einer Verschärfung des Asylgesetzes auch eine weitere Kursverschärfung in der Migrationspolitik nach Rechts an. Was steckt hinter der Krise der SPÖ und welche politischen Schlussfolgerungen sollten SozialistInnen und Linke aus der aktuellen Entwicklung ziehen?

Das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts?

Der (neo)liberale Ideologe Ralf Dahrendorf, der schon in den 1980ern das „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ beschwor, gehört momentan zu den meistzitierten Personen. Zumindest wenn es um die europäische Sozialdemokratie geht. Nach den vernichtenden Niederlagen in Deutschland und Österreich, der tiefen Krise der französischen SP und von „New Labour“ in Britannien – von Ungarn, Polen (...) ganz zu schweigen  - steckt diese traditionsreiche Bewegung offenbar in einer Art finalen Krise. Dahrensdorf alte Behauptung  - die Sozialdemokratie habe im Grunde alles erreicht und müsse daher in ihrer bisherigen Form abtreten – dient in verschiedenen Varianten als zentrales Erklärungsmuster.  In Deutschland wurde die CDU von den Medien zum Teil zur heute besseren Sozialdemokratie (v)erklärt. In Österreich gibt der auf die SPÖ-Parteiführung sehr einflussreiche Kommunikations-„Experte“ Dietmar Ecker im Ö1 Morgenjournal (14.10.09) folgende Analysen und Tipps zum Besten: „Europaweit reagiere die Sozialdemokratie auf die verstärkte internationale Konkurrenz mit dem Ausbau der Sozialnetze. Das hilft zwar jenen, die Opfer der Krise sind, aber bei jener Generation mit hoher Bildung im internationalen Wettbewerb stehend erzeugt das eher das Gefühl: Wer zahlt denn das?“ Nicht nur angesichts der Tatsache, dass selbst die Hälfte der – „jungen“ und „bessergebildeten“ - Studierenden unter der Armutsgrenze leben, ist es ganz offensichtlich, wie wenig fundiert eine derartige neoliberale Propaganda durch sogenannte „ExpertInnen“ sich in der Realität darstellt. Praktisch werden sozialdemokratische Parteien überall in Europa von neuen Linksformationen herausgefordert bzw. – v.a. dort wo solche Formationen nicht existieren – auch durch eine (extreme) Rechte, welche sich die soziale Frage auf die Fahnen heftet, an die Wand  gedrückt. Tatsächlich ist diese Entwicklung durch politische und strukturelle Veränderungen bedingt, welche bis in die 1980er Jahre zurückgreifen. Allerdings hat nicht eine positive soziale und demokratische Modernisierung der Gesellschaft die Sozialdemokratie obsolet werden lassen, sondern sich diese sich damals an den neuen, neoliberalen und repressiven Mainstream angepasst.

Neoliberale „Modernisierung“ in der Sackgasse – aber niemand wendet den Kurs

In den 1980ern wurden die strukturellen Probleme einer Politik die auf Reformen setzt, aber das System selbst nicht Frage stellen möchte, deutlich sichtbar. Die seit damals langfristig steigende Arbeitslosigkeit und die (gerade auch jetzt extrem) steigende Verschuldung weisen auf eine dauerhafte Niedergangsphase des Kapitalismus hin. Die Verbesserung der Profitraten auf der einen, Sozialabbau auf der anderen Seite, wurde zur neuen Priorität politischen Handels. Überall orientieren sich Sozialdemokratische Parteien - seit Jahrzehnten fest im politischen System verankert - in diesem Sinne neu. Außenauftritt und Struktur wurden „modernisiert“. Das Umwerben der bürgerlichen Medien und teure Kampagnen für den Spitzenkandidaten entsorgten nicht nur inhaltliche Positionen. Knapp 400.000 Mitglieder haben in den letzten Jahrzehnten die SPÖ verlassen. Tiefe Bruchlinien zu den Gewerkschaften sind und bleiben unübersehbar. Der Versuch, sich als „normale“, bürgerliche Partei zu profilieren bedeutete gleichzeitig einen langfristigen Abwärtstrend: Von knapp 50 Prozent Anfang/Mitte der 1980er Jahre bei Bundeswahlen, landete die SPÖ bei unter 30 Prozent (2008). Insofern erscheinen die Ergebnisse in Vorarlberg und Oberösterreich klar als Ausdruck einer strukturellen Entwicklung bzw. des dauerhaften Niedergangs. Die neoliberale Modernisierung der Sozialdemokratie – unter Vranitzky, Klima, Gusenbauer und Faymann, bzw. europaweit unter Blair und Brown, Schröder und Steinmeier vorangetrieben – hat sich zwar somit als Sackgasse erwiesen. Nur niemand ist (mehr) da um diese strukturell wieder in eine andere Richtung zu drehen. Bezeichnend dafür ist nicht nur der Umstand, dass der SPÖ-Bundesführung nichts anders einfällt als zur Tagesordnung überzugehen; nachdem sie schon die historische Wahlniederlage 2008 als Erfolg gefeiert hatte. Es sind v.a. gerade auch jene Personen, welche von den Medien zu linken Galionsfiguren erkoren wurden, die wie Pappfiguren im Wind nach Rechts umfielen. So war es gerade Erich Haider der sich vor der Wahl plötzlich für einen verpflichtenden „Integrationsvertrag“ – etwas was die FPÖ seit Jahren fordert - für alle MigrantInnen stark machte.

