So 23.07.2023
Die österreichische Podcasterin und Kulturwissenschaftlerin Beatrice Frasl hat in ihrem neuen Buch „Patriarchale Belastungsstörung: Geschlecht, Klasse und Psyche“ Fragen von psychischer Gesundheit mit Geschlechterverhältnissen und sozialer Ungleichheit verbunden - eine Verbindung, die das Buch erfolgreich gemacht hat. Dies zeigt, dass das Thema Psyche bewusster als politisch wahrgenommen wird.
Frasl beschreibt anschaulich, mit welchen Problemen Menschen, die therapeutische Hilfe benötigen, in Österreich (aber auch international) konfrontiert sind und welche Hürden ihnen in den Weg gelegt werden. Im Verlauf des Buchs zeigt sie die besonderen Verbindungen von Armut und geschlechtsspezifischen Unterdrückung mit dem Aufkommen psychischer Erkrankungen. Frauen sind aufgrund durchschnittlich niedrigerer Einkommen, vermehrter Arbeitslast durch Care-Arbeit und sexistischen Frauenbildern von vielen psychischen Erkrankungen häufiger betroffen.
Das Buch präsentiert einen guten Überblick über die Allgegenwärtigkeit psychischer Erkrankung, die katastrophale Behandlungssituation in Österreich sowie Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung, denen Betroffene durch das System ausgesetzt sind. Zudem stellt Frasl wichtige Fragen zu gesellschaftlichen Ursachen - denn es ist kein Zufall, dass psychische Erkrankungen mit zunehmender sozialer Ungleichheit und steigender Ausbeutung bei einer gleichzeitigen Zerschlagung hart erkämpfter Arbeiter*innenrechte und sozialer Vereinzelung einhergehen. Ebenso stellt sie richtige Forderungen nach Kassenplätzen für alle und Arbeitszeitverkürzung auf.
Psychische Gesundheit ist eine Klassenfrage
Dennoch bleiben einige Aspekte offen oder unerwähnt. Zum einen blendet Frasl die psychische Gesundheitsversorgung von Menschen abseits binärer Geschlechterkategorien, insbesondere Trans-Personen, vollkommen aus, obwohl diese besonders von den im Buch behandelten Missständen betroffen sind. Zum anderen ist „Klasse“ für sie nur ein Begriff für soziale Benachteiligung – die Arbeiter*innenklasse erscheint damit als komplett passives Opfer des herrschenden Systems.
Damit hängt auch die größte Leerstelle des Buchs zusammen: das Fehlen von Lösungsstrategien. Um Frauenunterdrückung, Ausbeutung, Armut und psychische Erkrankungen in ihrer Wurzel bekämpfen zu können, reicht nicht nur eine allgemeine Kritik am kapitalistischen System und ein paar Forderungen – sondern eine Analyse, wie dies erreicht
werden kann. Sozialist*innen erkennen die Arbeiter*innenklasse nicht nur als eine benachteiligte Gruppe - sie ist die große Mehrheit der Bevölkerung und die Kraft, welche die Gesellschaft am Laufen hält. Das heißt auch: Sie hat das Potential, sich selbst aus ihrer Unterdrückung zu befreien und notwendige Verbesserungen zu erkämpfen. In der Organisierung dieser Kämpfe liegt die Chance für den grundlegenden Wandel, den Frasl will – nicht in notwendigerweise abstrakten Appellen an die Herrschenden, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen (wegen dem dann Sozial- und Gesundheitsleistungen erst recht gestrichen werden).
Darum braucht es einen sozialistischen Ansatz, der den Kampf um Frauenbefreiung, Gesundheit und Antikapitalismus miteinander verbindet und als Klassenkampf versteht. In diesem Sinne ist (Psychische) Gesundheit und Frauenbefreiung eine Klassenfrage: Wir müssen – und können – sie als vereinte Klasse erkämpfen.
Buch:
Beatrice Frasl: Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche Haymon Verlag, 2022, 384 Seiten, Preis: 19,90