Krieg in der Ukraine, die neue Ära und die Krise des Kapitalismus

Stellungnahme des Internationalen Komitees der International Socialist Alternative (ISA)

Die nachstehende Erklärung zum Krieg in der Ukraine und seinen Auswirkungen auf die vielfältigen Krisen des globalen Kapitalismus wurde auf einem Treffen des Internationalen Komitees der ISA - unserer auf dem Weltkongress gewählten internationalen Führung - von 28. März bis 1. April in Wien (Österreich) diskutiert, debattiert, geändert und einstimmig angenommen.

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Der Krieg in der Ukraine zeigt eindeutig, dass wir in eine neue Ära der Weltbeziehungen eingetreten sind, eine Veränderung, die sich seit 2007-09 entwickelt und durch die COVID-Pandemie weiter vertieft wurde. Was sind die Merkmale dieser postneoliberalen Ära? Ein Hauptmerkmal ist eindeutig der zunehmende imperialistische Militarismus, der mit der Befeuerung des Nationalismus und einer raschen Teilung der Welt in zwei imperialistisch geführte Lager in einem neuen, nicht mehr ganz so kalten Krieg einhergeht. In den letzten Jahren waren wir Zeug*innen der teilweisen Entkopplung der US-amerikanischen und der chinesischen Wirtschaft, der beiden größten Volkswirtschaften der Welt, die von den Triebkräften der Globalisierung zu den Triebkräften der Deglobalisierung geworden sind. Jetzt erleben wir die schnelle, radikale Abkopplung Russlands von den westlichen Volkswirtschaften sowie von Japan und Australien.

Wir befinden uns in einer Ära des tiefgreifenden kapitalistischen Niedergangs. Der Krieg und die Möglichkeit, dass er zu einem umfassenderen Konflikt eskalieren könnte, ist an sich schon ein Eingeständnis unauflösbarer Widersprüche. Imperialistische Länder von China über Deutschland bis zu den USA fahren die Produktion ihrer tödlichen Arsenale buchstäblich hoch, während die Menschheit mit einer existenziellen Klimakrise konfrontiert ist, die sich von Tag zu Tag verschärft. Der Krieg ist eine weitere ökologische Katastrophe.

Dieser Krieg fällt auch in die Zeit einer verheerenden Pandemie, die weltweit mehr als 20 Millionen Menschen getötet hat und immer noch wütet. Chinas Null-Covid-Politik bricht angesichts der Omicron-Variante zusammen. Im Westen hat die herrschende Klasse im Grunde aufgegeben, nachdem es ihr nicht gelungen ist, die Epidemie einzudämmen oder eine ernsthafte Strategie für weltweites Impfen zu entwickeln.

Hinzu kommt, dass die grundlegende Krise der kapitalistischen Wirtschaft, die der Pandemie vorausging, aber durch sie verschärft wurde, durch einen Energiepreisschock und die rasch steigende Inflation in eine neue Phase eintreten wird. Neben dem Zusammenbruch der russischen Wirtschaft, ausgelöst durch die harten westlichen Sanktionen, könnte der Krieg Europa und die USA in eine Rezession stürzen. Die Auswirkungen auf die neokoloniale Welt werden jedoch noch weitaus verheerender sein, wenn die Lebensmittelpreise steigen und sich die Schuldenkrise verschärft. Insgesamt haben die vergangenen zwei Jahre der Pandemie und der Wirtschaftskrise die Ungleichheit auf globaler Ebene sowie das Ausmaß der absoluten Armut massiv erhöht.

Marxist*innen und Imperialismus

Auch heute ist für Marxist*innen die Ablehnung des Imperialismus Ausgangspunkt, wie für Lenin, Trotzki und andere Internationalist*innen vor einem Jahrhundert. Sie erklärten, wie die Entstehung des Imperialismus und die Vorherrschaft des Finanzkapitals eine Phase der kapitalistischen Entwicklung ist - der Kern ihrer Erklärung ist dass sich die Produktionskräfte längst über den engen Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise hinaus entwickelt haben. Heute könnte es nicht deutlicher sein, dass der kapitalistische Nationalstaat ein absolutes Hindernis für die weitere Entwicklung der menschlichen Wirtschaft darstellt.

Wir sind entschieden gegen den russischen, imperialistischen Einmarsch in die Ukraine, dem eine Rede Putins vorausging, in der er den Bolschewiki die Schuld an der Existenz der Ukraine gab und im Kern die historische Realität einer ukrainischen Nation leugnete. Putins absolut reaktionärer Einmarsch hat bereits eine humanitäre Katastrophe mit über drei Millionen Geflüchteten und über sechs Millionen Binnenvertriebenen ausgelöst.

Putin behauptet, sein Ziel sei die "Entmilitarisierung" und "Entnazifizierung" der Ukraine. Wir unterstützen den Kampf des ukrainischen Volkes gegen die militärische Besatzung, aber wir lehnen das Selenski-Regime vollständig ab, das zwar eindeutig nicht faschistisch, aber dennoch durch und durch reaktionär ist. Sowohl Putin als auch Selenski arbeiten mit der extremen Rechten in ihren eigenen Ländern und international zusammen. Putin hat rechtsextreme und faschistische Parteien in Europa unterstützt und sogar finanziell gefördert, darunter die “Goldene Morgenröte” in Griechenland und den “Front National” in Frankreich, der jetzt “Rassemblement National” heisst, während Selenski sich auf das neonazistische Asow-Bataillon stützt und sein Regime Nazi-Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg rehabilitiert hat.

Die führende Rolle, die Selenski im Widerstand gegen die russische Invasion gespielt hat, hat ihn in den Augen von Millionen von Ukrainer*innen und international zu einem Helden gemacht, was nicht zuletzt auf die Propaganda der westlichen Medien zurückzuführen ist. Allerdings steckt Selenski bis zum Hals in den Machenschaften einiger der mächtigsten Oligarch*innen des Landes und hat Maßnahmen vorangetrieben, die die Mehrheit der Ukrainer*innen weiter verarmen lassen. Er selbst ist Eigentümer von Offshore-Firmen. Nachdem er bereits während seiner Herrschaft vor dem Krieg das Rechte der Arbeiter*innen sich zu organisieren, mit Füßen getreten hatte, war eine seiner ersten Maßnahmen nach Kriegsbeginn die Verhängung des Kriegsrechts, das auch das Streikrecht verbietet. Ohne die bestehenden Illusionen zu ignorieren, müssen wir geduldig erklären, dass Selenski und sein Regime keine Freund*innen der Arbeiter*innenklasse in der Ukraine sind.

Wir wenden uns auch klar gegen die Agenda des US-Imperialismus und des westlichen Imperialismus, der über die NATO versucht hat, Russland einzukreisen und dazu beigetragen hat, die Bedingungen für diesen Krieg zu schaffen. Jetzt überschütten sie das Land mit Kriegsmaterial und verhängen beispiellose Sanktionen gegen Russland, die eine Form der kollektiven Bestrafung des russischen Volkes und eine Kriegshandlung darstellen, sowie eine Warnung an China.

Wir betonen dass die Solidarität der Arbeiter*innenklasse die einzige Kraft ist, die das Abgleiten in einen noch weit größeren Konflikt verhindern kann, der die menschliche Zivilisation bedroht. Zwar zeigt die Kriegspropaganda im Westen und in Russland selbst eine beachtliche Wirkung hatte - doch das wird zurückgehen. Die Masse der Arbeiter*innenklasse ist noch nicht bereit, den Krieg herauszufordern, aber die Jugend wird beginnen, sich zu wehren, wenn die "demokratischen" Vorwände des Westens entlarvt werden und vor allem, wenn die schrecklichen wirtschaftlichen Folgen des Krieges offenkundig werden. In Russland sehen wir bereits Anzeichen für heroischen Widerstand. Der Kapitalismus ist der Vater des Krieges, aber wie wir immer wieder sehen, er ist auch die Mutter der Revolution.

Perspektiven für den Krieges

Die weitere Entwicklung des Krieges ist aufgrund der vielen Variablen, die hier eine Rolle spielen, sehr schwierig einzuschätzen. So ist es beispielsweise kaum möglich, sich inmitten der unerbittlichen Kriegspropaganda auf allen Seiten ein klares Bild von der Lage vor Ort zu machen. Es ist jedoch ganz klar, dass Putin und seine Generäle sich bei ihren Invasionsplänen drastisch verkalkuliert haben. Sie hatten erwartet, von der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine als Befreier begrüßt zu werden, sind aber sowohl in russischsprachigen Städten wie Charkiw als auch bei ihrem Versuch, Kiew einzukreisen, auf erbitterten Widerstand gestoßen.

Die Möglichkeit eines Krieges zwischen der NATO und Russland ist heute größer als zu jedem anderen Zeitpunkt des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion. Die aktuelle Lage hat bereits Elemente eines Kriegszustand zwischen der NATO und Russland, da aus den NATO-Ländern eine enorme Menge an Rüstungsgütern geliefert wird. Dies könnte aufgrund einer Fehleinschätzung zu einem ausgewachsenen Krieg eskalieren, wenn Russland die Versorgungswege der NATO, auch nach Polen, massiv angreifen würde oder wenn die NATO so voreilig wäre, eine Flugverbotszone über einen Teil oder die gesamte Ukraine zu verhängen. Die russischen Streitkräfte haben bereits einen Stützpunkt in der Westukraine, bei dem es sich eindeutig um eine Basis der NATO handelte, und ein weiteres Ziel in der Westukraine mit einer Hyperschallrakete angegriffen.

Ein umfassenderer Krieg zwischen den USA/NATO und Russland könnte "konventionell" bleiben, aber die Gefahr eines nuklearen Schlagabtauschs würde erheblich steigen, auch wenn ein solches Szenario angesichts der potenziell verheerenden Folgen für alle Seiten immer noch unwahrscheinlich ist. Während der Existenz der Sowjetunion gab es sehr gefährliche Momente wie die kubanische Raketenkrise, aber ein enorm einschränkender Faktor war, dass die Sowjetunion trotz ihres schrecklichen stalinistischen Regimes kein imperialistisches Land war. Ihre Führung stellte ihre eigene Macht in den Vordergrund, fürchtete Revolutionen und strebte daher ein Entgegenkommen und eine "friedliche Koexistenz" mit dem westlichen Imperialismus an. In Wirklichkeit ist die Situation, in die wir jetzt eingetreten sind, bereits gefährlicher als jede andere während des ersten Kalten Krieges. Riesige Atomwaffenarsenale in den Händen räuberischer reaktionärer Regime wie denen von Putin und Xi Jinping sowie des überholten US-Imperialismus sind ein konzentrierter Ausdruck der Bedrohung unserer Existenz durch den Kapitalismus.

Putins Kriegspläne basierten auf den Erfahrungen mit der Einnahme der Krim und von Donezk/Luhansk im Jahr 2014, den militärischen Erfolgen Russlands in Syrien und dem Kalkül, dass der westliche Imperialismus nicht direkt in der Ukraine intervenieren würde. Dreieinhalb Wochen nach Beginn des Krieges hat sich die Position der NATO und des US-Imperialismus nicht grundlegend geändert. Joe Biden hat sich bisher entschieden gegen Maßnahmen wie eine Flugverbotszone ausgesprochen. Allerdings haben die Parlamente der NATO-Mitglieder Estland, Litauen und Slowenien kürzlich Resolutionen verabschiedet, in denen sie öffentlich eine Flugverbotszone fordern. Auch wenn das Gewicht dieser Staaten innerhalb der NATO nach wie vor gering ist, so zeigt dies doch, dass es eine lautstarke Minderheit gibt und dass die "Einheit" der NATO im weiteren Verlauf des Krieges auf die Probe gestellt werden könnte. Die meisten NATO-Länder wollen ein direktes militärisches Eingreifen vermeiden. Doch sie stoppen militärisch nur knapp vor so einem Szenario, so dass die Brücke zur direkten Intervention leicht zu überqueren wäre.

Könnte Russland militärisch verlieren und was wären die Folgen? Zu den schwerwiegenden Fehlkalkulationen bei Putins Invasion kommt nun noch ein erbitterter ukrainischer Widerstand hinzu, der zu Tausenden von russischen Opfern und zu Problemen mit der Moral in den Reihen des russischen Militärs führt. Zum Zeitpunkt als dieser Text verfasst wird [Anmerkung: Mitte April] ist es dem russischen Militär lediglich gelungen, eine der zwanzig größten Städte der Ukraine unter seine Kontrolle zu bringen. Dennoch behält Russland seine überwältigende Überlegenheit an Feuerkraft. Der Krieg ist in eine weitaus brutalere Phase eingetreten, in der Russland nach dem Vorbild der modernen Belagerungskriege in Syrien und Tschetschenien vorgeht. Russland bereitet sich auch darauf vor, sich verstärkt auf Söldner - bisher 16.000 aus Syrien -, brutale Schläger wie den tschetschenischen Warlord Ramsan Kadyrow und andere "irreguläre" Kräfte zu stützen.

Aber selbst wenn es dem russischen Militär gelingt, die wichtigsten Städte einzunehmen, nachdem es sie in Schutt und Asche gelegt hat, steht es vor der Herausforderung, das Land zu besetzen. Nach dem, was bisher geschehen ist, könnte ein ukrainischer Aufstand erhebliche Opfer fordern und letztlich dazu führen, dass das russische Militär als militärische Kraft zerbricht, selbst wenn die Ukrainer*innen es nicht völlig besiegen können, - ganz so wie es den USA in Vietnam erging. In Verbindung mit einem wirtschaftlichen Zusammenbruch könnte dies zu einem massiven Aufruhr in Russland führen. Dieses "Vietnam-Szenario" hat den entscheidenden Unterschied, dass das reaktionäre ukrainische Regime ein Stellvertreter des westlichen Imperialismus ist, während sich die FNL/NLF [Anmerkung: Nationale Front für die Befreiung Südvietnams, auch “Vietcong” genannt] in Vietnam auf eine soziale Revolution stützte.

Die Auswirkungen der Sanktionen - einschließlich der Isolierung Russlands vom westlichen Finanzsystem, der Aufhebung von Handelsprivilegien und des Rückzugs westlicher Unternehmen aus dem Land - können jedoch widersprüchlich sein. Sie treffen eindeutig einen Teil der städtischen Mittelschicht, die mit der Weltwirtschaft verbunden und eher pro-westlich eingestellt ist, aber die Abwertung der Währung, die Inflation und die drohende Massenarbeitslosigkeit werden vor allem die breite Arbeiter*innenklasse treffen. Kurzfristig können die Sanktionen jedoch auch die Unterstützung von Teilen der Bevölkerung für das Regime stärken, da sie das Narrativ bestätigen, dass der Westen darauf aus ist, Russland zu zerstören.

