Schulstreik in Bayern

Interview mit Fabian Bennewitz, Schüler in München, einer der beiden Pressesprecher der "Schülerinitiative München" und Teil der bundesweiten Bewegung "Bildungsblockaden einreißen!"

Was war der konkrete Anlass für den sehr erfolgreichen Schulstreik und inwieweit unterscheidet sich die Situation in Bayern von der im Rest Deutschlands?

Also der konkrete Anlass für den Streik waren permanenter Bildungsabbau und die Unterfinanzierung des deutschen Bildungssystems. Seit Jahren leiden Schülerinnen und Schüler, und auch LehrerInnen, unter den Folgen wie z.B. massivem Lehrkräftemangel, zu große Klassen, maroden Räumlichkeiten, veralteter technischer Ausstattung. Die zu großen Klassen (oft 35 SchülerInnen pro LehrerIn) lassen einen individuelleren, modernen Unterricht nicht zu, oft ist die einzige Möglichkeit der Lehrkräfte Frontalunterricht. Außerdem wurden in vielen Bundesländern das Abitur (die Matura, Anm.) in 12 Jahren eingeführt (Anmerkung: das bedeutet eine Verkürzung der Schulzeit um ein Jahr)... Der Druck auf vor allem jüngere SchülerInnen wird weiter erhöht, Hobbys haben keinen Platz mehr, die Lehrpläne sind komprimiert und die Lehrkräfte leiden oft unter Stress und Überlastung, da der Lehrplan um jeden Preis einzuhalten ist. Auch gibt es in einigen Bundesländern Studiengebühren.
In Bayern, einem reichen Bundesland, ist die Lage spezieller: Auch hier werden Banken wie die Hypo Real Estate mit Milliardenbeträgen gerettet, während die Studiengebühren zu den höchsten in Deutschland zählen (ca .500-600 € pro Semester). Auch muss in einigen Kommunen "Büchergeld" gezahlt werden, dh. ein "Kostenbeitrag" von ca. 35 €. Das Bildungssystem des konservativen Bundeslandes zählt zu den selektivsten: Nicht nur durch die Kosten für Bildung (s.o.), sondern auch durch die frühe Selektion in der 4. Klasse Grundschule (also mit 10 Jahren, Anm.) in Hauptschule, Realschule, Gymnasium sorgt für eine Trennung der Jugendlichen und Bildung einer relativ kleinen Elite. Der Bildungsgrad in Bayern (siehe auch neue Pisa-Studie) hängt mehr als anderswo vom Geldbeutel der Eltern ab - 7 von 10 AbiturientInnen (MaturantInnen, Anm.) sind Akademikerkinder. Im Alter von ca. 10 Jahren wird über die Zukunft entschieden, und große Teile der Bevölkerung gleich aufs "Abstellgleis Hauptschule" abgeschoben. Bildungsfreiheit sieht anders aus, das bayerische Bildungssystem ist sozial ungerecht. Dass es anders geht zeigt ein Blick nach Finnland, oder sogar nach Sachsen, wo die Hauptschule abgeschafft und die Grundschulzeit auf 6 Jahre erhöht wurde. In Bayern sind jedoch die Ausfallstunden im Vergleich zu ärmeren Bundesländern geringer. Wir konnten einfach nicht mehr akzeptieren, dass uns gesagt wird, es sei kein Geld da, während man mit Milliarden Banken rettet.

Trotz angedrohter Repressalien sind in München ca. 4000 SchülerInnen auf die Straße gegangen. Gab es Probleme während oder nach dem Schulstreik und wie seid ihr damit umgegangen?

Durch unsere massive Medienpräsenz und das Ausmaß der Proteste haben viele Schulleitungen von einem Verweis/Disziplinarausschuss abgesehen und die Strafe in eine schriftliche Arbeit "Warum habe ich am Streik teilgenommen und was sind die Motive der Schülerbewegung?" (und ähnliches) oder in eine Präsentation der Forderungen mit Disskusion innnerhalb der Schule umgewandelt. Das zeigt, wie groß der Druck des Bildungsabbaus auch auf LehrerInnen und DirektorInnen ist und das wir auch von ihnen Rückhalt bekommen - und dies trotz des offiziellen Streikverbots durch das Kultusministerium, das sogar jede Schulleitung angeschrieben hat. Es gab jedoch auch andere Schulen, wo es Verweise etc. gab. Die Stadtratsfraktion der Linken hat bereits gefordert, dass alle Strafen zurückgenommen werden. Und sogar die oppositionellen Landtagsfraktionen der Grünen und der SPD (!) stellten einen Antrag von Sanktionen für diesen "Sozialkundeunterricht Live" abzusehen. Die SchülerInneninitiative wird sich weiterhin mit den Bestraften solidarisch zeigen und zusammen mit PolitikerInnen gegen die Repressionen vorgehen. Im Moment prüfen wir ob tatsächlich in einigen Münchner Gymnasien die SchülerInnen laut Augenzeugen durch die Schulleitungen aktiv gehindert wurden das Gebäude zu verlassen. (Hausmeister und Direktor vor dem Haupteingang, abgesperrte Türen etc.). Es gab wohl einige Zwischenfälle.

Die schlechte Situation an Schulen und Unis ist keine Besonderheit Deutschlands, sondern auch in anderen Ländern ein Problem. Gab oder gibt es Versuche, die Proteste international auszuweiten?

Es wird weitere bundesweite Konferenzen (die nächste am 13.12. in Kassel) geben. Ziel ist die deutsche Bewegung erst einmal zu bündeln und zu koordinieren, jedoch hoffen wir bereits bei den nächsten Konferenzen mehr internationale Gäste begrüßen zu können und die Bewegung auf die europäische Ebene auszuweiten, gerade da wir sehen, wie sich die SchülerInnen und StudentInnen in Italien und Frankreich zu Wehr gesetzt haben. Der Bildungsabbau ist in weiten Teilen Europas ein Problem, und wir müssen ihn gemeinsam bekämpfen. Für uns deutsche SchülerInnenbewegung ist Österreich natürlich besonders interessant.

Es sind nun zwei Wochen seit dem Schulstreik vergangen. Was ist in dieser Zeit passiert und gibt es schon Pläne für zukünftige Aktionen?

Es gab bereits Reaktionen: Erstens kam die Bildungsmisere wieder in die Schlagzeilen; außerdem wurde die Münchner SchülerInneninitiative vom Kultusministerium zur "Regionalveranstaltung (München West) Leitlinie Bildung" eingeladen um dort unsere Forderungen zu erklären und mitzudiskutieren.
Wir haben Kontakte zur entstehenden bayerischen Studierendeninitiative gegen die Studiengebühren, und werden uns mit ihr näher vernetzen. Der Widerstand muss breiter werden. Ende diesen Jahres wird es noch einige Demos gegen Studiengebühren geben, wohin wir SchülerInnenblocks mobilisieren werden, die dort für eine völlige Bildungsfreiheit demonstrieren werden. Wichtige weitere Schritte sind die bundesweiten Konferenzen, da wir die Bewegung in Deuschland noch besser koordinieren wollen. Es soll auch eine Art gesamtdeutsches SprecherInnengremium gewählt werden, sowie eine gemeinsame Resolution entworfen werden. Weitere Demos, Streiks und Presseaktionen werden folgen...

Das Interview führte Markus Klostermann

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