SPÖ-Linke: Organisationsdisziplin gegenüber der Faymann-SPÖ oder Öffnung und Konzentration der Linken?

Im Gegensatz zu anderen Staaten, hat es in Österreich weder in der Sozialdemokratie noch im gewerkschaftlichen Bereich nach 1950 eine starke linke Strömung gegeben. Die SPÖ-Linke heute sind im Wesentlichen Einzelpersonen plus Teile der Jugendorganisationen ohne Ansätze eines gemeinsamen Programms. Sie haben in den letzten Jahren bei allen Anlässen letztlich lieber der Partei(führung) die Treue gehalten, als sich gegenüber anderen Linken zu öffnen. Ein starkes Element dieser Personengruppe bildet die virtuelle Politik über Homepages („Wir sind SPÖ“) und Facebook, die a priori nur bestimmte Schichten erreicht und auf reale Handlungen weitgehend verzichtet. Wie verzweifelt sich die Lage darstellt, zeigt ein Kommentar der „SPÖ-Marxisten“ um die Zeitschrift „Der Funke“ die, um die Notwendigkeit des Verbleibs in der SPÖ zu rechtfertigen, nach jedem Strohhalm greifen: „Unter dem Namen „SPÖ-Linke. Pro SPÖ-Kurswechsel. Pro SPÖ-Neustart“ organisierten sich binnen weniger Tage schon mehr als 850 linke SozialdemokratInnen, darunter viele GenossInnen aus der SJ und aus SPÖ-Ortsparteien bis hin zu Parteiprominenz wie Ex-Sozialminister Erwin Buchinger oder Günther Tolar von der SoHo. Dieses Projekt legt den Keim für den Aufbau einer SPÖ-Linken. Der Funke unterstützt dieses Projekt mit aller Kraft.“
Bemerkenswert ist nicht nur, was gerade der Funke am 22.2.2008 über diesen „linken“ Buchinger schrieb: „Nachdem unser Sozialminister durch ein Totalversagen in der Pflegeproblematik in den Umfragen in den Keller rutscht, kürzt er den rund 500.000 ärmsten PensionistInnen, die Realpensionen um 2 % mit der Begründung, sie bekämen eh alle Nebeneinkünfte. Binnen weniger Monate ist Buchinger vom feschen d´Artagnan zum ergrauten Richelieu der Sozialpolitik mutiert. Ist der Ruf einmal ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert. Ganz nach dem Motto l´État, c´est moi, stellt er sich jetzt in der Frage des Untersuchungsausschuss voll hinter Platter, während sämtlichen SPÖ-Landesorganisationen die Grausbirnen wachsen.“ (http://www.derfunke.at). Tatsächlich setzt das neue Facebook-Projekt – wieder einmal – ausschließlich auf die Reform der SPÖ: „In den letzten Jahren hat die SPÖ große Schuld auf sich geladen, da sie ohne Widerspruch ÖVP-Politik mitgetragen und mitgestaltet hat. Es sind kaum noch sozialdemokratische Inhalte erkennbar, daher fordert die SPÖ-Linke einen Neustart. Eine Rückkehr zu sozialdemokratischen Werten, die die jetzige Parteiführung entsorgt hat.“ (Aus dem Aufruftext).
Nicht gefragt wird, woran diese bisher gescheitert ist, bzw. wer diese eigentlich konkret umsetzen soll. Hierauf wären auch schwer Antworten zu finden die nicht auf einen Bruch mit der Partei hinauslaufen. Wirklich bemerkenswert gegenüber dieser offiziellen Organisationstreue erscheint der Tenor den linke Einzelpersonen bzw. vor allem auch viele GewerkschafterInnen in persönlichen Diskussionen vermitteln. Der positive Bezugspunkt zu internationalen Entwicklungen, v.a. der Entwicklung neuer linker Parteien ist hier stets unüberhörbar.  Genau jetzt stellt sich allerdings dann die Frage: Worauf wird noch gewartet? Tatsächlich entwickeln sich die Verhältnisse in der SPÖ nämlich in eine eindeutige Richtung.

Am Beispiel Oberösterreich: Wohin geht die Reise?

Nach den Wahlen in Oberösterreich machte der FP-Spitzenkandidat Detlev Wimmer den Anspruch laut, er wolle erster Linzer Sicherheitsstadtrat werden. Mitte Oktober überlies der SPÖ-Bürgermeister von Linz, Dobusch, ihm den Posten. Wimmer wird damit für den Bereich Sicherheit verantwortlich sein. Dobusch wurde gefragt, ob dies nicht ein falsches Signal sei, ausgerechnet die Rechten mit diesen Aufgaben zu betreuen. Und diese zudem noch einem Mann zu übertragen, dem das Bundesheer wegen dessen Kontakte zur rechtsextremen Gruppierung "Bund Freier Jugend" eine Offizierkarriere verweigert hatte? "Einen Versuch ist es wert", meint Dobusch im Gespräch mit dem Standard. "Schon einmal sind die Blauen entzaubert worden, als sie auf Bundesebene Regierungsverantwortung übernommen haben". Außerdem, so merkt Dobusch weiters an, seien bei der Wahl jene Kräfte gestärkt worden, die einen Law-and-Order-Wahlkampf geführt hatten. Den Freiheitlichen jetzt das Feld Sicherheit zu übergeben, entspreche somit dem Wählerwillen.“ (Der Standard, 16.10.2009).
In Wels hat eine machtvolle Demonstration mit 800 TeilnehmerInnen gegen den FPÖ-Bürgermeisterkandidaten demgegenüber bewiesen, dass es auch andere Methoden gibt – nämlich gegen Rechts zu mobilisieren. Die entscheidende Frage die sich auch hier stellt ist allerdings mit welcher Strategie und Zielrichtung. Tatsache ist, dass – wie die SLP auf ihrem Flugblatt zu Demonstration festhielt – gerade auch die Welser SPÖ die Mitverantwortung für die Stärke der Freiheitlichen trägt: „Aber wie hat es dazu kommen können, dass die FPÖ so stark geworden ist? Auch in Wels gibt es Probleme und die SPÖ kann diese nicht lösen. Im Bezirk Wels ist die Arbeitslosigkeit im letzten Jahr um 59% gestiegen, rund 2000 Menschen in Wels waren letzten Winter wegen ihres geringen Einkommens auf einen Heizkostenzuschuss angewiesen. Die SPÖ-Wels trägt die Linie der Bundes-SPÖ mit (...) Im Wahlkampf ging es v.a. um ‘das Ausländerthema’. Probleme im Zusammenleben können nicht mit Hetze a ’la FPÖ gelöst werden. Aber auch eine softere Version davon schürt den Rassismus weiter. SPÖ-Koits will ‘mehr Polizei’ und fordert bei der Zuwanderung ein Mitspracherecht der Stadt - was soviel heißt wie ‘wir machen die Schotten dicht, wenn wir es wollen’. Mit Kürzungen im Sozialbereich und einem schärferen Abschotten gegen MigrantInnen wird die FPÖ nicht gestoppt, sondern droht spätestens 2015 ein FPÖ-Bürgermeister.“ In Wels – und nicht nur dort – wird es daher notwendig sein, jedes  politische Bündnis mit der SPÖ-Spitze zu vermeiden und daher „von links“ so breit wie möglich gegen die unsoziale und ausländerfeindliche Politik die von dort kommt zu mobilisieren. Genau vor dieser Herausforderung stehen Linke und SozialistInnen insgesamt in Österreich – wenn sie nicht der FPÖ in der entscheidenden sozialen Frage das Feld überlassen wollen. Dass dies letztlich nicht ohne den organisatorischen Bruch in bzw. mit der Sozialdemokratie gehen wird, zeigen uns sowohl die internationalen Erfahrungen wie auch die bereits erwähnten Kommentare verschiedener  KollegInnen in SPÖ und ÖGB, die offenbar nur auf ein entsprechendes Zeichen warten. Die in dieser Hinsicht stärkste Bruchlinie bildet in diesem Zusammenhang das Verhältnis SPÖ-Führung und FSG/ÖGB, die in Wahrheit nur mühsam mit neuen Posten für Spitzengewerkschafter (wie Hundsdorfer) übertüncht wurde. Im Zuge von konkreten – und durch die Krise unvermeidlichen - sozialen Auseinandersetzungen ist zu erwarten, das hier die Konfrontationen mit der SPÖ-Führung härter werden. Eine ganze Schicht von AktivistInnen könnte in so einem Prozess die Schlussfolgerung ziehen, dass die Zeit des Zuwartens vorbei ist und auch Österreich eine neue, konsequente Kraft für ArbeitnehmerInnen und Jugendliche braucht.

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