Putin scheint derzeit mehr Angst vor der Position der Oligarch*innen und der Gefahr eines Putsches aus den eigenen Reihen zu haben als vor einer allgemeinen Revolte. Die USA zielen eindeutig darauf ab, Putin zumindest mit einem "Regimewechsel" zu drohen, um den russischen Imperialismus unter Druck zu setzen. Das ist ein gefährliches Spiel, denn weitere Rückschläge könnten Putin noch verzweifelter machen und zu einer weiteren militärischen Eskalation verleiten.

Der Druck für eine diplomatische Lösung wird wegen der enormen Gefahr einer möglichen Ausweitung des Krieges zunehmen. Das chinesische Regime z.B., Putins wichtigster Verbündeter, ist nicht an einem umfassenden Krieg interessiert. Aufgrund der schwachen militärischen Position Russlands vor Ort ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass Putin jetzt einer Vereinbarung zustimmt. Es ist möglich, dass Putin Verhandlungen nutzt, um die Bombardierung fortzusetzen und auf Verstärkung zu warten. Ein mögliches Abkommen könnte darauf beruhen, dass die Ukraine einen "neutralen" Status und die De-facto-Teilung des Landes akzeptiert, wobei ein großer Teil der Ostukraine real an Russland angegliedert wird. Putin müsste akzeptieren, dass das Selenski-Regime in einem Rumpfstaat das Sagen hat. Im Gegenzug würden die westlichen Sanktionen zumindest teilweise aufgehoben werden.

Die weiteren Auswirkungen

Der Krieg in der Ukraine kann weder getrennt betrachtet noch richtig verstanden werden, wenn man ihn nicht in den größeren Kontext des globalen Konflikts zwischen dem US-amerikanischen und dem chinesischen Imperialismus stellt.

Zweifellos ist ein Teil der Botschaft, die Biden dem Regime der Kommunistischen Partei Chinas durch die "Einigkeit" der westlichen Mächte, die verheerenden Sanktionen gegen Russland und die Lieferung an Waffen in die Ukraine, zu übermitteln versucht, eine Warnung: generell und im besonderen davor, was sie zu erwarten haben, wenn sie in Taiwan einmarschieren.

Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass Taiwan für den US-Imperialismus von viel größerer strategischer Bedeutung ist als die Ukraine. Sollte ein chinesischer Versuch, in Taiwan einzumarschieren, gelingen, oder sollte sich der unwahrscheinliche Fall ergeben, dass sich die Prozesse innerhalb Taiwans qualitativ zugunsten Chinas verschieben, würde dies eine entscheidende Herausforderung für die strategische Vorherrschaft des US-Imperialismus im Indopazifik darstellen, mit massiven Auswirkungen auch auf den japanischen Imperialismus, Indien und andere wichtige regionale Mächte. Eine solche Niederlage für die USA würde das Ende der amerikanischen Ära und den Sieg des chinesischen Imperialismus in dieser entscheidenden geopolitischen Region bedeuten. Der Krieg in der Ukraine hat die Illusionen in die USA unter den Massen in Taiwan erheblich gestärkt, was die Unterstützung für die pro-US-amerikanische DPP-Regierung [Anmerkung:  Demokratische Fortschrittspartei] verstärkt hat.

Und natürlich wäre der Versuch, ähnliche Sanktionen gegen die chinesische Wirtschaft zu verhängen, ein ganz anderes Unterfangen angesichts der Rolle Chinas in der Weltwirtschaft, die um ein Vielfaches größer ist als jene Russlands. In Wirklichkeit würde dies einen vollständigen Zusammenbruch der Weltwirtschaft bedeuten.

Die USA und der westliche Imperialismus sind zu Beginn dieses Krieges vorübergehend gestärkt worden. Die westliche Propaganda bezüglich “Demokratie” wird für den Augenblick von der Bevölkerung in Europa und den USA weitgehend akzeptiert und Leute wie Macron, Boris Johnson und Joe Biden sind stabilisiert worden.

Doch diese Situation wird nicht anhalten. Die geschlossene Front im Westen wird aufgrund unterschiedlicher imperialistischer Interessen Risse bekommen. Dies gilt für China noch mehr als für Russland, da z.B. die deutsche Wirtschaft in erheblichem Maße von Industrieexporten nach China abhängig ist. Die USA haben bereits Schwierigkeiten, wichtige "Verbündete" im Nahen Osten sowie Indien bei der Stange zu halten da diese enge militärische und Handelsbeziehungen zu beiden Seiten unterhalten. Dennoch hat der Krieg den Prozess hin zu einer stärker verfestigten westlichen imperialistischen Front gegen China und einer schnelleren wirtschaftlichen Abkopplung von Chinas Wirtschaft enorm verstärkt. Dieser Trend steht im Vordergrund und nicht die internen Spaltungen. Die Phase der "nationalen Einheit" wird tendenziell zerbrechen, wenn die tatsächlichen wirtschaftlichen Kosten des Krieges und die Frage, welche Klasse die Rechnung zu zahlen hat, für die einfachen Menschen deutlicher werden.

Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der Konflikt zwischen dem US-amerikanischen und dem chinesischen Imperialismus beide schwächen wird, aber natürlich kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten mal der eine, mal der andere einen vorübergehenden Vorteil erlangen. Der US-Imperialismus hat im Moment die Nase vorne, aber das chinesische Regime sieht auch, dass die USA überfordert und nicht in der Lage sind, sich von Herausforderungen in anderen Teilen der Welt zu befreien, nachdem sie Afghanistan aufgegeben haben, um sich voll auf die Herausforderung durch China zu konzentrieren. Und vergessen wir nicht, dass China im Jahr 2020 einen erheblichen Vorteil zu haben schien, da seine Wirtschaft weiter wuchs, während es der herrschenden Klasse der USA nicht gelang, COVID einzudämmen - und es dann mit massiven sozialen Umwälzungen konfrontiert war.

Gleichzeitig sollten wir die sehr ernsten Herausforderungen, vor denen das Regime von Xi Jinping kurzfristig steht, nicht unterschätzen. Das Bündnis Chinas mit Russland bereitet dem Regime von Xi wegen des Krieges bereits große Probleme. Das Regime wird auch durch einen wirtschaftlichen Abschwung erschüttert, der sich aufgrund der Krise im kritischen Immobiliensektor noch weitaus verschlimmern könnte, aber auch durch die Katastrophe, die es erwartet, wenn es aufgrund der hoch übertragbaren Omikron-Variante gezwungen ist, die "Null-Covid"-Politik aufzugeben. Angesichts der Tatsache, dass COVID seit zwei Jahren vom chinesischen Festland weitgehend ferngehalten wird und die chinesischen Impfstoffe nicht so wirksam gegen Omikron sind, bedeutet dies, dass die 1,4 Milliarden Einwohner*innen dieser Bedrohung ohne nennenswerte Immunität gegenüberstehen.

Selbst wenn der Ukraine-Krieg im Rahmen eines nicht auszuschließenden "Reset" in den Beziehungen zwischen den USA und China auf dem Verhandlungswege beigelegt werden sollte, wäre dies nur eine vorübergehende Atempause. Es gibt keinen Weg zurück zur hyperglobalisierten neoliberalen Weltordnung.

