Kommentar zu den Ereignissen in Köln von Fabian Lehr

Das ist kein Konflikt "Araber gegen Deutsche", sondern ein Konflikt "Sexistisch indoktrinierte Arschlöcher gegen die Menschenwürde von Frauen".
Fabian Lehr

Nach dem Exzess sexueller Gewalt am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht gibt es zwei Muster unangenehmer Reaktionen. Die eine ist die rassistische von rechts. Da wurde, schon ehe es irgendwelche haltbaren Informationen über die Täter gab außer der vagen Polizeibehauptung, sie hätten "nordafrikanisch" ausgesehen, der Vorfall als Beweis dafür zitiert, dass die Flüchtlinge mit ihrer unkontrollierbaren Wildheit den Untergang des Abendlandes bringen, und Konservative und Rechte jeder Couleur, die Frauenrechte ansonsten bekämpfen, wo es nur geht, entdecken plötzlich ihren Feminismus, wo man diesen als scheinbare Legitimation rassistischer Positionen verwenden kann. Dass es sich bei den Tätern, soweit bisher bekannt, keineswegs um Flüchtlinge handelt, sondern um Menschen, die seit zig Jahren in Deutschland leben oder sogar hier geboren wurden, also um Produkte ihrer Sozialisation durch die DEUTSCHE Gesellschaft, juckt den biologischen wie den Kulturrassisten dabei kaum: Vor einer Woche angekommene syrische Flüchtlinge oder in Deutschland aufgewachsene deutsche Staatsbürger, deren Eltern oder Großeltern mal aus einem muslimischen Staat gekommen waren - ach, ist doch alles dasselbe mit denen. Als Gipfel des Zynismus sind diejenigen Konservativen, die sich jetzt über den angeblichen allgemeinen Sexismus arabischstämmiger Menschen empören, i.d.R. dieselben, die vor nicht so langer Zeit in der Kriminalisierung der Vergewaltigung in der Ehe das Ende der Kultur sahen, heute in Österreich über die Forderung entrüstet sind, das Angrapschen von Frauen unter Strafe zu stellen und die nach dem zweiten oder dritten Bier gern mal darüber sinnieren, dass Frauen, die vergewaltigt werden, es ja wohl durch provokante Kleidung oder aufreizendes Verhalten selbst heraufbeschworen hätten, denn schließlich gehörten da ja immer zwei dazu, nicht wahr, zwinker zwinker.

Eine andere ungute Reaktion auf die Kölner Ereignisse besteht im Versuch von linker Seite, deren rassistische Instrumentalisierung durch ihre Bagatellisierung zu parieren. Da wird dann ins Feld geführt, auf dem Oktoberfest oder in jeder durchschnittlichen Disco würden Frauen ja auch dumm angemacht und befummelt werden. Mit Verlaub: Das ist eine Verhöhnung des Martyriums, das die in Köln angegriffenen Frauen durchgemacht haben müssen. Nein, dass dutzende Männer im öffentlichen Raum gruppenweise Frauen einkreisen, festhalten, beschimpfen, auslachen, grob betatschen, ihnen die Kleider vom Leib reißen, sie ausrauben und in mindestens einem Fall vergewaltigen, während drumherum hunderte PassantInnen und die Bahnhofspolizei kapitulieren und sich zurückziehen ist bei allem Alltagssexismus auch der westeuropäischen Gesellschaften kein normales Ereignis, wie man es in einer durchschnittlichen Disconacht erwarten müsse. Andere wieder bringen vor, nach aktuellen Ermittlungserkenntnissen sei die massive sexuelle Gewalt ja eigentlich nur als Ablenkung für die Ausraubung der Frauen gedacht gewesen, die das wirkliche Motiv dargestellt habe: Das waren ja gar keine enthemmten, testosterongeladenen Männer, sondern nur normale Kriminelle, für die die sexuelle Gewalt eine bloße Dreingabe war! Als ob es für die Frauen, die in Köln Opfer wurden, irgendeine Rolle spielen würde, ob das Motiv der ihnen zugefügten Gewalt und Entmenschlichung Geilheit oder kriminelle Energie war. Und als ob es die Täter irgendwie entlasten würde, dass Geilheit nicht ihr Hauptmotiv war, sondern sie ihre Verachtung von Frauen als wertlosen Objekten nur dadurch manifestieren, dass ihre sexuelle Erniedrigung als bloßes Ablenkungsmanöver fungieren soll.

Natürlich müssen die Versuche der Rechten, aus den Kölner Ereignissen Kleingeld für ihre rassistische Hetze zu schlagen, energisch bekämpft werden. Aber mit ihrer Verharmlosung à la "Na, auf dem Oktoberfest geht es aber auch wild zu" leistet man sich einen Bärendienst. Was in Köln passiert ist, war ein Horror, wie er auch in einer patriarchalischen Gesellschaft einen außergewöhnlichen Exzess darstellt. Das kann nicht einfach beiseitegewischt werden, weil Rechte das Thema instrumentalisieren und es damit irgendwie kontaminiert ist. Linke können nicht extremen Sexismus und massive sexuelle Gewalt als Nebensächlichkeit abtun, um prinzipiell das Gegenteil der Konservativen zu tun - das diskreditiert die Linke selbst und erhärtet scheinbar das skurrile rechte Narrativ, dass die frauenverachtenden deutschen Konservativen die eigentlichen Vertreter von Frauenrechten seien, wie es Alice Schwarzer und Co propagieren.

Man kann die rassistische Instrumentalisierung des Vorfalls sehr wohl auseinandernehmen, ohne ihn zu verniedlichen. Indem man darauf hinweist, dass es sich bei den Tätern eben NICHT um Flüchtlinge handelte, sondern um in Deutschland selbst sozialisierte Menschen, um Produkte der DEUTSCHEN Gesellschaft. Indem man fragt, warum dieselben Leute, die sich über Köln entrüsten, in allen anderen Bereichen jede politische Position unterstützen, in der sich die Verachtung von Frauen ausdrückt und die ihre Lebenssituation drücken sollen. Indem man fragt, warum denselben Leute die zigtausenden Vergewaltigungen, die jedes Jahr von waschechten Biodeutschen begangen werden, sonstwo vorbeigehen. Indem man fragt, wie es denn eigentlich mit der Verfassung der deutschen Gesellschaft aussehen muss, in der an einem der frequentiertesten Bahnhöfe Europas tausende PassantInnen vorübergehen, ohne einzugreifen. Indem man darauf hinweist, dass es totaler Bullshit ist, den Vorfall als einen Angriff von "Arabern gegen echte Deutsche" zu präsentieren - als ob die Täter (Die, wie gesagt, offensichtlich deutsche Staatsbürger oder seit zig Jahren in Deutschland lebende Menschen sind) die von ihnen angegriffenen Frauen erst danach befragt hätten, ob sie echte Biodeutsche sind oder türkischstämmige, russischstämmige, arabischstämmige, serbischstämmige Frauen, ob es in Köln umsteigende amerikanische oder französische TouristInnen waren oder vielleicht weibliche syrische Flüchtlinge, die gerade in Deutschland angekommen sind. Das ist kein Konflikt "Araber gegen Deutsche", sondern ein Konflikt "Sexistisch indoktrinierte Arschlöcher gegen die Menschenwürde von Frauen".