KPÖ-Sieg in Graz: „Grazer Bevölkerung zum Koalitionspartner machen!“

Wahlanalyse und Vorschläge für das "Wie weiter"
SLP-Bundesleitung

Für die etablierte Politik war der 26.9. ein Schock: in Berlin hat sich eine Mehrheit für die Enteignung von großen Immobilienunternehmen ausgesprochen und in Graz wurde die KPÖ stärkste Partei. Da hilft es auch nicht, vom “kleinen Graz” zu reden oder die linken Wahlerfolge gleich ganz unter den Tisch fallen zu lassen. Auch in Oberösterreich gibt es neben der Stärkung der ÖVP linke Erfolge: hier haben KPÖ und Wandel mehrere Mandate in verschiedenen Gemeinden inklusive dem Linzer Gemeinderat gewonnen. All das gibt Hoffnung für linke Politik. Die SLP gratuliert insbesondere der KPÖ-Graz zu diesen Ergebnissen. Wir werden mit dieser Stellungnahme kurz auf die Hintergründe eingehen und dann den Blick in die Zukunft richten.

Niederlage für etablierte Parteien

Der Lack ist längst ab von der Kurz-Regierung, diese hält sich, das haben wir öfter betont, v.a. aufgrund der Schwäche der Opposition. Zwei Stimmungen - Wunsch nach Stabilität und Wunsch nach Veränderung - sind präsent. Das drückt sich auch in Oberösterreich aus, wo weder ÖVP, noch SPÖ oder Grün wirklich vom Verlust der FPÖ profitieren konnten. Teilweise hat sich der Wunsch nach einer Alternative auch sehr verwirrt ausgedrückt wie mit der Liste MFG in Oberösterreich. Die MFG ist ein verwirrtes Bündnis dass Corona-Maßnahmen-Skeptiker*innen zusammenfasst, aber auch einige “linke Forderungen” wie die Besteuerung von Konzernen aufgreift. In der Praxis hat diese Liste von allen Parteien gewonnen aber am stärksten von FPÖ und ÖVP (15.000 von der ÖVP, 16.000 von der FPÖ, 8.000 von der SPÖ, 6.000 von den Grünen und 2.000 je von Nichtwähler*innen, Neos und Sonstigen). Das zeigt, genauso wie das verwirrte Programm, dass die Partei wahrscheinlich zwar vor allem, aber nicht ausschließlich als rechte Corona-Skeptiker Alternative gewählt wurde. Auch sonst sind in den Gemeinderäten verschiedene neue Listen/Abspaltungen vertreten was ein Ausdruck für den Wunsch für “was anderes” zu den etablierten Parteien ist.

Grundlagen für den Grazer Erfolg

Den stärksten Ausdruck für den Wunsch nach Veränderung sehen wir in Graz, wo mit der KPÖ Steiermark eine Partei am Stimmzettel stand, die mehr als einen Denkzettel verkörpert. Der Erfolg der KPÖ wurzelt auch direkt in ihrer Politik der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte. Sie ist die Partei, die am ehrlichsten wahrgenommen wird, die als anders als der korrupte Sumpf der etablierten Parteien gesehen wird. Dass KPÖ-Mandatar*innen seit langem einen Teil ihrer Bezüge in einen Sozialtopf einzahlen hat dieses Bild gefestigt. Die zweite Grundlage dafür, dass knapp 30% der Grazer*innen einer “kommunistischen” Partei die Stimme gegeben haben liegt darin, was die KPÖ mit diesem Sozialtopf getan hat. Wer in Graz Unterstützung beim Wohnen braucht, Mietrechtsberatung oder auch einen sozialen Engpass hat, kann zur KPÖ gehen und dort rechtliche und finanzielle Hilfe bekommen. Außerdem hat die KPÖ Graz in den letzten Jahrzehnten konsequent soziale Themen wie Wohnen und Armut politisch aufgegriffen und sich auch dadurch Glaubwürdigkeit verschafft. Diese teilweise stark sozialarbeiterische Politik der KPÖ hat ihre Glaubwürdigkeit weiter erhöht und viele sind ihr sehr konkret dafür dankbar. Aus unserer Sicht stößt eine solche Politik aber auch an ihre Grenzen, wenn sie nicht verbunden wird mit dem Aufbau von Widerstand und der Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse für ihre Interessen. 

Was ergibt sich daraus?

Die Wahlergebnisse in Oberösterreich, aber v.a. in Graz werfen für “die Linke” in Österreich die Frage auf: Wie weiter? Was davon lernen? 

