Generalstreik in Belgien – Ein Land wird lahmgelegt, doch das ist nicht genug!

Stefan Gredler

Der Autor hat im Rahmen der Intervention der belgischen Schwesterorganisation der SLP am Generalstreik teilgenommen.

Als vorzeitiger Höhepunkt einer ersten Phase des Widerstands wurde am Montag dem 15. Dezember ganz Belgien im Zuge eines Generalstreiks gelähmt. Damit wehrten sich die belgischen ArbeiterInnen gegen ein Kürzungspaket von absurder Größe, welches von der rechts-liberalen Regierung unter Charles Michel durchgepeitscht werden sollte. Die Regierung steht nun auf wackligen Säulen. Sie hat einen Riesen geweckt: die belgische ArbeiterInnenklasse.

Die rechts-liberale Regierung im Kürzungswahn

Die geplante Austerität ist enorm und stellt eine extreme Bedrohung für die Menschen in Belgien dar. Von allen Seiten drohen Kürzungen und Angriffe auf Arbeitsrechte: im Öffentlichen Dienst soll in der Höhe von 8 Milliarden Euro gekürzt werden, Anhebung des Pensionsalter von 65 auf 67, gleichzeitig sollen Pensionen gesenkt werden, das Streikrecht soll eingeschränkt werden, Langzeitarbeitslose sollen unbezahlte Arbeit leisten, bei der Bildung soll gespart und Studiengebühren um mehrere Hundert Euro gehoben werden. Einsparungen von insgesamt mehr als 20 Milliarden Euro würden besonders die Bahn, Häfen, Krankenhäuser und den Beamtenapparat treffen. Ein Generalangriff, der unvorstellbar viele Menschen in Armut drängen und Tausende von Arbeitsplätze vernichten würde.

Unter dem Motto „Es gibt keine Alternative“ will die Regierung somit die Wirtschaft ankurbeln, die Wettbewerbsfähigkeit stärken und besonders den Arbeitgebern in den Chef-Etagen große Geschenke bescheren. Bestehend aus den frankophonen Liberalen der MR, den flämischen Christdemokraten von der CD&V, den flämischen Liberalen von Open VLD und den rechten flämischen Nationalisten von der N-VA, wurde diese Regierung erst Anfang Oktober angelobt und zeigte von Anfang an klar wohin es gehen soll: mitten in den Strudel des kapitalistischen Chaos und klar in den Angriff gegen die ArbeiterInnen und Angestellten des Landes.

Gewerkschaften in der Offensive

Als Reaktion auf den kommenden Wahnsinn der neuen Regierung organisierte sich schon Ende September ein breiter Widerstand im Zuge eines Zusammentreffens von 7000 GewerkschaftsaktivistInnen. Aus einer gemeinsamen Front zwischen den zwei größten Gewerkschaftsdachverbänden, der FGBT und der CSC, wurde ein Aktionsplan erarbeitet. Am 6. November demonstrierten ca. 150 000 Menschen gegen die rechte Regierung um Charles Michel, die größte Demonstration seit fast 20 Jahren. Darauf folgten drei regionale Streiks, die jeweils einen anderen Teil des Landes blockierten.

Am 15. Dezember wurde der Aktionsplan schließlich mit einem Generalstreik beendet. Das ganze Land wurde paralysiert. Der gesamte Verkehr, ob auf der Straße, auf den Schienen, am Wasser oder in der Luft, wurde landesweit blockiert. Vor sämtlichen Fabriken, Unternehmen, Geschäften, Universitäten und Schulen wurden Streikposten organisiert um die allgemeine Wut gegen die Kürzungspolitik kund zu tun. Trotz einer enormen Medienhetze gegen den Generalstreik streikten insgesamt ca 1 Million Menschen. Eine enorme Zahl bei 4.5 Millionen Erwerbstätigen in einem der produktivsten Länder der Welt.

