Nein zum Pensionsraub der Regierung, heißt auch Nein zum ÖGB-Modell!

35 Jahre sind genug!
Harald Mahrer

So lautete die Antwort der Gewerkschaftsbewegung in den 1980ern auf die Frage, nach wie vielen Jahren mensch in Pension gehen dürfen sollte. Die Zeiten ändern sich. Diese Forderung wurde aus dem Archiv gestrichen - jedenfalls ist sie in der ausführlichen Online-Geschichte des ÖGB nicht mehr zu finden. Stattdessen kämpft der ÖGB seit Oktober für eine Österreich-Pension mit der "magischen Formel" 80-45-65.

Noch im Frühjahr 2003 mobilisierte der ÖGB über eine Million Beschäftigte gegen den Pensionsraub der Regierung, der unter den Schlagworten Harmonisierung und "80-45-65" auf uns niederging. Jetzt - ein halbes Jahr danach - reagieren viele GewerkschafterInnen erstaunt, die selben Parolen aus dem Munde Fritz Verzetnitschs zu vernehmen.
Die vorgeschlagene Erhöhung der Anrechnung von Ersatzzeiten (Kindererziehung, Arbeitslosigkeit, Bundesheer, …) mildert die Auswirkungen wohl. Ebenso federt eine realistischere Wertsicherung der Beiträge einige Grausamkeiten ab. Dennoch bleibt für die Allermeisten am Ende weniger Pension übrig. Auch der Vertrauensschutz ist im ÖGB-Konzept besser gewährleistet, weil zumindest bereits erworbene Ansprüche nicht angetastet werden sollen. Das ÖGB-Modell ist damit zwar besser als jenes der Regierung. Die Gewerkschaft fordert trotzdem reale Verschlechterungen!
Im Detail verbergen sich im Gewerkschaftsmodell eine Reihe an "Haken". Das Modell geht davon aus, dass über 45 Jahre mehr oder weniger durchgängige Beitragszeiten mit ausreichend hohen Beitragsgrundlagen möglich sind. Am Papier ergeben sich so sogar leichte Pensionssteigerungen in manchen Fällen  - bei vollen 45 Jahren mit vollem Verdienst.
Die Realität sieht allerdings anders aus: Unsichere, schlecht bezahlte Jobs (oft Teilzeit) bedeuten nicht nur ein geringes Einkommen während des Berufslebens, sondern auch niedrigere Beiträge während der Ersatzzeiten (z.B. die häufiger auftretende Arbeitslosigkeit). Daraus resultieren durch die auf 45 Jahre verlängerte Durchrechnung sehr niedrige Pensionen. Der ÖGB hat ein Pensionsabbaumodell vorgelegt, das vor allem männlichen Arbeitnehmern mit sicherem Job und gutem Einkommen, wenig nimmt, während die größer werdende Zahl von Beschäftigten in unsicheren, schlecht bezahlten Jobs - das sind übrigens überwiegend Frauen - zu den großen VerliererInnen zählen. Ein Bravourstück einer solidarischen Gewerkschaftsbewegung.

Pensionen unfinanzierbar?

Der ÖGB hat die Propaganda der Bürgerlichen über die Unfinanzierbarkeit der Pensionen geschluckt, und kam daher zu einem recht ähnlichen Schluss wie die Regierung. Die Pensionen werden abgebaut und nach unten "harmonisiert".
Das Problem daran ist nicht nur, dass die angebliche "Faktenlage" anders ist, als sie dargestellt wird. Rechnet man die Produktivität (Wertschöpfung pro Arbeitskraft) ein, so ergibt sich, dass die steigende Zahl der PensionistInnen durchaus verkraftbar wäre. Während das Verhältnis "Aktive" zu PensionistInnen 30 Jahre (1972-2002) brauchte, um sich um 16% zu verschlechtern, stieg die Produktivität in der Industrie allein von 1997 bis 2002, also in 5 Jahren, um den selben Wert. Die Aktiven würden es also leicht schaffen, die notwendigen Werte für eine ordentliche Altersversorgung zu schaffen. Durch das Versagen des ÖGB hielten die Löhne aber nicht mit der Produktivität mit und somit auch die Beiträge zum Sozialsystem nicht. Mit einer offensiven Lohnpolitik und auf der Wertschöpfung basierenden Beiträgen der Arbeitgeber hätte das Pensionsschlamassel verhindert werden können.

Wie Pensionen sichern?

Der ÖGB zieht daraus aber nicht den Schluss, einen Fehler gemacht zu haben. Er schreibt seine Versäumnisse jetzt in seinem Pensionsmodell sogar fest. Die Beschlüsse zur Arbeitszeitverkürzung (35-Stunden-Woche, 35 Jahre Lebensarbeitszeit) des ÖGB aus den 1980ern hätten umgesetzt - nicht ausgesetzt - gehört. Durch die Arbeitszeitverkürzung könnte auch die Arbeitslosigkeit bekämpft werden - das würde bis zu 200.000 BeitragszahlerInnen mehr bedeuten. Im Frühjahr hätte der ÖGB die Chance gehabt - mit Millionen im Rücken - diese Forderungen durchzusetzen und die Pensionen wirklich zu sichern. Es wird an aktiven GewerkschafterInnen liegen, eine solche Politik für die Zukunft einzufordern und gegen die ÖGB-Bürokratie durchzusetzen. Wenn nicht, kommt in paar Jahren die nächste Pensionsreform und der ÖGB verfasst wieder ein "Reformpapier", das uns in den Rücken fällt.

"Sie werfen es jemandem vor, wenn er von „Pensionsraub“ spricht. Sprechen Sie beim Überfall auf eine Sparkasse, wenn man 10 oder 15 Prozent des dort vorhandenen Geldvolumens wegnehmen möchte, von einer Sparkassensicherung – oder ist das eine Beraubung der Sparkasse, meine sehr geehrten Damen und Herren?"

Fritz Verzetnitsch am 8. Mai 2003 im Parlament

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