Brigittenau steht auf gegen Femizide

Protest aus der Nachbarschaft gegen Gewalt an Frauen
Sebastian Kugler

Am 29.4. ermordete ein Mann seine Ex-Partnerin in Wien Brigittenau. Es war der 9. Femizid (Frauenmord) dieses Jahr in Österreich. Noch am selben Abend trafen Aktivist*innen der sozialistisch-feministischen Initiative ROSA, die selbst im Bezirk wohnen, die Entscheidung, einen Protest vor Ort zu organisieren. Gesagt, getan: Über 100 Menschen folgten dem Aufruf von ROSA und der SLP zu einer Kundgebung am 4.5. am Handelskai, nur wenige Straßen von dem Gemeindebau entfernt, in dem die Frau ermordet wurde. Zuvor hatten ROSA-Aktivist*innen vor Ort mobilisiert: Im Gemeindebau wurden Flyer für die Kundgebung verteilt und in Briefkästen gesteckt. Tatsächlich kamen zahlreiche Anrainer*innen zum Protest. Sie hörten die Reden der ROSA-Aktivist*innen, die vor allem auf den systemischen Charakter der Gewalt gegen Frauen hinwiesen: Mit-Initiatorin der Kundgebung und mosaik-blog-Redakteurin Sonja zeigte in ihrer Rede auf, dass die Regierung alleine 20 Millionen Euro an Medienförderung für Wolfgang Fellners sexistische Klatschpresse ausschüttet – und gerade mal 3 Millionen Euro für Gewaltschutz für Frauen bereitstellt. Während Konzernen in der Corona-Krise Milliardengeschenke gemacht werden, werden Frauen mit der „Pandemie in der Pandemie“ – der häuslichen Gewalt – alleine gelassen: „Der ÖVP sind das Kapital und die Familie heilig, dafür geht sie über Leichen.“ Es braucht Millionen für Schutzeinrichtungen und Frauenhäuser, aber auch für Sozialarbeit und Einrichtungen wie Männerberatung. Die Krokodilstränen und hohlen Versprechungen des Regierungsgipfels am Montag werden all das nicht bringen: Wir müssen uns selbst organisieren und unsere Forderungen durch soziale Kämpfe auf der Straße, im Betrieb und in den Bildungseinrichtungen erkämpfen. Das betonte auch SLP-Aktivistin und Betriebsrätin Irene in ihrer Rede. Sie zeigte auf, welches Potential die Gewerkschaft im Kampf gegen Sexismus hätte, und wie die aktuelle Gewerkschaftsführung diese Verantwortung überhaupt nicht wahrnimmt und stattdessen, wie die Regierung, auf Symbolpolitik setzt. Auf Initiative der SLP wird es deswegen beim nächsten Bundesforum der Gewerkschaft GPA einen Antrag geben, der von der Gewerkschaft eine aktive Kampagne gegen Sexismus in Betrieben fordert.

 

ROSA-Aktivistin Sarah betonte, dass der Kapitalismus auf der unbezahlten Arbeit von Frauen und auf der Schlechterstellung von „Frauenbranchen“ wie dem Gesundheits- und Sozialbereich basiert – die systematische Unterdrückung von Frauen stabilisiert das Profitsystem. Gerade deshalb ist die Verbindung des Kampfes gegen sexistische Gewalt und mit dem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne in diesen Bereichen notwendig, wie ROSA-Aktivistin Katja ausführte und dabei auch die Forderungen der Basis-Initiative von Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich „Sozial, aber nicht blöd“ vorstellte. SLP-Bundessprecherin Sonja wies auf die Wohnungsnot hin, die Frauen in gewaltvolle Beziehungen zwingt: Eine Wegweisung zu erwirken bringt nicht viel, wenn die Betroffene sich die Miete alleine nicht leisten kann. Dagegen stehen in Wien tausende Wohnungen nur aus Spekulationsgründen leer – Immobilienspekulant*innen müssen enteignet werden, um Menschen, die Wohnungen brauchen, eine sichere Bleibe zu garantieren.

 

Brigittenau ist einer der ärmsten Bezirke in Österreich. Hier wird klar, wie notwendig es deshalb ist, Kämpfe um leistbaren Wohnraum, höhere Löhne, gegen Arbeitslosigkeit usw. gemeinsam zu führen, weil das der Boden ist, auf dem Gewalt an Frauen wächst.

