Gastgewerbe

„Wir müssen lernen, auf die Straße zu gehen“

Im Gastgewerbe wird das Klima rauher:  Am 8. 4.1997 scheiterten sogar die Kollektivvertragsverhandlungen. Betriebsräte und Gewerkschaftsmitglieder hielten in den  wichtigsten Fremdenverkehrsorten Straßenaktionen ab. Wir führten ein Gespräch mit Stefan Tichy, Betriebsratsvorsitzender im CITY CLUB VIENNA und Vorsitzender der Gewerkschaft HGPD-NÖ.

Vorwärts: Was bedeutet die Lehrlingsreform für Euch?

Tichy: Durch die Maßnahme, daß Lehrlinge jetzt schon ab 18 Jahren (früher 19 Jahre) länger als bis 22 Uhr arbeiten dürfen, wird im Gastgewerbe dazu führen, daß die billigeren Lehrlinge die Arbeit von Fachkräften übernehmen. Schätzungsweise werden dadurch 800 Arbeitsplätze vernichtet.

V: Die Unternehmer wollen den 12-Stunden-Tag sowie eine Reihe von weiteren Verschlechterungen.

T: Was das Nachtruhegesetz betrifft ,so ist es jetzt so, daß ich als Beschäftigter zweimal in die Arbeit komme; also z.B. um 8 Uhr Früh bis 14 Uhr und dann von 18 Uhr bis 22 Uhr, ginge es nach den Wünschen der Unternehmer müßte man dreimal in die Arbeit kommen, also ganz in der Früh das Frühstück für die Gäste richten, dann Mittagessen herrichten und dann nach der zweiten Pause noch bis spät in die Nacht Bardienst machen. Also arbeiten rund um die Uhr ohne irgendwelche Zuschläge.

V: Was sollte die HGPD tun?

T: Ein zentrales Problem liegt darin, daß in vielen vor allem Klein- und Mittelbetrieben, das Prinzip “Wo kein Kläger, da kein Richter” vorherrscht. Es wird also die Schutzbestimmung unter Duldung der Beschäftigten verletzt, und bei den Verhandlungen wird versucht, diese Zustände durch KV-Regelungen und Gesetze zu legalisieren. Und hier muß die HGPD aufwachen, es plätschert die Diskussion an uns vorbei, viele Funktionäre haben noch nicht verstanden, daß hier ein Kampf gegen uns geführt wird. Und die Leute sind bereit in die Gewerkschaft zu gehen, hier kommt aber dem Betriebsrat eine große Bedeutung zu, denn für den einfachen Beschäftigten, sind Betriebsrat und Gewerkschaft dasselbe, ist die Erfahrung mit dem Betriebsrat gut, so ist eine Zufriedenheit mit der Gewerkschaft da. Leider gibt es bei uns auch einige gelbe Betriebsräte.

V: Gibt es konkrete Aktionen?

T: Wir haben schon einiges gemacht, z.B. als uns die Unternehmer einen bundesweiten KV-Abschluß verwehrt haben. Wir haben am Flughafen Wien bei der Einweihung der neuen Boeing 747 ein großes Spalier errichtet und mit Flugblättern auf die Angriffe der Unternehmer aufmerksam gemacht. Wir, damit meine ich Funktionäre und Beschäftigte, haben in allen wichtigen Fremdenverkehrsorten, Straßenaktionen durchgeführt. Wir haben Wirtschaftsminister Farnleitner einen Spontanbesuch abgestattet und wir haben die Mai-Kundgebung der SPÖ dazu verwendet, um lautstark auf unsere Probleme aufmerksam zu machen. Am 1. Mai haben sogar die Kellner vom Landmann ( Nobel-Cafe am Ring ), kurz die Arbeit unterbrochen und uns applaudiert. Schließlich ist uns ein KV-Abschluß mit 2,2 % Lohnerhöhung und der Einführung eines 12.000 öS brutto Mindestlohns gelungen, allerdings gilt das nur für Wien, NÖ, OÖ und Vorarlberg. Gerade in Tirol und in Kärnten wollen die Unternehmer die Fremdenverkehrskrise auf dem Rücken der Beschäftigten austragen. Es gibt daher einen Beschluß der Sektion, Hotel-Gastgewerbe in der HGPD, daß wir zu weiteren Kämpfen bereit sind. Die erste Phase war hier die Phase der aktiven Aufklärung, die zweite Phase wird, wenn es notwendig ist, den Unternehmern wirtschaftlichen Schaden zufügen.

V: Wünschts du dir kämpferische Gewerkschaften?

T: Na ja, die Hauptverantwortung liegt sicher bei den Fachgewerkschaften. Wir müssen lernen auf die Straße zu gehen. Aber wir müssen alle die Solidarität neu lernen. Als Betriebsrat lernt man ja viele soziale Probleme kennen. Wir müssen: “Betroffenheit zugeben“, lernen. Anstatt den “Coolen” zu spielen, der alles im Griff hat. Probleme aussprechen ist eine elementare Voraussetzung, um die Leute wieder dazu zu bringen, gemeinsam für ihr Geld auf die Straße zu gehen.

Erscheint in Zeitungsausgabe: