Mit Schlips, Kragen und Stiefel: Was ist Faschismus und wie wir ihn bekämpfen

Albert Kropf, Margarita Döller und Franz Breier jun

Faschismus ist heute ein Begriff, der teilweise sehr inflationär verwendet wird. So scheuen radikale Tierschützer nicht davor zurück, Massentierhaltung und das Schlachten von Tieren aus reinen Profitgründen (z.B. für Luxuspelze) mit dem Holocaust gleichzusetzen.

Österreich im Jahr 2000: Haider gleich Hitler?

Auch durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ vor 4 Jahren wurden ähnliche Fragen diskutiert: Der SLP wurde zum Beispiel Verharmlosung vorgeworfen, als sie meinte, dass die FPÖ zwar rechtsextrem und gefährlich sei, aber “Haider” eine andere Form und Qualität der Bedrohung als “Hitler” darstellt. Die Entwicklung der FPÖ und die Massenproteste gegen die Regierung haben inzwischen bewiesen, dass es sich im Jahr 2000 nicht einfach um einen faschistischen Coup handelte. Ein solcher liefe nämlich (historisch gesehen) immer auf die nachhaltige und physische Zerstörung von Protestbewegungen und Gewerkschaften hinaus. Auch in der Geschichte gab es Fragen der Einschätzungen von Parteien und Regierungen: Als falsch hat sich immer wieder erwiesen, einfach Alles, das sich undemokratisch und/oder rassistisch gebärdet, als “faschistisch” zu bezeichnen. Konkret haben oberflächliche Analysen linke Bewegungen in den 70er Jahren in den Untergrund, Individualterrorismus und die totale Isolation geführt.

Wichtigkeit der Analyse

Wie wir schon an den Beispielen gesehen haben, hat eine politische Analyse auch immer sehr konkrete Schlussfolgerungen und Auswirkungen. Dabei verhält es sich ähnlich wie bei einer Krankheit. Je besser man sie beschreiben kann bzw. kennt, desto leichter und effektiver kann sie bekämpft werden. Wird hingegen falsch diagnostiziert und behandelt, kann sich die Krankheit noch weiter ausbreiten. Es können auch noch weitere Komplikationen durch die falsche Behandlung hinzukommen.
Unterschiedliche Erklärungsansätze
Genauso alt wie der Faschismus selbst sind auch die Auseinandersetzungen um seine Definition. In der Zeit unmittelbar nach dem Krieg gab es kaum Zweifel an der engen Verbindung zwischen Kapitalismus und dem Entstehen von Faschismus. Das betraf nicht nur die wissenschaftliche Forschung und die Einschätzungen der ArbeiterInnenparteien, die sich schon in den 20er und 30er Jahren auf diesen Punkt konzentrierten. Aufgrund der gerade erst zurückliegenden Erfahrungen, lehnte sogar die CDU (Schwesterpartei der ÖVP in Deutschland) in ihrem Wirtschaftsprogramm von 1947 den Kapitalismus als unzulänglich ab: “Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.” Während die Zeitgeschichte heute immer genauere Details über die Verbrechen des NS-Regimes, die Verquickung von Banken und Konzernen in Zwangsarbeit und KZ-System, etc. hervorbringt, herrscht bei den Erklärungsansätzen inzwischen der – konservative oder neoliberale – Zeitgeist der heutigen Eliten vor.

Faschismus als Phänomen der Zeit?

Einer der ersten, der versucht hat den, “Konsens” einer antikapitalistisch beeinflussten Faschismusanalyse nachhaltig zu durchbrechen, war ein gewisser Ernst Nolte. Er sieht den Faschismus als ein “Phänomen” dieser Zeit, das sich deshalb in dieser Form nicht wiederholen kann – wozu also eine weitere Beschäftigung damit? Nolte behauptet, der Faschismus sei eine unmittelbare Reaktion auf die “rote Gefahr” gewesen – und wiederholt damit die Propagandalüge aller faschistischen Bewegungen, nämlich das “Vaterland” oder Europa vor der direkten Bedrohung des “Bolschewismus” gerettet zu haben. Unterschwellig wird damit die Schuld am faschistischen Massenmord auf die (revolutionäre) ArbeiterInnenbewegung abgewälzt. Tatsächlich war Faschismus nirgends die unmittelbare Reaktion auf eine sozialistische Revolution, sondern konnte sich nur dort durchsetzen, wo die ArbeiterInnenbewegung zuvor eine Kette von schweren Niederlagen erlitten hatte. Historisch gesehen war die ArbeiterInnenbewegung vielmehr die einzige soziale und politische Kraft, welche die faschistische Gefahr hätte aufhalten können. Gerade das österreichische Beispiel einer lange Zeit kampfbereiten ArbeiterInnenbewegung, die von ihrer sozialdemokratischen Führung von Niederlage zu Niederlage geführt wurde, zeigt diese Entwicklungslinie deutlich. Auch erst nachdem der Austrofaschismus die ArbeiterInnenparteien und Gewerkschaften 1934 zerstört hatte, konnten die Nazis in Österreich echten und schließlich sogar überdurchschnittlichen Masseneinfluss gewinnen. Die ArbeiterInnenbewegung als “Schutzwall” gegen die rechte Gefahr ist aus unserer Sicht allerdings nicht nur eine historische Frage. Sie bleibt auch heute ungebrochen aktuell.

Führerkult und Massenwahn

Fast banal sind Erklärungsversuche, die das Phänomen Faschismus auf Füherkult und Massenwahn reduzieren. Verkürzt hieße das in etwa Folgendes: der charismatische “Führer” der faschistischen Bewegung schafft es durch Redekunst und sein gewinnbringendes Auftreten, die Bevölkerung in seinen Bann zu ziehen. Einer der wesentlichsten Vertreter dieser Richtung ist der Historiker Joachim Fest, dessen Hitler-Biographie lange Zeit als Standardwerk in der Geschichtswissenschaft galt. Letztlich ist es ein Versuch, die Massenbasis für die Verbrechen des Faschismus – losgelöst von sozialen und politischen Triebkräften - zu erklären und auch zu entschuldigen. Was noch bei Mussolini oder Hitler im Ansatz auf den ersten Blick zu funktionieren scheint, zeigt sich aber z.B. haltlos bei der Betrachtung des Austrofaschismus. Weder Dollfuss noch Schuschnigg waren charismatische Persönlichkeiten, die breite Massen der Bevölkerung “verzaubert” hätten. Und das obwohl die ÖVP bis heute bemüht ist, aus ihnen beiden “patriotische Märtyrer” zu machen. Gerade zu skurril wirkt die Behauptung von den “charismatischen Führern” auch bei Anblick der jämmerlichen Figuren, die ehemalige faschistische Spitzenfunktionäre darstellten, wenn sie entmachtet vor Gericht auftreten mussten.

Totalitarismus-Theorie

Ursprünglich in den 30er Jahren entwickelt, fand dieser Ansatz seine größte Ausdehnung erst nach dem 2. Weltkrieg. Im Grunde besagt diese Theorie, dass Faschismus und Stalinismus nur zwei unterschiedliche Seiten ein und derselben Medaille wären – wobei in den Stalinismus meist die gesamte Geschichte des Marxismus und Bolschewismus gleich mitinkludiert wird . Als Beleg dafür werden Parallelen der Machtausübung – vor allem des Terrors - in Deutschland und in der Sowjetunion der 30eer und 40er Jahre angeführt. Die Liste der Totalitarismusexperten reicht dabei von liberal, sozialdemokratisch bis rechtskonservativ. Historisch fand diese Theorie großen Zulauf von Intellektuellen die vorher unkritisch dem Stalinismus zugejubelt hatten. Nach 1989 wiederholte sich dieses Phänomen in abgeschwächter Form erneut: Die Universitäten und Redaktionen bürgerlicher Medien weisen heute einen hohen Anteil von in diesem Sinne geläuterten “Kommunisten” auf. Die wesentliche Schwäche der Totalitarismustheorie ist ihre Oberflächlichkeit: Beachtung finden – losgelöst vom historischen Prozess – nur Fragen wie das Fehlen einer parlamentarischen Demokratie und die Brutalität der unmittelbaren politischen Machtausübung. Wenig bis keine Beachtung findet aber das dem jeweils “totalitärem” System zu Grunde liegende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, ebenso wie Fragen z.B. struktureller sozialer Gewalt durch Eigentumsverhältnisse, die Hunger und Ausbeutung bedeuten. Die Konsequenz des Totalitarismus-Ansatzes ist letztlich einfach: Wer die liberale Marktwirtschaft und ihre politischen Institutionen in Frage stellt, ist totalitär.

Der marxistische Ansatz

Die Faschismusanalyse des russischen Revolutionärs Leo Trotzki setzt bei der Frage “Wie hätte der Faschismus verhindert werden können” bei den Entwicklungen unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg an. Die Revolution in Russland und ihre internationalen Auswirkungen bedeuteten einen gewaltigen Schub nach links in Europa: Sturz von Monarchien, Sozialreformen, Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung standen auf der Tagesordnung. Das Konzept der europäischen Sozialdemokratie, auf einen demokratischen Konsens mit dem Kapital und anderen gesellschaftlichen Eliten zu hoffen, erweist sich als trügerisch. Schon früh werden Pläne diskutiert, wie der “revolutionäre Schutt” wieder beseitigt werden könnte. Zur selben Zeit beginnen rechte Vereinigungen – oft ehemaliger Offiziere und anderer Elemente, die sich durch die “neue Zeit” deklassiert und durch die “Roten” bedroht fühlen – Ideen zur “Neuordnung” der Gesellschaft zu formulieren.

