"Social Reproduction Theory" - Eine Auseinandersetzung

Erschienen am 26.5. auf der Website der Schwesterorganisation der SLP in Schweden https://www.socialisterna.org/offensiv/
Elin Gauffin

Zu den feministischen Theorien, die heute viel diskutiert werden, gehört die Social Reproductive Theory, SRT, die sich mit Hausarbeit, Pflege, Wohlfahrt und mehr beschäftigt. Dies ist zum Teil eine Folge des großen Pflegenotstands, den zuletzt die Pandemie aufgedeckt hat, und der Rückschläge gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter, die auf der ganzen Welt zu beobachten sind. Während des feministischen Aufschwungs der letzten Jahre gab es auch ein verstärktes Interesse am SRT-Feminismus. Der SRT-Feminismus stellt einen antikapitalistischen Fortschritt gegenüber der bisher dominierenden Postmoderne dar, obwohl der marxistische Feminismus noch einiges zu kritisieren und hinzuzufügen hat. 

Letzte Woche hörte ich mir einen Vortrag von Silvia Federici an, die in den 1970er Jahren die internationale Kampagne für “Löhne für Hausarbeit” anführte und diese Bewegung in die USA brachte. Ihr 2018 erschienenes Buch über die Hexenprozesse wurde viel gelesen. Federici charakterisierte das Hauptmerkmal der heutigen Situation als eine “Krise der sozialen Reproduktion”. Sie ging selbst nicht näher darauf ein, aber es gibt alarmierende Berichte, dass aktuell weltweit Jahrzehnte des Kampfes um Gleichberechtigung ausradiert werden. Frauen stellen weltweit 39% der Arbeitskräfte, aber 54% der verlorenen Arbeitsplätze dar. Männer haben einen größeren Anteil an der wirtschaftlichen Erholung, was bedeutet, dass sie mit größerer Wahrscheinlichkeit ihren Arbeitsplatz zurückerhalten. Nach Angaben der EU, die sich auf Daten von April/Mai letzten Jahres stützen, hat die Pandemie die Kluft bei ungleicher und unbezahlter Arbeit vergrößert. Frauen verbringen heute 62 Stunden pro Woche mit der Betreuung von Kindern, verglichen mit 36 Stunden bei Männern, und 23 Stunden pro Woche mit Hausarbeit, verglichen mit 15 Stunden bei Männern in der EU. Oxfam hat vor etwas mehr als einem Jahr aufgezeigt, dass weltweit mehr als 75 % der Haus- und Pflegearbeit von Frauen geleistet wird und dass das einen bedeutenden Teil der Wirtschaft ausmacht, auch wenn diese Arbeit nicht zum BIP gezählt wird. Der Wert der unbezahlten Arbeit von Frauen im Haushalt beläuft sich auf 10,8 Billionen Dollar pro Jahr, das ist dreimal mehr als die Tech-Industrie. 

Im Vorwort zu “Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates schreibt Friedrich Engels: "Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens." Was ist Produktion und was ist Reproduktion? Unter Produktion versteht man die Herstellung von Gütern und Dienstleistungen durch menschliche Arbeitskraft, die auf dem Markt konsumiert werden können. Reproduktion bezieht sich auf die “Produktion” von uns Menschen selbst. Neben dem Gebären von Kindern gehören dazu also auch Kochen, Putzen, Sport, Kinderbetreuung, Gesundheitspflege, Fürsorge für andere und mehr. Das kann bezahlte Arbeit sein - wie im Gesundheitswesen und in Schulen - oder unbezahlte, wie im Haushalt. In der Produktion gibt es ein besonderes Gut, das sich von allen anderen abhebt. Das ist der/die Arbeiter*in selbst. Es ist die einzige Ware, die in sich selbst die Fähigkeit enthält, neuen Wert zu schaffen. Die Ausbeutung der Arbeiter*innen funktioniert, wie Marx gezeigt hat, so, dass Arbeitergeber*innen den Arbeiter*innen nicht den vollen Wert bezahlen, den diese in eine Ware gesteckt haben, sondern immer nur einen kleineren Anteil. Die Differenz wird in den Gewinn umgewandelt, der die Kapitalist*innen so reich macht. Während es also die unbezahlte Arbeit ist, die die Profite der Kapitalist*innen schafft, ist es die unbezahlte Arbeit im Haushalt (die hauptsächlich von Frauen verrichtet wird), die Arbeiter*innen - die Arbeitskraft - schafft.

Die Grundlage der Social Reproduction Theory besteht gerade darin, zu sehen, wie abhängig das Kapital von der unbezahlten Arbeit von Frauen ist. Dass es ein integraler Bestandteil des kapitalistischen Systems ist. SRT-Feministinnen argumentieren, dass sie die Beziehung zwischen Produktion und Reproduktion untersuchen. Zum Beispiel schreibt Titti Bhattacharya (eine der Autorinnen des Manifests “Feminism for the 99%”) in Monthly Review vom Jänner 2020, dass es marxistische Werkzeuge braucht, um Hausarbeit zu untersuchen und um zu erkennen, warum diese absichtlich auf einem vorindustriellen Niveau gehalten wurde. Wie bereits erwähnt, verrichten Frauen weltweit drei Viertel der unbezahlten Arbeit im Haushalt. Eine Gruppe, die so viel unentgeltliche Arbeit nebenbei macht, verliert auch auf dem Arbeitsmarkt an Wert. Im Durchschnitt verdienen Frauen nur 84% des Lohns von Männern. Dies deutet darauf hin, dass der Kapitalismus die Unterdrückung von Frauen auf zwei Arten nutzt: Erstens durch die Früchte ihrer Arbeit in Form der Schaffung neuer Arbeitskräfte im Haushalt und zweitens durch die Tatsache, dass dies die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt legitimiert. Dieser Teil der Analyse wurde von Feminist*innen der 1970er Jahre wie Margaret Benston vorgebracht und wird seit langem von Marxist*innen geteilt.  

