Glaubt der ÖGB noch an den Weihnachtsmann?

Umfassender Rechtsschutz durch Gewerkschaften ist wichtig, aber kein Ersatz für eine Kampfstrategie
Sonja Grusch

In entscheidenden Auseinandersetzungen der letzten Jahre hat sich der ÖGB vor allem auf die Gerichte verlassen: Statt (weiter) zu kämpfen wurde die Auseinandersetzung mit den Pensionsreformen, mit den Angriffen auf den Hauptverband der Sozialversicherungsträger, dem Eingriff in Verträge bei der Bank Austria (...) auf die Ebene der Justiz verlegt. Das Ergebnis dieser Strategie sieht für die Beschäftigen zuweilen katastrophal aus: “Aber gut, das ist ein Höchstgerichtsurteil und die Gewerkschaft der Eisenbahner ist so weit, ein Verfassungsgerichtshofurteil auch als Höchstgerichtsurteil anzuerkennen. Das muss man zur Kenntnis nehmen.” (Eisenbahner-Zentralsekretär und FSE-Vorsitzender Bacher nach dem Scheitern einer Klage gegen das Pensionsgesetz 2001).

Veloce: Die Energie der Belegschaft wurde nicht genutzt

Die FahrerInnen des Botendienstes Veloce hatten 2004 gestreikt und als Folge einen Betriebsrat gewählt. Dieser wurde vom Geschäftsführer geklagt, da es sich bei den FahrerInnen um freie DienstnehmerInnen handelt. Die GPA schien anfangs froh, endlich freie DienstnehmerInnen gefunden zu haben mit denen sie in einem Präzedenzfall das Recht freier DienstnehmerInnen auf einen Betriebsrat vor Gericht durchsetzen konnte. Was dann in der GPA geschah, ist unklar. Die Veloce Betriebsräte wurden jedenfalls nicht wirklich eingebunden. Es wurde nicht mit ihnen gemeinsam eine Strategie erarbeitet, sondern über ihre Köpfe hinweg agiert. Eine politische Kampagne der Gewerkschaft für dieses Recht von freier DienstnehmerInnen gibt es nicht.
Als Ergebnis ist ein Vergleich wahrscheinlich: es soll eine FahrerInnenvertretung geben mit der der Geschäftsführer einmal pro Monat spricht. Diese ist aber kein Betriebsrat und hat daher auch keine Rechte. “Mit der Strategie war nicht mehr drin” meint Fortuna (noch Betriebsrat bei Veloce). Das Verfahren selbst wurde um die falschen (und andere als ursprünglich fixierten) Punkte geführt. Nämlich nicht um das Recht freier DienstnehmerInnen auf einen Betriebsrat, sondern darum, ob die FahrerInnen freie DienstnehmerInnen sind. “Nötig wäre es nicht zu zeigen, dass wir keine Freie DienstnehmerInnen sind, sondern dass wir eine Vertretung braucht” erklärt Fortuna, “das gehört nicht nur vor Gericht, das muss öffentlich gemacht und diskutiert werden.”

Recht muss erkämpft werden

Seit seiner Gründung vor 60 Jahren agiert der ÖGB “staatstragend” und vertraut auf “Rechtstaatlichkeit”. Was ist der Staat? Ein neutrales Gebilde, das “für alle StaatsbürgerInnen” da ist? Nein. Der Staat ist ein Herrschaftsinstrument einer Klasse über eine andere. Z.B. ist der Schutz des Privateigentums (nicht die eigene Zahnbürste, sondern Großgrundbesitz und Unternehmen) ein zentrales Recht in bürgerlichen (=kapitalistischen) Staaten. Ein – tatsächlich anwendbares – Recht auf ein gesichertes Einkommen und soziale Absicherung gibt es nicht. Der Staat stellt also das Recht weniger (KapitalistInnen) über das Recht der Mehrheit der Bevölkerung. Trotzdem hat die ArbeiterInnenbewegung Verbesserungen, wie die gesetzliche Arbeitszeitverkürzungen, Schutzbestimmungen etc. erkämpft. Nicht indem sie auf “objektive” Gerichte gehofft, sondern in dem sie für diese Rechte demonstriert und gestreikt hat. Das jeweils herrschende Recht spiegelt immer das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft wieder. Je stärker und offensiver die ArbeiterInnenbewegung, umso besser steht sie auf gesetztlicher Ebene da.

Auf der Strasse und im Gerichtssaal

Natürlich müssen ArbeiterInnenrechte auch vor Gericht verteidigt werden. Notwendig ist aber die politische und kämpferische Vertretung mit den Betroffenen gemeinsam. Im Fall Veloce hätte das bedeutet, dass ein politischer Prozess geführt wird mit einem Anwalt, dem es um politisches, nicht um geschriebenes Recht geht. Ein solcher Prozess muss Teil einer politischen Kampagne sein. Freie DienstnehmerInnen aus verschiedenen Bereichen müssen eingebunden werden. Das Recht auf betriebliche Vertretung muss laut und öffentlich gefordert werden. Die Gewerkschaften müssen Solidarität und Veranstaltungen, Demonstrationen sowie Streiks organisieren. Mit dieser Strategie können die Veloce-FahrerInnen ihr politisches Recht durchsetzen - auch wenn es nirgends geschrieben steht.

Erscheint in Zeitungsausgabe: