Fristenlösung: Was ist erreicht und was muss noch erreicht werden?

Nora Brandes

Historischer Abriss zur Abtreibungsdebatte

Schon in der Zwischenkriegszeit war Abtreibung eine Forderung der ArbeiterInnenbewegung. Bereits 1920 verlangte die sozialdemokratische Frauenkonferenz die dreimonatige Fristenlösung. Begründet wurde dies mit der sozialen Unausgewogenheit, da wohlhabendere Frauen meist trotzdem Mittel und Wege fanden, in einem privaten Sanatorium abzutreiben. Ärmere Frauen mussten entweder illegal unter lebensgefährlichen Bedingungen abtreiben oder mussten das Kind bekommen. Ab 1924 ging diese Forderung jedoch unter, da die rasseneugenische Strömung um den Gesundheitsstadtrat Julius Tandler an Einfluss gewann und Fraueninteressen zurückdrängte. Abtreibung wurde vermehrt vom Standpunkt der Produktion ökonomisch verwertbarer Arbeitskräfte gesehen: Nur jene Kinder, die der Gesellschaft finanziell „zur Last“ fallen würden, sollten abgetrieben werden.

Im Austrofaschismus wurde Abtreibung durch das „Bundesgesetz zum Schutz des menschlichen Lebens“generell verboten. Im Nationalsozialismus wurde die Abtreibungsfrage in die rassistische Politik der Unterscheidung zwischen „lebenswertem“ und „lebensunwertem“ Leben integriert: „Minderwertige“ Frauen wurden so entweder zur Abtreibung (oder auch schon zur Sterilisation) gezwungen, „arischen“ Frauen wurde die Abtreibung unter Androhung der Todesstrafe verboten.

Nach 1945 opferte die SPÖ die Abtreibungsfrage dem politischen Konsens der Nachkriegszeit. Das führte in der Folge dazu, dass sich engagierte sozialdemokratische Frauen 1972 mit der Gründung „Aktion unabhängiger Frauen“ (AUF) für einen außerparlamentarischen Weg entschieden. Vor dem Hintergrund der internationalen ArbeiterInnen- und der Frauenbewegung brachten die AUF-Frauen die Forderung nach individueller Selbstbestimmung über den eigenen Körper vor. Sie argumentierten, dass jede Frau – unabhängig von ihrer sozialen Lage und bevölkerungspolitischer Überlegungen – ein Recht auf Abtreibung hat. Diese neue Sichtweise drückte sich im Slogan „Mein Bauch gehört mir“ aus. Die Abtreibungsdebatte hatte damit eine neue Qualität erreicht. Frauen sollten nicht mehr durch Gesetze bevormundet werden. Die AUF iniziierte eine Kampagne zur Abschaffung des §144. Weiterhin betonte die AUF jedoch auch die soziale Frage, die mit der Abtreibung verbunden war. Auch forderte sie die Abtreibung auf Krankenschein – eine Forderung, die von der SPÖ abgelehnt wurde. Die Veränderung fand vor dem Hintergrund der internationalen Bewegungen und damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen nach 1968 statt. Erst unter dem Druck der Frauenbewegung und der fortschrittlichsten Teile der ArbeiterInnenbewegung, die sich in der SPÖ (die damals noch eine ArbeiterInnenpartei war) wiederspiegelten, verabschiedete die SPÖ 1975 schließlich die Fristenlösung – ohne aber viel für deren Umsetzung zu tun. Einerseits stellt die SPÖ die Fristenlösung als ihr Verdienst dar, andererseits kümmert sie sich jedoch wenig darum, dass Frauen auch in der Praxis die Möglichkeit zur Abtreibung haben.

Die aktuelle Situation: Finanzielle Hürden, Ost-West-Gefälle und private Kliniken

Obwohl die Fristenlösung ein großer Erfolg ist, ist vieles noch nicht erreicht. So ist etwa die Forderung nach Abtreibung auf Krankenschein nach wie vor nicht umgesetzt und die Benachteiligung ärmerer Frauen besteht somit fort. Während in den meisten westeuropäischen Ländern die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden, müssen Frauen in Österreich für die Kosten, die sich – abhängig von der jeweiligen Einrichtung – zwischen 350 und 800 Euro bewegen, selbst aufkommen. ÖVP Wien Frauensprecherin Barbara Feldmann bezeichnet die Forderung nach Kostenübernahme gar als „lebensverachtend“, da es „auf keinen Fall Auftrag des Gesundheitssystems“ sei, „gegen menschliches Leben vorzugehen“.

Außerdem reicht ein Gesetz allein nicht aus, wenn keine Durchführungsbestimmung existiert. Abtreibung ist zwar straffrei gestellt, es mangelt jedoch an der praktischen Umsetzung. Das zeigt, dass ein Gesetz allein nicht ausreicht, wenn keine Durchführungsbestimmung existiert. So ist eine Abtreibung nicht überall möglich. Während in anderen Bundesländern eine Abtreibung in öffentlichen Spitälern durchgeführt werden kann, müssen sich Frauen in Vorarlberg und Tirol - falls überhaupt möglich - an Privatärzte wenden was mit höheren Kosten einhergeht. Der Weg nach Wien bleibt real oft die einzige Möglichkeit. Auch in Wien ist es jedoch nicht immer möglich in einem öffentlichen Spital abzutreiben. Die Beratung wird meist extern und zu sehr eingeschränkten Zeiten angeboten, die Frauen können oft nicht anonym bleiben und die Abbrüche finden auf der Gynäkologie statt, wo auch schwangere Frauen behandelt werden.

Selbst in Wien müssen sich Frauen in vielen Fällen an Privatkliniken oder PrivatärztInnen wenden. Die SPÖ hätte hier die Möglichkeit das Recht auf Abtreibung in allen öffentlichen Spitälern umzusetzen. Stattdessen treibt sie die Ausgliederungen im Gesundheitsbereich voran und schiebt das Problem in den privaten Bereich ab, wo mit dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch Geld gemacht werden kann. Wir fordern die Abtreibung auf Krankenschein und die Möglichkeit in allen öffentlichen Spitälern den Abbruch durchführen zu lassen.

Aufklärung, Verhütung und Sexualität

In der Schule findet nach wie vor keine umfassende sexuelle Aufklärung statt, die über die Darstellung grundlegender biologischer Vorgänge hinausgeht. Umfassendes Wissen über Verhütung wird nicht vermittelt. Doch auch wenn dieses Wissen durch engagierte LehrerInnen vermittelt wird, wird es in der Praxis nicht immer umgesetzt, da Verhütung als unangenehmes Thema empfunden wird, das im Bett dann nicht angesprochen wird. Kein Wunder, denn Verhütung und erfüllter Sex werden im gesellschaftlichen Bewusstsein nicht zusammengeführt. So kommt in Sexszenen in Filmen oder Büchern das Thema Verhütung meist nicht vor und es wird der Eindruck vermittelt, als ob die Frau durch ungeschützten Geschlechtsverkehr einfach nicht schwanger werde. Zudem ist auch der Erwerb von Verhütungsmitteln nicht kostenlos, was gerade für junge Menschen ohne Einkommen ein Erschwernis darstellt.

Verhütung erfordert generell eine gewisse Vertrauensbasis und Erfahrung im Umgang miteinander. Doch gerade bei einmaligen sexuellen Kontakten sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Die Gleichsetzung von Sex und Penetration und die abwertende Bezeichnung „Vorspiel“ für sexuelle Handlungen anderer Art führt dazu, dass die Penetration als der eigentliche Geschlechtsakt angesehen wird und somit auch bei einmaligen sexuellen Kontakten im Vordergrund steht – mit allen Risiken, die das für die Frau birgt.

Doch auch die Verwendung eines Kondoms ist kein Garant. Der Leiter der Wiener Gynmed-Klinik Christian Fiala stellte fest, dass etwa ein Drittel aller ungewollten Schwangerschaften trotz der Verwendung eines Kondoms passieren, da sie nicht sachgemäß angewendet werden oder abrutschen. Zum Teil hängen die „Unfälle“, die mit Kondomen passieren aber auch schlicht mit falschen Passformen zusammen. So ist im Handel lediglich eine Kondomgröße erhältlich und es wird so getan, als ob es hier keine anatomischen Unterschiede gäbe – ein Umstand, der gerade für Jugendliche problematisch ist. Denn nicht an jedem geplatzten oder abgerutschten Kondom ist der Anwender schuld. Auf Anwenderbedürfnisse geht die Kondomindustrie also nur begrenzt ein.

