Ist die Kreisky-Nostalgie berechtigt?

Abseits von Mythos und Verklärung: wie links war Kreiskys Politik wirklich?
Christoph Glanninger

„Dass mir ein paar Milliarden mehr Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr bereiten würden“. Viele würden diesen Satz Bruno Kreiskys gerne von heutigen PolitikerInnen hören. Gerade in einer Zeit, in der Milliarden in Banken gesteckt, gleichzeitig Sozialleistungen gestrichen werden und die Arbeitslosigkeit steigt, wünschen sich immer mehr Menschen PolitikerInnen, die Politik für Menschen statt für die Wirtschaft machen. Daher ist der nostalgische Rückblick auf Kreisky durchaus verständlich.

Zu den wichtigsten und bekanntesten Reformen aus Kreiskys Regierungen gehören eine Reihe von gesellschaftspolitischen Liberalisierungen. Durch SchülerInnenfreifahrt, Gratis-Schulbücher, Abschaffung der AHS-Aufnahmeprüfung und den freien Hochschulzugang wurde auch Kindern aus der ArbeiterInnenklasse der Zugang zu höherer Bildung ermöglicht.

Auch in Sachen Frauenrechte gab es große Fortschritte. In der Ehe wurde die Frau dem Mann rechtlich gleichgestellt und die Fristenlösung, die Abtreibung bis zum dritten Monat straffrei stellt, eingeführt. Aber an diesem Beispiel kann man auch die Schwächen der Reformen erkennen. Denn obwohl Abtreibung straffrei wurde, war sie weiter kostenpflichtig. Die Durchführung wurde Privaten überlassen. In der Praxis ist dies ein großes Hindernis für viele Frauen.

Gemeinsam ist den bekanntesten Reformen eines: sie befanden sich v.a. auf der rechtlichen Ebene und kosteten wenig bis gar nichts. Tatsächlich konnte Kreisky so Sympathiepunkte bei ArbeiterInnen und einer Schicht des Kleinbürgertums sammeln, ohne tatsächlich Politik gegen die Interessen des Kapitals zu machen.

Denn bei der Wirtschaftspolitik zeigt sich ein anderes Bild. Zu Beginn von Kreiskys Amtszeit war die österreichische Wirtschaft veraltet. Die ÖVP stand aufgrund ihrer Verbindung mit der Wirtschaft unter dem Druck aus Klein- und Mittelbetrieben sowie den Kammern. Hier kam Kreiskys Politik ins Spiel. Er konnte die für die Industrie notwendigen Modernisierungen durchführen. Bürokratische Hürden wurden abgebaut und es wurde in Forschung investiert. Die SPÖ-Regierung setzte die Interessen bestimmter Teile des Kapitals um. Die positiven Effekte für die ArbeiterInnenklasse waren vor allem kurzfristige Begleiterscheinungen.

Eine weitere Maßnahme waren Exportgarantien, die Unternehmen dazu bringen sollten, zu investieren. Risiko und eventuelle Kosten trägt der Staat; ein ähnliches System wie die Landeshaftungen im Fall Hypo. Kreiskys „Millionen für Arbeitslose“ waren in Wirklichkeit viel mehr Millionen für die Gewinne privater Unternehmen. Denn die Staatsverschuldung musste die ArbeiterInnenklasse in Folge teuer zurückzahlen.

Als der wirtschaftliche Aufschwung ab Mitte der 1980er endgültig vorbei war, platzte die „Kreisky-Blase“. Die Staatsverschuldung wurde zum Problem und musste abgebaut werden. Dabei wurden aber nicht Unternehmen und Vermögende zur Kasse gebeten. Es kam zu einer Reihe von Einsparungen und Privatisierungen. Das erste Sparpaket wurde noch von Kreisky selbst geschnürt. Im „Mallorca-Paket“ war bereits die Erhöhung der Mehrwertsteuer enthalten.

Die niedrige Arbeitslosigkeit blieb durch die Modernisierungen und den Strukturwandel in der österreichischen Wirtschaft während der Wirtschaftskrise tatsächlich niedriger als in anderen Ländern, schnellte aber dafür in den 80ern in die Höhe. Und tatsächlich begann die Umverteilung von unten nach oben schon unter Kreisky. Die bereinigte Nettolohnquote (also der wirkliche Anteil unselbstständiger Arbeit am Volkseinkommen) sinkt seit den 1970er Jahren.

Kreisky – damals eher ein Vertreter des rechten Flügels der SPÖ – mag uns heute angesichts der Politik der heutigen SPÖ „links“ erscheinen. Doch er war nur ein Ausdruck der 70er Jahre und der damaligen SPÖ. Alles in allem beschränkte sich Kreiskys Politik darauf, den Kapitalismus zu verwalten. Es wurden kaum Maßnahmen zur Umverteilung hin zur ArbeiterInnenklasse oder zu Verstaatlichungen ergriffen. Die Reformen, die tatsächlich Bedeutung für die österreichische ArbeiterInnenklasse haben, waren vor allem diejenigen, die zu einer gewissen gesellschaftspolitischen Liberalisierung und zu mehr Chancengleichheit beigetragen haben.

Kreiskys Reformen fanden vor dem Hintergrund einer internationalen Entwicklung (Revolutionäre Erhebungen in einer Reihe von Ländern, '68er Bewegung) statt und spiegeln das wider. Vor allem aber war der Kapitalismus damals gerade am Ende eines außergewöhnlich langen und starken Aufschwungs. Er hatte sich quasi einen Reserve-Speck angefressen, von dem auch etwas für die ArbeiterInnenklasse abgezweigt werden konnte. Kreisky hat sich einfach an die Möglichkeiten des Kapitalismus angepasst. Dasselbe gilt eigentlich auch für die heutige SPÖ-Führung. Um tatsächlich langfristig Verbesserungen für die Lebensbedingungen der gesamte Menschheit zu ermöglichen, braucht es ein anderes, ein sozialistisches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: