Die Auswirkungen der Russischen Revolution in Asien

Sonja Grusch

Die Russische Revolution hatte weltweit Auswirkungen auf die ArbeiterInnenbewegung. In den Kolonien aber beeinflusste sie auch die nationalen Befreiungsbewegungen stark. Dies lag neben den Erfahrungen der Kolonialvölker mit dem Imperialismus und dem 1. Weltkrieg auch in der bewussten Außenpolitik der Sowjetunion in ihren ersten Jahren.

Der 1. Weltkrieg war der Krieg der Kolonialvölker

Auf ihrem 1. Weltkongress 1919 stellte die Kommunistische Internationale (Komintern) fest: „Der letzte Krieg, der nicht zuletzt ein Krieg um Kolonien gewesen, war gleichzeitig ein Krieg mit Hilfe der Kolonien. In nie dagewesenem Umfang wurde die Bevölkerung der Kolonien in den europäischen Krieg hineingezogen.“

Alleine Indien stellte 1,5 Millionen Soldaten für die britische Armee. Die nationalen Ressourcen und die indische ArbeiterInnenklasse wurden während des Krieges in noch stärkerem Masse ausgebeutet als zuvor. Ein weiterer Aspekt war, dass die Soldaten – die überlebt hatten - mit neuen Ideen und Erfahrungen zurückkamen.

Wilson und der Völkerbund

In Folge des 1. Weltkrieges und der Russischen Revolution kam es nicht nur zu einer Krise des Kapitalismus im Allgemeinen, sondern zu einer Krise des Kolonialismus im speziellen. Das hat auch der weitsichtigere Teil der Bourgeoisie erkannt und versucht, darauf zu reagieren. Das fand seinen Ausdruck u.a. in der Formierung des Völkerbundes (Vorläufer der UNO) und der Annahme der 14. Punkte des US-Präsidenten Woodrow Wilson. Es sollte auf den Wunsch nach Frieden und nach nationaler Selbstbestimmung reagiert werden, ohne dabei aus Sicht der imperialistischen Staaten zu weit zu gehen.

Die 14. Punkte schürten in den Kolonien Hoffnungen auf Unabhängigkeit, weil von einem „Freien, unbefangenen und völlig unparteiischen Ausgleich aller kolonialen Ansprüche“ gesprochen wurde. Diese Hoffnungen aber wurden rasch enttäuscht. Die 14. Punkte und der Völkerbund sind, ebenso wie ihre Nachfolgerin die UNO, Instrumente des Imperialismus. Der Völkerbund sanktionierte u.a. den imperialistischen Einfluss von Frankreich bzw. Britannien im Nahen Osten sowie von Japan in Teilen Asiens.

Die frühe Außenpolitik der Sowjetunion

Im Gegensatz dazu stand die Außenpolitik der Sowjetunion vor ihrer stalinistischen Degeneration. So wurde der „Verzicht auf alle zaristischen Gebietsansprüche“ und die „Unabhängigkeit der Völker“ erklärt. Der Name „Sowjet – Union“ ist Ausdruck für dieses Verständnis eines freiwilligen Zusammenschlusses von Sowjet-Staaten (und steht im Gegensatz zu den späteren Zwangsanektionen unter Stalin).

Außerdem veröffentlicht die Sowjetunion die geheimen diplomatischen Protokolle über die Pläne der Imperialisten zur Aufteilung der Welt. Der wahre Charakter des Völkerbundes ist rasch klar. Auf dem 1. Kongress der Komintern wird festgehalten: „.. wird der Völkerbund … nur die Rolle einer heiligen Allianz der Kapitalisten zur Unterdrückung der Arbeiterrevolution spielen.“

Und konkret: „Das von der Entente proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker wird öffentlich mit Füssen getreten und durch Aufteilung der strittigen Gebiete unter den machthabenden Staaten und deren Vasallen ersetzt.“

Enttäuschung über Völkerbund als Triebfeder für Bewegungen

Die Siegermächte des 1. Weltkrieges nützen den Völkerbund um im Gefolge des 1. Weltkrieges die Welt (wieder) unter sich aufzuteilen Die Völker der ehemaligen Kolonien sind enttäuscht, es kommt zu einer Reihe von Aufständen und Befreiungsbewegungen erhalten verstärkten Zulauf. In China kommt es z.B. als bekannt wird, dass Japan „den Zuschlag“ erhalten hat, zu einer Protestwelle, der „Bewegung des 4. Mai“, in der auch die ArbeiterInnenklasse eine zentrale Rolle spielt.