Auswirkungen auf die Weltwirtschaft

Die Weltwirtschaft erlebte 2020 den stärksten Einbruch seit den 1930er Jahren und dann einen kräftigen Aufschwung, der zum Teil auf neokeynesianische Konjunkturmaßnahmen zurückzuführen ist, darunter Billionen, die in die Finanzmärkte gepumpt wurden, und weit geringere Beträge, die in die Taschen der einfachen Leute flossen, insbesondere in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Von den Zentralbanken und vielen bürgerlichen Ökonom*innen wurde uns gesagt, dass all dies machbar sei, weil die Inflation und die Zinssätze nahe bei Null lägen, aber die ISA wies darauf hin, dass diese Bedingungen nicht aufrechterhalten werden könnten. Zu Beginn dieses Jahres wurde dieses rosige Bild ersetzt durch die höchste Inflation seit 40 Jahren in den USA und die höchste seit 30 Jahren in Europa sowie durch eine weltweite Explosion der Energie- und Lebensmittelpreise, die in erheblichem Maße durch Probleme in der globalen Versorgungskette bedingt, aber zunehmend in der Wirtschaft verankert ist. Die Vorstellung, die Inflation sei ein "vorübergehendes" Phänomen, hat sich in Luft aufgelöst.

Schon vor Beginn des Krieges wiesen wir auf die Anfälligkeit der Weltwirtschaft und die Wahrscheinlichkeit einer großen Finanzkrise hin, die durch mehrere mögliche Szenarien ausgelöst werden könnte, darunter der Zusammenbruch von Vermögensblasen, insbesondere der großen Blase im chinesischen Immobiliensektor. Wir wiesen auch auf die Gefahr einer Rezession hin, die durch die Notwendigkeit einer raschen Anhebung der Zinssätze durch die Zentralbanken ausgelöst werden könnte.

Der einzige Hoffnungsschimmer war, dass der Druck auf die Lieferketten nachzulassen begann. Mit dem Krieg ist dieser Hoffnungsschimmer verschwunden. Die Versorgungswege von Russland und der Ukraine in weite Teile der Welt sind ja unterbrochen worden. Die Kosten für die Containerschifffahrt könnten sich verdoppeln oder verdreifachen. Die Probleme in der Versorgungskette werden durch die jüngsten Lockdowns in Chinas wichtigen Produktionszentren wie Shenzhen und Dongguan aufgrund von COVID-Ausbrüchen noch verschärft.

Die größte Auswirkung des Krieges auf die Weltwirtschaft dürfte jedoch der Einfluss auf die Energie- und Lebensmittelpreise sein. Da viele westliche Länder den Bezug von russischem Erdöl und Erdgas einstellen und die russische Produktion nur schwer ersetzen können, steigen die Energiepreise rasant an. Dies ist möglicherweise der größte Energiepreisschock seit Mitte der 1970er Jahre, der zu einem drastischen weltweiten Wirtschaftsabschwung beitrug und in den westlichen Volkswirtschaften eine Phase der "Stagflation" einleitete, in der die Wirtschaft langsam wuchs, während die Inflation hoch war. Stagflation kann mit den üblichen bürgerlichen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen nur schwer bewältigt werden.

Die OECD geht zwar immer noch von einem Wachstum der Weltwirtschaft im Jahr 2022 aus, hat aber ihre Prognose von 4,5 % auf 3,5 % gesenkt, während sie für die Eurozone nur noch von knapp 3 % ausgeht. Die größte Volkswirtschaft der EU, Deutschland, befindet sich höchstwahrscheinlich bereits in der Rezession. Viele bürgerliche Ökonom*innen weisen nun auf die sehr reale Möglichkeit einer Rezession in einer Reihe wichtiger Volkswirtschaften hin, die durch geopolitische Ereignisse und die Notwendigkeit einer raschen Anhebung der Zinssätze zur Eindämmung der Inflation ausgelöst wird, wie es die Fed bereits getan hat.

Die weltweit steigende Inflation wird auch direkt zur Staatsschuldenkrise beitragen, mit der viele arme Länder konfrontiert sind und die wir im Hauptentwurf der Weltperspektiven [Anmerkung: ein weiteres Dokument, beschlossen durch das Internationale Komitee der ISA] beschrieben haben. Aber es ist der starke Anstieg der Lebensmittelpreise, der die verheerendsten Auswirkungen auf die Massen in großen Teilen der neokolonialen Welt haben könnte. Ganze 12 % aller in der Welt verbrauchten Kalorien kommen aus Russland und der Ukraine; wir können mit einer "Inflationsspirale" für Weizen, Mais und andere landwirtschaftliche Produkte rechnen. Die Preise stiegen bereits vor Beginn des Krieges aufgrund von Dürren und der hohen Nachfrage, als die Volkswirtschaften sich von der Pandemie erholten. Dies könnte die größte Lebensmittelkrise seit mindestens 2008 auslösen, die wiederum ein Schlüsselfaktor für die Aufstände in Nordafrika und im Nahen Osten im Jahr 2011 war und auch in anderen Regionen Proteste und Unruhen auslöste.

Die Ukraine ist ein wichtiger Weizenlieferant für den Nahen Osten und Nordafrika. Derzeit verfügt der Libanon höchstens noch über Weizenreserven für einen Monat. Die syrische Regierung hat mit der Rationierung von Weizen begonnen, in Ägypten haben sich die Brotpreise verdoppelt, die tunesische Regierung hat Beamt*innen untersagt, sich zu Weizenimporten zu äußern, und das Welternährungsprogramm hat den Krieg in der Ukraine als "Countdown zur Katastrophe" für den Jemen, der in hohem Maße von Getreideimporten abhängig ist, bezeichnet. Im Sudan und im Irak haben die steigenden Brot- und Mehlpreise bereits große Demonstrationen ausgelöst. Dies sind nur die ersten Anzeichen für die große soziale Krise und die Umwälzungen, die sich in dieser Region zusammenbrauen und sich in anderen Teilen der Welt wiederholen werden.

Ein weiterer Schock für die Weltwirtschaft kann eintreten, wenn Russland seine Staatsschulden nicht begleichen kann, auch wenn die Schulden der russischen Unternehmen eigentlich viel größer sind. Obwohl das Putin-Regime versucht hat, die Auswirkungen des Ausschlusses aus dem globalen Finanzsystem und anderer Sanktionen abzufedern, indem es eine strenge Kontrolle der inländischen Banken und der Devisenbestände russischer Unternehmen eingeführt und die Verstaatlichung von Vermögenswerten ausländischer Unternehmen, die ihren Betrieb eingestellt haben, vorbereitet hat, wird für dieses Jahr ein Rückgang des BIP zwischen 6 und 20 % vorhergesagt. Auf der anderen Seite ist aber die Bereitschaft Chinas, zumindest teilweise Russland wirtschaftlich aufzufangen. Dies deutet auf das Entstehen zweier internationaler Finanzsysteme hin, ebenso wie auf das Aufbrechen globaler Versorgungsketten und das bereits erwähnte "Reshoring" und "Nearshoring" der Produktion, Tendenzen, die sich infolge des Krieges beschleunigen werden. Diese Merkmale erinnern stark an die 1930er Jahre, die durch Ultranationalismus, Handelsembargos und das Wachstum geschlossener Volkswirtschaften (Autarkie) gekennzeichnet waren.

Veränderungen im Bewusstsein

Der Ausbruch dieses Krieges und die neue Ära, die er für den globalen Kapitalismus einläutet, ruft zwangsläufig tiefgreifende und dramatische Veränderungen im Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse und der jungen Menschen auf der ganzen Welt hervor. Alle Schichten der Gesellschaft, auch die bürgerliche, versuchen derzeit, die Bedeutung des Geschehenen zu verstehen und die Perspektiven für die Zukunft neu zu ordnen.

