Pflegereform: ein Tropfen auf dem heißen Stein

Regierung wollte am Tag der Pflege den Protesten der Beschäftigten den Wind aus den Segeln nehmen
Jan Millonig, Krankenpfleger, für die Bundesleitung der ISA

Just am Tag der Pflege hat die Regierung überraschend eine Pflegereform, von der schon seit vier Jahren die Rede ist, präsentiert. Ein Schelm, der denkt, dass dahinter Taktik steckt. Denn Gewerkschaften, Ärztekammer und andere Interessensvertretungen kündigten schon Wochen voher große Proteste für den Tag der Pflege am 12. Mai an. Ihnen ein paar Stunden vor den Aktionen den Wind aus den Segeln zu nehmen, ohne Gewerkschaften und Beschäftigten vorher die Chance zu geben, die beschlossenen Maßnahmen zu beurteilen, ist natürlich nicht blöd.

Dieser Plan ging ihnen auch teilweise auf. Die Mobilisierungen, vor allem die zentrale Demo in Wien, aber auch in den Bundesländern, blieb hinter den Erwartungen zurück. In erster Linie liegt das aber daran, dass die Gewerkschaften sich auf einzelne symbolische Proteste konzentrieren anstatt gemeinsam mit Kolleg*innen einen Aktionsplan inklusive Streiks rund um konkrete Forderungen zu erarbeiten. Wenn Kolleg*innen nicht das Gefühl haben, dass ihre Beteiligung an Protesten etwas verändert und sie nur Bildkullise für die Gewerkschaftsspitze sind, werden die wenigsten ihre wertvolle Freizeit opfern. 

Die Gewerkschaften tappten bei ihren ersten Reaktionen auf die Pflegereform aber auch in die Falle, der Propaganda der Regierung zu glauben und die Reform als großen gewerkschaftlichen Druchbruch und Erfolg darzustellen.

Ja, Druck von unten wirkt. Die Regierung fürchtete sich offensichtlich vor den Protesten und sah sich gezwungen etwas zu liefern. Doch dass es sich hier nicht um echte Verbesserungen oder gar die “größte Reform seit Jahrzehnten”, sondern in Wahrheit um Symbolpolitik gepaart mit einigen Verschlechterungen handelt die weit hinter dem zurückbleiben was nötig wäre, erklären wir in diesem Artikel.

Schöne Worte - nichts dahinter

Die “größte Pflegereform seit Jahrzehnten” stellt sich genauso dar wie schon die Ankündigungen der Vergangenheit: viele Details sind noch offen; viele der “geplanten” Maßnahmen existieren bereits; Fokussierung auf pflegende Angehörige, ohne strukturell etwas zu ändern; verstärkte Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften.

Obwohl es einzelne Verbesserungen gibt, wird diese “Reform” kein wirksames Mittel gegen den Pflegenotstand sein und bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein: sie wird keine Kolleg*innen dazu bringen im Job zu bleiben, keine zum Wiedereinstieg bringen und auch nicht nennenswert mehr Menschen zu einer Ausbildung bewegen. Lösungen für den Personalnotstand fehlen vollständig: keine einheitliche Personalbemessung, kein Bonus für Wiedereinsteiger*innen, keine Zusagen mehr Personal einzustellen.

Einfach einmalig Geld verteilen löst die Probleme nicht

Eine Milliarde für die Pflege klingt erstmal viel. Doch die Hälfte davon geht für eine “Gehaltserhöhung für alle” drauf. Die Rede ist von “einem Monatsgehalt mehr pro Jahr”. Diese ist aber nur für zwei Jahre geplant, also müssen wir eher von einem Corona-Bonus im Nachhinein als von einer wirklichen dauerhaften Gehaltserhöhung sprechen. Außerdem wird sich erst zeigen wer diese wirklich bekommt: z.B. auch Kolleg*innen in der Pflege von Menschen mit Beeinträchtigung? Offen bleibt auch wie es mit dem Bonus in zwei Jahren weitergeht, ob der Bonus zu den Pensionsansprüchen zählt usw. 

Im Endeffekt werden es ungefähr 7 % sein, das deckt gerade mal die aktuell offiziell ausgewiesene Inflation ab. Gerade angesicht der Mini-Gehaltserhöhungen der letzten Jahrzehnte in diesem Bereich sind wir also von einer Reallohnerhöhung weit entfernt. Im Endeffekt kein echter Schritt in Richtung einer finanziellen Aufwertung des Pflegeberufs.

Die Entgelterhöhung für die 24-Stunden-Pflegekräfte, eine tragende Säule des österreichischen Pflegesystems, ist noch gar nicht festgelegt und wird noch ausverhandelt.

Arbeitszeitverkürzung? Fehlanzeige!