Mit der PSL/LSP in Aktion

Am Abend vor dem Streik kam ich in Brüssel an, um ein paar Stunden später gemeinsam mit AktivistInnen der Parti Socialiste de Lutte / Linkse Socialistische Partij, der Schwesterorganisation der SLP, von Streikposten zu Streikposten zu fahren. Schon Morgens um halb 5 erreichten wir unser erstes Ziel, die Audi-Werke. Rund 100 ArbeiterInnen hatten sich vor dem Fabrikeingang versammelt und blockierten die Straße. Es wurde Tee verteilt und Paletten verbrannt, um während des Tages nicht abzufrieren. Die Gewerkschaftsverbände waren klar präsent: Die sozialdemokratische FGBT in rot, die christliche (und überraschenderweise trotzdem kämpferische) CSC in grün, sowie sogar die (jedoch sichtlich schwächere) liberale CGSLB in blau. Es wurden spannende Gespräche geführt, Flugblätter verteilt und Zeitungen verkauft. Die Stimmung war klar kämpferisch. Jedem Arbeiter und jeder Arbeiterin war bewusst, dass wenn die belgische ArbeiterInnenbewegung erfolgreich sein will, dieser Generalstreik erst der Anfang sein kann. Nach langen Gesprächen fuhren wir zu den nächsten Streikposten. Die Anzahl der Streikenden auf den Posten wurde durchschnittlich weniger. Viele Manager und Arbeitgeber hatten nach den Regionalstreiks der vorigen Wochen enormen Druck auf die Bediensteten ausgeübt. Trotz alledem waren nur wenige Unternehmen in vollem Betrieb, wenn gearbeitet wurde, dann hauptsächlich aus Sicherheitsgründen und auf minimal Stufe. Die Solidarität innerhalb der Bevölkerung war trotz der Hetze seitens der Medien und trotz des Drucks aus den Reihen des Managements riesig. Auf den Streikposten war das Gesamtbild größtenteils friedlich. Vereinzelt kam es zu Auseinandersetzungen mit ungeduldigen AutofahrerInnen und verständnislosen KleinunternehmerInnen, Kranke und Einsatzfahrzeuge konnten jedoch die Straßensperren passieren. In Brüssel wurde eine kleinere Demonstration organisiert, hier kam es zu Polizeigewalt. Generell zeigte sich aber auch die Polizei solidarisch, sie organisierte am folgenden Tag einen kleineren Streik um sich ebenfalls gegen Kürzungen zu wehren.

Die belgische Sektion des CWI war den ganzen Tag über mit mehr als 200 AktivistInnen im ganzen Land in vollem Einsatz. Es wurden Tausende Flugblätter verteilt, Hunderte Zeitungen verkauft und somit Tausende von Menschen mit unseren Perspektiven und Alternativen zur Kürzungspolitik der belgischen Regierung erreicht. Dazu kommt, dass rund 50 GewerkschafterInnen und AktivistInnen der PSL/LSP selbst Streikposten organisierten. Am Ende des Tages war allen klar: der Generalstreik war ein Riesen-Erfolg, nicht nur für die PSL/LSP selbst, sondern für die gesamte ArbeiterInnenbewegung Belgiens.

Die Regierung muss fallen!

Doch nicht nur der PSL/LSP, sondern auch den Streikenden, und den Delegierten der Gewerkschaften und der Bewegung selbst ist bewusst, dass es mehr braucht als nur diesen einen 24-Stunden Generalstreik. Die Bewegung muss weiter gehen, denn in diesem Kampf kann kein Kompromiss erkämpft werden, die Fronten sind klar gezogen. Entweder die Regierung fällt, oder die Kürzungen werden mit voller Wucht die belgische ArbeiterInnenklasse treffen. Deshalb fordert die PSL/LSP einen zweiten, noch härteren und noch massiveren Aktionsplan. Um diesen zu entwickeln braucht es ein neuerliches noch größeres Treffen der Gewerkschaftsdachverbände und politischen Kräfte und Parteien mit einer Beteiligung von 10-20.000 AktivistInnen. Schließlich braucht es eine neuerliche Machtdemonstration der ArbeiterInnenklasse in Form einer noch größeren Demonstration an der bis zu 200.000 Menschen teilnehmen, es braucht nochmal regional begrenzte aber gezielt und durchorganisierte Lokalstreiks und schließlich braucht es einen neuerlichen Generalstreik von 48h mit der Möglichkeit, diesen auf unbegrenzte Zeit zu verlängern, um die die rechte Regierung zu stürzten.

Nun liegt es an den Gewerkschaftsspitzen sich für diesen Schritt zu entscheiden. Deshalb versucht die PSL/LSP wo es geht, den Druck auf diese aufzubauen, sich zu vernetzen und Treffen zu organisieren. Ein erster Schritt dafür wurde bereits zwei Tage nach dem Generalstreik getan, in Brüssel wurde zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen an der sich 50 AktivistInnen beteiligten um darüber zu diskutieren wie es mit der Bewegung weiter gehen soll. Alle Anwesenden waren sich einig: der zweite Aktionsplan muss kommen!

Kürzungspolitik als europäisches Phänomen

Zwar ist es ungewiss, wie es in Belgien weitergeht. Fakt jedoch ist, dass ein Riese geweckt wurde, der so schnell nicht wieder einschlafen wird. Die Menschen zeigen klar, sie lassen sich ab einem gewissen Zeitpunkt Kürzungen und somit direkte Eingriffe in ihr Leben nicht länger gefallen. Die belgische Regierung taumelt und wankt. Jetzt liegt es an den Massen, ihr den Stoß zu versetzen, der sie zu Fall bringt. Doch selbst danach wären die Probleme nicht vom Tisch. Wahlen und speziell die Regierungsbildungen sind in Belgien traditionell sehr kompliziert und langwierig. So brauchte man für die Bildung der jetzigen Regierung viereinhalb Monate, für jene zuvor gar 541 Tage, Weltrekord. Eine neue kapitalistische Regierung würde nicht viel anders machen. Im Falle eines Sieges der ArbeiterInnenbewegung gäbe es Neuwahlen und somit das Bedürfnis nach einer neuen Arbeiterinnenpartei, welche dieser Bewegung eine Stimme geben würde. Die belgische Sektion des CWI wäre in einem solchen Projekt eine Kraft mit großem Einfluss, denn um den Widerstand weiter zu führen braucht es eben einen neuen Aktionsplan, welchen die Ideen der PSL/LSP mitgestalten würden.

Generell nimmt die Kürzungspolitik nicht nur in Belgien, sondern auch in Europa klar zu. Aber auch der Widerstand gegen diese Politik wächst. In fast jedem Land in Europa kommt es zu einem Zuwachs von Protesten gegen das neoliberale Chaos des Kapitalismus. Immer mehr Menschen haben es satt, in einem System zu leben, in dem die Minderheit von der Mehrheit profitiert und dann noch bei ihr spart und kürzt. Auch in Italien wurde am 12. Dezember landesweit gestreikt, in Griechenland wehren sich die Massen gegen das Spardiktat der Troika und in Irland gehen Hunderttausende von Menschen gegen eine Steuer auf Wasser auf die Straßen.

Auch in Österreich steht die Regierung zur Zeit auf wackligen Säulen. Sollte aufgrund von Uneinigkeit über die Steuerreform die große Koalition platzen, stehen auch in Österreich Neuwahlen auf der Agenda. Die Gefahr, dass es dann ebenfalls zu einer rechts-liberalen Regierung mit Beteiligung seitens der FPÖ kommen könnte, ist groß genug. Solche politische Projekte zeigen, wie schon in der Vergangenheit unter Schwarz-Blau oder jetzt gerade in Belgien unter Charles Michel, dass von solchen Kräften nichts anderes als Kürzungen und Sparpakete zu erwarten sind. Was wir schon aus Österreich kennen, zeichnet sich in Belgien viel massiver ab. Während an allen Ecken und Enden eingespart wird, will sich die Regierung um Milliarden neue Kampfflugzeuge zulegen.

Aber auch in Österreich gibt es einen potentiell mächtigen Gewerkschaftsbund! Es ist jetzt schon höchste Zeit, dass der ÖGB aus seinem Schlaf erwacht. Auch in der Debatte um die Steuerreform sollten sich die österreichischen Gewerkschaften ein Beispiel an ihren belgischen KollegInnen nehmen, die ihre Forderungen durch konkrete Kampfmaßnahmen verstärken! Speziell in der Frage der Steuerreform zeigt sich aber Erich Foglar, Präsident des ÖGB, wie gewohnt zahnlos. Gegenüber dem ORF meint er: „Wir sind für die Entlastung der Arbeitnehmer, den Rest muss die Politik beantworten.“ - Das ist eindeutig zu wenig!

Es braucht eine Alternative!

Um den Menschen Perspektiven zu bieten und gegen dieses System von Kürzungen, Ungleichheit und Ausbeutung Widerstand zu organisieren braucht es eine Alternative. In Österreich kämpft die SLP, in Belgien die PSL/LSP und in rund 45 weiteren Ländern verschiedenste Sektionen des CWI, dem Committee for a Workers International, als Teil von Bewegungen für eines solche Alternative. Denn es ist höchste Zeit Antworten auf die weltweiten Probleme zu geben. Diese fangen bei dem Kampf gegen Kürzungen an müssen jedoch weiter, und zwar an die Wurzel der Probleme gehen: den Kapitalismus.