Wir können kein starres Schema anwenden, wie sich das Bewusstsein der Arbeiter*innen entwickeln wird. Wie bei unseren Perspektiven für den Krieg oder für die Wirtschaft machen wir keine absoluten Vorhersagen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts hat unsere Organisation in die Massenbewegungen gegen die Kriege im Irak und, in geringerem Maße, in Afghanistan interveniert und in einigen Fällen eine wichtige Rolle dabei gespielt. Dies waren Kriege aus einer anderen Zeit. Es handelte sich nicht um ein Aufeinandertreffen zweier relativ gut aufeinander abgestimmter imperialistischer Machtblöcke. Stattdessen verkörperten sie das (letztlich unangebrachte) Selbstbewusstsein des US-Imperialismus der unanfechtbare Herrscher der Welt zu sein - dass er in zentralen Ländern nach Belieben gefügige neue Regime installieren könne, wenn nötig mit der Waffe in der Hand. In den Augen der Massen sowohl im Westen als auch in der neokolonialen Welt herrschte ein ziemlich hohes Maß an Klarheit über die aggressive Rolle, die der westliche Imperialismus spielte. Die Opposition gegen den Krieg und die Opposition gegen Bush, Blair und Co. waren ganz klar miteinander verbunden.

Der aktuelle Krieg findet in einem völlig anderen Kontext statt, nämlich in dem einer zunehmenden Teilung der Welt in zwei Sphären. Er ähnelt daher in gewisser Weise eher den Kriegen des frühen 20. Jahrhunderts - ein inner-imperialistischer Konflikt, der zwischen zwei konkurrierenden kapitalistischen Blöcken ausgetragen wird. Russland wird letztlich, wenn auch anfangs etwas zögerlich, von China unterstützt. Die Selenski-Regierung wird umgekehrt vom westlichen Imperialismus unterstützt.

Vor allem in der ersten Phase schafft der inner-imperialistische Charakter des Krieges ein größeres Maß an Verwirrung und Komplexität im Bewusstsein, als dies bei vielen Konflikten der letzten Zeit der Fall war. Das liegt auch daran, dass diese Konfrontation zwischen zwei imperialistischen Blöcken auf ukrainischem Boden angesichts der brutalen imperialistischen Invasion und Besatzung durch Russland mit legitimen Gefühlen der Sympathie für die ukrainischen Massen verwoben ist und in gewisser Weise durch sie verwischt wird. Überall in der Welt herrscht Angst vor den Folgen eines Krieges und der Gefahr einer Eskalation. Es gibt ein breites Gefühl der Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und insbesondere mit den Millionen von Geflüchteten, die die Invasion bisher hervorgebracht hat. Obwohl es in den verschiedenen Ländern zahlreiche Proteste unterschiedlichen Ausmaßes gegeben hat, wäre falsch, von einer bereits bestehenden internationalen Antikriegsbewegung zu sprechen.

Die Proteste, die wohl am deutlichsten gegen den Krieg an sich waren, fanden in Russland selbst statt. Sie waren bedeutend, wenn auch nicht massiv, und erreichten ihren Höhepunkt in den ersten Tagen nach der Invasion. Putins Regime hat auf sie mit äußerster Brutalität reagiert. Die Zahl der Menschen, die verhaftet wurden, weil sie sich öffentlich gegen den Krieg gestellt haben, wird zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts auf über 15.000 geschätzt - diese Zahl selbst ist ein Beweis für die Stimmung der Wut, die sehr deutlich in einer Schicht der russischen Arbeiter*innen und Jugendlichen zu sehen ist.

Der Propagandakrieg des Kremls hat natürlich Auswirkungen auf die Sichtweise der Masse der Bevölkerung. Ebenso hat die Verschärfung der Repressionen durch das Regime mit 15-jährigen Haftstrafen für diejenigen, die als Verbreiter*innen von "Fake News" gelten, dafür gesorgt, dass der Zugang zu einer anderen Sichtweise nun stark eingeschränkt ist. Unabhängige Nachrichtensender mit Sitz in Russland wurden zur Schließung gezwungen und ausländische Medien haben das Land verlassen. Gleichzeitig hat die Kombination aus Putins Unterdrückung und westlichen Sanktionen den Zugang zu sozialen Medien wie Twitter und TikTok extrem erschwert. Inzwischen versucht Putin, das Handbuch des iranischen Regimes zu übernehmen - also die erdrückende Wirkung westlicher Sanktionen auf die Wirtschaft, deren Preis immer die Arbeiter*innenklasse zahlt, zu nutzen, um den Nationalismus und die Unterstützung für sein Regime zu stärken.

All dies deutet darauf hin, dass dies, zumindest kurzfristig, eine äußerst schwierige Periode für alle oppositionellen Kräfte sein wird, die versuchen sich in Russland aufzubauen - insbesondere für diejenigen, die auf den Kampf der Arbeiter*innen und sozialistische Ideen orientieren. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Krieg, vor allem wenn er länger andauert und für das russische Regime schwierig ist, massenhafte Wut und Opposition schüren wird, die von unten her explodieren können. Schätzungen über genaue Zahlen sind natürlich höchst umstritten, aber Tausende von russischen Soldat*innen sind in diesem Krieg bereits gefallen.

Im Westen wurde der Krieg als Schockdoktrin eingesetzt, um die Militärausgaben drastisch zu erhöhen und die Autorität des Staates und der Regierungen zu stärken. Wie zu Beginn vieler Kriege üben Staat und Medien einen starken Druck für "nationale Einheit" aus - während Elemente der "Russophobie" vom westlichen Establishment geschürt wurden, was zu einem Anstieg anti-russischer Angriffe und Stimmungen gegenüber im Ausland lebenden einfachen Russ*innen, insbesondere in Ost- und Mitteleuropa, beigetragen hat. Linke und grüne Parteien, die früher gegen Waffenexporte und NATO-Militäraktionen waren - wie die meisten des so genannten "Squad" in den USA, linke Parteien in den nordischen Ländern, Teile der Labour Party in Großbritannien, Podemos in Spanien - haben jetzt in Fragen wie der Unterstützung von Sanktionen und NATO-Militärhilfe für die Ukraine, kapituliert. Das ist ein Gradmesser für ihre politische Schwäche und ihr mangelndes Vertrauen in die Arbeiter*innenklasse.

Das furchtbare Leid, das durch russische Bomben und Kugeln verursacht wird, trägt dazu bei, dass die Arbeiter*innenklasse ein starkes Gefühl des Entsetzens über die Geschehnisse empfindet, aber auch ein hohes Maß an Solidarität mit den Opfern des Krieges zeigt. Vor allem in Osteuropa ist dieses Gefühl der Solidarität mit der sehr realen Angst verbunden, dass sich solche Szenen in ihren eigenen Länder wiederholen könnten, wenn Putin nicht zurückgedrängt wird. Es ist verständlich, dass in diesem Zusammenhang die NATO und in geringerem Maße die EU als wichtiger Schutz gegen einen solchen Angriff gesehen werden.

Wie so oft im Krieg hat die Anfangsphase dieses Konflikts eine gewisse Stimmung der "nationalen Einheit" und eine vorübergehende Stärkung der amtierenden Regierungen und Politiker*innen mit sich gebracht - einschließlich einiger, die bis vor kurzem noch schwer angeschlagen waren. Dazu gehören Biden, dem schwierige Zwischenwahlen bevorstehen [Anmerkung: im November], und vor allem Boris Johnson, der anscheinend von den Plänen seiner eigenen Partei, ihn zu stürzen, verschont geblieben ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt deuten die Umfragen auf eine große Unterstützung für Sanktionen hin. Selbst als auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, dass dies zu höheren Energiepreisen führen könnte, sprachen sich in einer kürzlich durchgeführten Umfrage 79 % der Amerikaner*innen für ein Verbot der Einfuhr von russischem Öl aus. Unterdessen wird versucht, den Krieg zu nutzen, um die Inflation und die Krise der Lebenshaltungskosten auf "Putins Preiserhöhungen" zurückzuführen, wie Biden es kürzlich formulierte.

