Irland: "Es waren ArbeiterInnen, Frauen und Jugendliche, die das Nein beim Referendum bewirkt haben"

Interview mit Joe Higgins, Socialit Party Irland, ehemaliges Mitglied des irischen Parlaments und laut Evening Herald einer der zehn Gründe für das irische Nein

Warum hat die Socialist Party zu einem Nein beim Referendum aufgerufen?

Wir haben für  ein Nein mobilisiert weil der EU-Vertrag die Unternehmen und Regierungen darin unterstützen würde, Löhne und Arbeitsbedingungen anzugreifen. Das Protokoll 6 macht Konkurrenz zu einem Eckpfeiler der EU-Politik und stellt freien Handel und Profit über die Rechte von ArbeitnehmerInnen. Artikel 188c.4 würde Handelsdeals erleichtern, die eine Provatisierung von Gesundheitswesen und Bildungseinrichtungen beinhalten. Lissabon hätte die EU noch undemokratischer gemacht, da sie jegliche Opposition vermeiden wollen – Opposition gegen ihren Drang die EU in ein eng verbundene wirtschaftliche und militärische Macht umzuwandeln, die mit den USA und China im globalen Rahmen rivalisieren kann.

Obwohl das gesamte Establishment auf der Seite der Befürworter stand, war ihre Kampagne unfähig, Antworten auf die Fragen zu geben, die die Nein-Seite, inklusive der Socialist Party, aufgeworfen hat. Das, in Kombination mit Gefühlen von Mißtrauen und Entfremdung gegenüber der EU,  hat den Gegnern des Vertrags massiv Auftrieb gegeben. Es waren ArbeiterInnen, Frauen und Jugendliche, die das Nein beim Referendum bewirkt haben. 56% der Frauen stimmten mit Nein, 65% der Jugendlichen und 74% der ArbeiterInnen. In Bezirken in denen ArbeitnehmerInnen leben, war das Nein bei der Abstimmung überwältigend, zumeist zwischen 70 und 85% der Stimmen.

Wie ist nach der Abstimmung nun die Stimmung in der Bevölkerung?

Es gibt das positive Gefühl, dass die Menschen ihre Muskeln gezeigt haben und dem Establishment, Politik und Unternehmen Widerstand geleistet haben. Dennoch sind die Menschen nicht sicher was nun geschehen wird. Die die politisch aktiv sind, freuen sich und sind sich der Folgen für die EU als ganzes bewusst. Das Resultat hat gezeigt wie schwach die Autorität des Establishments ist und wie unter den richtigen Bedingungen sogar kleine Kräfte einen wichtigen Einfluss haben können.

Wenn es ein zweites Referendum gibt, wie ist eure Position dazu?

Was genau wir dazu sagen, wird im wesentlichen davon abhängen, welche Änderungen vorgenommen werden oder welche neuen Aspekte inkludiert werden. Da wir aber nicht glauben, dass etwaige Änderungen den Anti-ArbeiterInnen-Charakter und die militaristische Stoßrichtung grundlegend ändern würden. Wir denken dass die nächsten Monate sehr wichtig sein werden um eine neue Nein-Kampagne vorzubereiten. Wenn es ein neues Referendum gibt, wird es schwieriger werden, eine intensive und harte Kampagne.
Während wir unsere eigenen unabhängigen Aktivitäten setzen, wird die Socialist Party Teil einer breiteren Kampagne sein: CAEUC – die Kampagne gegen die EU-Verfassung (Campaign against the EU-Constitution). Es gibt 14 Organisationen in dieser Kampagne und einige der beteiligten Organisationen lassen offen ob ein besserer oder fortschrittlicherer Vertrag neuverhandelt werden kann.

Einige auf der Linken sagen aus taktischen Gründen, dass sie dafür offen sind – aber nur wenn sich an der Politik grundlegend etwas ändert.  Sie sagen das, obwohl sie wissen, dass es solche Änderungen nicht geben wird. Diese Herangehensweise verwirrt mehr als dass er Dinge klärt und sät Illusionen, dass ein akzeptabler Deal möglich wäre und damit die EU eine fortschrittliche Sache.

Ohne in irgendeiner Weise plump gegen die EU zu sein, ist es dennoch wichtig, den wahren  Charakter der EU und jedes neuen Vorschlags für den Reformvertrag bloßzustellen. Das, nämlich zu erklären, dass die EU sich gegen die ArbeiterInnenklasse richtet und den Bedürfnissen der Konzerne und Unternehmen verpflichtet ist, ist der beste Weg, sich auf ein neues Referendum und mögliche Kämpfe vorzubereiten.

Sinn Fein, die in der Nein-Kampagne eine wichtige Rolle gespielt haben, sagen auf der einen Seite dass Lissabon tot ist, aber dass sei gerne einene neuen Vertrag aushandeln würden. Da sie das kapitalistische Marktsystem unterstützen und Illusionen darin haben, ist die Haltung zu einem neuen Referendum keine Prinzipienfrage sondern eine taktische Frage für sie. Aus politischen Gründen – nächsten Juni finden lokale und EU Wahlen statt – ist es sehr wahrscheinlich, dass sie diesmal doch auf der Nein-Seite bleiben.

Wie können SozialistInnen für ein Nein aufrufen, ohne in die Falle des Nationalismus zu tappen?

Das ist keine große Gefahr zu diesem Zeitpunkt in Irland, da es keine starke Stimmung für eine nationalistische Opposition gegen die EU hier gibt. Das bzw. die kleinen Kräfte der konservativen religiösen Reaktion hatten nur kleinen Einfluss auf die Abstimmung.

Während es definitiv nationale Identität und eine nationalistische Stimmung unter manchen gibt wenn es um die Frage eines Neins für die Erhaltung der Souveränität geht, sind das eher demokratische als nationalistische Inhalte. Die traditionelle Opposition gegen die EU und die Währungsunion kam eher von einer Unterstützung der Neutralität Irlands gegenüber den Kämpfen der großen Mächte und aus einer linken ArbeiterInnenklasse-Perspektive.

Die Socialist Party hat sich mit den militärischen und anti-demokratischen Aspekten des Lissabon-Vertrags auseinandergesetzt, aber wir haben besonders den neoliberalen, Anti-ArbeiterInnenklasse-Charakter des Vertrags in den Vordergrund gestellt. Die Ja-Seite hat versucht, uns und andere als Europa-Gegner darzustellen, und wir haben darauf reagiert, indem wir erklärt haben, dass wir für ein Europa seien, in dem die Menschen vor dem Profit kommen.

In unserem Hauptkampagnenflugblatt und bei den vielen öffentlichen Treffen und Debatten, die wir abhalten, haben wir folgende Forderungen nach vorne gestellt: Für die Einheit der ArbeiterInnenklasse in Irland und ganz Europa im Kampf für eine bessere Zukunft für alle – Nein zum EU der Banken und Konzerne – Für ein Europa in dem die Menschen vor Profit kommen – Für ein sozialistisches Europa. Wir haben auch unsere Mitgliedschaft im Komitee für eine ArbeiterInnen-Internationale betont.

Während es klar ist, dass die Herrschenden gerne ein neues Referendum abhalten würden, ist die Regierung auch sehr ängstlich angesichts der Möglichkeit wieder verlieren zu können. Das wäre eine gewaltige Niederlage für sie und würde eine tiefe Krise und wahrscheinlich Neuwahlen provozieren. Irland rutscht gerade in eine Rezession, Kürzungen werden umgesetzt und die Arbeitslosigkeit steigt. Die sich entwickelnde Instabilität wird politische Auswirkungen haben und wird sehr wahrscheinlich die Regierung noch nervöser machen bei einem möglichen zweiten Referendum. Die Socialist Party wird alles in ihrer Macht stehende tun um die Angriffe auf ArbeitnehmerInnen und Jugendliche zurückzuschlagen, die unweigerlich von Seiten des irischen und EU-Establishment kommen werden.

Danke für das Gespräch.

EU und Österreich:

Nach den Diskussionen rund um die Ratifizierung des EU-Reformvertrages ist das Vertrauen der Österreicher in die EU in den vergangenen sechs Monaten dramatisch gesunken.

Das geht aus der in Brüssel präsentierten halbjährlichen Eurobarometer-Umfrage der EU-Kommission hervor, für die rund 30.000 EU-BürgerInnen - darunter 1000 ÖsterreicherInnen - zwischen im März und Mai befragt wurden.

Bei nur noch 28 Prozent der ÖsterreicherInnen ruft die EU ein positives Bild hervor, im Herbst waren es noch 35 Prozent gewesen. Mit diesem Wert ist Österreich Schlusslicht in der EU, gleichzeitig ist es ein absoluter Tiefstwert.

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