Bhattacharya/Benston argumentieren, dass die Lösung darin liegt, dass die Gesellschaft die Verantwortung für die Kinderbetreuung usw. übernimmt, eine Vergesellschaftung der Hausarbeit, eine "Umwandlung der privaten Produktion in eine öffentliche Produktion", was zwar noch unkonkret, aber im Grunde ein Weg nach vorne ist. Silvia Federicis Kampagne für einen Hausfrauenlohn (Lohn nicht nur für Hausfrauen, sondern für alle Hausarbeiten) ist dagegen eine Sackgasse. Die utopische Idee war, dass, wenn der Staat die Frauen für die Hausarbeit bezahlen müsste, es so teuer wäre, dass sie die Unternehmen sehr stark besteuern müssten, was das Kapital schwächen würde. Ein wichtiger Einwand dagegen ist, dass die Bezahlung von Hausarbeit in gewisser Weise die traditionellen Geschlechterrollen zementiert, bei denen der Mann draußen in der Welt ist und Geld verdient und die Frau zu Hause ist und sich um die Kinder kümmert. Die Frau als Hausangestellte bleibt isoliert und verliert dann die kollektive Gemeinschaft, die man an einem Arbeitsplatz hat, wo man die Bedingungen mit anderen teilt und direkt gegen den Arbeitgeber/die Arbeitgeberin streiken und so echten Druck aufbauen kann.

SRT-Feminist*innen haben einen ständigen Einwand gegen Marxis*innen, die ihrer Meinung nach angeblich die Reproduktion vernachlässigt hätten und den ganzen Fokus auf die Emanzipation der Frauen gelegt haben, solange diese in den Arbeitsmarkt eintraten. Oben wurde nur kurz anhand von Engels gezeigt, dass das ein leerer Vorwurf und eine Verfälschung des Marxismus ist. Wie Federici bei dem Vortrag sagte, ist es klar, dass die Unterdrückung der Frauen fortbesteht, obwohl Frauen in den letzten Jahrzehnten massiv aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden sind und der Kapitalismus das Problem der Reproduktion nicht gelöst hat. Es ist wahr, dass verschiedene Strömungen, die sich selbst Sozialist*innen nennen, die Bedeutung der Reproduktion vernachlässigt haben, wie z.B. Stalinist*innen oder die Sozialdemokratie. Andererseits war die Tatsache, dass Frauen für das Recht auf Arbeit und das Recht auf einen existenzsichernden Lohn gekämpft haben, die Hauptforderung von Millionen von Frauen in der zweiten Welle der Frauenbewegung (in den 1960er und 70er Jahren). Und es war auch eine Tatsache, dass das Kapital sah, dass es davon profitieren konnte. Da die Frage der öffentlich finanzierten Wohlfahrt dann aber ausschließlich innerkapitalistisch gelöst wurde, blieben die unterdrückerischen Strukturen in Form von Lohndiskriminierung, geschlechtergetrennten Arbeitsmärkten, Kürzungen und Knappheit bestehen.

Die Stärken der Social Reproduction Theory liegen darin, dass sie, anders als z.B. der Individualismus der Postmoderne, großen Wert auf das Wirtschaftssystem legt. Sie betont, dass die meisten Frauen Arbeiterinnen sind und zur Arbeiter*innenklasse gehören, im Gegensatz zu den Stalinist*innen, die nicht selten Frauen, die nicht arbeiten, nicht als “echte” Arbeiterinnen ansahen. Es ist gut, dass die SRT verschiedene Sektoren zu beleuchten versucht, wie das Prekariat, kolonisierte Teile der Welt und auch die Rolle von Rassismus und Imperialismus. Sie betont, dass die Revolution umfassend sein und das häusliche Leben einschließen muss, um eine echte Revolution zu sein. Schwächen, wo SRT-Feminist*innen oft Lücken lassen, sind eine Klassenanalyse des Staates und wie wichtig die Rolle des Staates als Instrument der herrschenden Klasse ist. Sie spielen auch die ideologische Seite der sexuellen Unterdrückung herunter, z.B. wenn sie die Sexindustrie glorifizieren. Oft verblasst bei ihnen die konkrete revolutionäre Perspektive und vor allem unterschätzen sie die Stärke, die zentrale Rolle und die historische Aufgabe der organisierten Arbeiter*innenklasse. Gerade weil die Produktion innerhalb der Familie auf dem vorindustriellen Niveau belassen wird, wirkt es sich nicht so sehr auf den Kapitalismus aus, wenn z.B. Frauen bei der Hausarbeit streiken. Diese Schwäche der SRT wurde sehr klar, als Federici bei dem Vortrag die Frauen als “eine Einheit” beschrieb und überhaupt nicht über den Kampf von Arbeiter*innen sprach. Aber wenn die Arbeiter*innenklasse in den Streik tritt und es schafft, sich revolutionär zu erheben und den Kapitalismus zu stürzen - dann erst können wir die dringende Notwendigkeit des Kapitals, die es in die Familie trägt, nämlich fügsame Arbeiter*innen zu liefern, wirklich beenden. In einer sozialistischen Demokratie gehören uns die großen Unternehmen und Banken als Arbeiter*innenklasse, und die gesamte Produktion kann neu ausgerichtet werden, auch um gesellschaftlich das zu tun, was die Reproduktion im “Privaten” heute tut. Nur so einem sozialistischen System wäre also eine allgemeine Vergesellschaftung der Hausarbeit möglich.