Für die Grazer KPÖ kann das Dilemma, in dem sich linke Mandatar*innen stets befinden nun zum Alptraum werden. Nämlich dann, wenn man in einer Minderheitenposition ist und keine Mandatsmehrheit hat, um sein Programm durchzusetzen. Hat man nur einige wenige Mandatar*innen fällt es kaum auf, dass man eigentlich nicht wirklich was verändern kann, ist man aber die stärkste Partei wird der Druck, “verantwortungsvoll” (= staatstragend und nicht zu links) zu agieren übergroß. Die deutsche Partei “Die Linke” hat am selben Sonntag eine Wahlschlappe einfahren müssen, die das Ergebnis genau einer solchen “vernünftigen” Politik ist. In Landes- bzw. Regionalparlamenten hat Die Linke unsoziale Kürzungspolitik mitgetragen und wurde dafür zum Teil abgestraft bzw. als Teil des Establishments wahrgenommen. Die Mandatar*innen von Wandel bzw. KPÖ in Oberösterreich werden wahrscheinlich auch künftig kaum wahrnehmbar sein (ähnlich wie die LINKS-Bezirksrät*innen in Wien) - was schade ist. Tatsächlich können auch solche Mandate genützt werden um real stattfindende Kämpfe zu unterstützen. Die SLP ist nicht gegen neue Radwege oder die Umbenennung von Straßen doch insbesondere Graz zeigt, dass soziale Themen immer wichtiger werden. Auch Mandatar*innen die allein in einem Gremium sind, indem sie keine Mehrheiten für die nötigen Forderungen bekommen können, müssen sagen was nötig ist. Die Trennung in ein Programm für die Praxis und eines für die Feiertage kann gefährlich sein, weil es dazu führt, dass der Pragmatismus über die Notwendigkeit siegt. Auch hierfür sind Beispiele wie “Die Linke” aber auch Syriza eine Warnung.

Die Grazer KPÖ und die KPÖ Steiermark befinden sich jetzt in einer aussichtsreichen aber auch sehr schwierigen Situation. Ihr Wahlerfolg hat vielen Menschen über Graz hinaus Mut gemacht, dass linke Erfolge auch in Österreich möglich sind. Gleichzeitig hat es die etablierten Parteien und Medien schockiert, die alles in ihrer Macht stehende tun werden um solche Erfolge zu verhindern. Der Durchbruch der KPÖ bei diesen Wahlen ist der größte Erfolg der politischen Linken seit Jahrzehnten, dementsprechend erwächst daraus auch eine enorme Verantwortung. In den nächsten Wochen wird der Druck auf die KPÖ steigen sich angepasst zu verhalten und eine gemäßigte Regierung zu bilden. Aber eine Regierung die sich mit den herrschenden Sachzwängen abfindet wird nicht den erwarteten Politikwechsel einleiten und stattdessen die kapitalistische Krise auf dem Rücken der Bevölkerung mitverwalten. Gleichzeitig wird so eine Regierung konfrontiert sein mit einer entschlossenen rechten Opposition die versucht Druck zu machen und die Regierung kaputt zu schießen. Ohne ein Programm, das konsequent mit kapitalistischen Sachzwängen bricht und eine politische Alternative über Graz hinaus ausbaut könnte so eine Regierung auch zum Verhängnis werden.

Für Programm kämpfen statt Pragmatismus

Als stärkste Partei in Graz hat die KPÖ nun die Möglichkeit, diese Bühne zu nutzen. Elke Kahr stellt in einer ersten Stellungnahme fest: “Unsere wichtigste Koalitionspartnerin ist die Grazer Bevölkerung.” Diesen Grundsatz gilt es nun in die Tat umzusetzen um das Programm, für das die KPÖ steht, umzusetzen. Es geht nicht darum Kompromisse zu schließen oder auszuloten mit wem Bündnisse für was geschlossen werden können. SPÖ und Grüne stehen in ihrer Praxis nicht auf Seiten der Arbeiter*innen, Jugendlichen oder sozial Schwachen - hier darf man keine Illusionen in ihre schönen Worte haben sondern muss sie an ihren Taten messen. Wenn die KPÖ-Steiermark mit einem offensiven Programm den Anspruch auf die Stadtregierung stellt und in öffentlichen Verhandlungen sagt, was sie warum will, werden die etablierten Parteien unter Zugzwang geraten. Warum sind sie gegen ein höheres Arbeitslosengeld, gegen mehr Beschäftigte im Sozial- und Gesundheitswesen, gegen einen Mietendeckel, gegen sozialen Wohnbau? Warum wollen sie die Privatisierung und Mega-Projekte vorantreiben? Ziel sollte nicht eine Regierung sondern die Umsetzung der Forderungen sein - wenn es dafür eine Alleinregierung der KPÖ braucht, dann ist es nötig dafür die Grundlage zu schaffen: Durch Kompromisslosigkeit, wo Kompromisse nur den Reichen und Mächtigen nutzen würden. Und durch ein Programm, das über die Kommunalpolitik hinausgeht. Graz ist die zweitgrößte Stadt Österreichs, die Steiermark Sitz wichtiger Industrie. Mit einem sozialistischen Programm, das ein bedarfsgerechtes Budget aufstellt und dafür den Druck für mehr finanzielle Mittel vom Bund, aber auch Unternehmenssteuern etc. auf kommunaler Ebene mit dem Ziel der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Arbeiter*innenklasse und dem Bruch mit dem Kapitalismus aufbaut, können soziale Verbesserungen tatsächlich nachhaltig umgesetzt werden.