Andere Regelungen wie einen Zeitbonus von 2 Stunden für jeden Nachtdienst, gibt es bereits bei einigen Trägern, wie auch eine (defacto) 6. Urlaubswoche (im Paket “Entlastungswoche” genannt). Das Grundproblem ist aber, dass die Kolleg*innen diese Arbeitszeit-Geschenke nie sehen, weil es Personalmangel und Dienstplan nicht zulässt diese Stunden herzugeben.

Abgesehen davon, dass es absurd ist eine 6. Urlaubswoche erst ab dem 43 Lebensjahr zu versprechen. Wer es unter den aktuellen Bedingungen schafft bis 43 in diesem Bereich nicht vollkommen ausgebrannt zu sein, ist zu bewundern! Die Kündigungswelle, die wir zur Zeit beobachten, betrifft aber vor allem junge Kolleg*innen. Eigentlich sollte es darum gehen, zu versuchen Berufsanfänger*innen in der Pflege zu halten und einem Burn-Out durch Entlastung von Anfang an vorzubeugen. 

Dafür ist aber vor allem eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich nötig. Eine Forderungen, die seit Jahren ignoriert wird, obwohl sie von den Beschäftigten am meisten gewünscht wird und wahrscheinlich die wirkungsvollste Maßnahme gegen den Pflege-Exodus wäre.

Ausbildung wird nicht attraktiver, sondern billiger

Viele sehen den Ausbildungszuschuss von 600 € monatlich und die Ausweitung der Stipendien mit 1.400 € am ehesten als eine Verbesserung. Angesichts der Situation bis jetzt - wo Auszubildende unbezahlt auf Corona-Stationen arbeiten mussten (!), viele sich das Studium nicht leisten können oder neben Schule und Praktika (!) arbeiten gehen müssen - verständlich. Doch wir reden hier von erwachsenen Menschen, die jetzt von 600 € im Monat leben sollen. Ständig vom Fachkräftemangel reden und dann es Neu- und Quereinsteiger*innen unnötig schwer machen, passt nicht zusammen. Auch die 600 € werden jetzt nicht viel mehr Leute dazu bewegen den Pflegeberuf zu wählen.

Dafür werden jetzt die langersehnten Träume von FPÖ und Co. mit der Pflegelehre wahr, also die Rekrutierung von 16-Jährigen für den Pflegeberuf mit allem was das bedeutet. Gleichzeitig werden die Kompetenzen der Assistenzberufe erweitert, also Menschen ohne entsprechende Ausbildung und Bezahlung mehr Verantwortung zu geben und so als billige Arbeitskräfte zu missbrauchen.

Somit geht diese “Pflegereform” weiter im Trend immer mehr Personal mit weniger Ausbildung und immer weniger Personal mit voller Qualifikation “an’s Bett zu stellen”. Das kommt natürlich billiger, aber wirkt sich natürlich auf die Pflegequalität aus. Aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzen ist dann eine ganzheitliche Pflege nicht mehr möglich und bedeutet in der Praxis eine Zusatzbelastung für diplomierte Kolleg*innen.

Das wird als “Wunsch aus der Branche” verkauft, hier kann es sich aber nur um Wünsche der Trägerorganisationen und Länder als Arbeitgeber handeln. Denn Gewerkschaften und Beschäftigte warnen seit Jahren vor dieser gefährlichen Entwicklung.

Zusätzlich sind Regelungen geplant ausländische Arbeitskräfte leichter in den Beruf zu bringen. Prinzipiell etwas positives, wenn wir nicht wüssten, dass das dazu dient Kosten und Ausbildungsniveau nach unten zu nivellieren.

Pflegende Angehörige sollen weiterhin Hauptlast tragen

Der Pflegegeldzuschlag für Menschen mit Demenz ist ein Tropfen auf dem heißen Stein und ein Bonus von 1.500 € im Jahr (!) für pflegende Angehörige (aber erst ab Pflegestufe 4) ist eine Frechheit, während der Gesundheitsminister bei der Pressekonferenz zugeben musste, dass es keinen Plan für Investitionen und den Ausbau von Betreuungseinrichtungen gibt und sich hier alle Regierungsmitglieder auf die Bundesländer ausgeredet haben. Von den mobilen Pflegediensten ist erst gar nicht die Rede.

Lächerliche Symbolpolitik und Abwälzung auf Frauen

Das ganze Paket gilt nur zwei Jahre. Die Umsetzung und Ausgestaltung ist mit den Bundesländer noch gar nicht ausverhandelt. Es handelt sich hier offensichtlich um eine populistische Ho-Ruck-Aktion. Vor allem die halbe Milliarde für Gehaltserhöhungen ist Symbolpolitik, ohne die wirklichen Probleme zu lösen.