ROSA-Aktivistin Kajal griff die Medienberichte auf, nach denen es sich bei dem Täter um den „Bierwirt“ handle, welcher bereits Sigi Maurer sexistisch angegriffen hatte: Sollten sich die Berichte bestätigen, ist dieser Fall ein drastisches Beispiel für die Spirale sexistischer Gewalt, die bei „harmlosen“ Witzen, Cat Calling auf der Straße und übergriffigem Verhalten beginnt und bei Mord aus Frauenhass endet. Anrainer*innen ergriffen auch selbst das Wort – wie etwa eine Mutter zweier kleiner Kinder, die davon berichtete, wie früh Kindern bereits jene Geschlechterrollen eingetrichtert werden, die später zu Gewalt führen. Diese Punkte griff SLP-Aktivist Sebastian auf, um aufzuzeigen, dass männliche Gewalt nicht „natürlich“ ist: Dieses System macht Frauen zu Opfern sexistischer Gewalt – und Männer zu Tätern. Ganze Industrien bauen darauf, Männern zu vermitteln, dass sie stark, souverän, kurz: „der Boss“, sein müssen – tatsächlich erlebt aber ein Großteil der Männer besonders in der Krise, dass sie genau das Gegenteil sind: Lohnabhängige, die vom Boss gefeuert werden, wenn die Profite nicht stimmen. Der Widerspruch zwischen dem Anspruch, ein „echter Mann“ sein zu müssen, und der sozialen Wirklichkeit, selbst ausgebeutet zu werden, ist eine wichtige Quelle männlicher Gewalt – als scheinbar letzter Ausweg, doch „der Herr im Haus“ zu sein. Deshalb ist es wichtig, dass auch Männer gegen Femizide aufstehen und Kämpfe für soziale Verbesserungen führen, um nicht von diesem System weiter zu Tätern gemacht zu werden.

 

Dunja, eine Aktivistin aus Russland, machte darauf aufmerksam, dass der Kampf gegen Gewalt an Frauen und ihre Ursachen ein internationaler ist: Sie berichtete von der katastrophalen Situation von Frauen in Russland und von den schwierigen Bedingungen, unter denen sie für ihre Rechte kämpfen müssen. Internationale Solidarität muss ein zentraler Bestandteil unserer Kämpfe sein – nicht zuletzt weil überall auf der Welt neue feministische Bewegungen aufkommen, von den Massenmobilisierungen gegen Femizide in Südamerika bis zum Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Polen.

 

Dieser Kampf beginnt aber hier und jetzt in unseren Nachbarschaften und Betrieben. Wir haben die Kundgebung bewusst vor Ort im Wohngebiet organisiert. Es ist gut, dass bereits am Montag fast 1.000 Menschen in der Innenstadt demonstriert haben. Doch nicht die Regierungsbeamten am Ballhausplatz werden die notwendigen Veränderungen erreichen, sondern die Betroffenen selbst. Unsere Kundgebung war auch kein symbolischer Protest, sondern ein Schritt zur Organisierung und zum Aufbau von Strukturen, die diese Kämpfe weitertragen können. Zahlreiche teilnehmende Anrainer*innen trugen sich in unsere Kontaktlisten ein und wollen nun aktiv werden. Eine Gruppe von Frauen aus der Nachbarschaft nahm ROSA-Plakate mit, auf denen stand: „Wir nehmen uns die Straße zurück: Nein zu Sexismus und Gewalt an Frauen“. Auch Menschen aus dem Umfeld der Ermordeten kamen, um ihren Dank für die Aktion auszusprechen. Die Aktion zeigt das Potential, ganz direkt dort gegen Gewalt an Frauen und Femizide zu protestieren und sich zu organisieren wo Menschen arbeiten und leben. Genau das müssen wir auch tun, damit es uns gelingt die Proteste gegen Frauenunterdrückung auszuweiten und vor allem Frauen und Jugendliche aus der Arbeiter*innenklasse stärker einzubeziehen. 

 

Das war nur ein erster Schritt, wir werden weitermachen: Komm zu unserem nächsten Aktivist*innentreffen diesen Freitag, 7.5. um 18 Uhr, online (Zugangsdaten auf Anfrage). Dort werden wir auch Folgeaktionen planen und besprechen, wie wir den Protest gegen Gewalt an Frauen im 20.Bezirk und darüber hinaus ausweiten können. Schreib uns eine Nachricht, wenn du mit uns aktiv werden möchtest!