Darüber hinaus gibt es in vielen westlichen Ländern relativ viel Unterstützung für eine stärkere militärische Unterstützung des ukrainischen Regimes, bis hin zu einer "Flugverbotszone". In Deutschland skizzierte Olaf Schulz Ausgaben, die dazu führen könnten, dass das Land innerhalb von fünf Jahren den dritthöchsten Militärhaushalt der Welt entwickelt. Diese drastische Kehrtwende in der Verteidigungspolitik der Nachkriegszeit wurde in Umfragen von bis zu 75 % der Bevölkerung unterstützt. Diese Stimmung spiegelte sich auch in einigen der sehr großen Proteste wieder, die dort gegen den Ausbruch des Krieges stattgefunden haben. Andernorts wurde bei den relativ kleinen Protesten in den USA häufig der Slogan "Close the skies" (Schließt den Himmel) aufgegriffen - eine Anspielung auf die von einer zunehmend militanten "Pro 3. Weltkriegs"-Fraktion in der Republikanischen Partei (die auch in vielen rechten Parteien in Europa vertreten ist) erhobene Forderung nach der Einrichtung einer Flugverbotszone.

Diese Stimmung spiegelt das Gefühl wider, dass "etwas getan werden muss", um die Bombardierung der Ukraine zu stoppen, aber sie basiert auf einem mangelhaften Verständnis für die wahren Auswirkungen einer solchen Intervention. Zu den Folgen würde gehören, dass dieser Krieg zu einer direkten Konfrontation zwischen der NATO und Russland wird, mit all den damit verbundenen Gefahren einer weiteren Eskalation (einschließlich der nuklearen Bedrohung).

In der Tat dringt die Darstellung der Kapitalist*innen von einem “Neuen Kalten Krieg” zum ersten Mal deutlich in das Bewusstsein einer bedeutenden Schicht der Arbeiter*innen und der Mittelschicht ein. Die (grob heuchlerische) Idee einer globalen Spaltung zwischen "Freiheit und Rechtsstaatlichkeit" auf der einen Seite und "Autoritarismus und Tyrannei" auf der anderen Seite übt eine Sogwirkung aus. Dies wird eine Waffe sein, die die herrschende Klasse bei dem Versuch einsetzen wird, den sozialen Frieden im Inland durchzusetzen. Aber seit dem Ausbruch dieses Krieges sind weiterhin bedeutende Kämpfe der Arbeiter*innen geführt worden. Selbst in diesem frühen Stadium gibt es schon ernsthafte Grenzen für die Stimmung der "nationalen Einheit", die die herrschende Klasse zu schaffen versucht.

Unter den Jugendlichen gibt es nach wie vor eine allgemeine Ablehnung von Militarismus. Es herrscht große Wut über das Versagen der westlichen Regierungen, ukrainische Geflüchtete aufzunehmen und zu versorgen. Viele lehnen auch bewusst die rassistische Doppelmoral ab, mit der diejenigen behandelt werden, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Es gibt Angst vor und Widerstand gegen die Eskalation dieses Krieges, insbesondere im Zusammenhang mit der drohenden nuklearen Bedrohung. Diese Stimmung hat das Potenzial, je nach Entwicklung der Ereignisse immer wichtiger, sogar bestimmend, zu werden.

Zur selben Zeit ist die Stimmung in weiten Teilen der neokolonialen Welt zwar auch verwirrt, aber auf ganz andere Art und Weise. Das mörderische Erbe des US-Imperialismus (ebenso wie das Großbritanniens und anderer Kolonialmächte), das diese Mächte durch ihre Anprangerung der Rolle Russlands in der Ukraine zu beschönigen versuchen, ist im Bewusstsein der Arbeiter*innen in vielen Ländern nach wie vor stark präsent, was zu einem viel tieferen Misstrauen gegenüber der NATO führt, das zuweilen mit gewissen pro-russischen Sympathien einhergeht. Das Erbe des früheren Kalten Krieges und nostalgische Elemente gegenüber der ehemaligen UdSSR spielen dabei ebenfalls eine Rolle - wie die frühere Anti-Apartheid-Haltung der UdSSR in Südafrika und ganz allgemein ihre kalkulierte Unterstützung für antikoloniale nationale Befreiungsbewegungen in Teilen des Kontinents. Die rassistische Behandlung schwarzer und asiatischer Geflüchteter durch die Ukraine und westliche Staaten und die so dramatisch verschiedene Behandlung von Kriegsopfern durch westliche Medien im Vergleich zu jenen in der neokolonialen Welt haben derartige Gefühle noch verstärkt.

Linkspopulistische Kräfte, wie die EFF in Südafrika, haben die Linie des Kremls in diesem Konflikt weitgehend übernommen. Auf der anderen Seite gibt es in weiten Teilen Lateinamerikas einen bedeutenden und einflussreichen Teil der Führung der Arbeiter*innenbewegung, der mit dem chinesischen Regime sympathisiert. All diese Faktoren haben dazu beigetragen, die Entwicklung einer bedeutenden Protestbewegung gegen den Krieg im "globalen Süden" zu verhindern. Wo dies der Fall ist, müssen wir die Rolle des Putin-Regimes erklären, einschließlich seines pro-kapitalistischen Charakters, und die unabhängige Rolle betonen, die die Arbeiter*innenklasse international spielen kann.

Afrika ist eine umkämpfte und wichtige Region im Kalten Krieg und imperialistischen Konflikt. Arbeiter*innen und Arme sollten sich nicht der Illusion hingeben, dass Putins Regime eine wirkliche Alternative zum westlichen Imperialismus in Afrika darstellt. Russland und China sind ebenfalls imperialistische Staaten die der Arbeiter*innenklasse feindlich gegenüberstehen und, die für das Schüren von Instabilität und Krieg in neokolonialen Ländern verantwortlich sind. Die Auswirkungen des Krieges werden nun wahrscheinlich die schon bestehenden Belastungen wie extreme Wetterereignisse, geschrumpfte Volkswirtschaften und bewaffnete Konflikte, die Armut, Polarisierung und Massenmigration aufrechterhalten, noch verstärken.

Der Krieg bedroht die Ernährungssicherheit in Afrika zusätzlich, da die umfangreichen russischen und ukrainischen Ausfuhren von Weizen, Soja, Mais und anderen Getreidesorten unterbrochen werden. Ägypten, Nigeria und Simbabwe zum Beispiel importieren zwischen 50 und 80 % ihres Weizens aus Russland. Die steigenden Öl- und Rohstoffpreise sind ein guter Nährboden für lokale Regierungen, die im Bündnis mit imperialistischen Mächten die Förderung von fossilen Brennstoffen und Rohstoffen vorantreiben, jetzt mit einem zusätzlichen "strategischen" und vermeintlich "grünen" Deckmantel.

Neben der Zerstörung von Lebensgrundlagen zur Sicherung von Marktanteilen und Profiten im neuen, durch den Kalten Krieg verschärften "Wettlauf um Afrika" gibt es weiterhin bewaffnete Konflikte. Dies wird die Migration auf dem gesamten Kontinent weiter verstärken, Flüchtlingskrisen und Menschenhandel anheizen und kann Konflikte und Spaltungen verschärfen. In Südafrika gaben die Lebensmittelunruhen vom Juli 2021 einen Einblick in die kochende Wut der Massen, und die neue Eskalation der fremdenfeindlichen Gewalt ist eine Warnung, wie sie von der Reaktion ausgenutzt werden kann, wenn nicht dringend eine politische Alternative auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms aufgebaut wird.

