Schweiz: Frauenstreik 2.0

Jan Millonig, Krankenpfleger, Aktivist bei ROSA und der Sozialistischen LinksPartei (SLP)

Artikel aus der aktuellen ROSA-Zeitung (März 2022)

Die Schweiz hat es nie eilig mit Frauenrechten gehabt: 1971 das Wahlrecht, Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen 2002 und das Recht auf Mutterschutz erst 2005. Umso beeindruckender wie 1991 eine halbe Million Frauen für gleiche Rechte streikten. Doch auch 28 Jahre nach dem ersten Frauenstreik hat sich an der grundsätzlichen Benachteiligung von Frauen nicht viel geändert. Immer noch verdienen Frauen im Durchschnitt 20 % weniger als Männer. Immer noch wird Care-Arbeit (Kinderbetreuung, Pflege, Hausarbeit usw.) entweder schlecht oder gar nicht bezahlt.

Deshalb und inspiriert von den zunehmenden Frauenkämpfen weltweit wurde am 14. Juni 2019 zum zweiten landesweiten Frauenstreik aufgerufen. Nach 1,5 Jahren Vorbereitung fluteten abermals eine halbe Millionen Menschen in lila Farben die Straßen, hauptsächlich Frauen aber auch viele Männer. Den ganzen Tag fanden kreativen Aktionen, Picknicks (inkl. Kinderbetreuung) und Arbeitsniederlegungen in verschiedenen Bereichen statt. Der Verkehr in vielen Städten kam zum Erliegen. Der kleinste Protest fand mit 200 Leuten in einem 5.800-Seelen-Dorf statt. Die größte Demo in Zürich hatte 160.000 Teilnehmer*innen.

Wie schon 2019 setzte der Schweizerische Gewerkschaftsbund mitsamt einem Forderungskatalog von Lohngleichheit bis gratis Verhütungsmittel die Initiative. Doch wo 1991 noch bis zu 50 Streikkomitees gebildet wurden und es zu Arbeitsniederlegungen bei Krankenhäusern, Schulen, in den Medien, im Einzelhandel, bei Druckereien oder Chemie-Fabriken kam, war der jüngste Streik mehr von einer „Vielfalt der Aktionen“ geprägt. Die Berichte von tatsächlichen Streiks beschränken sich vor allem auf Lehrer*innen und Kindergärtner*innen. Auch wenn an diesem Aktionstag eine beispiellose Mobilisierung stattfand, war die Schwäche sicher, dass kein genereller Streik organisiert wurde. Beschäftigte im Einzelhandel wurde sogar mit Kündigung gedroht. Um ihre Teilnahme und der vieler anderer zu ermöglichen, hätte es eine gewerkschaftliche Strategie und Organisierung in den Betrieben gebraucht.

Nichtsdestotrotz schuf diese feministische Massenbewegung eine Politisierung und Erfahrung in der sonst (scheinbar) so ruhigen Schweiz.

 

Die ganze ROSA-Zeitung findest du hier: