Schweden: Neoliberales Modell!

In 20 Jahren vom Modell-Sozialstaat zum neoliberalen Vorbild für herrschende Politik in Europa
Arne Johansson, CWI-Schweden

Schweden hat sich in den letzten 20 Jahren vollständig gewandelt – vom Vorbild an einigermaßen gerecht verteiltem bedarfsorientiertem sozialem Wohlstand zum neoliberalen Modell. Lange Zeit war der gewerkschaftliche wie politische Widerstand gegen diese soziale Konterrevolution schmerzhaft schwach. Nach einer Serie von Skandalen in der privatisierten Altenpflege ist die Ablehnung der profitgetriebenen Unternehmen in Bildung, Gesundheit, Kinderbetreuung und Altenpflege einer der heißesten politischen Brennpunkte. 

Schon in den 1970er Jahren hat die herrschende Klasse in Schweden begonnen, mit neoliberalen Ideen zu flirten. Der große Durchbruch kam aber erst in den frühen 90er Jahren, in Folge der tiefen wirtschaftlichen Krise in Schweden. Mit dieser Krise und mit der Koppelung und späteren Entkoppelung der Schwedischen Währung vom ECU (Vorgänger des Euro) wurden extrem harte Maßnahmen durchgesetzt. Es gab ein neoliberales Programm mit massiven Kürzungen, Deregulierungen und Privatisierungen.

„Große Steuerreform von 1991“ wurde von Sozialdemokraten begonnen und von der rechten Bildt-Regierung vollendet; weg von einem progressiven Steuersystem; weniger Geld für öffentlichen Wohnbau. 2007 weitere Steuererleichterungen für Reiche, Abschaffung von Vermögens- und Grundsteuern, Lohnsteuerkürzungen für höhere Einkommen.

Große Pensionsreform 1994; weg von staatlichen Pensionen, hin zu „privater Vorsorge“; ähnlich der Pensionsreform in Ö 2003 (Durchrechnungszeitraum von den besten 15 Jahren auf die gesamten 40 Jahre ausgedehnt). Außerdem Umsetzung von Pensionskürzungen.

Massives Sparpaket 1994/95: unter dem Sozialdemokraten Göran Persson mit Unterstützung der Linkspartei (KP in Schweden) und der Grünen. 1997 wurde die Sparpolitik institutionalisiert, mit einem Ziel von 2 % Überschuss selbst in Krisenzeiten. 1999 hat die Schwedische Nationalbank freie Hand bekommen, mit dem einzigen Ziel, für niedrige Inflation zu sorgen.

Kommunale Sozialleistungen: Der Anteil von über 80jährigen, die öffentliche Altenpflege erhalten, ist von 62 % (1980) auf 35 % (2009) gesunken. Zahl der Angestellten sank ebenfalls. Weniger als 10 % erhalten Heimpflege, im Vergleich zu 22 % vor 30 Jahren. Fast die Hälfte aller Spitalsbetten wurde abgebaut.

Arbeitsmarkt dereguliert / Arbeitslosenversicherung: 2007 wurde u.a. das Arbeitslosengeld dramatisch gekürzt. Der bereits schwache Kündigungsschutz wurde weiter aufgeweicht, ebenso die Prekarisierung vorangetrieben.

Privatisierungen: Die Deregulierung und Profitorientierung von Staatsbetrieben war bereits in den 1980ern von der Sozialdemokratie gestartet worden, wurde allerdings mit erhöhtem Tempo ab den 1990ern fortgesetzt. Das hat den Anteil an Staatseigentum in manchen Fällen völlig, in anderen bis zu kleinen Sperrminoritäten reduziert. Einzige Ausnahme: Bergbaubetrieb LKAB und der Energieriese Vattenfall. Infrastruktur und Telekommunikation (Telekom, Bahn, Bus, Elektrizität und Post) wurden völlig dem freien Wettbewerb geöffnet – mit Chaos als Folge. Der öffentliche Wohnbau ist zu großen Teilen an private Eigentümer verkauft worden. Es gibt private Schulen, Gesundheitswesen und Kinderbetreuung, Altenpflege und Behindertenbetreuung. In Stockholm werden 60 % der Krankenhäuser und Schulen bereits von Privaten betrieben, in der Altenpflege in der Stockholmer Innenstadt sind es 79 %. Der Anteil der weiterführenden Privatschulen ist in den letzten zehn Jahren von einem Zehntel auf die Hälfte angestiegen.

Rättvisepartiet Socialisterna (CWI-Schweden) hat infolge der Skandale in der Altenpflege das Kampagnennetzwerk „Wohlfahrt ohne Profite“ gestartet. Es gab Aktionen und Demonstrationen, was auch die Debatte in den Gewerkschaften beeinflussen konnte. Eine Petition für Wohlfahrt ohne Profite, unterzeichnet von 32 AktivistInnen,  wurde am Tag vor der Schlüsseldebatte auf dem Gewerkschaftskongress im Mai in der größten Abendzeitung veröffentlicht. RS-Aktivist Bilbo Göransson hat bei der Debatte auf dem Kongress selbst eine wichtige Rolle gespielt und konnte eine Mehrheit für eine Resolution für die Annahme eines Non-Profit-Prinzips im Sozialwesen gewinnen – gegen den Willen von Gewerkschaftsführung und Sozialdemokratie. Am letzten Tag des Kongresses gab es in Stockholm eine Demonstration für Wohlfahrt ohne Profite.

Das steht in Einklang mit den Wünschen der Mehrheit der Bevölkerung, wie Umfragen belegen. Dennoch bleibt die Sozialdemokratische Partei bei ihrer Position, dass Non-Profit im Sozialwesen „einfach nicht umsetzbar“ sei. Es gilt nun durchzusetzen, dass die Privatwirtschaft aus dem Sozialsektor gekickt wird. Wenn das nicht gelingt, werden Menschenrechte durch das Gesetz des Geldes ersetzt. Wenn die privaten Profiteure enteignet werden, gibt es die Basis für einen Wiederaufbau des Sozialsystems. Die Bedürfnisse der Menschen, nicht die Profite, müssen im Vordergrund stehen.

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