Krise

Ende der 20er Jahre bricht die Vorstellung des friedlichen Hinüberwachsens in eine neue Gesellschaft zusammen. Der Kapitalismus versagt nach einer kurzen Boomphase, Massenarbeitslosigkeit und soziales Elend erreichte eine bis dato unbekannte Dimension. Auch die Herrschenden suchten aufgrund der schlechten Verwertungsbedingungen des Kapitals (in ihrer Sicht zu hohe Löhne, Rohstoffe und mangelnde Absatzmärkte) zunehmend eine radikale Lösung. Gewerkschaften und ArbeiterInnenbewegung werden zu Feinden der Nation hochstilisiert und gerieten zunehmend in die Defensive, nicht zuletzt, weil sie der Krise keine eigenen Konzepte entgegenstellen können.

Massenbasis

Erst an diesem Punkt setzt die eigentliche historische Rolle des Faschismus ein. Unter den Bedingungen von Krise und Defensive der ArbeiterInnenbewegung war es bereits dem italienischen Faschismus gelungen, Anfang der 20er Jahre die Macht auf Basis einer Massenbewegung zu übernehmen. Noch diesem Modell entwickeln sich nun auch Bewegungen in anderen Staaten. Die NSDAP in Deutschland gewinnt ab 1929 binnen drei Jahren Millionen – von vom sozialen Abstieg bedrohte – KleinbürgerInnen, aber auch Langzeitarbeitslose und Teile der deutschen Eliten, die sich nach einstiger Größe sehnen. Erst durch diese neue Breite – die Nazis sind schlagartig 1932 zur stärksten Partei geworden - wird diese Bewegung für die Herrschenden interessant. Sie schafft es nicht nur durch Antisemitismus und Rassismus, Millionen in ihre Reihen zu integrieren. Der in der SA zusammengefasste “menschliche Staub” der Gesellschaft (Trotzki), war vor allem eine Schlägertruppe, die ihren angeblichen “Antikapitalismus” an Juden und anderen “Minderwertigen” ausließ und gleichzeitig half, ArbeiterInnenversammlungen zu sprengen und durch Gewalttaten gegen diese Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Nazis wurden dadurch für die Bourgeoise zu einer echten Option um das – aus ihrer Sicht – Hauptproblem der damaligen Zeit zu lösen: Die organisierte ArbeiterInnenbewegung, deren bloße Existenz sie nicht mehr akzeptieren wollte. Die ArbeiterInnenklasse selbst widersetzte sich – solange ihre Organisationen legal waren – aus diesem Grund auch am längsten und heftigsten dem faschistischen Einfluss: Bei den letzten freien Betriebsratswahlen in Deutschland erreichten die Nazis gerade 3%!

Wie hätte der Faschismus verhindert werden können

Was dem Antifaschismus historisch fehlte, war eine klare Strategie und Taktik gegenüber der faschistischen Gefahr und die Bereitschaft der Spitzen der ArbeiterInnenorganisationen eine Alternative zu seinen Wurzeln – dem kapitalistischen System – durchzusetzen. In Deutschland marschierten die Massenparteien KPD und SPD getrennt, im spanischen Bürgerkrieg verspielte die republikanische Regierung durch die Rücknahme von Sozialisierungsmaßnahmen die fast unumschränkte Unterstützung der arbeitenden Bevölkerung. Auch in Österreich und Italien verabsäumte man viel zu lange, der mobilen Taktik der Faschisten mit tatsächlicher Konfrontation gegenüber zu treten und gleichzeitig die Machtfrage aufzuwerfen.
Leo Trotzki schlug demgegenüber die gemeinsame Mobilisierung von Anhängern aller ArbeiterInnenmassenparteien vor. Er forderte eine vom Staat unabhängige Organisierung in demokratischen Strukturen zur gemeinsamen Verteidigung. Politisch sei eine Offensive der ArbeiterInnenbewegung gegen den Faschismus notwendig, anstatt auf den demokratischen Grundkonsens mit den etablierten politischen Kräften zu hoffen bzw. zu warten. Vor allem von den Kräften in der Bewegung, die sich als marxistisch verstehen, forderte Trotzki gleichzeitig ein, für eine sozialistische Alternative einzutreten, um dem Kampf gegen Rechts eine konkrete Perspektive vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise zu geben. Wie aktuell diese Fragen sind zeigen jüngste Beispiele: Nach den Wahlerfolgen der Rechten in Ostdeutschland, haben alle anderen Parteien (von CDU bis PDS) aus Protest die Diskussionsrunde im Fernsehen verlassen, als die Kandidaten der NPD und DVU zu Wort kamen. Die “linke” PDS hat nicht versucht diesen Kräften das Wort zu verbieten, sondern schweigend – wie alle anderen Parteien – das Feld geräumt. Unsere deutsche Schwesterpartei (SAV) ging bei den Mobilisierungen gegen Hartz IV den anderen Weg, indem sie – gemeinsam mit Anderen – Nazis mit einem Fußtritt aus den Demonstrationen warf.

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