Das Potenzial für eine internationale Antikriegsbewegung

Vor allem unter Jugendlichen wächst die Einsicht, dass wir im Kapitalismus einer Zukunft entgegensehen, in der die Welt gefährlicher sein wird, in der die Mehrheit der Menschen verarmter sein wird und in der - in zunehmendem Maße - das Überleben eines Großteils der Weltbevölkerung gefährdet sein wird. Diese Einsicht hängt zum Teil mit der wirtschaftlichen Realität zusammen - sie spiegelt einen tiefen Mangel an Vertrauen in die Fähigkeit des Systems wider, selbst den Menschen in den fortschrittlichsten kapitalistischen Ländern stabile Arbeitsplätze und Wohnungen, geschweige denn einen steigenden Lebensstandard zu bieten. Doch nun kommt zu der Bedrohung durch den Klimakollaps auch noch die Gefahr eines sich immer weiter ausbreitenden und möglicherweise sogar nuklearen globalen militärischen Konflikts hinzu. Diese Angst wird von nun an ein wichtiger Bestandteil der kollektiven Wahrnehmung der Arbeiter*innen sein.

Ein solches Bewusstsein ist nicht automatisch revolutionär - es kann das Potential für Verzweiflung oder wie man seit neuestem sagt, "Doomerismus", schaffen. Aber es weist darauf hin, wie tief das kapitalistischen Systems in den Augen der Arbeiter*innenklasse an Vertrauen verloren hat.

Eine internationale Anti-Kriegs-Bewegung, die sich auf eine klarere Opposition gegen die imperialistische Kriegstreiberei auf allen Seiten stützt, ist daher immer noch in genau dieser Situation angelegt. Unsere Aufgabe ist es, für eine solche Bewegung und für ihren proletarischen Charakter zu kämpfen. Das bedeutet, auf die mögliche Rolle der Gewerkschaftsbewegung bei der Mobilisierung auf der Straße hinzuweisen sowie auf ihre Rolle dabei, die "Kriegsanstrengungen" direkt zu untergraben. Einen Vorgeschmack auf dieses Potential gab es bereits in Britannien, den Niederlanden und Schweden - wo sich Arbeiter*innen weigerten, russisches Öl in den Häfen zu entladen - und in Italien in Form von Streiks aus Protest gegen die Invasion des russischen Regimes.

Gleichzeitig erkennen wir, dass es wohl am ehesten junge Menschen sind die für Proteste auf der Straße mobilisiert werden können und das sie - zumindest anfangs - die Schicht sind, die am offensten für sozialistische Ideen ist. Anti-Kriegs-Aktivismus, der auch mit Themen wie dem Klimawandel (wo die Wut angesichts des realen Wegfall der früheren Netto-Null-Zusagen wachsen wird) und/oder der Behandlung von Geflüchteten verbunden werden kann, kann ein entscheidender Aspekt unserer Arbeit in der nächsten Zeit sein.

Das gilt auch für unsere sozialistisch-feministische Arbeit, wie viele der Proteste am 8. März gezeigt haben, bei denen Slogans gegen den Krieg und Solidaritätsbekundungen mit den Opfern des Krieges in der Ukraine im Vordergrund standen. Frauen werden mit am stärksten von den steigenden Lebenshaltungskosten, der Flüchtlingskrise, der zu erwartenden Explosion von Menschenhandel und geschlechtsspezifischer Gewalt infolge des Krieges sowie von den Kürzungen der Sozialausgaben, die mit der massiven Aufstockung der Militärbudgets einhergehen werden, betroffen sein. Dieser Krieg hat auch die bestehenden Ungleichheiten, einschließlich der Unterdrückung der Geschlechter in der Ukraine und darüber hinaus, verschärft. Die geschlechtsspezifische Gewalt, die aufgrund der Pandemie bereits weltweit zugenommen hat, ist ein weiterer erschreckender Aspekt vieler gewaltsamer Konflikte, so auch in der Geschichte der Ukraine. Auch aktuell gibt es Berichte über die Anwendung sexueller Gewalt in der Ukraine. Darüber hinaus sind diejenigen, die aus der Ukraine fliehen (meist Frauen und Kinder, da Männer an der Ausreise gehindert werden), in hohem Maße dem Missbrauch durch Frauenhändler*innen und Personen ausgesetzt, die versuchen, Geflüchtete für kostenlose Arbeit oder Sex im Austausch gegen eine Unterkunft auszubeuten. Berichten zufolge gab es ab dem Tag unmittelbar nach dem Beginn der Invasion einen bemerkenswerten Anstieg bei der Verwendung von Suchbegriffen wie "Ukrainian Girls" oder "War Porn" auf großen Pornoseiten. Geflüchtete Frauen sind auch sehr anfällig für die Ausbeutung als kostenlose oder billige Arbeitskräfte im Haushalt, einschließlich Haushalts- und Pflege-Arbeit. Dies hat sich dadurch verschärft, dass verschiedene Regierungen die Flüchtlingskrise von einer kollektiven und sozialen Verantwortung in eine individuelle Angelegenheit verwandelt haben. Hinzu kommt, dass die rasche und erhebliche Ausweitung der Militärbudgets voraussichtlich auf Kosten anderer Budgets, einschließlich Gesundheit und Bildung, gehen wird. Wiederum werden Frauen aus der Arbeiter*innenklasse unverhältnismäßig stark betroffen sein, da sie bereits jetzt den größeren Teil der Care-Arbeit zu Hause übernehmen.

Langfristig ist zu erwarten, dass dieser Krieg und der umfassendere innerimperialistische Konflikt, zu dem er gehört, die Klassenwidersprüche weiter verschärfen, den verbrecherischen Charakter des Kapitalismus offenlegen und die Massen in den Kampf treiben wird, wenn sie gezwungen sind, die Kosten zu tragen. Wir müssen auch davon ausgehen dass die vorübergehende "Stärkung der Mitte", die in den ersten Wochen des Krieges in den westlichen Ländern zu beobachten war, einer viel stärkeren darunterliegenden Polarisierung weichen wird, die letztlich durch diese Krise noch verstärkt wird. Das neue Zeitalter von Chaos und Unordnung wird noch schärfere Züge von Revolution und Konterrevolution aufweisen als die Zeit nach der Großen Rezession von 2008/9. Sie wird Chancen für die Linke schaffen, auch für Marxist*innen. Gleichzeitig wird sie aber auch weiteren Raum für die Reaktion schaffen. Viele Rechte und rechtsexterme Populist*innen, darunter solche wie Orban und Le Pen, sind aktuell gezwungen, sich von ihrem früheren Freund Wladimir Putin zu distanzieren. Orban musste sogar über 180.000 ukrainische Geflüchtete aufnehmen. Nichtsdestotrotz wird dies letztlich eine Situation sein, von der die Kräfte des Nationalismus, des Autoritarismus und des Rechtspopulismus zusammen mit der extremen Rechten zu profitieren versuchen werden - nicht zuletzt in der Ukraine selbst.

Im Westen werden bürgerliche Politiker*innen aller Richtungen versuchen, sich in Bezug auf Russland und zunehmend auch auf China gegenseitig zu übertrumpfen. Insbesondere in Osteuropa, wo eine Zunahme des Nationalismus und zeitweise nationale und ethnische Konflikte ein wichtiges Merkmal des "Festival der Reaktion" waren, das auf den Zusammenbruch des Stalinismus folgte, wird dieser Krieg dem Nationalismus und der Spaltung einen neuen qualitativen Schub geben. Generell werden in allen Regionen der Welt die Positionen von Politiker*innen und Parteien in Bezug auf den Kalten Krieg an politischer Bedeutung gewinnen, auch in Wahlzeiten.

