Krieg in der Ukraine und auf dem Balkan

Der aktuelle Krieg in der Ukraine muss in einem größeren Zusammenhang gesehen werden, der sich auf ganz Osteuropa und den Balkan auswirkt.
Sonja Grusch

Am 11. März stürzte eine Tu-141-Aufklärungsdrohne in der kroatischen Hauptstadt Zagreb ab. Nach Angaben des kroatischen Verteidigungsministeriums trug die Drohne eine Bombe. Nachdem sie die Ukraine überflogen hatte, durchquerte sie unbehelligt den NATO-Luftraum, was das Fehlen eines echten Schutzsystems offenbart. Der Vorfall fiel mit einer Reihe weiterer Bombendrohungen zusammen, die die serbische Fluggesellschaft und andere Flugzeuge betrafen, die die Region überflogen oder überfliegen wollten, da sie zur Rückkehr nach Moskau gezwungen waren.

Am 3. April wurde Aleksandar Vučic als Präsident Serbiens wiedergewählt. Er ist dafür bekannt, ein Vertreter "illiberalen Demokratie" zu sein und pflegt enge Kontakte zu Russland und China.

Diese beiden Ereignisse zeigen, dass der derzeitige Krieg in der Ukraine Teil eines größeren Ganzen ist, das sich auf ganz Osteuropa und den Balkan auswirkt. Die Ausdehnung der NATO auf die ehemals stalinistischen Länder nach 1989/90 ist eine reale Tatsache: Ungarn, Polen und die Tschechische Republik traten 1999 bei, gefolgt von Rumänien im Jahr 2004. Rumänien ist besorgt über die Lage in der benachbarten Republik Moldau und ihrer abtrünnigen Republik Transnistrien, die stark unter russischem Einfluss steht.

Die Slowakei, Slowenien, Bulgarien und die drei baltischen Staaten traten der NATO im Jahr 2004 bei, Albanien und Kroatien im Jahr 2009. Im Jahr 2017 folgte Montenegro, und der letzte Staat war bis vor kurzem Nordmazedonien im Jahr 2020. Darüber hinaus sind Truppen der Europäischen Union (EUFOR) in Bosnien-Herzegowina stationiert.

Der Balkan war und ist nicht nur für das westliche Kapital von zentralem wirtschaftlichem und geopolitischem Interesse. Der Wettlauf um Einfluss und Zugriff auf die Reichtümer begann bereits unter dem alten Jugoslawien in den 1980er Jahren und wurde mit dem Zusammenbruch des stalinistischen Staats- und Gesellschaftssystems weiter angeheizt. Der derzeitige Krieg in der Ukraine ist bei weitem nicht der erste Krieg in Europa seit 1945. Die Kriege, die in den 1990er Jahren auf dem Balkan tobten, waren brutal und langwierig, und verschiedene europäische Akteure vertraten dabei unterschiedliche Interessen. Frankreich, Deutschland, Österreich und andere "westliche" imperialistische Nationen kehrten in die Region zurück.

Mit der Intensivierung des "Nearshoring" im Rahmen der De-Globalisierung, ist der Balkan insbesondere für die europäischen Mächte, die ihn als ihren "legitimen Hinterhof" betrachten, wieder von wachsendem Interesse. Sie sind alles andere als glücklich über den wachsenden Einfluss Chinas und Russlands in den letzten Jahrzehnten. China betrachtet den Balkan und insbesondere Serbien als einen wichtigen Teil der Belt-and-Road-Initiative (BRI – „Neue Seidenstrasse“). Dies hat zu chinesischen Investitionen geführt, die zu einem hohen Anteil in Infrastrukturprojekte wie Straßen und Häfen fließen, die wichtige Glieder der Handelskette sind.

Die historischen Verbindungen zwischen Russland und Serbien wurden in den letzten Jahren durch die Übernahme der ehemaligen staatlichen Ölgesellschaft NIS durch Gazprom im Jahr 2008 erneuert. Russische Banken haben investiert, und der Verkauf russischer Militärausrüstung hat zugenommen.

Corona förderte diese Verbindungen aufgrund des chinesischen und in geringerem Maße auch des russischen Impfstoff-Imperialismus. Der serbische Präsident Vučic bat seinen "Freund und Bruder" Xi Jinping während der Pandemie um Hilfe. Als die EU-Länder den Verkauf wichtiger medizinischer Ausrüstung an Nicht-EU-Länder einstellten, sprangen China und Russland ein. Während es in den meisten westeuropäischen Ländern immer noch schwierig war, Impfstoffe zu bekommen, war Serbien der Ort, an dem man sich impfen lassen konnte.

