100 Jahre Revolution in Österreich

Text und Audiodtei
Sonja Grusch

Die Ereignisse von 1918 haben eine enorme Bedeutung – wir können viel daraus lernen für die heutigen Bewegungen, z.B. in Frankreich. Es geht dabei v.a. um den Umgang mit Reformismus in Bewegungen. Was ist konkret geschehen, wie ist der internationale Kontext und was waren die Folgen der Revolution bzw. des Scheiterns der Revolution?

Was konkret ist damals in Österreich passiert?

Am Anfang von 1918 steht 1914: die österreichische Sozialdemokratie hat sich erspart, für die Kriegkredite zu stimmen. Sie wurde gar nicht gefragt weil das Parlament seit Frühjahr 1914 beurlaubt war. Trotzdem hat sich die Führung der SDAPÖ voll hinter Kaiser und Armee gestellt. Der Chefredakteur der sozialdemokratischen Arbeiter Zeitung, Austerlitz, feiert die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten als „stolzeste und gewaltigste Erhebung des deutschen Geistes“ und erklärt „Die Sozialdemokratie "weiht dem Staat Gut und Blut der arbeitenden Massen. Er selbst hat sein Blut hinter dem Schreibtisch in Sicherheit gebracht…

Wie in Deutschland ist die Begeisterung in der Arbeiter*innenklasse rasch der Realität gewichen. Das Kriegsdienstleistungsgesetz unterstellt die Wirtschaft in großen Teilen der militärischen Notwendigkeit: Streiks werden verboten, Rechte der Beschäftigten bei Arbeitszeiten, Pausen, Sonntagsruhe etc. ausgehebelt. Hinzu kommt die Inflation, der Verfall der Reallöhne auf weniger als die Hälfte ihres Wertes und dann der Hungerwinter 16/17. Es kommt zu Hungerrevolten und im Mai 1917 zu einer von Frauen getragenen Streikwelle – weil viele Männer im Krieg waren, haben Frauen diese Jobs in der Industrie übernommen, die Zusammensetzung der Belegschaften hat sich also verändert. 1917 nehmen die Streiks in Industriebetrieben in verschiedenen Teilen des Landes (Donawitz, Wien, St Pölten, Fohnsdorf, Knittelfeld, Graz) zu. Es sind nicht bloß Abwehr- sondern v.a. Angriffsstreiks, in der Regel nehmen über 90% der Beschäftigten eines Betriebes teil und über 87% enden zumindest mit einem Teilerfolg.

Russische Revolution als Katalysator

Die Revolution in Russland – zuerst im Februar, aber dann v.a. im Oktober – wirkt wie ein Katalysator auch in der Donaumonarchie. Entscheidend dabei sind auch die Bestrebungen der Bolschewiki für Frieden, Lenin fordert einen sofortigen Frieden ohne Annexion. Im Gegensatz zur nationalistischen Politik die der Stalinismus später durchführt und die das Überleben der Bürokratie über alles stellt haben die Bolschewiki 1917/18 den Fokus auf der internationalen Ausbreitung der Revolution und sehen in der Arbeiter*innenklasse sowohl der Entante-Mächte als auch der Achsen-Mächte ihre Bündnispartner. Ganz bewusst setzen die Bolschewiki auch auf die Heimkehr von Kriegsgefangenen – auch hier wieder ein Unterschied zum Stalinismus später: Im 2. Weltkrieg werden die einfachen deutschen Soldaten in der Gefangenschaft als Gegner gesehen während die führenden Militärs mit allen Würden behandelt werden. Im Gegensatz dazu setzen die Bolschewiki während des 1. Weltkrieges auf Agitation unter den einfachen Soldaten – viele waren schon vorher Sozialdemokraten und kommen als überzeugte Anhänger der Russischen Revolution zurück.

Doch auch von innen heraus kommt es zunehmend zu Protesten. Die zwei größten sind hier der Aufstand der Matrosen von Cattaro und der Jännerstreik. Beim Jännerstreik verbindet sich der Wunsch nach Frieden mit der Forderung nach Brot: Am 13. Jänner 1918 gibt es Proteste gegen die Forderungen der deutschen Militärs in den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk die den Frieden hinaus zu zögern versuchen bzw. diesen möglichst teuer erkaufen wollen. Am 14. Jänner beginnt eine Streikwelle ausgelöst durch die Kürzung der Mehlrationen um 50%. Rund eine Million Arbeiter*innen in verschiedene Teilen der Monarchie treten in den Ausstand: Es beginnt bei den Rüstungsbetrieben in Wr. Neustadt  und breitet sich rasch aus: in Wien, Nieder- und Oberösterreich und der Steiermark (heute Österreich), in Krakau (heute Polen), Brünn (heute Tschechien), Budapest (heute Ungarn), Galizien (heute Polen bzw. Ukraine).