Unser Programm

Unser Programm muss daher in dieser Situation ständig diskutiert, erörtert und regelmäßig aktualisiert werden, um den sich entwickelnden Ereignissen Rechnung zu tragen. Entscheidend ist, dass wir weiterhin ein einheitliches Programm haben, dessen Kern überall auf der Welt, wo wir tätig sind, derselbe ist. Die genaue Darstellung dieses Programms und die Punkte, denen wir den größten Nachdruck verleihen, müssen jedoch zwangsläufig an das unterschiedliche Bewusstsein angepasst werden, das in verschiedenen Teilen der Welt und in verschiedenen Schichten der Arbeiter*innenklasse existiert.

Insbesondere ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir in jedem Land, in dem wir präsent sind, in all unserem Material Punkte hervorheben, die die Rolle der nationalen Bourgeoisie des Landes, in dem wir mobilisieren, und ihre "Seite" im Kalten Krieg entlarven. In den westlichen kapitalistischen Ländern zum Beispiel muss die Opposition gegen den Militarismus und die Expansion der NATO immer ein zentrales Merkmal unserer Propaganda sein, auch wenn dies derzeit nicht die Stimmung unter der Masse der Arbeiter*innen ist. Wir sind gegen jede militärische Intervention des US-amerikanischen und westlichen Imperialismus - dazu gehört auch der Widerstand gegen die Bereitstellung von Waffen durch die NATO-Mächte an das ukrainische Militär. Dies allein erhöht schon die Gefahr einer weiteren Eskalation des Konflikts.

In den Ländern auf der "anderen Seite" des Kalten Krieges und in der neokolonialen Welt im Allgemeinen muss die blutige Rolle Putins wie auch des chinesischen Regimes zwangsläufig stärker in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit rücken. Wir müssen versuchen, Arbeiter*innen und Jugendliche über das wahre Wesen der reaktionären, ultranationalistischen, rassistischen, fremdenfeindlichen und zutiefst antikommunistischen Regime von Putin und Xi aufzuklären und dabei auch auf deren Unterstützung der Konterrevolution in den letzten Jahren, angesichts der Massenaufstände in Myanmar, Kasachstan und Belarus, hinweisen. Wir lehnen die gefährliche und rasche militärische Aufrüstung ab, die - ebenfalls auf beiden Seiten - stattfindet, und rechtfertigen weder NATO-Aktionen noch die Anti-NATO-Propaganda, die von den Regimen selbst kommt. Wir fordern den sofortigen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine, der westlichen imperialistischen Truppen aus Osteuropa und die Auflösung aller Militärblöcke wie der NATO.

Der berühmte Satz von Karl Liebknecht, "der Hauptfeind steht im eigenen Land ", bedeutet nicht, dass wir keine Sensibilität für das Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse zeigen müssen. Es bedeutet auch nicht, dass wir die Fakten der sehr realen Kriegsverbrechen des Putin-Regimes ignorieren. Aber es bedeutet, dass wir zu jeder Zeit und in klarer Weise versuchen müssen, die Arbeiter*innen zum gemeinsamen Kampf gegen ihren wirklichen Feind zu mobilisieren, und zwar über Grenzen hinweg. Es bedeutet, dass die Rolle jedes imperialistischen Blocks gnadenlos entlarvt werden muss - zuallererst vor denen, die am direktesten unter ihm leben.

Deshalb ist es wichtig, dass wir geschickt die wirkliche Rolle der derzeitigen Sanktionen herausarbeiten. Denn diese sind weit davon entfernt einen "friedlichen" aber wirksamen Druck auf Putin auszuüben, sondern in Wirklichkeit ein Akt äußerst brutaler wirtschaftlicher Kriegsführung, der in erster Linie die Arbeiter*innenklasse treffen wird - in Russland, aber auch anderswo. Doch genau jene ist die soziale Kraft, die in der Lage ist, dem anhaltenden imperialistischen Blutvergießen ein Ende zu setzen. Die Frage, wer was tut und warum, ist immer von Bedeutung. Wir unterstützen alle Aktionen der Arbeiter*innen gegen den Krieg und rufen zu Streiks und Blockaden auf, um die Lieferung von Waffen und anderen Rüstungsgütern zu verhindern, die zum Töten und Verstümmeln eingesetzt werden. Wir betonen auch die potenzielle Rolle der russischen Arbeiter*innen als die Kraft, die der Herrschaft Putins und seinem militärischen Abenteurertum ein Ende setzen kann.

In der Ukraine verweisen wir auf das Recht der Arbeiter*innen, sich durch ihre Selbstorganisation zu bewaffnen. Wir argumentieren, dass solche Einheiten von Arbeiter*innen letztlich nicht nur zur Abwehr der einmarschierenden Armee mobilisiert werden müssten - deren Reihen auf der Grundlage eines Klassenappells erreicht werden könnten -, sondern auch gegen das reaktionäre Selenski-Regime sowie die rechtsextremen Gruppen und Milizen, die derzeit unter ihm agieren. Wir stehen für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker und für die garantierten Rechte von Minderheiten. Darüber hinaus weisen wir darauf hin, dass jede Organisation zur Selbstverteidigung der Arbeiter*innen notwendigerweise diese Position einnehmen muss, um geeint zu bleiben und um nicht anfällig dafür zu sein, von Kräften, die den Interessen der Arbeiter*innen feindlich gegenüberstehen, vereinnahmt oder benutzt zu werden.

In allen Zusammenhängen in denen wir arbeiten, müssen wir unsere Forderung nach einem Ende des Militarismus zunehmend mit den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Kämpfen der Arbeiter*innen sowie mit der Frage des sozialistischen Wandels im weiteren Sinne verknüpfen. Eine neue rezessionsbedingte Krise könnte möglicherweise dazu führen, dass das Vertrauen der Arbeiter*innen in den Kampf vorübergehend geschwächt wird. Aber nichtsdestotrotz wird die aktuelle Kombination aus hoher Inflation, geringem Wachstum und, was entscheidend ist, einer Arbeiter*innenklasse, deren Erfahrung mit der Pandemie ihre enorme potentielle Macht unterstrichen hat, den Boden für neue und heftige Klassenkämpfe bereiten.

Wenn Regierungen das Vermögen russischer Oligarch*innen beschlagnahmen, kann dies genutzt werden, um auf das Potenzial für Verstaatlichungen hinzuweisen, die Arbeitsplätze retten oder Arbeiter*innen schützen könnten. Wo die Militärausgaben erhöht werden, weisen wir darauf hin, dass diese Mittel zur Unterbringung von Geflüchteten oder zur Erhöhung der Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen verwendet werden könnten. Wo enorme Mittel in neue Bohrungen für fossile Brennstoffe fliesen, weisen wir auf das Potenzial hin, das für einen raschen Übergang zu erneuerbaren Energien auf der Grundlage von öffentlichem Eigentum und demokratischer Planung vorhanden wäre.

Letztlich weisen wir bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass nur durch die internationale Machtergreifung der Arbeiter*innen eine Zukunft mit Krieg, Konflikten und Umweltzerstörung abgewendet werden kann. Wir weisen daher auf die dringende Notwendigkeit hin, eine wirklich internationale Weltpartei der Revolution zu schmieden - eine Partei, die in der Lage ist, den Kampf zur Veränderung der Welt anzuführen.