Frauen leisten Widerstand gegen „Lidl“

David Matrai, CWI-Berlin

Seit über einem Jahr versucht die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di durch eine Kampagne gemeinsam mit den Belegschaften Betriebsräte in den Filialen der Ein­zelhandelskette Lidl zu gründen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Vor allem Frauen zahlen für die Ausbeutung und Erniedrigung in den Filialen des Bil­lig­discountes einen hohen Preis – aber sie wehren sich.

„Mir hat alles gerauscht in den Ohren und ich hab gedacht 'Oh Gott, mein Haus, meine Kin­der. Wenn ich selbst kündige, krieg ich nicht mal Arbeitslosengeld'. Der Revisor dik­tier­te mir dann die Kündigung. Ich hätte in dieser Situation sogar mein eigenes Todesurteil unterschrieben“. So beschreibt eine ehemalige Beschäftigte der erfolgreichen Lebens­mittel­ket­te, wie sie zu ei­ner „freiwilligen“ Kündigung gezwungen wurde. Hinter diesem Einzel­fall steht ein „System Lidl“.

System Lidl

Freiwillige Kündi­gungen oder Aufhebungsverträge sind ein Mittel des Unternehmens, unliebsame Beschäf­tigte loszuwerden. Meistens sind dies diejenigen, die sich gegen die Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen oder dem Unternehmen als länger angestellte Voll­zeit­beschäftigte zu teuer geworden sind. 

Druck, Arbeitshetze und unbezahlte Mehrarbeit: so drückt der Billigdiscounter seine Kos­ten. Überstunden ohne Lohn sind da eher die Regel als Ausnahme. Zwar bezahlt Lidl nach Ein­zelhandelstarif, aber eben nicht nach tatsächlich geleisteten Arbeisstunden. Regelmäßig berichten Beschäftigte, dass sie lange vor Schichtbeginn und nach Schichtende unbezahlt Aufräumarbeiten und Vorbereitungen durchführen müssen. Dies ist auch Ergebnis des chro­nischen Personalmangels in den Filialen.

Reguläre Pausen existieren praktisch gar nicht. Selbst ein kurzer Gang zur Toilette ist für die Kassierinnen Luxus, den sie sich wegen des Arbeitspensums von mindestens 40 Scann-Vorgängen pro Minute kaum leisten können Hinzu kommen unterschiedliche Formen der Kontrolle und Überwachung. Weit verbreitet sind Testkäufe durch Vorgesetzte, teilweise werden auch die Beschäftigten aufgefordert, bei ihren Kolleginnen Testkäufe durchzu­füh­ren. Eine weitere Form der Kontrolle sind Durchsuchungen des Spindes, der Kittel und Ta­schen, sogar die Autos der Beschäftigten werden teilweise nach geklauten Waren durch­sucht. Außerdem ließ das Unternehmen in manchen Filialen Videokameras installieren, oh­ne die Beschäftigten davon zu informieren.

Das Lidl-Unternehmen 

Alle kennen Lidl und dennoch ist das Unternehmen ein großer Unbekannter. Hinter der Dis­counterkette Lidl steht die Schwarz-Gruppe, die neben Lidl noch andere Einzelhan­delsunternehmen umfasst. Informationen über die Konzernstrukturen oder Geschäfts­be­rich­te und -bilanzen werden jedoch nicht veröffentlicht. Darüber hinaus hat die Schwarz-Grup­pe hat ein Firmengeflecht von ungefähr 600 Gesellschaften und Stiftungen gegründet.

Eines steht jedoch fest: die Schwarz-Gruppe und Lidl sind erfolgreich. Die Schwarz-Grup­pe erwirtschaftete 2004 über 36 Milliarden Euro an Umsatz, Tendenz steigend. Ihr Unter­neh­men Lidl ist inzwischen Europas erfolg­reichster Discounter. In Deutschland, wo 40.000 bei Lidl arbeiten, muss sich Lidl nur noch Aldi geschlagen geben.

Betriebsräte? Nein, Danke!

In den Filialen führen die meist männlichen Filialleiter ein hartes Regiment über die Ange­stellten, von denen die meisten – an den Kassen bis zu 90% – Frauen sind. Dies ist nur mög­lich, weil es in den allermeisten Filialen keine Arbeitnehmervertretungen gibt. Interes­senvertretungen von Beschäftigten, also Betriebsräte, gibt es derzeit nur in 7 der 2.600 deutschen Filialen. Dies zu ändern, ist das Hauptziel der Gewerkschaft in der Kampagne.

Dort jedoch, wo Beschäftigte während in der Kampagne Betriebsräte gründen wollen, geht der Kon­zern hart vor. So wurde in einer Münchner Filiale die Initiatorin von Betriebs­rats­wahlen entlassen, weil sie angeblich die stellvertretende Filialleiterin beleidigt habe. Im süd­deutschen Calw schloss Lidl gar eine profitable Filiale, weil dort ein aktiver Betriebsrat exis­tierte. Nun bereiten sich die Beschäftigten und die Gewerkschaften auf Betriebs­rats­wah­len im Frühling vor. Ob es dann gelingen wird, weitere Betriebsräte gegen den Widerstand des Unternehmens zu erkämpfen, ist aber ungewiss.

An die Öffentlichkeit

Ver.di startete die Kampagne Ende 2004 mit der Veröffentlichung des sogenannten „Schwarz­buch Lidl“, in dem die Arbeitsbedingungen bei Lidl beschrieben werden und die Beschäfitgte selbst zu Wort kommen. Dies löste ein Welle von Reaktionen der Lidl-Be­schäf­tigten und Medien aus. Seitdem versucht die Gewerkschaft u.a. durch Besuche von Lidl-Filialen Kontakte zu Beschäftigten zu knüpfen und dann Belegschaft bei Betriebsrats­wahlen zu unterstützen. Zusätzlich werden soge­nannte Kundenwochen durchgeführt, in denen Protestkundgebungen vor Filialen stattfinden und KundIn­nen über die Hintergründe der Kampagne und die Arbeitsbedingungen bei Lidl informiert werden.

Widerstand ist möglich

Es gibt wenige Branchen, wo es schwieriger ist, Widerstand zu organisieren als im Einzel­handelssektor mit vielen unorganisierten und prekär Beschäftigten, welche sich auf viele Einzelfilialen verteilen. Bei Lidl sind selten mehr als drei Kolleginnen zugleich in einer Filiale. Die meisten Frauen arbeiten Teilzeit oder führen Minijobs aus, was die Belegschaft weiter zersplittert. Durch immer längere Ladenöffnungszeiten, denen leider auch die Gewerkschaftsspitze zustimmte, verbringen die Frauen immer mehr Abendstunden in den Filialen und die Kraft für gemeinsame Gegenwehr nimmt ab.

Die Kolleginnen anderer Einzelhandelsmärkte (wie bei Schlecker) haben jedoch gezeigt, dass es auch unter diesen Bedingungen möglich ist, Betriebsräte zu gründen und sich ge­werkschaftlich zu organisieren. Ihre Solidarität mit den Lidl-Kolleginnen ist besonders wich­tig, weshalb sie sich auch z.B. an den Filial-Besuchen beteiligen.

Internationalen Solidarität organisieren

Der Internationale Frauentag am 8. März ist eine wichtige Gelegenheit für weiteren, v.a. auch internationalen Protest. Die internationale Handelsgewerkschaft UNI plant, Aktionen vor verschiedenen europäischen Filialen zu organisieren und ver.di in Deutschland will ver.di weitere Filial-Besuche durchführen. Eine Internationalisierung der Proteste wäre ein wich­tiger Schritt, um den Druck auf den Konzern zu erhöhen. Dabei wäre es notwendig, be­sonders die Belegschaften in Aktionen einzubeziehen, die wie in Belgien, Finnland oder Nor­wegen bereits gewerkschaftlich organisiert sind und hier auch die Möglichkeit zu Streik-Aktionen zu nutzen.