Kampf gegen Abschiebungen bedeutet Kampf gegen Kapitalismus

Bleiberecht muss gemeinsam erkämpft werden!
Sebastian Kugler

„Grundsätzlich ist aber klarzustellen, dass zu einem geordneten Fremdenwesen gegebenenfalls auch die effiziente und effektive Aufenthaltsbeendigung und Außerlandesbringung gehört.“ So die Antwort des Innenministeriums auf eine Flut wütender Protestmails, die die SLP im Rahmen der „Ousmane MUSS bleiben“ Kampagne initiiert hatte. Laut „Kleine Zeitung“ werden jede Woche rund 50 Menschen abgeschoben. Die Regierung ruiniert so täglich sieben Menschenleben. Immer mehr Menschen sind von dieser ekelhaften Politik schockiert. Längst geht die Empörung weit über Linke und SozialarbeiterInnen hinaus.

Die Angriffe auf AsylwerberInnen und MigrantInnen sind nicht zufällig: sie dienen zur Ablenkung von der Politik der Regierung und stellen den Versuch dar, der FPÖ WählerInnen ab zu jagen.

Grüne & SPÖ: Fekters little Helper

Die Rot-Weiß-Rot-Card ist eine weitere Verschärfung. Ähnlich der „Green Card“ in den USA soll sichergestellt werden, das nur noch Menschen, die für die Wirtschaft verwertbar sind, nach Österreich kommen. Zusätzlich kommt die fünftägige verbindliche Haft für AsylwerberInnen - ein voller Sieg für Fekters Hardliner-Politik. Die Einigung der Regierung spricht auch Bände über die Position der SPÖ. Das anfängliche Zögern der SPÖ begründete sie damit, dass bei fünf Werktagen Haft das Wochenende beinhaltet sei, es also real um sieben Tage Haft ginge. Die große „Errungenschaft“ der SPÖ im neuen Fremdenrechtspaket ist nun, dass die Behörden alle Fälle sofort – also auch am Wochenende – bearbeiten müssen. Damit es dann aber wirklich auch nur fünf Tage Haft sind. Dies ist nur ein weiterer trauriger Höhepunkt der rassistischen Politik der SPÖ, die auch unter Schwarz-Blau Fremdenrechtsverschärfungen zugestimmt hatte.

Abschiebungen werden auch in Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligung fortgesetzt. Auch die medial bekannten Fälle wie Melitus Onongaya aus Linz entlockten den Grünen nicht mehr als vorsichtige Solidaritätsbekundungen. Von einer Änderung der Politik ist weder in Oberösterreich noch in Wien etwas zu merken. In Wien schweigen die Grünen zum Thema. Auf der Kundgebung der Plattform „Melitus muss bleiben“ sagte der grüne Bundesrat Efgani Dönmez in Linz sinngemäß, dass es in einem geordneten Fremdenwesen eben auch Abschiebungen geben müsse. Das erinnert stark an die in der Einleitung zitierte Stellungnahme des Innenministeriums.

Spätestens seit dem Fall Arigona Zogaj 2007 ist der Widerstand gegen Abschiebungen ins Zentrum der Politik gerückt. Nicht nur „Linke“ sind hier aktiv, sondern ganz „normale“ FreundInnen, NachbarInnen und KollegInnen. Nicht nur in der Stimmung in der Bevölkerung, auch bei den Protesten selbst gab es Veränderungen. Die Bevölkerung der kleinen Vorarlberger Gemeinde Röthis setzte den Startschuss. Kollektiv verweigerten sie der Polizei den Zutritt zum Haus einer abzuschiebenden Familie. Der Bürgermeister musste dem Druck der Gemeinde nachgeben – die Familie durfte bleiben. Aus diesem Beispiel haben auch wir gelernt, wie durch kollektives Auftreten und politischen Druck Abschiebungen verhindert werden können. In den letzten Monate gaben die Fälle der Familie Komani, Code, Araksya oder Ousmane C. (siehe Vorwärts 196) Anlass, sich kritisch mit verschiedenen Zugängen und Taktiken im Kampf um Bleiberecht auseinanderzusetzen.

Bleiberecht – eine juristische oder eine politische Frage?

Die Gesetzeslage ist, was Asyl, Bleiberecht, subsidiären Schutz etc. betrifft, restriktiv und verwirrend. Nicht einmal langjährige ExpertInnen finden sich im Paragraphen-Dschungel zurecht. Während der Asylverfahren leben die Menschen oft um ihre Rechte betrogen unter unmenschlichen Bedingungen. Es gibt eine Reihe an NGOs, die AsylwerberInnen unterstützen. Sie begleiten sie auch auf dem Rechtsweg. Dieser endet jedoch oft bei einem negativen Bescheid. Für viele Organisationen ist hier das Ende.

Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen

Für die SLP ist Asyl und Bleiberecht primär eine politische Frage. Der juristische Weg kann nicht ignoriert werden und muss „ausgeschöpft“ werden, aber es wäre falsch, sich darauf zu beschränken. Gesetze sind keine allmächtigen, allzeit gültigen oder objektiven Wahrheiten. Sie sind Ausdruck realer Kräfteverhältnisse. „Wenn Unrecht zu recht wird – dann wird Widerstand zur Pflicht“ - das gilt auch in der Bewegung gegen Abschiebungen. Der Kampf um Bleiberecht endet für uns nicht bei einem negativen Asylbescheid!

„Lieber den Spatz in der Hand als die Taube am Dach“ gilt wohl für viele, die mit AsylwerberInnen arbeiten. Wie verhält mensch sich, wenn „Deals“ angeboten werden wie „AsylwerberIn X wird nicht abgeschoben, dafür gibt’s kein öffentliches Aufsehen“? Ohne Perspektive in eine starke Kampagne, scheinen solche Deals eine individuelle Lösung zu sein. Doch mit so einer Politik werden einzelne Erfolge auf Kosten aller anderen Fälle erzielt – eine Änderung der Gesamtpolitik ist damit nicht zu erreichen.

Politische Kampagne

Es bringt nichts, sich von Staat und etablierter Politik „menschliche Asylpolitik“ zu erwarten. Die letzten Erfolge der Anti-Abschiebungsbewegung wurden durch selbstbewusste und offensive Kampagnen erzielt, auch wenn juristisch nichts zu machen war. Wichtig ist, dass die Kampagnen nicht FÜR bestimmte AsylwerberInnen geführt werden, sondern MIT ihnen. Sie sind keine unmündigen Kleinkinder. Sie sind oft hochpolitische Menschen, die auf ihrem Leidensweg viele wichtige Erfahrungen gemacht haben. Dass der Staat AsylwerberInnen die politische Tätigkeit verbietet, ist Zensur.

Die Betroffenen sollten so gut es geht selbst in diesen Kampagnen aktiv sein. Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass durch möglichst stilles Verhalten die Chance auf Bleiberecht steigt. Isolierte und schweigsame AsylwerberInnen können vom Staat ohne großes Aufsehen abgeschoben werden. Menschen, die eine starke Kampagne oder noch besser eine Organisation im Rücken haben, sind schwieriger loszuwerden. Die Betroffenen müssen der Bewegung und der Kampagne vertrauen können, ansonsten kann es passieren, dass sie auf Tricks des Staates wie die „freiwillige Rückreise“ eingehen.

Schulstreik, Medienarbeit, Einbeziehung der FreundInnen, MitschülerInnen und KollegInnen, Kundgebungen, Demonstrationen und Einbeziehung des ÖGB: Politische Kampagnen müssen versuchen möglichst große Öffentlichkeit zu bekommen. Dafür ist die Aktivität der Betroffenen von großer Wichtigkeit. Internationale Beispiele zeigen, wie der gemeinsame Kampf Erfolge zeigen kann.

Griechenland: Der Kampf der „300“

Die Wirtschaftskrise verschlimmerte die Situation für MigrantInnen in Griechenland. Viele leben auf der Straße, in Parks und hungern. Ab dem 25. Januar befanden sich 300 Flüchtlinge im größten Hungerstreik der Geschichte aus Protest gegen die unerträgliche Situation. Die „illegalen“ MigrantInnen fordern Papiere und gleiche Rechte. Die meisten kommen aus Nordafrika und haben jahrelang in Griechenland gelebt und gearbeitet. Viele von ihnen hatten in der Vergangenheit Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, die ihnen als Folge der Wirtschaftskrise aberkannt wurde.

Auf Einladung der Studierendengewerkschaft versammelten sich die Hungerstreikenden in der Athener Jus- Fakultät. Die politische Rechte und die Medien hetzen. Griechische UnterstützerInnen der MigrantInnen wurden mittlerweile von der Staatsanwaltschaft unter Anklage gestellt, weil sie „Illegale“ unterstützt haben.

Der Kampf der „300“ hat internationales Aufsehen erregt und ist ein Beweis dafür, dass auch illegale MigrantInnen sich gemeinsam mit „InländerInnen“ wehren können. Die Unterstützung der Studierendengewerkschaft war essentiell für das Bekanntwerden des Kampfes und der Missstände in Griechenland.

Britannien: Gewerkschaftlicher Widerstand gegen Abschiebungen

Mansoor Hassan ist Journalist aus Pakistan. Er prangerte die Verbrennung von Frauen, den Terror islamistischer Gruppen und die Korruption der Eliten an. Er wurde bedroht. Nur knapp konnte die Familie einem Anschlag entgehen und nach Manchester flüchten. Dort wurden sie mit dem drakonischen britischen Asylrecht konfrontiert. Mansoor kam mit der Manchester Ortsgruppe der Journalistengewerkschaft NUJ in Kontakt. Seine Familie lebte in untragbaren Verhältnissen, außerdem drohte die Abschiebung. Die NUJ Mitglieder starteten eine Kampagne. Sie begleiteten ihn bei Amtsgängen. Es wurden Proteste organisiert um den Behörden zu verdeutlichen, dass Mansoor eine Organisation im Rücken hat. Eine Telefonkette wurde aufgebaut um im Falle einer drohenden Abschiebung schnell eingreifen zu können. Die NachbarInnen wurden informiert und eingebunden. Flugblätter erklärten, dass hier eine Familie lebt, die von Abschiebung bedroht ist, und dass sich eine Gewerkschaft dieser Familie angenommen hat. Frau Hassan half mit, eine Organisation von asylsuchenden Frauen in Manchester aufzubauen. Mansoor sprach auf vielen Gewerkschafts- und politischen Veranstaltungen. Die Kampagne vernetzte sich mit anderen von Abschiebung bedrohten Familien, es wurden gemeinsame Demonstrationen organisiert. Auch auf 1. Mai Demonstrationen traten Asylsuchende mit ihren Forderungen als Block auf. Nach zwei Jahren musste sich der Staat beugen und die Familie erhielt das unbefristete Bleiberecht. Die Socialist Party, Schwesterorganisation der SLP, war wichtiger Teil der Kampagne und hat zentrale Forderungen und Eckpunkte hinein getragen. Dazu gehören: Das Recht auf Arbeit, Selbstorganisation von Asylsuchenden anstatt Sozialarbeit und Entmündigung, sowie die Betonung der Rolle von Gewerkschaften um die Kämpfe von Asylsuchenden, MigrantInnen und ArbeiterInnen für menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen zusammenzuführen.

MigrantInnen sind ArbeiterInnen!

Wir leben in einem System der allgegenwärtigen Konkurrenz, in dem Viele für den Reichtum Weniger arbeiten. Die Unterdrückung von MigrantInnen bringt Extraprofite. Für SozialistInnen ist der Kampf gegen rassistische Gesetze und Abschiebungen immer verbunden mit dem Kampf gegen das System, dass all diese Katastrophen produziert: Der Kapitalismus. MigrantInnen sind nicht nur MigrantInnen, sondern mit wenigen Ausnahmen v.a. auch ArbeiterInnen.Sie haben dieselben Interessen wie „inländische“ ArbeitnehmerInnen. Sie werden von UnternehmerInnen benützt, um Lohnkosten zu drücken und Profite zu maximieren. Auf der ganzen Welt begehren als Folge der kapitalistischen Krise ArbeiterInnen auf. MigrantInnen können und müssen in diesen Kämpfen eine wichtige Rolle spielen, um gemeinsame Rechte zu verteidigen und zu erkämpfen.