In Wahrheit ist eine Milliarde für das ganze Pflegesystem nichts. Es bestätigt nur, was sich schon während der Pandemie klar gezeigt hat: die Regierung hat kein Interesse an der Lösung des Pflegenotstandes und noch weniger an echten Investitionen. 

Dafür finden sie umso schönere Worte für die pflegenden Angehörigen. Damit signalisieren sie die eigentliche Perspektive: Pflege mehr und mehr ins private zu verlegen, zu Lasten von Hunderttausenden Frauen, die überwiegend diese Arbeit übernehmen. 

Wenn Grünen-Klubobfrau Sigi Maurer sagt: "Der große Durchbruch in der Pflegereform ist auch ein wichtiger Erfolg für die Gleichstellungspolitik. Denn vor allem Frauen sind in Pflegeberufen tätig und übernehmen auch in den meisten Fällen zu Hause die Pflege von Angehörigen.", dann ist das nur noch zynisch!

Denn genau diesen Frauen verweigern sie die Unterstützung, verweigern sie ordentliche Löhne, verweigern sie humane Arbeitsbedingungen, während sie sie in der Pandemie im Stich ließen und sie bei der Pflege ihrer Angehörigen alleine lassen.

Regierung fürchtet sich vor Druck von unten

Diese “Pflegereform” zeigt uns vor allem eines: die Regierung hat Angst vor den aktuellen Protesten und einer möglichen weiteren Eskalation. Damit werden sie aber nicht davon kommen. Denn von den Maßnahmen wird wenig bei den Kolleg*innen ankommen und der Personalmangel wird sich nicht entschärfen. Ein Pflegeaufstand ist unumgänglich.

Weiterkämpfen bis wir echte Veränderung erreichen!

Doch dieser braucht eine entschlossene Führung, um wirkliche Erfolge zu gewinnen. Die Gewerkschaften dürfen jetzt nicht in die Falle tappen und jetzt angebliche Verbesserungen feiern und die Kolleg*innen “wieder nach Hause schicken”. Sie müssen die Nichtigkeit des Paketes entlarven und klar machen: Ja, Druck von unten wirkt, die Regierung musste reagieren, aber genau das sollte uns jetzt ermutigen den Druck weiter zu erhöhen.

Statt immer wieder das gleiche zu machen (demonstrieren und an den guten Willen der Verantwortlichen appellieren) brauchen wir endlich einen Aktionsplan mit einer Eskalationsstrategie, der Schritte beinhaltet wie wir den Druck Schritt für Schritt weiter erhöhen können, um die Regierung zu mehr Zugeständnissen zu zwingen. Wir müssen uns die Frage stellen: Was wäre durch echte Streiks möglich gewesen?

Gleichzeitig dürfen wir uns nicht mit irgendwelchen Kompromissen zufrieden geben, sondern brauchen eine klare Vorstellung davon was sich ändern muss und sollten so lange kämpfen bis wir unsere Forderungen komplett durchgesetzt haben.

Wie Beschäftigte einbinden?

Gewerkschaftsfunktionär*innen und leider auch viele Betriebsrät*innen sagen immer wieder, dass sich die Kolleg*innen nur schwer mobilisieren lassen. Unsere Erfahrung ist eine andere: die Kolleg*innen wollen kämpfen und wären auch bereit zu streiken, aber es fehlt das Angebot bzw. die Organisierung davon.

Durch kollektive Diskussionen auf Betriebsversammlungen über Forderungen, einen Aktionsplan um diese zu erreichen und einzelne Kampfschritte statt immer nur Vorgaben “von oben”, können die Kolleg*innen hinter einem gemeinsamen Plan versammelt werden. Dabei müssen sowohl konkrete Forderungen (nicht nur Allgemeinplätze) wie auch die Organisierung von Streiks demokratisch von allen Beschäftigten entschieden werden können.

Die Verhältnisse umdrehen!

Letztlich ist viel mehr Geld und die demokratische Mitbestimmung der wahren Expert*innen - der Pfleger*innen, allen weiteren Berufsgruppen und Betroffenen - nötig!

Wir haben die letzten drei Jahre gesehen wie der Kapitalismus funktioniert: für die Konzerne war Geld da, die Pandemie durften wir selber ausbaden. Für Aufrüstung ist Geld da, die Teuerung müssen wir selber bezahlen. Drehen wir diese zynische Logik um und erkämpfen wir, was uns zusteht!

Gesundheits- und Pflegeversorgung für alle, die es brauchen, ohne Ausbeutung von Beschäftigten und Frauen zu Hause, bekommen wir nur in einer Gesellschaft in der nicht der Profit regiert, sondern die arbeitende Bevölkerung selbst.