Es ist ein politischer Streik und die zentrale Losung ist die sofortige Annahme des russischen Friedensangebotes. Es kommt zur Gründung von Räten die noch mehrere Jahre eine wichtige Rolle spielen werden. Revolutionäre Kräfte spielen eine zentrale Rolle, Sozialist*innen, spätere KPler*innen bzw. FRSIler*innen – Revolutionär*innen in der Tradition von Zimmerwald die sich teilweise noch in- teilweise schon außerhalb der Sozialdemokratie befinden.

Die sozialdemokratische Führung hat die Bewegung nicht mehr unter Kontrolle – versucht aber verzweifelt diese wieder zu erlangen. Und zwar wie der Marxist Rostolsky aufzeigt in Zusammenarbeit mit der monarschistischen und kriegstreiberischen Regierung. Die sozialdemokratische AZ veröffentlicht einen Aufruf an die Beschäftigten zentraler Zweige des Industrie- und Transportwesens sich nicht zu beteiligen da dies die Not der AK vergrößern würde. Außerdem interveniert die sozialdemokratische Führung u.a. indem sie ein Forderungsprogramm im Wiener Arbeiterrat durchbringt, dass die Regierung umsetzen kann,  um das Gefühl eines Erfolges zu vermitteln und gleichzeitig die Bewegung  auszubremsen: Die Forderungen sind so allgemein wie „Reorganisation des Verpflegungsdienstes“ etc. Auf Antrag des Parteivorstandes wird der Streik mit 20.1. beendet – doch viele Betriebe streiken noch bis 22.1. weiter. Der Regierung fehlen in Wirklichkeit die Mittel – auch die militärischen – um den Aufstand niederzuschlagen: aber die Führung der Sozialdemokratie rettet sie.

Fast zeitgleich zum Jännerstreik kommt es Anfang Februar im Hafen von Cattaro (heute Montenegro) zu einem Matrosenaufstand. Es ist der zweitwichtigste Militärhafen der Monarchie. Die Matrosen verhaften die Offiziere, wählen Matrosenräte und hissen die rote Fahne. Auch sie fordern u.a. Frieden. Der Aufstand bleibt isoliert und wird in Folge niedergeschlagen – auch weil Otto Bauer, der auch heute noch als „Linker“ in der Sozialdemokratie gilt, die Informationen über den Aufstand und die Forderungen der Arbeiter*innenklasse in Wien und anderen Teilen der Monarschie bewusst vorenthält!

Aber auch in Folge kommt die Arbeiter*innenklasse nicht zur Ruhe. Im Juni 1918 findet eine weitere Streikwelle mit bis zu 67.000 Streikenden va. in Wien und Niederösterreich statt. Im Gegensatz zum Jänner gibt es aber noch weniger eine revolutionäre Führung. Jene, die Anfang des Jahres die Kämpfe noch gegen den Willen der sozialdemokratischen Führung organisiert hatten sind teilweise bereits seit dem Jännerstreik in Haft bzw. zwangsweiße an die Front geschickt worden oder werden noch rasch verhaftet.

Die Republik wird ausgerufen

Am 12. November wird dann die Republik ausgerufen: Doch das Ende der Monarchie und die Ausrufung der Republik im November sind nicht das unmittelbare Ergebnis einer revolutionären Erhebung, einer Massenbewegung. Vielmehr bricht die Habsburgermonarchie als Resultat der militärischen Niederlage und des Zerfalls des Vielvölkerstaates in sich zusammen.

In Prag formiert sich der tschechoslowakische Staat, die erste polnische Regierung bildet sich, in Lubljana bildet sich ein Nationalausschuss mit dem Ziel einen einheitlichen jugoslawischen Staat zu gründen. Im Parlament in Wien sitzen nur mehr die verbliebenen „österreichischen“ Abgeordneten. Die Tatsache, dass die sozialdemokratische Führung Jahrzehntelang die Unterdrückung der verschiedenen Nationalitäten in der Habsburgermonarchie mitgetragen bzw. nicht bekämpft hat rächt sich nun.

Die Revolution hatte nicht im November 1918 begonnen, sondern schon im Jänner. Darum ist – auch wenn kein „Novemberumsturz“ stattfindet dennoch die Triebkraft für den Beginn einer gänzlich neuen Epoche die Arbeiter*innenklasse und ihre Kämpfe als Klasse und für ihre Klasseninteressen. Ähnlich wie in Russland braucht es die Arbeiter*innenklasse um die längst überfälligen Aufgaben der bürgerlichen Revolution, die 1848 gescheitert war, zu erfüllen. Dazu gehört die Abschaffung der Monarchie – die für die sozialdemokratische Führung lange gar nicht auf der Tagesordnung gestanden ist – sowie diverse bürgerliche Freiheiten.

Der Sprung vom Februar zum Oktober findet nicht statt

Doch der Sprung vom Februar zum Oktober findet in Österreich nicht statt. Die Vollendung auch der sozialen Revolution wird von der Führung der Sozialdemokratie verhindert. Am Parteitag der Sozialdemokratie am 31.10/1.11.1018 spricht sich der „Linke“ Otto Bauer explizit gegen die „soziale Revolution“ aus. Die sozialdemokratische Führung hat sich längst mit dem kapitalistischen Staat arrangiert. Es hat sich ein von der Klasse abgehobener Apparat gebildet der seine Privilegien genießt (und verteidigt) und kein Vertrauen in die Arbeiter*innenklasse und ihre Fähigkeiten hat. Dazu kommt ein mechanisches Verständnis von Geschichte: Anstatt zu sehen, dass in Österreich längst der Kapitalismus alles dominiert und die politische Entwicklung hier hinterherhinkt beharrt man auf den Etappen Feudalismus – Kapitalismus/bürgerliche Demokratie und dann erst später Sozialismus.

In der Arbeiter*innenklasse aber herrscht ein sozialistisches Massenbewusstsein. Das zeigt sich auch am 12. November bei der Ausrufung der Republik. Vor dem Parlament haben sich 100.000 Menschen eingefunden, darunter auch Vertreter der Roten Garde. Auf Transparenten und in Rufen wird klargestellt: „Hoch die sozialistische Republik“. Die rot-weiß-rote Fahne wird zerrissen, der weiße Streifen entfernt und die beiden roten Enden zusammengeknottet – und dann die rote Fahne gehisst. Ganz anders bei der Führung der Sozialdemokratie: sie tritt würdevoll gemeinsam mit Vertretern bürgerlicher Parteien aus dem Parlament, hält ein paar Reden, Proklamiert die Republik und geht dann wieder hinein ins Parlament um sich scheinbar wichtigerem zu widmen. Größer könnte der Gegensatz nicht sein!

Immer wieder ist die Argumentation der sozialdemokratischen Führung sinngemäß: „Wir würden eh gerne, aber wir sind noch zu schwach, die Zeit ist nicht reif, der Gegner zu mächtig“. Doch die Realität sieht anders aus: Der Experte für das Rätewesen in Österreich – Hans Hautmann – geht davon aus dass die Rätebewegung hierzulande in Aufbau, Wahlmodus, Wahlbeteiligung und Klarheit der innerorganisatorischen Spielregeln jene in Deutschland oder Ungarn überlegen ist. Räte organisieren die Verteilung von Lebensmitteln, sind gegen Schleichhandel und Schwarzmarkt aktiv, weißen Wohnungen zu und kontrollieren die Produktion. Sie übernehmen über Monate, wenn nicht sogar Jahre weitreichende Aufgaben und die Doppelmacht ist weit entwickelt. Sogar bewaffnet ist die österreichische Arbeiter*innenklasse bis in die 1930er Jahre – der Republikanische Schutzpunkt sucht vergleichbares in Europa.

Sozialdemokratische Führung umarmt „zu Tode“

Doch ein wesentlicher Unterschied zu Deutschland ist der Umgang der Sozialdemokratie mit revolutionären Kräften. Die österreichische Sozialdemokratie setzt auf Integration und „zu Tode umarmen“. In Deutschland trennen sich 1916 die revolutionären Kräfte von der SPD, es kommt zur Gründung der USPD. In Österreich sind seit dem Kriegsparteitag 1917 die Kriegsgegner in der Führung. Der Austromarxismus setzt auf radikale Rhetorik. Der größte Teil der Linken bleibt in der Sozialdemokratie.

Auf der radikalen Linken gibt es u.a. die am 3.11. gegründete KPÖ und die am 28.11. gegründete Föderation Revolutionärer Sozialisten – International FRSI. Aktivist*innen von beiden Organisationen haben wichtige Rollen im Jännerstreik gespielt. Doch beiden fehlt die ausreichende Verankerung in der Arbeiter*innenklasse. Es bleibt daher im Wesentlichen bei Debatten und Plänen für einen Aufstand.

Die Integrationsstrategie der Sozialdemokratie hat auch dazu geführt, dass in weiten Teilen der Linken bis heute das Dogma gilt „Es kann nur eine Arbeiter*innenpartei geben“. Diese Sichtweise – in Kombination mit der Verbürgerlichung der SPÖ die aber von vielen ignoriert wird – erschwert den Prozess der Bildung einer neuen Arbeiter*innenpartei und führt dazu, dass die Arbeiter*innenklasse in Österreich aktuell gar keine Partei hat.

Friedrich Adler vom linken Parteiflügel hätte der „österreichische Liebknecht“ werden können. Er genießt aufgrund seines Attentates auf den österreichischen Ministerpräsidenten Stürgkh im Jahr 1916 hohes Ansehen in der Arbeiter*innenklasse. Nicht nur die KPÖ, auch die Komintern bemühen sich aktiv, ihn zu gewinnen. Er aber bleibt in der Sozialdemokratie und trägt den Kurs „es ist noch zu früh“ mit. Er wird Vorsitzender des Reichsarbeiterrates und bremst auch hier. Die Räte übernehmen immer mehr administrative Aufgaben, anstatt zum Kern einer radikal anderen Gesellschaft zu werden. Doch die Sozialdemokratie geht noch weiter in ihrem Bestreben, die Räte zu kontrollieren und zu entmachten. Wer im Arbeiterrat sitzt muss Mitglieder in den sozialdemokratischen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen sein und die AZ abonniert haben! Auch die Soldatenräte werden von der Sozialdemokratie auf Linie gebracht um Loyal zur Partei und zur Regierung zu stehen. Letztlich werden die Räte völlig entmachtet und in den Staat integriert – auch durch das Gesetz über die Bildung der Arbeiterkammer von 1920.

Das Bindeglied verbindet nicht

Die revolutionäre Periode von Anfang 1918 bis Anfang der 20er Jahre muss auch im internationalen Kontext gesehen werden. Es gibt nicht nur die Russische Revolution sondern in so gut wie jedem Land gibt es in dieser Zeit zumindest große Streikbewegungen bis hin zu revolutionären Erhebungen. Am 9.11. 1918 findet in Deutschland die Novemberrevolution statt, im April und Mai 1919 wird in Bayern die Räterepublik ausgerufen. Auch in Italien gibt es 1919/20 die „Biennio rosso“, die „Die zwei roten Jahre“. Am 21.3. 1919 wird die Ungarischen Räterepublik ausgerufen.

Auch in Österreich finden immer wieder Erhebungen statt. Am 17.4. 1919 kommt es zu den Gründonnerstagsunruhen: Eine Demonstration von Arbeiter*innen vor dem Parlament wird brutal angegriffen. Die Arbeiter*innen wehren sich, die Polizei wird teilweise entwaffnet. Es kommt zur gewalttätigen Niederschlagung durch die Polizei. Die Stimmung in der Arbeiter*innenklasse ist geladen. Auf Antrag der KP rufen die Räte im Juli zum Generalstreik in Solidarität mit der ungarischen Räterepublik auf. Er wird lückenlos befolgt! Dennoch beantwortet die Parteiführung den Hilferuf aus Ungarn abschlägig. Leider, man wäre ja solidarisch, aber…  

Immer wieder liegt die Frage der Ausrufung einer Räterepublik in der Luft. Insbesondere mit den Ereignissen in Bayern und Ungarn. Doch die Führung der Sozialdemokratie stellt klar, dass sie diese nicht unterstützen würde, die KPÖ und andere linke Organisationen sind zu schwach.  

Die Erfolge

Das Ergebnis der revolutionären Periode ist die Errichtung der bürgerlichen Republik und eine Reihe weit-reichender sozialer Reformen, die innerhalb der ersten zwei Jahre ihres Bestehens in Angriff genommen werden, darunter u.a.: Arbeitslosenunterstützung, Verbot der Nachtarbeit von Frauen und Jugendlichen, Betriebsrätegesetz, Arbeiterurlaubsgesetz, achtstündiger Normalarbeitstag, Kollektivverträge, Abschaffung des Adels etc.  