USA: MigrantInnenstreik legt Hafen von Los Angeles lahm

2006 planten die Republikaner mit der „Sensenbrenner Bill“ eine dramatische Verschärfung des Fremdenrechts. Geplant waren Massenabschiebungen und dass migrantische ArbeiterInnen noch weiter in die Illegalität gedrängt werden. Der Gesetzesentwurf forderte eine Ausbreitung und Aufrüstung des Grenzzauns nach Mexiko und die strafrechtliche Verfolgung von Menschen, die in irgendeiner Form illegalen MigrantInnen helfen. Im Frühling 2006 kam es zu Massenprotesten von illegalen MigrantInnen, die am 1. Mai im „Day without Immigrants“ mündeten.

Mehrere Millionen Menschen folgten dem Aufruf, am 1. Mai die Arbeit niederzulegen bzw. nicht in die Schule zu gehen. In lateinamerikanischen Ländern kam es zu Solidaritätsbekundungen und Massenboykotts. Allein in Chicago demonstrierten 700.000 für MigrantInnenrechte, in LA 450.000. Die HafenarbeiterInnen in LA, hauptsächlich Latinos/as, bestreikten den Hafen. Damit demonstrierten sie ihre massive ökonomische Macht. Der Hafen von LA ist der größte Containerhafen Nordamerikas, täglich wird dort Fracht im Wert von über 400 Millionen Dollar umgeschlagen. Der Streik traf die Regierung dort, wo es weh tut. Das Establishment musste klein beigeben: Die Sensenbrenner Bill wurde fallengelassen.

Italien: MigrantInnen wehren sich gegen rassistische Regierung

Silvio Berlusconi wird nicht nur als unverbesserlicher Sexist in die Geschichte eingehen, sondern auch als Feind von ArbeiterInnen und MigrantInnen. Nicht unwiedersprochen. Am 1. März 2010 streikten mehrere zehntausend migrantische ArbeiterInnen. Der Facebook-Aufruf “Primo Marzo, 24 ore senza di noi” (“1. März, 24 Stunden ohne uns”) brachte einen Stein ins Rollen, der Streiks in ganz Italien auslöste. Alleine in Brescia bestreikten italienische und migrantische ArbeiterInnen 50 Fabriken. Auch in Mailand, Bologna, Neapel und vielen anderen Städten streikten migrantische ArbeiterInnen gemeinsam mit ihren italienischen KollegInnen und wurden von tausenden SchülerInnen und StudentInnen unterstützt.

Skandalös war das Verhalten der Gewerkschaftsbürokratie. Diese weigerte sich, den Streik anzuerkennen. Nur die StahlarbeiterInnengewerkschaft FIOM, in der auch Controcorrente, die italienische Schwesterorganisation der SLP aktiv ist, unterstützte die Streiks aktiv.

Gleiche Rechte erkämpfen – Kapitalismus abschaffen

Der Kampf für Bleiberecht und der Kampf um gleiche Rechte unabhängig von der Herkunft sind eng mit dem generellen Kampf gegen den Kapitalismus verbunden. Deswegen greifen Lösungsansätze, die nur eines dieser Felder bearbeiten, zu kurz. Am 1. März gab es auch in Wien im Rahmen des “Transnationalen MigrantInnenstreik” Aktionen. Die Wut auf das System kanalisiert sich oft über Umwege - In Österreich zurzeit stark über die Asylpolitik. Mit einer Verschärfung der Wirtschaftskrise wird eine Verschiebung zu “traditionelleren” Themen und Arbeitskämpfen kommen. Doch das steht nicht im Widerspruch zum Kampf um Bleiberecht und gleiche Rechte. Erfolgreiche soziale Kämpfe verbessern auch die Basis für den Kampf gegen dieses Asyl-Unrecht. Wie die internationalen Beispiele gezeigt haben, ist der gemeinsame Widerstand das beste Mittel, um gleiche Rechte zu erkämpfen! Deswegen lautet unsere Antwort auf die anfangs zitierte Mail auch: “Grundsätzlich ist aber klarzustellen, dass zu einer menschenwürdigen Migrationspolitik jedenfalls die effiziente und effektive Zerschlagung des kapitalistischen Systems gehört!“

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