Dafür werden Mobilisierungen von unten entscheidend sein. Die KPÖ sollte ihr Programm weniger den anderen Parteien vorschlagen sondern eben erneut der Grazer Bevölkerung und dann eine Bewegung rund um die einzelnen Programmpunkte organisieren. Gleichzeitig ist es auch die Aufgabe von unterschiedlichen politischen Initiativen (von Umwelt bis Feminismus oder Betrieb) jetzt den Druck auf die Parteien aufzubauen. Wenn sich die KPÖ Graz auf so eine Bewegung von unten stützt könnte sie tatsächlich größere Teile ihres Programms umsetzen und einen merkliche Veränderung zur Politik der etablierten Parteien erreichen. Eine Möglichkeit so eine Bewegung von unten zu organisieren wäre eine breit mobilisierte Aktivist*innen- und Initiativenkonferenz bei der Aktive aus der Umweltbewegung, der feministischen Bewegung, Stadtteilinitiativen, Betrieben und Gewerkschaften zusammenkommen und darüber diskutieren, wie man ein linkes Programm in Graz von unten durchsetzen kann. 

Die bundesweiten Folgen

Aber Graz ist keine isolierte Insel. Es wird jetzt zentral sein den politischen Erfolg der KPÖ Graz in ganz Österreich zu nützen. Wenn der Erfolg der KPÖ Graz isoliert bleibt steigt die Gefahr, dass es den etablierten Parteien gelingt diese Regierung zu sabotieren, z.B. durch Förderpolitik oder die Hetze von Medien und anderen Parteien. Mit dem Grazer Wahlerfolg im Rücken kann die KPÖ Initiativen auf der Basis von Klassenkämpfen und sozialen Bewegungen auch in anderen Bundesländern bzw. für die Bundesebene setzen, um die dringend notwendige Alternative zu den etablierten Parteien und der Kurz-Regierung auf Bundesebene aufzubauen. Eine mögliches Thema für so eine Organisierung wäre die Situation im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich. Schon vor der Pandemie war die Situation hier katastrophal und die Pandemie hat die Situation nochmal verschlechtert. Aktuell sind Proteste von Kindergartenpädagog*innen in Wien angekündigt, die könnte man zum Ausgangspunkt für Proteste in anderen Bundesländern auch in anderen Branchen des Gesundheits- und Sozialbereich nehmen. Durch so eine Initiative könnte die Linke einen wichtigen Schritt im Aufbau von Widerstand leisten. Der falsche Schluss aus dem Wahlerfolg der KPÖ wären Versuche den Erfolg einfach zu “kopieren”, die KPÖ hat ihre Basis durch jahrelange Verankerungsarbeit aufgebaut und wurde dadurch als Alternative wahrgenommen. Diese Verankerung, aber auch der erfolgreiche Kampf um Verbesserungen wird österreichweit nur möglich sein, wenn sich die politische Linke auf den Aufbau von sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen stützt. 

Die zwei Stärken des Grazer Erfolges - keine Privilegien und soziale Themen im Fokus - sollten auch für andere Projekte richtungsweisend sein. Die Schwäche der steirischen KPÖ aber, nämlich die Beschränkung auf lokale/regionale Themen und die mangelnde Organisierung der Unterstützer*innen und Arbeiter*innenklasse durch eine stark sozialarbeiterische Politik könnten auch für ein breiteres linkes Projekt Probleme bringen. Spätestens jetzt muss die steirische KPÖ sagen, dass es nicht reicht, den Mangel zu verwalten, sondern wo das Geld für Sozialpolitik herkommen soll, muss also Forderungen an die Bundesregierung stellen und einen Kampf darum führen ähnlich wie das der sozialistische Stadtrat von Liverpool Mitte der 1980er getan hat. “Antikapitalismus” ist keine Phrase für Feiertagsreden, sondern nötige Grundlage für jede relevante Verbesserung, da in einem krisenhaften Kapitalismus kein Raum dafür ist. Die Art, wie Kshama Sawant in Seattle (USA) den Kampf für eine Besteuerung großer Konzerne wie Amazon und einen 15 $ Mindestlohn führt, nicht für sondern mit den Beschäftigten und den Menschen in der Stadt, die Art, wie sie ihr Mandat als Bühne, aber nicht als Abkürzung verwendet und das was nötig ist immer über das was “normal”, “legal” oder “möglich” ist stellt - das sind Beispiele von denen die Genoss*innen der KPÖ-Steiermark und linke Aktivist*innen in ganz Österreich lernen können. Vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Krise des Kapitalismus, der Klimakrise, der Corona-Krise, der Wirtschaftskrise und der daraus resultierenden politischen Krise sind Antworten, die über den Tellerrand des Kapitalismus hinausschauen überfällig. Pragmatismus ist hier nicht nur zu wenig, sondern schädlich, weil er dazu zwingt, Kürzungspolitik mitzutragen. Gerade weil Wahlen nur ein (Moment)Ausdruck für eine sich polarisierende Lage sind, ist die Beteiligung an und Orientierung auf stattfindende soziale und politische Bewegungen, von den aktuell geplanten Streiks in Kindergärten über Lohnkämpfe im Metallbereich bis zu Klima und Frauenrechte zentral für den Aufbau einer starken politischen, sozialistischen Systemalternative.