Gewalt an Frauen hat System

Sexismus und Gewalt an Frauen ist nicht importiert, sondern zentraler Bestandteil des Systems.
Christoph Glanninger

Bis jetzt gab es 2020 in Österreich 19 Frauenmorde. Durch Corona hat Gewalt gegen Frauen zugenommen. Erst im September vermeldete die Regierung einen Anstieg von verhängten Annäherungs- und Betretungsverboten im Februar-April-Vergleich um 22 %. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. In der gleichen Pressekonferenz versucht die Frauenministerin, Gewalt an Frauen auf ein „patriarchales Familienbild, das nach Österreich getragen wird“ zu schieben.

Ganz typisch für etablierte Parteien und Medien ist es, das Thema Gewalt an Frauen entweder als importiertes Problem darzustellen oder als “Familiendrama” zu individualisieren. Selbst wenn etablierte Politiker*innen sich als “entschlossene Kämpfer*innen” gegen sexualisierte Gewalt inszenieren, produziert ihre alltägliche Politik die Grundlage für diese.

Das kapitalistische System ist abhängig von der in Familien geleisteten unbezahlten Hausarbeit. Laut einer Oxfam-Studie entspricht die unbezahlte Hausarbeit, die Frauen und Mädchen jeden Tag leisten, wenn sie nach jeweiligem Mindestlohn bezahlt würde, weltweit einer Summe von 11 Billionen US-Dollar/Jahr. Der Großteil sexualisierter Gewalt passiert im Familien- oder Bekanntenkreis. Durch Politik, Medien und Gesellschaft wird auch heute noch ein Familienbild vermittelt, bei dem Männern beigebracht wird, der “Mann im Haus” sein zu müssen und dementsprechend ihre Partnerin zu kontrollieren. Gerade während Corona wurden diese Rollenbilder gestärkt. Dazu kommt, dass durch Sexismus in den Medien und durch eine milliardenschwere Sexindustrie, die Vorstellung verstärkt wird, dass Männer über Frauen “verfügen” können. Diese reaktionären Rollen- und Familienbilder bilden die Grundlage für Gewalt.

Statistiken zeigen, dass sich gerade in wirtschaftlichen und damit sozialen Krisen diese Situation besonders zuspitzt und es zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt kommt. Durch Arbeitsplatzverlust, Kürzungen im Sozialsystem und bei Betreuungsangeboten, finanziellen Problemen und Perspektivlosigkeit steigt der Druck innerhalb von Familien und Partnerschaften, kombiniert mit reaktionären Rollenbildern erhöht das die Gefahr für Gewalttätigkeiten. Zusätzlich verstärken wachsende Ungleichheit und Wirtschaftskrisen die wirtschaftliche Abhängigkeit und machen eine Trennung schwieriger.

Die Justiz im Kapitalismus schützt Opfer von Gewalt nicht und verschafft keine Gerechtigkeit: Nicht einmal 1 von 10 Vergewaltigungen wird zur Anzeige gebracht, nur 13% aller Anzeigen enden mit einer Verurteilung, nur etwa 10% der Anzeigen bei häuslicher Gewalt führen zu Verurteilung, dazu kommt eine hohe Dunkelziffer. Nicht überraschend, sind doch die Organe des Staates selber von sexistischen Vorstellungen durchzogen: Gerade bei der Polizei finden sich reaktionäre Ideen (eine Statistik aus den USA zeigt, dass in 40% aller Polizist*innenfamilien häusliche Gewalt vorkommt).

Aber dieser systematische Sexismus trifft weltweit auf eine wachsende Schicht an Frauen und LGBTQ+-Personen, die ihn nicht mehr akzeptieren. Frauen stellen heute einen so großen Anteil der lohnabhängig Beschäftigten wie nie zuvor. Gerade durch Corona wird offensichtlich, dass Frauen die überwältigende Mehrheit in “systemrelevanten” Berufen stellen. Das trägt auch zu steigendem Selbstvertrauen und wachsender Zurückweisung jeglichen Sexismus bei. Weltweit haben wir in den letzten Jahren die Entwicklung einer beeindruckenden feministischen Bewegung gesehen, in deren Zentrum auch der Kampf gegen sexualisierte Gewalt steht: #Metoo, “ni una menos” und feministische Streiks in Spanien, der Schweiz etc. Auch in Ländern, in denen es keine verallgemeinerte Bewegung gibt, verändert sich das Bewusstsein.

Als Sozialist*innen zeigen wir in diesen Protesten auf, dass Sexismus und Gewalt an Frauen und LGBTQ+-Personen aus dem kapitalistischen System entsteht. Deshalb brauchen wir einen gemeinsamen Kampf gegen die Reichen und Mächtigen - für höhere Löhne, leistbare Mieten, ausreichend Beratungsangebote und Plätze in Frauenhäusern, entsprechende Aufklärung und Schulung in Schulen und der gesamten Gesellschaft und viele andere Maßnahmen. Dieser Kampf muss ein zentraler Teil im Wiederaufbau der Arbeiter*innenbewegung sein. Aber obwohl wir die eine oder andere Verbesserung erkämpfen können, wird es sexualisierte Gewalt geben, solange der Kapitalismus existiert. Ein System, das auf Frauenunterdrückung aufbaut und, vor allem in Krisenzeiten, weltweit Ungleichheit, Gewalt und Unterdrückung produziert, wird unmöglich dazu in der Lage sein, Gewalt an Frauen und LGBTQ+-Personen zu beenden. Dafür braucht es einen Bruch mit diesem Profitsystem. Denn nur in einer sozialistischen Demokratie, in der die Arbeiter*innenklasse Wirtschaft und Gesellschaft kontrolliert, können wir die notwendigen Hebel in Bewegungen setzen, um die sozialen und gesellschaftlichen Grundlagen für Gewalt an Frauen endgültig zu beseitigen.

 

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