Mo 01.11.1999
Faschismus ist die Bezeichnung für eine Herrschaftsform im Kapitalismus. Faschismus stellt zwar in gewisser Weise einen Sammelbegriff dar, unter dem verschiedene Ausformungen – z.B. Nationalsozialismus, Ständestaat, italienischer Faschismus, Franco-Regime (...) – zusammengefasst werden. Die marxistische Analyse geht allerdings von gemeinsamen (!) Ursachen und Wesenszügen als bestimmende Faktoren für die Erklärung aus. Faschismus ist kein „einmaliges“ Phänomen, das nur in den 20er und 30er Jahren auftreten konnte.
Doch die faschistischen Bewegungen brauch(t)en bestimmte Voraussetzungen und Entwicklungen, um sich zu formieren und letztlich siegen zu können. Der russische Marxist Leo Trotzki hat sie Anfang der 30er Jahre zusammengefasst – schwere wirtschaftlich-soziale Krise, gesellschaftliche Polarisierung und fortdauernde Unfähigkeit der ArbeiterInnenbewegung, einen sozialistischen Ausweg zu erkämpfen: „Der Faschismus (ist) jedesmal das letzte Glied eines besonderen politischen Zyklus, der aus folgenden Momenten besteht: Krise der kapitalistischen Gesellschaft – steigende Radikalisierung der ArbeiterInnenklasse und Verlangen nach Veränderung beim ländlichen und städtischen Kleinbürgertum – äußerste Verwirrung auf Seiten der Großbourgeoisie, welche mit feigen und betrügerischen Methoden darauf aus ist, den revolutionären Siedepunkt zu vermeiden – Erschöpfung des Proletariats, zunehmende Verzweiflung und Indifferenz – Verschärfung der sozialen Krise – Verzweiflung des Kleinbürgertums, seine Bereitschaft an Wunder zu glauben, seine Bereitschaft zu Gewaltmaßnahmen – anwachsende Feindseligkeit gegenüber dem Proletariat, welches die kleinbürgerlichen Erwartungen entäuscht hat. Das sind die raschen Voraussetzungen für die Formierung einer faschistischen Partei und deren Sieg.“
Die „historische Mission“ des Faschismus bestand in der Ausschaltung der ArbeiterInnenbewegung – aber nicht nur darin. Der Faschismus war als Massenbewegung in der Lage, diese Ausschaltung und totale Zersplitterung über eine ganze Periode aufrecht zu erhalten. Darin lag aus Sicht der Bourgeoisie sein Vorzug, aber auch gleichzeitig sein Risikopotential. Vor allem war nicht abzusehen, was geschehen würde, wenn das faschistische System in die Krise gerät – also seine Massenbasis verliert. Andererseits betraf die politische Herrschaft des „faschistischen Pöbels“ Bereiche, die weit über jene der ArbeiterInnenbewegung hinausreichten: Letztlich wurden auch Entscheidungskompetenzen des einzelnen Unternehmers und von ganzen Kapitalgruppen einschränkte. Das bedeutet nicht, dass der Faschismus keine Herrschaftsform des Kapitals ist: Im Gegenteil, der Faschismus faßte in geradezu reiner Form die Interessen der gesamten herrschenden Klasse zusammen: Neue Märkte durch Expansion, Vernichtung der Gewerkschaften, Abschaffung von Sozialreformen, Versklavung, ... Die ideologische Legitimation dieser Schritte geschah durch „Volksgemeinschaft“, Rassismus und Antisemitismus – mit der Konsequenz der tödlichen Dynamik, an deren Endpunkt Rassenkrieg und Holocaust standen.
Faschismus heute?
Der Faschismus ist also keine beliebig anwendbare Herrschaftsform des Kapitals: Faschistische Massenbewegungen sind Produkte einer bestimmten ökonomischen, sozialen und politischen Situation. Die faschistische Diktatur stellt das letzte Mittel des Kapitals zur Herrschaftssicherung in einem gewissen Entwicklungszyklus der von Revolution und Konterrevolution geprägt ist, dar. Es existieren heute in Europa weder die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen für Faschismus, noch eine faschistische Massenbewegung. Selbst jene Parteien, die über eine faschistische Tradition und einen faschistischen Kern/Flügel verfügen (wie etwa der Front National oder die italienische AN) sind gezwungen, diese Elemente zu zügeln und rechten Populismus à la FPÖ zum bestimmenden Teil ihrer Politik zu machen. Offen faschistische Organisationen sind heute (noch) relativ kleine Terrortruppen. Das bedeutet nicht, dass aus bestehenden faschistischen und rechtsextremen Parteien in Zukunft keine faschistischen Massenbewegungen werden können. Doch solche Bruchlinien sind derzeit nicht abzusehen.