Das Misstrauen gegenüber der EU und der NATO ist ebenfalls verständlich. Es hat seine Wurzeln u.a. in der Bombardierung Serbiens im Jahr 1999. Wie in allen Kriegen schreien die herrschenden Eliten lautstark über die Kriegsverbrechen ihrer Feinde und schweigen über die ihrer Verbündeten. So war es auch auf dem Balkan, als es in den verschiedenen Kriegen der neunziger Jahre zu Massenmorden an der Zivilbevölkerung, tödlichen Lagern, „ethnischen Säuberungen“, strukturellen Vergewaltigungen und natürlich zu Millionen von Menschen kam, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Die NATO hat Serbien 78 Tage lang bombardiert, ohne auch nur den Hauch einer Legitimation durch ein UN-Mandat. Ungeachtet des undemokratischen und brutalen Charakters des damals herrschenden serbischen Regimes von Miloševič handelte die NATO nicht, um eine Demokratie zu installieren, sondern um keinen Zweifel an der Vorherrschaft des westlichen Imperialismus in der Region zu lassen.

Wie in vielen neokolonialen Ländern, die ihre eigenen negativen Erfahrungen mit der NATO, dem westlichen Imperialismus und dessen brutaler Ausbeutung und Herrschaft gemacht haben, gibt es auch auf dem Balkan eine verständliche Ablehnung der EU, der USA und der NATO. Diese Gefühle werden vom chinesischen und russischen Imperialismus ausgenutzt. Wie anderswo auch, werden die einfachen Menschen vor Ort wie Schachfiguren in den Spielen der herrschenden Eliten behandelt!

Die Länder des Balkans sind wirtschaftlich von der EU, aber auch von Russland und China abhängig. Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro sind weitgehend von russischem Gas abhängig und Transitländer für die Pipelines TurkStream und South Stream, die russisches Gas nach Europa bringen.

Jede Regierung in der Region versucht zwischen den großen Mächten zu balancieren, ein Gleichgewicht zu halten insbesondere als das Ausmaß der Sanktionen deutlich wurde. Montenegro unterstützte sie erst, nachdem die Jacht des russischen Oligarchen Abramowitsch das Land verlassen hatte. Andere Länder unterstützen die Sanktionen nur halbherzig. Der Konflikt hat sich weiter verschärft, da Milorad Dodik, führender Politiker der Republika Srpska, des mehrheitlich serbischen Teils des äußerst instabilen Bosnien-Herzegowina, serbische und russische Unterstützung für eine weitere Unabhängigkeit sucht.

Über 200 Jahre lang wurde und wird die Region von den verschiedenen imperialistischen Ländern für ihre eigenen Interessen benutzt. Dies zeigt, dass der Kapitalismus keine sichere oder stabile Zukunft für die Region gewährleisten kann. Er hat zu Kriegen, "ethnischen Säuberungen" und Armut geführt, immer und immer wieder. Wie in der Ukraine ist der Balkan eine Region, die von den verschiedenen imperialistischen Ländern als Schlachtfeld auserkoren wurde, auf dem sie für ihre eigenen Interessen kämpfen, während sie die Menschen vor Ort den Preis dafür zahlen lassen.

Ein umfassender Krieg steht auf dem Balkan vielleicht nicht unmittelbar auf der Tagesordnung, aber die zunehmenden Spannungen könnten explodieren und zu neuen militärischen Konflikten führen.

Auf der anderen Seite ist der Klassenkampf in der letzten Zeit zurückgekehrt. Proteste der Jugend in Bosnien-Herzegowina haben die Region erschüttert, während es Bewegungen für die Rechte der Frauen und zum Schutz der Umwelt sowie Streiks in Werften, im öffentlichen Verkehrswesen, im Gesundheitswesen und anderswo gab.

Der neuerliche Wahlerfolg von Aleksandar Vučic in Serbien ist ebenfalls vor dem Hintergrund des Krieges zu sehen. In Zeiten der Instabilität werden die regierenden Politiker und Parteien in den ersten Monaten oft gestärkt, da die Menschen auf Sicherheit und Stabilität hoffen. Vučic hat davon profitiert, ebenso wie Orban, Johnson, Biden und Macron. Aber keiner von ihnen hat eine wirklich starke Unterstützung. Ihre kriegsbedingte Hochphase könnte von kurzer Dauer sein, da sich neue Proteste entwickeln, wenn klar wird, dass die Arbeiter*innenklasse den Preis für Krieg und Militarisierung zahlen muss.

Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, aber er ist auch der Vater der Revolution. Die Balkankriege zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Ouvertüre des 1. Weltkriegs und der darauf folgenden revolutionären Welle. Lassen wir dieses Mal den Krieg aus und gehen wir direkt zur Revolution über.