Die Enttäuschungen über die Fortsetzung der imperialistischen Politik in Verbindung mit dem Beispiel des revolutionären Russlands bilden die Grundlage für diverse revolutionäre Bewegungen deren Hauptpunkt nationale Unabhängigkeit ist. Betroffen davon sind u.a. China, Indien, Korea, Indonesien, Türkei, Persien…

Die junge Sowjetunion unterstützt die Unabhängigkeitsbewegungen

Nach der Oktoberrevolution war den Bolschewiki klar – nur wenn die Revolution sich international ausbreitet, kann sie auf Dauer überleben. Ihre Politik hatte daher einen internationalistischen und anti-imperialistischen bzw. anti-kolonialistischen Anspruch. Ausdruck dafür war die Gründung der Kommunistischen Internationale im Anfang März 1919. An der Gründung nahmen auch VertreterInnen aus Asien teil - aus Armenien, Aserbaidschan, Persien, China und Korea.

Der Zugang der frühen Sowjetunion zur nationalen und kolonialen Frage stand im Zentrum des 2. Weltkongresses der Komintern 1920. Dort wurden 21 Bedingungen für die Aufnahme in die Komintern beschlossen. In Punkt 8 hieß es: „In der Frage der Kolonien und der unterdrückten Nationen müssen die Parteien jener Länder, deren Bourgeoisie Kolonien besitzen und andere Nationen unterdrückt, eine besonders klare und eindeutige Linie verfolgen. Jede Partei, die der 3.Internationale angehören will, ist verpflichtet, die Machinationen ‚ihrer’ Imperialisten in den Kolonien schonungslos zu entlarven, jede Befreiungsbewegung in den Kolonien nicht in Worten, sondern durch Taten zu unterstützen, die Verjagung ihrer eigenen Imperialisten aus diesen Kolonien zu fordern….“ Diese Festlegung war notwendig, da viele der ehemaligen sozialdemokratischen Parteien die sich der Komintern anschließen wollten in der Vergangenheit die chauvinistische Politik „ihrer“ Bourgeoise gegenüber den Kolonialvölkern mitgetragen hatten.

Aber es ging nicht darum, wahllos Bewegungen und Organisationen zu unterstützen. Der 2. Weltkongress der Komintern stellte die „Thesen zur nationalen und kolonialen Frage“ auf. In der genauen Formulierung findet sich auch eine politische Ausrichtung. Man einigte sich darauf, statt „bürgerlich-demokratisch“ nur „national-revolutionäre“ Bewegungen zu unterstützen. Dabei ging es darum, sich nicht den bürgerlichen Zielen unterzuordnen sondern „weil Kommunisten bürgerliche Befreiungsbewegungen nur dann unterstützen, wenn diese wirklich revolutionär sind, wenn Kommunistische Parteien nicht daran gehindert werden, Bauern und Arbeiter in revolutionärem Geist zu erziehen.“

Im September 1920 folgte in Baku im Kaukasus der „Kongress der Völker des Ostens“. 1891 Delegierte repräsentieren rund 30 verschiedene Nationalitäten – darunter v.a. vom Zarismus unterdrückte Völker.

ArbeiterInnenklasse oft zentral in Unabhängigkeitsbewegungen

In einer Reihe von Ländern kam es zu Unabhängigkeitsbewegungen – oft in Verbindung mit sozialen Bewegungen. Die Bourgeoise versuchte, diese Bewegungen in für sie ungefährliche Bahnen zu lenken. Dies geschah z.B. durch die Förderung sozialdemokratischer Parteien oder von Ideen wie dem „Panarabismus“, „Panislamismus“ und „Panasiatismus“. Ähnliche Versuche kennen wir heute auch z.B. in der Unterstützung von NGOs um Bewegungen „auszubremsen“.

Die Rolle der nationalen Bourgeoise ist ambivalent. Jene Teile, die nicht völlig von den Kolonialherren abhängig sind („Kompratorenbourgeoisie“) waren zwar für Unabhängigkeit aber gegen Klassenkämpfe als Kampfmittel und gegen die Abschaffung des Kapitalismus. Dies zeigt sich z.B. in Indien. 1921 gab es in Indien 2,7 Millionen ArbeiterInnen, im 1. Weltkrieg war ihre Ausbeutung erhöht worden, sie hatten teilweise auch Erfahrungen in Klassenkämpfen. 1918 wurde die Hoffnung auf Unabhängigkeit von den Briten enttäuscht. In Folge kam es zu einer Streikwelle (bei der es nicht nur um die Frage nach Unabhängigkeit, sondern auch für höhere Löhne ging) und zu Bauerunruhen. In der Kongress-Partei, einer breiten, von Bürgerlichen kontrollierten Partei die für die Unabhängigkeit eintrat, gab es unterschiedliche Flügel. Nehru (der Vater von Indira Ghandi) war stärker von der Oktoberrevolution beeinflusst, aber Ghandi, setzt sich durch. Nach dem Blutbad von Amritsa, als unbewaffnete DemonstrantInnen von den Briten niedergemetzelt worden waren und es die Stimmung für einen Umsturz gab, bremst er Bewegung. (An dieser Stelle sei angemerkt dass der „friedliche“ Kampf von Ghandi, weil er die Unabhängigkeit verzögerte und viele InderInnen den britischen Imperialisten wehrlos auslieferte, viele zusätzliche Opfer bis zur Unabhängigkeit kostet!)

Nicht unterschätzt werden darf auch die Rolle und auch teilweise Macht der ArbeiterInnenklasse in den „Kolonien“. In China gab es 1919 rund zwei Millionen IndustriearbeiterInnen. In Korea hatten 1920 von den ca. 40.000 ArbeiterInnen über 20% bereits Erfahrungen in Klassenkämpfen. Während der bürgerliche „Widerstand“ 1919 die „Unabhängigkeit“ in einem feinen Hotel feierte, demonstrierten gleichzeitig 300.000 auf den Strassen und es gab zwei Monate lang landesweite Massenproteste und eine Streikwelle. In Korea hat sich gezeigt, dass die ARbeiterInnenklasse den bürgerlichen Widerstand rasch überholen kann. Und dass obwohl es damals noch keine ArbeiterInnenorganisationen gab. Diese wurden erst ab 1920 gegründet, die KP sogar erst 1925.

Aber natürlich gab es auch Problem von Rückständigkeit, von feudalen Strukturen und religiösem Einfluss. Beim Kongress von Baku stand in der Abschlusserklärung der „heilige Krieg für die Befreiung der Völker des Ostens“. Damit war allerdings keine Anbiederung an den Islam gedacht, sondern spiegelt die Sensibilität der Sowjetunion im Umgang mit Traditionen wieder. Rhetorisch wird darauf hingewiesen, dass bisherige „heilige Kriege“ immer nur den herrschenden dienten, denn „wir rufen euch zum ersten wirklich heiligen Krieg auf, … für euer eigenes Wohl, für eure eigene Freiheit, für euer eigenes Leben“.

Stalinismus verändert die Außenpolitik

Der Prozess der Stalinisierung der Sowjetunion und in Folge auch der Komintern drückt sich v.a. auch in der Außenpolitik aus. Ursprünglich wurde der Völkerbund abgelehnt, 1934 wird die Sowjetunion Mitglied. Unter Stalin kommt es auch zu einer Wiederaufnahme des großrussischen Chauvinismus was sich spätestens in der Zwangsanektionen des Baltikums im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes zeigt. Auch die Bündnispolitik der KPn verändert sich. Ursprünglich hatte die Komintern darauf gedrängt, bei der Zusammenarbeit mit Bürgerlichen bzw. der Arbeit in breiteren bürgerlichen Formationen das eigene Programm nicht hinten anzustellen. Unter Stalin wurde auf diese programmatische Festigkeit verzichtet, es kam zu einer Unterordnung bzw. einen Verzicht auf einen Klassenstandpunkt. Für KommunistInnen verheerende Folgen hatte das in einer Reihe von Ländern, z.B. in China in den 1920er Jahren. Als deutlicher Kniefall vor dem Imperialismus kann die Auflösung der Kommintern 1943 gesehen werden. Damit wurde nach der Theorie auch das Instrument für eine revolutionäre Außenpolitik beseitigt – im Gegensatz zur Politik von Lenin und Trotzki unmittelbar nach der Oktoberrevolution.