Die „Pille danach“

Die „Pille danach“ bleibt jedenfalls oft die einzige Rettung um eine Abtreibung zu verhindern. Dass dieses Notfallpräparat nun in Österreich rezeptfrei erhältlich ist, ist ein Riesenfortschritt. Neben Irland, Italien und Deutschland war Österreich eines der letzten Länder Westeuropas, in denen die „Pille danach“ rezeptpflichtig ist.

Die Debatte, die die Rezeptfreistellung ausgelöst hat, zeigt jedoch, dass das Thema weiterhin umkämpft ist. Walter Dorner, Präsident der Ärztekammer wehrte sich gegen diesen Schritt, da die „Pille danach“ „kein Hustenzuckerl“ sei. Generalsekretärin der „Aktion Leben“, Martina Kronthaler zeigte sich „bestürzt“ über diese Maßnahme, die sie als „billige Antwort auf die Versäumnisse der schulischen Sexualerziehung und Aufklärungsarbeit“ bezeichnete. Bischof Klaus Küng zeigte sich ebenfalls bestürzt und ÖVP-Familiensprecherin Ridi Steibl sprach sich gegen die „Pille danach“ aus, da sie eine „regelrechte Hormonbombe“ sei. Wenn es jedoch um Einsparungen im Gesundheitswesen geht, macht sich die ÖVP plötzlich nicht mehr so große Sorgen um die Gesundheit von Frauen… Es steht außer Frage, dass dieses Präparat keine ordentliche Verhütung ersetzt, der unbürokratische und zeitgerechte Zugang zu dieser letzten Möglichkeit, eine Abtreibung zu verhindern, ist jedoch ein enormer Fortschritt für Frauen. Die Forderung nach der kostenlosen Vergabe von Verhütungsmitteln ist in dem Zusammenhang ebenfalls von zentraler Bedeutung.

Frauenrechte verteidigen!

Die Geschichte der Fristenlösung zeigt, dass Verbesserungen erst unter dem Druck der Frauenbewegung erreicht werden konnten. Wichtige Forderungen wurden noch nicht umgesetzt, gleichzeitig starten konservative und kirchliche VertreterInnen immer wieder Angriffe auf die Straffreiheit der Abtreibung. Nicht nur Parteien, sondern auch die radikalen Abtreibungsgegnern von „Human Life International“ (HLI) - einer christlich-fundamentalistischen Organisation, kämpfen gegen dieses Frauenrecht. Die AnhängerInnen von HLI betreiben  Psychoterror gegen Frauen und gehen auch gegen ÄrztInnen vor, die Abtreibungen durchführen. In Österreich hat HLI seinen Schwerpunkt im Bereich des heutigen „pro woman“-Ambulatoriums. Dort belästigen AktivistInnen in ihrem Kampf um das „ungeborene Leben“ Frauen, drängen ihnen Fehlinformationen über gesundheitliche Folgen von Abtreibung auf und gehen auch gegen das Klinikpersonal vor. Die SLP hat gegen diese Methoden und Angriffe eine langjährige Kampagne organisiert. Auch das ist wohl ein Grund dafür, das die SPÖ das Thema in der öffentlichen Debatte wieder aufzugegriffen hat.

ÖVP Familien-Staatssekretärin Christine Marek forderte voriges Jahr die Einführung einer „Bedenkzeit“ für Abtreibungen. Bei solchen Vorschlägen geht es jedoch nicht darum, Frauen die Entscheidung zu erleichtern oder – wie bei den Argumenten gegen die „Pille danach“ – ihre Gesundheit zu schützen. Es geht dabei darum, Frauen zu bevormunden und das Frauenrecht auf Selbstbestimmung zu untergraben.

Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten wird das traditionelle Bild der Frau als Hausfrau und Mutter aufgewertet. Ziel ist es Frauen in Zeiten der Arbeitslosigkeit aus der Erwerbsarbeit zu drängen und ihnen die durch Kürzungen im Pflege- und Kinderbetreuungsbereich entstandene private unbezahlte Mehrarbeit aufzubürden. Auch in Zukunft wird ein entschiedener Kampf um bereits bestehende Rechte sowie deren Ausweitung vonnöten sein.

Die SLP fordert

  • Abtreibung auf Krankenschein

  • flächendeckende Möglichkeit zur Abtreibung in allen öffentlichen Spitälern bzw. speziellen Frauengesundheitszentren

  • umfassende Sexualaufklärung in Schulen und Kindergärten

  • kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln

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