Das „Rote Wien“ ist bis heute legendär: Wien wird 1920 zum eigenen Bundesland und die Sozialdemokratie setzt auf „Sozialismus in einer Stadt“ ohne allerdings den Kapitalismus selbst zu beseitigen. Innerhalb weniger Jahre werden 63.000 Wohnungen von der Gemeinde Wien erbaut. Kinderbetreuung, Schulen, Gesundheitsversorgung etc. werden massiv verbessert, finanziert durch ein kommunales Steuersystem mit starken Umverteilungselementen.

Doch dieses Projekt kann nur funktionieren, weil Bürgertum und Kapital noch nicht wieder fest im Sattel sitzen, weil sie das revolutionäre Potential der Arbeiter*innenklasse gespürt haben. Sie machen Zugeständnisse, um aus ihrer Sicht Schlimmeres zu verhindern. Doch diese Erfolge waren auf Sand gebaut. Seit Anfang der 1920er Jahre organisieren Bürgertum und Kapital ihren Gegenschlag. Er wird spätestens durch die Weltwirtschaftskrise 29 auch immer notwendiger. Und politisch möglich wird er weil die Führung der Sozialdemokratie immer und immer und immer wieder zurückgewichen ist. Und weil sie den Kapitalist*innen die Macht über die Wirtschaft, den Staat und das Militär überlassen haben.

Wir kennen all diese Argumente auch heute:

Syriza hat auf darauf gesetzt, die EU-Spitzen, also die Vertreter des Kapitals, durch keynesianische Argumente zu überzeugen anstatt auf die Macht der griechischen Arbeiter*innenklasse zu vertrauen.

Chavez hat 2002 die Arbeiter*innenklasse zwar den Putsch abwehren lassen ist dann aber nicht weitergegangen zum Sturz des Kapitalismus sondern hat die Arbeiter*innenklasse wieder entwaffnet.

Der Rückschlag nach dem halben Weg

Es gibt unzählige Beispiele, wo reformistische Führungen auf einen scheinbar vernünftigen, scheinbar friedlichen Weg verwiesen. Immer mit dem Argument „die Zeit ist noch nicht reif“. Das Beispiel der österreichischen Revolution, wie jenes der deutschen, der chilenischen, der indonesischen und vieler, vieler anderer zeigt: wenn man stehen bleibt, bevor man die herrschende Klasse entmachtet hat, dann rächt sie sich blutig. In Österreich gibt es bereits 1927 wieder einen Schießbefehl auf eine Demonstration von Arbeiter*innen. 89 sterben, über 1.100 werden verletzt. Es folgte die Errichtung des austrofaschistischen Ständestaates 1933 und die blutige Niederschlagung des Februaraufstandes 1934.

Der Aufstieg des Faschismus und der 2. Weltkrieges, aber auch die Entwicklung des Stalinismus in der Sowjetunion sind die Folgen der zögerlichen Haltung der sozialdemokratischen Führung. Sie haben den Kapitalismus gerettet und damit auch all seine Widersprüche, seine Ausbeutung und seine Brutalität. Zweifellos ist es schwer zu sehen, wann der richtige Zeitpunkt für eine Revolution ist, wenn man mittendrin steckt. Aber es reicht eben nicht ein Stück des Weges zu gehen und den Rest dann später. Das bedeutet nicht, sich leichtsinnig in revolutionäre Abenteuer zu stürzen. Aber die Aufgabe von Sozialist*innen ist es, heute die revolutionäre Partei aufzubauen um dann gut vorbereitet zu sein. Liebknecht hat es 1905 ganz richtig gesagt: "Ja, eine Revolutionsversicherung hats noch nie gegeben, sie müsste erst erfunden werden. … Die Verantwortung für die Tat steht gegenüber der Verantwortung für die Untätigkeit."

Die Sozialdemokratie hat die sozialistische Revolution mit dem Verweis auf das Risiko verhindert – das sehr reale Ergebnis der abgebrochenen Revolution aber waren Faschismus und 2. Weltkrieg. Diese Lehren dürfen wir nie vergessen und müssen sie auf die kommenden revolutionären Zeiten anwenden.

Dieser Vortrag wurde im Rahmen der Sozialismustage in Kassel/Deutschland am 15.12.2018 gehalten. Die schriftliche Version weicht nur geringfügig davon ab.